Guardiolas asymmetrische Viererkette gegen Heckings Manndecker
Guardiola lässt sich etwas Besonderes gegen Heckings mannorientierte Wölfe einfallen, kann aber nicht die nötige Präsenz erzeugen. Die Rückkehr zu klassischen Mitteln bringt den Sieg, aber auch brachliegendes Potenzial und Unterlegenheit.
Bayern zwischen Dreier- und Viererkette, Wolfsburg in klassischer Hecking-Manier
Die Bayern starteten mit einem überraschenden System in den ersten 25 Minuten. Sobald sie den Ball hatten – was bei den Münchnern meistens der Fall ist –, schienen sie mit einer Art Dreierkette zu spielen. Hinten standen Philipp Lahm, Dante und Holger Badstuber mehr oder weniger in einer Reihe. Lahm spielte somit als Halbverteidiger, während Juan Bernat sich sehr hoch nach vorne orientierte. Phasenweise entstanden daraus sogar 3-3-3-1/3-3-1-3-Staffelungen, in welchen Gianluca Gaudino zwischen Bernat und – man glaube es oder nicht – Arjen Robben agierte. Meistens waren es aber 3-4-2-1artige Staffelungen, in denen Robben rechts früher und aggressiver höher nach vorne schob.
Gaudino und Alaba spielten zentral. Im Sinne des bayrischen Positionsspiels suchten sie sich die Räume nahe vor den drei Verteidigern und in deren Schnittstellen. Bayern spielte letztlich dadurch etwas zerrissen: Phasenweise standen sie in einer Art 3-4-0-2-1-Formation.
Die Bewegungen der Stürmer hätten dies aber balancieren sollen und taten es teilweise auch außerordentlich gut. Mario Götze ließ sich von der linken Seite in den Zehnerraum fallen, spielte überaus einrückend und wurde hier von Lewandowski unterstützt, der aus der Mitte nach links auswich und Gegenspieler dadurch binden sollte. Thomas Müller von rechts balancierte das ganz, rückte von rechts in die Mitte oder bewegte sich bis auf die andere Seite. Es gab viele Rochaden, doch es mangelte an der Durchschlagskraft, Präsenz und Unterstützung von hinten. Aber alles in allem war das bayrische Aufbauspiel überaus stabil im ersten Drittel. Sie hatten ausreichend Anspielstationen, konnten bei Herausrücken der Wolfsburger nach vorne in weit offene Räume spielen und hatten Neuer als tiefe Anspielstation.
Ziel war es das nominelle 4-4-1-1/4-4-2 Wolfsburgs und Heckings typische Mannorientierungen zu bespielen und als Raumöffner zu nutzen. Das Pressing der Wolfsburger wurde durch diese Aufbaubewegungen der Bayern darum häufig zu einem 4-2-1-3, einem 4-2-4 und teilweise sogar einem 4-1-5; einer der Sechser und Aaron Hunt orientierten sich an den beiden tiefen Sechsern Bayerns, Ivica Olic unterstützte sie und ging auf den zentralen Innenverteidiger, während Vieirinha auf rechts und Kevin de Bruyne auf links auf die Halbverteidiger gingen. Die hier entstehenden Räume sollten bespielt werden.
Überzahlen in den Halbräumen neben dem verbliebenen Wolfsburger Sechser wurden durch den einrückenden Götze, teilweise auch mit dem Einrücken von Robben und vereinzelt Bernat, bearbeitet. Müller und Lewandowski sollten zusätzlich für Tiefe sorgen, um die Räume weiter zu öffnen. Das Binden mehrerer Spieler durch diese zwei, die Desorganisation und das Kreieren eines freien Mannes hinter der ersten Pressinglinie Wolfsburgs und das schnelle Nachstoßen von Gaudino und Alaba konnten aber nicht konstant eingebunden werden. Zwar stand Wolfsburg einige Male sperrangelweit offen innerhalb ihrer Linien, doch wirkliche Präsenz konnten die Bayern durch ihre Staffelung und Bewegung trotzdem nicht erzeugen.
Bayern auch gegen den Ball mit asymmetrischer Viererkette
Gegen den Ball war es aber meist keine Dreierkette; zwar spielte ein paar Mal Bernat relativ hoch und auf einer Höhe mit Robben, doch meistens versuchte sich Bernat schnell nach hinten zu orientieren und eine Viererkette herzustellen. Im höheren Pressing gab es eine leichte Asymmetrie zu sehen: Robben ging relativ klar auf Ricardo Rodriguez, während Rechtsverteidiger Sebastian Jung auf der anderen Seite etwas offener gelassen wurde. Die beiden Stürmer in Bayerns nomineller 4-4-1-1-Staffelung schoben auf die Innenverteidiger. Müllers Bewegungen variierten aber.
Einige Spielphasen lang war er klar der zweite Stürmer und presste fast auf einer Höhe mit Lewandowski, in anderen unterstützte er aber das Mittelfeld und spielte hinter Lewandowski, kurz vor der Auswechslung Lewandowskis schien er sich sogar ins Mittelfeld zu orientieren und Robben ab und zu Läufe nach vorne im Pressing zu ermöglichen. Die Asymmetrie in der Pressingformation betraf bei den Bayern die linke Seite. Überraschend häufig orientierte sich Götze aus seiner nominellen Position als Linksaußen in die Mitte und den Zehnerraum, wodurch eine Art 4-3-1-2 entstand; allerdings keine Raute. Robben blieb auf rechts, Götze stellte den Sechserraum zu und Wolfsburg sollte zu langen Bällen oder auf die andere Seite geleitet werden. Dort rückte oftmals dann Bernat aggressiv heraus, wodurch eben die eingangs erwähnten Dreierkettenstaffelungen gegen den Ball entstanden. Ansonsten waren es aber 4-3-1-2artige Staffelungen, wo Götze, Alaba und eben Bernat gemeinsam in der Dynamik die vermeintlich offene linke Seite versperren wollten.
Fraglich ist hierbei, ob dieses „L“ geplant war oder eine Improvisation Götzes war. Die Häufigkeit und Struktur sprechen für einen Plan, die immer wieder vorkommenden „klassischen“ Positionierungen Götzes auf dem linken Flügel dagegen. Im Laufe der Spielzeit nahm dies aber ab; ebenso wie die Asymmetrie der Bayern im Aufbauspiel.
Bayern stellt um, Wolfsburg wird präsenter
Ungefähr ab Minute 25 veränderten die Bayern ihr Aufbauspiel. Sie wichen von ihrer asymmetrischen Viererkette/Dreierkette ab und spielten danach mit Lahm als Rechtsverteidiger, der Breite gab und nur selten diagonal nach vorne stieß. Somit konnten Alaba und Gaudino nicht mehr so klar in die vertikalen Linien zwischen den Innenverteidigern gehen, stattdessen gab es einen größeren Fokus auf Gaudino zentral als Anspielstation; das wechselte aber auch häufig, wenn Alaba in der Mitte war, ging Gaudino in den Halbraum und vice versa. Die Münchner konnten dann mit Überladungen des rechten Flügels und relativ simplen Abläufen Gefahr erzeugen.
Dennoch wurde Wolfsburg stärker und war dann in der zweiten Halbzeit mindestens ebenbürtig. Größere taktische Veränderungen gab es bei der Hecking-Elf nicht; sie passten sich lediglich besser an die Umstellung der Bayern an und waren mit ihren Mannorientierungen extrem aggressiv. Mit Maxi Arnold für Hunt hatten sie auch ein verstärktes Pressing, teilten die Innenverteidiger der Bayern gut auf und verhinderten, dass sich die Sechser des Rekordmeisters drehen konnten. Bayern pendelte dann zwischen einer trägen Ballzirkulation im ersten Drittel oder schnellem Spiel nach vorne, meist über die Flügel, in welchem sie viele Ballverluste und auch überraschend viele lange Bälle spielten. Offensiv veränderte sich bei Wolfsburg wenig; sie profitierten aber vom tieferen Pressing der Münchner, hielten den Ball nun geschickt und zirkulierten ihn gut.
Dazu gab es zahlreiche Seitenverlagerungen, Schnittstellenpassversuche sowie schlichtweg kleinere Fehler in den gruppentaktischen Abläufen bei den Bayern. Diese Probleme wurden nach der Einwechslung Xherdan Shaqiris noch präsenter, da dieser defensiv weniger intensiv war als Götze und gleichzeitig offensiv weniger Synergien erzeugte sowie taktisch simplere Bewegungen zeigte. Bayern hatte nun größere Probleme im Spiel nach vorne, auch wenn sie in der ersten Halbzeit klar überlegen waren. Wolfsburgs Intensität tat ihr Übriges. Später passte Josep Guardiola noch ein weiteres Mal an.
Mit Sebastian Rode für Robert Lewandowski wollte er mehr Präsenz im Mittelfeld für die Schlussphase sowie die Option überfallartiger aus dem Zentrum im Umschaltmoment nach vorne zu rücken. Darum stellten sie auf ein 4-1-4-1 um, in welchem David Alaba den tiefsten Sechser zu geben schien; Robben ging in die Spitze, Müller rückte auf Rechtsaußen. Knapp, aber doch, konnten die Bayern die drei Punkte in München behalten.
Fazit
Alles in allem ein taktisch schwierig einzuschätzendes Spiel. Bayern wirkte potenziell überaus stark mit ihrer Asymmetrie zu Beginn, insbesondere Jung und Vieirinha hatten Probleme zwischen Götze und Bernat, wobei Letzterer seine Rolle in puncto Besetzen der Halbräume nicht ordentlich ausspielen konnte. Auch Götzes verschobene Position gegen den Ball war interessant; wollte man damit Ricardo Rodriguez isolieren und einen zockenden Spieler haben oder Wolfsburg einfach nur auf die andere Seite leiten? Später wurden die Bayern schwächer, obwohl die Umstellung auf ein klareres und flügellastiges 4-2-3-1/4-4-1-1 zwischenzeitlich für die womöglich größte Überlegenheit in der Partie sorgte. In der zweiten Halbzeit kamen allerdings die Wolfsburger zu ihren Chancen und hätten sich beinahe noch den Ausgleich verdient gehabt.
8 Kommentare Alle anzeigen
Bernhard 26. August 2014 um 21:26
Servus RM!
Gabs zu Robert Lewandowski einen Artikel aus der Reihe „Darum wechselt….“ auf abseits.at?
Würde dazu gerne deine Meinung hören.
TW 27. August 2014 um 01:16
Es gab eine ganze Serie:
http://www.abseits.at/fusball-international/deutschland/der-fc-bayern-munchen-und-robert-lewandowski-4-echte-verstarkung-oder-luxus-erganzungsspieler/
Unter dem 4. Teil sind auch die Links zu Teil 1-3
MB 26. August 2014 um 12:18
Die Einwechslung von Rode war imho sehr wichtig, kam vielleicht sogar etwas spät. Er hat hervorragend die Lücken im Mittelfeld geschlossen und aggressiv Raum und Gegner beackert
Citizenpete 25. August 2014 um 11:13
Vielen Dank für die Analyse. Habe darauf regelrecht gewartet. Ich finde die Spielweise der Bayern sehr schwer einzuschätzen und zu „benennen“. Auch wenn viele gut analysiert und erklärt wurde, so bin ich am Ende nur ein wenig schlauer 😀
Man darf auf die nächsten Spiele gespannt sein, wie sich das ganze kristallisiert. Alaba fand ich übrigens auch gut. Nicht auffällig, aber gut.
erfolgsfan 25. August 2014 um 11:02
Zum letzten Satz: „Kamen die Wolfsburger zu ihren Chancen“. Ich habe über das ganze Spiel so gut wie keine Chance der Wolfsburger gesehen. Außer dem Tor (und das war im Prinzip keine Chance sondern ein Zock/-Glücksschuss) war doch nur noch das Ding von Malanda. Oder hab ich was vergessen? Das fand ich in Anbetracht der zu erwartenden Bayernprobleme und der eigenen Ambitionen als CL-Kandidat ziemlich enttäuschend. Natürlich hatten sie in der letzten halben Stunde in puncto Ballbesitz und Initiative die Oberhand, aber die weitaus klareren Chancen hatte auch in dieser Phase Bayern.
Ein Gedankenexperiment: Hätte der FCB diese halbe Stunde so hingelegt, wie hätte man das kommentiert? Dann hätte man von brotloser Kunst und sinnfreiem Ballbesitz gesprochen. Mein Fazit: Bayern war stärker als ich es unter den gegebenen Umständen erwartet hätte, Wolfsburg wie meist in München harmlos. Das Ergebnnis spiegelt das nur unzureichend wieder.
Interessant im Artikel der Hinweis auf die defensiven Probleme die Bayern durch den Tausch Götze/Shaqiri hatte. Die wenigsten sehen m.E. das das taktisch geschickte Defensivverhalten von Götze eine echte Stärke von ihm ist. (By the way: Das hat Dortmund letztes Jahr das eine oder andere Gegentor gekostet. Götze hat hier eher defensiv als offensiv gefehlt. Defensivverhalten ist nämlich eher nicht gerade eine Stärke von Reus.)
Allerdings ist er als verkappter Linksaußen sicher nicht gut aufgehoben. Man merkt ihm auch an das er sich dort nicht wohlfühlt. Die Verletzungen von Ribery die ihn letztes Jahr in diese Position zwangen waren auch für ihn ziemlich fatal. Bin mal gespannt was sich Guardiola einfallen lässt wenn Ribery wieder fit sein sollte.
DLP 25. August 2014 um 09:38
Bei Alaba passen die Laufwege irgendwie noch nicht. Ab und an hatte ich das Gefühl, er steht etwas verloren im Raum und muss sich dann mit Sprints behelfen, um noch in Position zu gelangen. Zum Glück ist er schnell genug. 😉
müsli 24. August 2014 um 20:37
Danke für die Analyse, alles wurde gut erklärt.
Noch eine kurze Frage aus persönlichem Interesse an dich: Wie fandest du Alaba auf der 6?
RM 24. August 2014 um 21:59
Danke für das Feedback. 🙂
Zwischen sehr gut und sehr instabil. Du?