Ungeduld statt Raumnutzung
Die ersten Minuten ließen sich gut an, doch letztlich wurde es eine chancenarme Begegnung zwischen dem HSV und Frankfurt. Beide Teams ließen sich bietende Räume liegen und führten einige vom Prinzip gute Ideen dann in Sachen Orientierung und Staffelung nicht gut aus.
Trifft man auf einen flügelfokussierten Gegner, ist eine Rautenordnung immer eine etwas riskante Angelegenheit. Mit genau dieser Defensivformation trat Armin Vehs Frankfurter Eintracht jedoch beim HSV an – und ließ letztlich in einem chancenarmen Match wenig zu. Raute gegen Flügelspiel funktionierte also, obwohl die Interpretation der Hessen diesmal kaum noch die asymmetrischen 4-2-3-1/4-1-4-1-Phasen mit einem Stürmer am Flügel vorsah, die es letzte Woche beim 6:2 gegen Köln noch einige Male gegeben hatte. Zunächst tendierte die klarere Raute oft in ein 4-3-3, da sich Alex Meier weit vorne bewegte, wobei jedoch die Kompaktheit zum Mittelfeld etwas nachlässig war.
Von der Art und Weise des Flügelspiels
Dass es nach eigentlich vielversprechenden Anfangsminuten letztlich ein 0:0 geben sollte, lag zum ersten daran, dass die Hamburger ihr Flügelspiel nicht optimal nutzten. So hätten sie beispielsweise die Außenverteidiger mit überraschenden Nachstößen erst ab dem letzten Drittel einbinden und das Frankfurter Mittelfeld viel zum Verschieben bringen müssen. Doch dynamische Verlagerungen nach gezielten zentralen Vorbereitungsmechanismen fehlten in den richtigen Momenten und kamen zu tief. Stattdessen bauten die Hanseaten oft schon am Flügel auf, so dass die Gäste frühzeitig mit der Raute dorthin schieben konnten. Bei den verschiedenen Zurückfallbewegungen aus dem Mittelfeld schöpften sie den zentralen Raum zu wenig aus und wechselten schnell wieder ungeduldig nach außen – oder kippten direkt dorthin ab.
Ging es über die etwas bevorzugte linke Seite des HSV, hatten sie gegen Frankfurts passives und lasches Pressing viel Kontrolle, konnten die Eintracht mehrmals gruppentaktisch laufen lassen und zeigten einige grundsolide Ansätze. Daran war vor allem das zurückfallende Einrücken von Ilicevic beteiligt, insbesondere im Zusammenspiel mit dem überzeugenden Holtby. Doch hatte das Team Probleme, daraus Chancen zu entwickeln: Der HSV versuchte solche Bewegungen zu selten direkt einzubringen, was auch der aufmerksame Hasebe verhinderte. Immerhin wurde dadurch einige Male der mannorientiert verfolgende Ignjovski weit herausgezogen und Raum für lineare Flügellinienpässe Ostrzoleks geöffnet, die Hunt oder Holtby erlaufen konnten. Dadurch verbuchten die Hausherren zumindest Aufrückmöglichkeiten – klare Torchancen gab es jedoch kaum.
Der HSV kommt kaum zu Torchancen
Interessant war, dass Stendera in diesen Szenen etwas ballferner blieb und sich dort an den leicht eingerückten Positionierungen von Nicolai Müller orientierte. Dies erschwerte die ohnehin nicht gut genutzten Hamburger Verlagerungsoptionen nochmals. Andererseits war somit der ballferne Frankfurter Halbraum nicht zuverlässig abgedeckt – eine Anfälligkeit, die eigentlich Bespielbarkeit bot. Allerdings fanden die Hausherren hier anfangs kaum Präsenz, da Hunt vor allem in hohe Bereiche zog oder auf vertikales Movement zwischen Zehner- und Sechserraum konzentriert war, während bei Holtby die Linksseitigkeit überwog. So fanden die Hausherren aus diesen Aufbaustellungen nur inkonstant in die Bereiche halbrechts – weder zur Halbraumnutzung noch zur Einbindung Nicolai Müllers.
Gelangte der Ball doch in diese Zonen, konnten sie beispielsweise zwar Diekmeier ein wenig Raum schaffen, doch suchte dieser dann sofort wenig vielversprechende Flanken. Nicolai Müller hatte einige gute Dribblings, bei denen er und die Kollegen aber auch zu direkt in den attackierenden Modus schalteten. Gelegentlich entstanden nach Abprallern, wenn der Ball mal in diese unpräsente Halbzone sprang und beide Hamburger Achter gut nachrückten, brenzlige Situationen für Frankfurt. Kleinere Überladeversuche von Holtby und Hunt gab es dort auch bei den über rechts aufgezogenen Angriffen, wenngleich nicht optimal koordiniert. Reinartz und Stendera – in diesen Konstellationen schob Hasebe als ballferner Akteure zudem konstanter mit herüber als andersherum – wussten diese Ansätze oft zu verdecken. So kontrollierten die Hamburger vor der Pause zwar die Begegnung und kamen zu Offensivpräsenz, doch gute Chancen sprangen nur selten heraus.
Frankfurt tendiert zum 4-4-2
Im weiteren Verlauf der ersten Hälfte gab es auf Seiten der Frankfurter zudem eine kleine Umstellung, da sich nun der zuvor oft hoch postierte, abgesehen vom Aufrücken passive Alex Meier konsequenter mit nach hinten bewegte und oft sogar in die Mittelfeldabteilung eingliederte – im Normalfall halblinks neben Reinartz, in jedoch leicht höherer Position. Seine Rückzugsaktionen verstärkten die Sicherheit in diesem Bereich und boten auch gegen längere Bälle oder Flügelaktionen eine verbesserte Absicherung um den Strafraum. Grundsätzlich war die Eintracht nun ähnlich organisiert, wie es Juventus in der vergangenen Saison zu spielen pflegte, wenngleich aus den durchaus sauberen und geschickt passiven Grundstaffelungen heraus weit weniger harmonisch oder anpassungsfähig.
Die Kehrseite der Medaille war allerdings, dass die Hessen mit dem tieferen Zehner nun noch weniger Verbindungen zu den hohen Stürmern hatten und fast gar keine Konter mehr fahren konnten, zumal Hamburg in den ersten Linien kaum Bälle verlor, sondern eigentlich nur nach risikolosen, ansatzweise überladenden, also zum Teil gegenpressingstarken Szenen in Strafraumnähe. Überhaupt war die zurückhaltende Eintracht zunächst praktisch gar nicht gefährlich – trotz ihrer nominellen Offensivpower. Die Hamburger fanden ein prinzipiell passendes Grundkonzept und die Hessen nicht den richtigen Weg, ihr Potential gegen die konkreten Gegebenheiten des Spiels und des Gegners effektiv einzusetzen.
Viele lange Bälle, wenig Staffelungsbalance
Mit einem aggressiv ausgerichteten Pressing sorgten die Gastgeber für frühen Druck auf den Aufbau der gegnerischen Abwehrreihe und bildeten dafür immer wieder 4-4-2- oder gar 4-1-3-2-Staffelungen sowie 4-1-4-1-hafte Phasen mit vielen herausrückenden Bewegungen. Davon ließ sich die mäßig spielstarke Viererkette der Gäste schnell zu langen Bällen verleiten, zumal das Mittelfeld – eher simpel ausweichend und passiv – keine optimalen Freilaufmuster fand. Eigentlich hätte dies der hessischen Offensivabteilung mit ihrer vorderen Präsenz und den verschiedenen physischen Qualitäten auch entgegen kommen sollen. Doch dass Kacar gegen lange Bälle – speziell bei Ab- und Freistößen sehr gezielt – mehrmals tief an die Abwehrreihe zurückfiel, um dort die Präsenz zu erhöhen, dämpfte die Gefahr schon einmal erheblich.
Trotzdem bot die Ausrichtung der Hausherren eigentlich eine gewisse Angriffsfläche, da sie in den zwischenliegenden Mittelfeldbereichen nicht besonders kompakt auftraten. So ging es darum, wie viel die Gäste speziell nach Abprallern und losen Bällen in diesen Zonen machen konnten, bis die ordentliche, wenngleich nicht starke gegnerische Rückzugsbewegung die Räume wieder etwas enger gemacht hatte. An diesem Punkt verschwendete das Team aus der Mainmetropole letztlich einige Möglichkeiten, da sie nicht zielstrebig genug agierten. Zwar brachte das Mittelfeld den Ball einige Male in die äußeren Halbräume und entzog sich damit der gegnerischen Verschiebebewegung, so dass in jenen Bereichen sogar Raum blieb.
Ungeduldige Eintracht im Passspiel
Anstatt diesen jedoch zum Aufrücken oder zur ruhigen, ausgewogenen Angriffsvorbereitung auszuschöpfen, folgten überfrühte Halbfeldflanken der Außenverteidiger oder andere zu stark auf die letzte Linie und direkte Durchbruchsbewegungen fokussierte Aktionen. Das Bewegungsspiel der vorderen Akteure richtete sich, wenn keiner dieser Spieler selbst zurückfallend den Ball hatte, ebenfalls zu sehr in die Spitze. Die ausweichenden Läufe gestalteten sich etwas unsystematisch, hatten wegen der insgesamt vorsichtigen, wenig nachrückenden Mittelfeldspielweise aber auch kaum Unterstützung, so dass sie lose und unverbunden wurden. Entsprechend fehlte es an Bindung der drei Offensivkräfte und – trotz zu vorwärtsgerichteter Staffelungen – an Angriffspräsenz.
Wenn die Gäste in ruhigen Phasen mit weniger Hamburger Pressing aufbauen durften, ließ sich Reinartz meistens sehr klar zwischen die beiden Innenverteidiger fallen und versuchte aus dieser übergangsweisen Dreierkette anzukurbeln. Letztlich lag der Übergang ins Mittelfeld aber oft bei vertikalen Pässen oder Dribblings von Russ und Abraham. Ersterer kann vereinzelt technisch stark sein – jedoch eher bei überraschenden Ballverarbeitungen – und zeigte sich recht engagiert, doch war das Passspiel nach der ruhigen Zirkulation in der hintersten Linie zu ungeduldig und forsch. Mehrmals wollten die Frankfurter das Mittelfeld überbrücken und direkt die kurz zurückfallenden Freilaufaktionen der Offensivakteure anspielen, die dann aber in suboptimale Positionen oder in Unterzahl gerieten und in für sie ungünstiger Dynamik das Leder verloren.
Kleinere Veränderungen nach der Pause
In der zweiten Halbzeit konnten sich die Frankfurter – bei zunehmend zurückhaltendem Pressing des HSV – mehr Kontrolle erobern und solche Phasen auch über längere Zeit stabilisieren. So nahm zudem die Anzahl der langen Bälle ein wenig ab. Auch wurden die sich seitlich anbietenden Bewegungen von Stendera etwas effektiver, der das Leder in Zwischenräumen neben den gegnerischen 4-1-4-1- oder 4-4-1-1-Formationen behaupten konnte. Insgesamt blieben die Bewegungsmuster des vorderen Trios aber zu problembehaftet. Situativ versuchte sich einer von ihnen – vor allem Seferovic, nach der Pause auch vermehrt Alex Meier – engagiert ballnah einzubinden, doch war das oft in tiefen, abgedrängten Räumen angelegt, während die anderen in die Spitze ziehen sollten.
So hatte vor allem Castaignos kaum Szenen und konnte sein Kombinationspotential bei kurzen Ablagen fast nie einbringen. Immerhin gewannen die Frankfurter durch die veränderten Verhältnisse mehr Offensivpräsenz, so dass über ruhende Bälle noch einige gefährliche Szenen heraussprangen. Letztlich sollten sie nur zwei Abschlüsse aus dem Spiel heraus erzeugen können, gegenüber fünf nach Standards. Auch der HSV verbuchte die Hälfte seiner Schüsse auf diesem Wege. In Halbzeit zwei wurden die Bewegungen der Flügel etwas freier, so dass Ilicevic und Nicolai Müller vereinzelte Überladungen initiierten, doch fehlte diesen Ansätzen aufgrund einer etwas zu dribbelnden Ausrichtung und den zu flachen Staffelungen der Kollegen nicht die entscheidende Durchschlagskraft.
Fazit
Vor allem die nicht wirklich ausgewogene und geduldige Raumnutzung, aber auch Staffelungsprobleme bei der Ausführung einiger guter Ansätze – wie beispielsweise zurückfallender Bewegungen oder Überladungen – und zu viele hohe oder lange Bälle hemmten die Offensivreihen. So konnten beide Teams die jeweils von den unterschiedlichen Defensivanlagen angebotenen Freiräume nicht nachhaltig nutzen und trennten sich in einem folgerichtigen Remis ohne Tore.
8 Kommentare Alle anzeigen
fluckompensator 23. September 2015 um 23:36
was ist eigentlich mit marcelo diaz?
SM 24. September 2015 um 00:11
Labbadia meinte vor ein paar Wochen das die Mannschaft noch nicht so weit sei um Diaz‘ Spiel zu spielen.
Sah gestern allerdings ganz gut aus nachdem er eingewechselt wurde – ploetzlich bekam der HSV mehr Zugriff und bekam noch ein paar Chancen.
Mariano Joseph 23. September 2015 um 08:43
Der HSV hatte kaum Torchancen? 10 zu 7 Torschüsse für den HSV! Hatten Hunt und Ilecivic getroffen, wäre es ein mehr für den HSV gewesen als für Frankfurt! Leider ist der Schuss von Hunt über den Span gerutscht und das Ilecivic seinen Innenriss unter den ball haut ist nicht nachzuvollziehen!
TS 22. September 2015 um 13:55
Hey, vielen Dank erstmal für den Beitrag!!! Gerne mehr vom HSV. Könnte doch ganz interessant sein, die aktuelle sportliche Entwicklung des HSV unter Labbadia ein wenig zu begleiten. Würde mich freuen. 🙂
Denn obwohl der HSV noch keine spielerischen Höhepunkte bringt, ist doch mittlerweile eine gewissen Entwicklung zu erkennen. Mich würde besonders TEs Meinung interessiren, da er ja in der Rasenfunk Saisonvorschau (http://rasenfunk.de/schlusskonferenz/) dem HSV keine Verbesserung prognostiziert hat. 🙂
TE 22. September 2015 um 18:31
Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern 😉 Im Ernst: Der HSV hat sich in den vergangenen Wochen ja verbessert, von daher muss man die Rasenfunk-Aussage mit Vorsicht sehen. Gut ist aber immer noch was Anderes, gerade im Ballbesitz.
TS 22. September 2015 um 19:36
hehe, sehr gut. Nein sollte auch kein Vorwurf sein. Aber spannend finde ichs schon ob, du aktuell immer noch sagen würdest, dass der HSV am Schluss letzter wird. Ich denke, dass die aktuelle Leistung des HSV durchaus für einen gesicherten Nichtabstiegsplatz reichen sollte (ist natürlich eh schwierig, für so einen Zeitraum eine Prognose abzugeben, keine Frage)
Bananenflanke 23. September 2015 um 09:22
Auch von mir vielen Dank! Freue mich sehr, zu lesen, dass dem HSV eine Verbesserung zugestanden wird. Hunt scheint mir sehr gut eingebunden zu sein und sowohl Lücken zu schließen als auch Verbindungen zu schaffen. Gestern gegen Ingolstadt hatte ich dann den Eindruck, dass das Spiel des HSV mit der Einwechslung von Diaz noch klarer geordnet war.
der_wahre_Hannes 23. September 2015 um 13:18
Mich würde eine genauere Analyse zum HSV auch interessieren, vor allem weil aus dem Abstiegskandidaten Nummer 1 (wir erinnern uns: Der Relegationsplatz wurde nur sehr glücklich erreicht, die Relegation noch glücklicher für sich entschieden) plötzlich ein Kandidat für das gesicherte Mittelfeld der Tabelle zu werden scheint.
Klar, gegen die Bayern gab’s was auf die Mütze, aber mich hat beeindruckt, dass Labbadia nach dem 0:2 tatsächlich offensiv gewechselt hat. Heißt: Er hat es zumindest versucht und sich nicht einfach dem Schicksal ergeben.