Confed-Cup: Brasilien – Italien 4:2
In einem wechselhaften Spiel sichert sich der Gastgeber mit der maximalen Punktausbeute den Gruppensieg.
Im Gegensatz zu Brasilien, bei denen einzig der verletzte Paulinho durch Hernanes (und im Spielverlauf auch David Luiz durch Dante) ersetzt wurde, gab es bei den Italienern nach dem äußerst schmeichelhaften Sieg gegen Japan eine Reihe von Veränderungen – neue 4-2-3-1-Formation und viel neues Personal. Mit einem frühen und mannorientierten Pressing spekulierten die Brasilianer auf mögliche Abstimmungsprobleme in den Anfangsminuten, was durchaus gelang und für einen furiosen Start sorgte.
Hohes Vorrücken und Pressing
Auch danach positionierten sich die Brasilianer bei gegnerischen Aufbausituationen ziemlich hoch, wenngleich sie nicht mehr konstant den frühen Druck ausübten. Zwei der Offensivspieler rückten auf die italienischen Innenverteidiger, Luiz Gustavo agierte weitgehend mannorientiert gegenüber Diamanti und auf den Außenpositionen wurde ebenfalls mit derartigen Zuordnungen gearbeitet.
Weil in der Innenverteidigung Thiago Silva als Absicherung und freier Mann verblieb, fehlte den Brasilianern dieser eine Spieler eigentlich vorne, doch verfolgten sie in diesem Zusammenhang die Strategie, einen der beiden Sechser Italiens freizulassen und über ihre gesamtmannschaftliche Ausrichtung die Situation so zu beeinflussen, dass dieser nicht einfach und gefährlich angespielt werden konnte. Zwischen den vielen anderen weit vorgeschobenen brasilianischen Spielern hätte die Möglichkeit bestanden, dass dieser Sechser bei einem Zuspiel von den umliegenden Brasilianern unter Druck gesetzt und isoliert worden wäre. Dieses eventuelle Risiko eines umzingelten Mittelfeldspielers schien der spielintelligente Buffon zu fürchten, weshalb er manches Mal auf einen möglichen öffnenden Ball in den Sechserraum verzichtete.
Italienische Harmlosigkeit
Ohnehin lief es bei den Italienern in diesem Bereich nicht ideal. Besonders Montolivo kam überhaupt nicht ins Spiel und ließ sich nach etwas mehr als 25 Minuten angeschlagen auswechseln. Generell zeigten die Sechser zwar engagierte und weitläufige Freilaufbewegungen im Spielfeldzentrum, agierten dabei aber häufig zu unkoordiniert und fanden nicht konstant zueinander. Deshalb musste Diamanti mehrmals weit zurückfallen und unterstützen, doch blieb er gegen Gustavo zunächst blass, während seine Bewegungen dann wieder die Offensivpräsenz in höheren Zonen verringerte, die Italien nicht zum ersten Mal Probleme machte.
So war der Vize-Europameister vor dem Seitenwechsel total ungefährlich und blieb ohne einen Schuss auf den Kasten von Júlio César. Aufgrund des geringen Aufrückens und der fehlenden Offensivpräsenz suchten sie häufig das direkte vertikale Zuspiel auf Balotelli, doch wurde diese Fixierung auf ihren einzigen Angreifer ziemlich schnell vorhersehbar. Die gewohnt solide und individuell ohnehin starke Defensive des Gastgebers konnte so nicht in Schwierigkeiten gebracht werden. Alle diese Probleme galten natürlich ebenso für Umschaltsituationen, die Italien daher auch nicht nutzen konnte – zumal sie ohnehin kaum vielversprechende Ballgewinne gegen die dominanten Brasilianer zu erzielen imstande waren.
Situative Manndeckungen und Defensivrochaden
Mit circa 75 % Ballbesitz kontrollierten diese die Partie mit großer Dominanz, konnten daraus allerdings nach dem starken Auftakt nicht mehr ganz so viele Chancen machen. Die offensiv harmlosen Italiener konnten in der Verteidigung zunächst durchaus überzeugen und hatten sich einige Gegenmittel für die Merkmale des brasilianischen Angriffsspiels mit einrückenden und diagonalen Außenverteidigern, Flügelüberladungen und verschiedenen Wechselspielchen zwischen Mitte und Seite überlegt.
Anfangs gab es einige situative Rochaden zwischen den Spielern in der offensiven Dreierreihe Italiens, um die Bewegungen der brasilianischen Außenverteidiger zu übernehmen, was von Marchisio und Diamanti ein paar Mal gemacht wurde. Wichtiger waren allerdings die situativen Manndeckungen durch die ballnahen zentralen Mittelfeldspieler auf die offensiven Außen der Brasilianer. Wenn diese also beispielsweise über rechts angriffen, konnte Aquilani auf Hulk rücken und diesen verfolgen, so dass ein raumöffnender Pass auf den Flügel erschwert wurde. Bei einem einrückenden Laufweg des Außenverteidigers wurde dieser entweder ebenfalls verfolgt oder situativ übernommen, während die Viererkette stetig beibehalten werden konnte.
Die Wichtigkeit von Wechselwirkungen
Bei Brasilien machte sich auch bemerkbar, dass Hernanes ein deutlich anderer Spielertyp als Paulinho ist. Einige Male ging er ebenso auf die Flügel und hatte dort im Ansatz gefährliche Aktionen, doch ist der Mann von Lazio weniger anpassungsfähig, und stattdessen ein dominanterer Akteur in seiner Spielanlage. Aufgrund einer Kombination aus der Tatsache, dass man mit ihm geordneter spielen musste und auf den Flügeln nicht ganz so spritzig war, sowie der Defensivarbeit der Italiener hatten die Mittel des brasilianischen Offensivspiels nicht den großen Effekt der beiden vorigen Spiele und wurden auch nicht ganz so häufig eingesetzt.
Wenn sie es machten, spielten sie die Mechanismen nicht so dynamisch und selbstverständlich aus, was dann manches Mal in zu weit auseinanderstehenden Offensivspielern vorne resultierte. Wenn sie es nicht machten, war ihre Spielanlage eben normaler und weniger beweglich, worauf Italien reagieren konnte – die breiteren Außenverteidiger wurden dann von den Außenverteidigern der Italiener übernommen, während deren Mittelfeldspieler sich nur auf die zentralen Räume konzentrierten. Im Ansatz waren bei Brasilien dennoch einige gute Überladungen auch im Zentrum dabei. Nach ansehnlichen Hackentricks von Óscar und Fred konnte beispielsweise Neymar zwei Mal mittig in eine aussichtsreiche Position gebracht werden, vergab die Chancen aber. Alles in allem war Dantes Führungstor nach einem Freistoß in der Nachspielzeit also keinesfalls unverdient.
Zweite Halbzeit
Nach dem Seitenwechsel stellten die Italiener um und agierten in einer Art Mischformation aus 4-3-1-2 und 4-3-2-1 mit Candreva und Marchisio als breiten Halbspielern. Dadurch wollte Cesare Prandelli die Mannorientierungen in der brasilianischen Defensive attackieren, was beim Ausgleichstor auch hervorragend klappte: Nach einem schnell ausgeführten Abstoß Bufffons ließ sich Marcelo auf den tiefstehenden Candreva herauslocken, der den Ball in seiner besseren Position weiterleiten konnte. Zusätzlich zog Balotelli den ebenfalls mannorientiert verteidigenden Dante aus der letzten Linie, so dass dort nur noch zwei Abwehrspieler verblieben. Folglich konnten die beweglichen Diamanti und Giaccherini nicht nur die Lücke hinter Marcelo attackieren – diese war zudem kaum abgesichert, so dass Giaccherini unmittelbar Richtung Tor ziehen und das Leder versenken konnte.
Mit dieser Umstellung dominierten die Italiener auch in der Folgezeit vermehrt und hatten in der zweiten Halbzeit insgesamt mehr Tormöglichkeiten als die Brasilianer. Durch die fast schon als freie Doppel-Zehn spielenden Giaccherini und Diamanti gewann ihr Spiel generell an Beweglichkeit und Präsenz im Zentrum, während Candreva und Marchisio für die Besetzung der tieferen Halbräume sorgten und nachstoßend verschiedenste Bereiche anvisieren konnten. Häufig hatte Italien – wie in der starken ersten Halbzeit gegen Mexiko – dann sehr viele Optionen in der Mitte und die beiden Außenverteidiger beackerten die Breite fast gänzlich alleine.
Marcelo und die brasilianische Effektivität
Auch wenn der zweite Treffer kurios war und für viele Diskussionen sorgt(e), gingen die zwei erzielten Tore für Italien nach dem Seitenwechsel aufgrund dieser Verbesserungen in Ordnung. Das Problem war nur, dass die Brasilianer unmittelbar nach dem 1:1 durch einen tollen Freistoß Neymars antworten konnten und sogar drei Treffer in den zweiten 45 Minuten machten – aus nur drei Torchancen. Einerseits waren die Italiener in dieser Zeit das bessere Team und hatten mit ihren Umstellungen mehr Szenen in der Offensive, andererseits kam diese gnadenlose Effektivität Brasiliens nicht von ungefähr. In der Verteidigung hatte die italienische Systemumstellung auch eine Schwachstelle, die von den geschickten Brasilianern dreimal direkt gnadenlos bestraft wurde.
Der Schlüsselspieler dafür hieß Marcelo – an allen drei Toren im zweiten Durchgang war der Linksverteidiger als Vorlagengeber oder einleitender Akteur entscheidend beteiligt. Mit den vorgeschoben agierenden Giaccherini und Diamanti öffneten sich um Aquilani herum einige freie Räume für die Brasilianer, die zugänglich wurden, wenn einer der beiden Halbspieler etwas zu weit außen agierte. Dem eigentlichen offensiven Flügelspieler Candreva passierte dies einige Male, weshalb Marcelo auf seiner Seite mit typisch diagonalen Bewegungen große Freiheiten erschließen konnte, die für viele seiner Kollegen beispielsweise durch Giaccherini und Diamanti versperrt und damit nicht bespielbar waren. Diese Freiräume nutzte der Linksverteidiger im Vorlauf der drei Treffer hervorragend aus und so wurde Brasilien zum verdienten Sieger von Spiel und Gruppe.
Fazit
Aktuell ist die anpassungsfähige, aber stabil aufgebaute brasilianische Offensive anscheinend gegen jeden Gegner in der Lage, sich stark in Szene zu setzen, da die eingeübten Mechanismen sich immer besser einspielen. Gegen einen potentiellen Finalgegner aus Spanien wäre man häufiger auf Kontersituationen angewiesen als bisher – wie aus einer abwartenden Haltung dennoch viele Tore mit vertikalen Schnellangriffen möglich sind, zeigte die Seleção im zweiten Durchgang dieser Partie. Bei den Italienern kann im Halbfinale typischerweise alles passieren – bei der Wundertüte waren die taktischen Anpassungen und Umstellungen bisher meistens ziemlich überzeugend, die generellen Offensivmechanismen allerdings wechselhaft und die Defensive viel zu anfällig.
10 Kommentare Alle anzeigen
Bernd 25. Juni 2013 um 15:37
Was war denn da mit Italien los? Hätte eher gedacht, dass das Ganze viel knapper ausgeht. Schade eigentlich!
onzt 23. Juni 2013 um 23:56
Gute Analyse! Mich konnten Marcelo und Gustavo sehr überzeugen.
Ich habe eine Frage an die Autoren dieser Seite:
Ich sehe schon seit einiger Zeit in Marcelo einen linken zentralen Mittelfeldspieler in einer Raute.
Ich finde seine spielaufbauenden Qualitäten kann man viel besser nutzen indem man Marcelo als einen „Verbindungsspieler“ im Halbraum einsetzt.
Zum Beispiel bei Real Madrid würde ich gern ein 442 Raute mit Coentrao als offensiven Außenverteidiger, Marcelo als LZM und Cristiano als linken Stürmer sehen. Marcelo würde vor allem als ein Bindeglied zwischen Coentrao und Cristiano wirken.
Wie seht ihr das??? Wäre wirklich toll wenn jemand seine Meinung dazu sagen würde 😀
TW 24. Juni 2013 um 00:49
Ich habe die Raute als Option für Real schon damals thematisiert (https://spielverlagerung.de/2013/04/25/borussia-dortmund-real-madrid-41-basisanalyse/#comment-35635). Ich sehe aber eher Modric als linken Halbspieler.
Marcelo fängt eigentlich fast immer Außen an und macht dann den Weg in die Mitte. Hab das in den Kommentaren zum Real-Team-Portrait mal erklärt (https://spielverlagerung.de/2013/04/23/real-madrid-201213/#comment-35262). Bei Brasilien ist das jetzt ein wenig anders, aber ich denke die Rolle des diagonalen Außenverteidigers liegt ihm besser. Bei Coentrao stehen die Zeichen auch eher auf Abschied.
So wie es aussieht ist Isco wohl fix. Ich bin gespannt, ob es möglich ist, Isco, Özil und Ronaldo synnergetisch in eine Mannschaft zu bringen. Ich befürchte ja, dass mindestens einer raus muss 🙁
martin 24. Juni 2013 um 09:27
Kaka hat auch noch bis 2015 einen Vertrag 😛
Wenn man mal davon ausgeht dass Ronaldo und Özil gesetzt sind bleibt eigentlich nur noch die Umstellung CR7 in die Spitze und Higuain oder Benzema raus.
GH 24. Juni 2013 um 21:58
Ich weiß nicht, bei allem Respekt für Özil, aber manchmal find ich verlangsamt er das Spiel so, ist ziemlich undynamisch und defensiv find ich ihn auch zu lethargisch.
Letztes Jahr fand ich Özil noch grandios, aber irgendwie passt Özil mMn nicht in den spanischen Fußball. Aber das kann jetzt vielleicht auch nur meine Meinung sein. Vielleicht irre ich mich auch.
Ach ja wenn wir schon bei Madrid sind: ein Jesé wird auch noch hochgezogen und dürfte sich wahrscheinlich auch aufdrängen. Was die meisten da nicht berücksichtigen, dass Jesé auch Mittelstürmer spielen kann, weshalb ich auf der Stürmerposition gar keinen Handlungsbedarf sehe. Mit Benzema, Morata und Ronaldo, Jesé hat man 4 Spieler die das spielen können.
Aber das nur so am Rande.
Zur Marcelo-Debatte: Ich bin auch der Meinung, dass er als diagonaler Außenverteidiger besser aufgehoben ist. Außerdem haben sich auf der linken Seite schon viele Automatismen gebildet, weshalb es wahrscheinlich das Beste ist, wenn er dort bleibt.
Wenn es aber um die Halbraumbesetzung geht, dann macht er dies ja sowieso. In eigenem Ballbesitz dribbelt oder startet er oft in diesen hinein, wie ja TW schon beschrieben hat.
Von der Raute würde ich generell allerdings absehen. Das Offensivpotential könnte nicht voll ausgeschöpft werden. Defensiv mit entsprechendem Personal vielleicht etwas stabiler, aber bei so vielen „Hochkarätern“ im Angriff wird man davon absehen.
Ich bin gespannt.
onzt 27. Juni 2013 um 03:16
Danke.
TR 24. Juni 2013 um 10:49
Grundsätzlich würde ich sagen, dass so etwas durchaus möglich wäre, allerdings muss ich auch TW zustimmen, dass Marcelo als diagonaler Außenverteidiger noch stärker ist als in einer Raute als Halbspieler zu agieren. Bezüglich Coentrao könnte man eher überlegen, ob nicht Coentrao nominell zentral – entweder als linker Halbspieler, noch passender aber wohl als linker Teil einer Doppel-Sechs – und Marcelo als Linksverteidiger spielt, der dann nach innen geht. Als Gegengewicht zu diesen Bewegungen Marcelos könnte dann Coentrao kombinativ nach außen weichen und diese beiden würden Wechselwirkungen mit Ronaldo (so er denn auf links bleibt) erzeugen. Vor „langer Zeit“ wurde dies einige Male (wegen Verletzungen von Khedira und damals noch Sahin) gespielt:
1. https://spielverlagerung.de/2011/08/29/real-zaragoza-real-madrid-06/
2. https://spielverlagerung.de/2011/09/11/real-madrid-getafe-c-f-42/
onzt 27. Juni 2013 um 03:16
Danke.
davide 23. Juni 2013 um 17:33
Also war die Achse Candreva-Marcelo sehr entscheidend, zumindest in der 2. Haelfte. Nicer Artikel
otsch 23. Juni 2013 um 10:59
Endlich mal ein Trainer, der das 4-3-2-1 gg einen dominierenden 4-2-3-1-Gegner spielen lässt. Ich frage mich schon die ganze Zeit, warum niemand über dieses System gg einen eigentlich überlegenen Gegner nachdenkt…