Hamburger SV – Schalke 04 1:2
Ein Sonntagsspiel mit besonderer Brisanz: Die aktuelle Trainerthematik in Hamburg und Gelsenkirchen sorgte schon vorher für jenen gewissen Reiz, ebenso wie die Tabellensituation der Hamburger, welche sich aufgrund einer erneuten Niederlage nicht befreien konnten.
Nach dem letztwöchigen Sieg beim VfB Stuttgart waren die Hanseaten eigentlich mit Optimismus in die Partie gegangen, doch der erhoffte nächste Schritt aus dem Keller gelang nicht. Für Interimstrainer Cardoso endet nun seine Amtszeit, die Nachfolgersuche ist weiterhin ergebnislos. In der Startformation hatte Cardoso nicht viel geändert – einzig Guerrero durfte an Stelle von Son beginnen.
Auf der anderen Seite war es für Huub Stevens nach dem Sieg in der Europa League gegen Maccabi Haifa das erste Ligaspiel in seiner neuen Rolle – gleich gegen den Klub, dem er abgesagt hatte. Zwei Veränderungen – Papadopoulos für Matip und Jurado für Draxler – nahm der Niederländer vor, die Formation blieb aber erneut unverändert.
Nach schwachen Startminuten wurden die Schalker dann mehr und mehr die stärkere Mannschaft. Raúl war sehr beweglich, die beiden Außenspieler rückten weit ein, um das Zentrum zu unterstützen, so dass man hier in der Überzahl war und folglich das Spiel kontrollieren und diktieren konnte.
Das Schalker Spiel
Gleichzeitig machte man so den Raum für die offensiv eingestellten Außenverteidiger frei, wobei es hier verschiedene Rollen und Aufgaben gab – während Fuchs hinterlief, wenn sein Vordermann selbst den Ball hatte oder zumindest im Zentrum unterwegs war, tat Höger es, wenn Farfan ihn nicht hatte. Stattdessen versuchte der Peruaner, mit seinen Läufen Raum für Höger zu schaffen, oder jener „vorderlief“, was auch gelang – nach einer schönen Kombination kam er frei zur Flanke, welche Huntelaar per Kopf zur Führung verwertete (13.).
Die Unterschiedlichkeit der Seiten wurde allerdings nicht primär durch die Außenverteidiger bedingt, sondern durch die Außenspieler, denn so konnte man Farfans Dynamik und Kombinationsspiel auf der einen ebenso wie Jurados Technik und Übersicht auf der anderen Seite betonen – es hatte alles „nur“ Auswirkungen auf die Außenverteidiger.
Auch in der Folge hatten die Schalker weiterhin die Kontrolle, gefährliche Aktionen geschweige denn konkrete Abschlüsse auf das Tor waren aber äußerst rar. Die Kontrolle des Spiels wurde auch wesentlich dadurch bedingt, dass man durch die Kombination von horizontaler mit vertikaler Fluidität in der vorderen und hinteren Mittelfeld-Reihe und die beeindruckenden Laufleistung von Huntelaar (mit 11,14 km klarer Spitzenreiter in dieser Disziplin) die beiden defensiven Hamburger Viererreihen aufbrechen konnte. Ihre beiden Stürmer standen zu hoch, so dass man zwar die hinteren Schalker Spieler zum schnellen und in vielen Fällen auch missglückten Abspiel zwang, aber dahinter zu viel Raum ließ für die pass- und ballsicheren Spielmacher Holtby und Jurado.
Das Hamburger Spiel
Insgesamt konnte der HSV lange nicht überzeugen, wirkte nach dem Gegentor zunehmend verunsichert. Tesche und Rincón konnten nicht für die nötige Kreativität sorgen, was dadurch verschlimmert wurde, dass Schalke sie in ihrem 4-1-4-1-ähnlichen System gut unter Druck zu setzen vermochte (erste Halbzeit: nur 35 % bzw. 47 % gewonnene Zweikämpfe, 75 % bzw. 60 % Passgenauigkeit). Ohne die Unterstützung der eher abwartenden Außenverteidiger konnten Lam und Töre, relativ alleine auf den Flügeln, nicht viel ausrichten, auch wenn besonders Letzterer immer wieder seine Gefahr andeutete. Weiterhin hingen Guerrero und Petric zunächst in der Luft, ließen sich dann aber beide fallen, so half Petric bspw. beim Spielen über Links, wodurch sich aber die Torgefahr weiter verringerte und das zentrale Kreativloch weiter niemand füllte.
So wurde man erneut nur sporadisch durch Flanken (oder seltenen Einzelaktionen von den Flügeln) gefährlich – oder wenn man durch das aggressive Vorstoßen Tesches oder Rincóns im gegnerischen Spielaufbau ein Ballgewinn erzielt werden konnte. So entstand auch der Ausgleich durch Petric (38.) nach Fehler von Höwedes. Unverdient war der Treffer keinesfalls, denn in den letzten Minuten des ersten Durchgangs steigerte sich der HSV.
Zweite Halbzeit gehört dem HSV
Dieser Eindruck manifestierte sich nach der Pause, die Hamburger waren nun über weite Strecken die bessere Mannschaft, was auch an taktischen Umstellungen und Auswechslungen lag. Durch die Auswechslung Farfans (für ihn kam Draxler) verloren die Gelsenkirchener an Dynamik und mussten – auch weil man Raúl nicht mehr so viele Freiheiten gegen einen nun gefährlicheren HSV geben konnte – im Mittelfeld breiter spielen. Durch die verringerte Dynamik und Präsenz wurde man nicht nur ungefährlicher, sondern von Tesche und Rincón zunehmend übermannt.
Hauptsächlichen Anteil an ihrem Aufschwung hatten aber die Hausherren selbst: Töre erhielt mehr Freiheiten, während Lam die Löcher für ihn stopfte, und so nahm auch seine Präsenz im Spiel merklich zu. Im Sturm fand man zwischen Petric und Guerrero nun eine deutlich bessere Aufteilung, Ersterer ließ sich effektiver fallen – auch um das Spiel zu machen, aber vor allem um Raum zu öffnen, während Guerrero sich vorne aufrieb und zur linken Seite tendierte, um auf Lochpässe zu warten.
Besonders interessant war, wie offensiv Westermann mit der Zeit auf seiner Position als Rechtsverteidiger wurde. Der Sinn dieser taktischen Maßnahme war, dass man durch das weite Aufrücken Jurado nach hinten drängen, aber auch Westermanns Kopfballstärke bei weiten Flanken nutzen konnte, während man seine Grätschen und seine Antizipation defensiv zum Abbrechen von gegnerischen Kontern einsetzte – zur Not sicherte Rincón und verschob nach halbrechts, was er nun besser konnte, da Schalke nicht mehr so präsent im Zentrum war.
Trotz der Überlegenheit gelang kein Treffer, stattdessen trafen die Schalker eine Viertelstunde vor dem Ende in Person von Huntelaar – ausgerechnet nach einem schnellen Angriff über die angesprochene Flanke, als man Fuchs nicht stören konnte, Westermann war eingerückt, Rincón kam nicht schnell genug herüber, Töre war defensiv zu nachlässig – ein weiterer kleiner Knackpunkt im Spiel.
Fazit
Nach einer engagierten, wenn auch nicht sonderlich kreativ oder spielerisch herausragenden Leistung hätte der HSV dieses Spiel nicht verlieren dürfen, vielleicht sogar gewinnen können.
Nur Mitte ersten Durchgangs war Schalke besser, nutzte das gegnerische 4-4-2 aus und spielte clever über die Flanken. Danach kämpfte sich Hamburg zurück und war stärker, man hatte mehr Torschüsse, mehr Ballbesitz, mehr gewonnene Zweikämpfe – nur in der quantitativen Laufarbeit war Schalke vorn, sinnbildlich für den Siegtreffer.
Für den „Bundesliga-Dino“ bleiben die Fragen: Wer wird neuer Trainer? Wie könnte der HSV spielen?
2 Kommentare Alle anzeigen
Thimo 3. Oktober 2011 um 00:50
Mich würde mal interessieren, wie du das System von Schalke ansich beurteilen würdest.
Da ich der Meinung bin, dass es bei Schalke schwer ist das vorhandene Spielermaterial sinnvoll in einem System unterzubringen.
Besonders mit der Gefahr, durch zu viele Offensivkräfte, die Defensive zu vernachlässigen.
Farfan,Raul und Huntelaar sind wohl zweifelsohne gesetzt.Jedoch stellt sich für mich die Frage, wie man einen Jurado(schwaches Defensivverhalten) in der Zentrale unterbringen kann, weil er durchaus die technischen Fähigkeiten und das Auge hat, dass Spiel zu gestalten.
Meiner Meinung nach ist das nur möglich, wenn man Holtby durch Peer Kluge(vllt sogar Höger?) ersetzt, der defensive Qualitäten besitzt und gleichzeitig im Spielaufbau nicht so eine unglückliche Figur macht wie Papadopoulus oder Matip(Defizite: Passspiel und Übersicht).
Somit würde dann für Holtby nurnoch die linke Seite bleiben, was wiederrum nicht optimal wäre.
Bank: Unnerstall,Draxler,Jones,Marica,Pukki,Matip
Ich bin nicht so der Taktikfuchs, deshalb würde ich mich freuen wenn du dich mit dem Thema befassen würdest 😉
Mfg
Thimo
TR 3. Oktober 2011 um 14:25
Hi, Thimo!
Grundsätzlich finde ich das Schalker System interessant, es ähnelt sogar einem 4-1-4-1, welches ja ein recht beliebtes System ist, die Freiheiten Raúls versucht man durch eine kollektive Offensive, verstärkte Laufarbeit ganz vorne sowie dessen Defensivarbeit auszugleichen.
Anscheinend will Stevens die Holtby-Rolle etwas defensiver haben, wenn dann die Defensivarbeit der Offensivspieler so klappt wie gestern in Ansätzen zu erkennen, kann man dieses System durchaus gefahrlos spielen. Wichtig wird auch sein, dass man das Rückwärtspressing gut umsetzt, aber das hängt von der genauen Interpretation Stevens´ ab.
Meine Antwort: Positive Bewertung des Schalker Systems, wenn man es vernüntig anwendet und die Spieler mitmachen und sich nicht zu schade sind.