DFB-Frauen in der Vorbereitungsendphase – MX

Rund ein Monat vor der Europameisterschaft kommt das deutsche Team zunehmend in Fahrt. Der Abschluss der Nations League als Tabellenerster stärkt das Selbstvertrauen von Nationaltrainer Christian Wück. Wie liefen die letzten beiden Generalproben?

Eigentlich bieten diese beiden Partien keine besonders günstigen Voraussetzungen, um sie harmonisch in einem Gesamtartikel zu behandeln. Dennoch soll hier der Versuch unternommen werden, in zwei Aspektanalysen einige zentrale Punkte herauszugreifen und im Lichte beider Spiele etwas grundsätzlicher einzuordnen – dabei aber weiterhin mit chronologischer, analytischer Unterfütterung. (Foto: Steffen Prößdorf, 2025-02-25 Fussball, UEFA Women’s Nations League, Deutschland – Österreich STP 0366, CC BY-SA 4.0)

Die Analysen dienten vor allem meiner persönlichen Vorbereitung auf die EM. Nach ein paar Monaten bewusster Pause möchte ich mit diesem ersten Artikel den Fokus endlich wieder auf die Frauen-Nationalmannschaft richten. Mein Ziel ist es, die deutsche Elf auch während der EM mit einigen Artikeln zu begleiten. In welcher Form genau, wird sich noch zeigen – ich freue mich jedenfalls auf eure Unterstützung und euer Feedback!

Bald gibt es mehr Infos zum Restart von SV-NG zur neuen Saison!

Niederlande-Aspekt: Halbspielerinnen-Trigger

Grundausrichtung

Die Gäste von Trainer Andries Jonker setzten auf eine 4-2-3-1-Grundausrichtung: Kop stand zwischen den Pfosten, davor agierten Buurman und Janssen als Innenverteidiger, daneben Brugts und Casparij. Die Doppelsechs bildeten Groenen und Egurrola – auf der Zehn agierte Roord, auf den Flügeln Grant und Kaptein, im Sturm Leuchter.

Auch die Heimelf agierte aus einem 4-2-3-1-Stamm: Berger im Tor, davor Minge und Knaak, daneben Linder und Gwinn. Im Mittelfeld agierten Nüsken, Senß und Dallmann. Auf den Flügeln Bühl und Brand, in der Spitze Schüller.

Halbverteidigerinnen-Trigger im Mittelfeldpressing

Die Niederlande sind traditionell ein unangenehmer Gegner – besonders unter Trainer Andries Jonker. Charakteristisch ist der Aufbau in einem 3-5-2 beziehungsweise 3-1-4-2, bei dem eine Außenverteidigerin (meist Brugts) eine Linie nach vorne rückt. Dieses System setzte man auch am Samstagabend in Bremen konsequent um. Die zentrale taktische Frage gegen diese Struktur lautete: Wie lassen sich die Passwege der Halbverteidigerinnen in die Breite unterbinden, ohne dabei die zentrale Kompaktheit im eigenen Defensivverbund aus dem Übergeben heraus zu verlieren?

Deutschland löste es zunächst aus einem 4-2-4, in dem die Flügelspielerinnen Brand und Bühl im Mittelfeldpressing leicht eingerückt positioniert waren – mehrheitlich auf der Außenseite des Halbraums. Die niederländischen Halbverteidigerinnen agierten hingegen bevorzugt in der inneren Zone dieses Raums aus dem Aufbauspiel. Entsprechend liefen Brand und Bühl die Gegenspielerinnen mit diagonalen Pressingwinkeln an – der Effekt: eine gezielte Isolation der Breite und damit der Schienenspielerinnen Grant und Brugts.

Das war wiederum für die Defensivlinie von Bedeutung. Die Außenverteidigerinnen Linder und Gwinn agierten zunächst eng frauorientiert auf die Achter Egurrola und Groenen, insbesondere beim Ballbesitz der zentralen Innenverteidigerin Janssen. Erst wenn eine der Halbverteidigerinnen angespielt wurde, schoben Linder und Gwinn in die Breite auf die niederländischen Schienenspielerinnen. Aufgrund deren extremer Breitenstaffelung war der Weg dorthin jedoch sehr weit. Umso wichtiger war daher die vorangehende Isolation mittels Deckungsschatten durch die deutschen Flügelspielerinnen, um Deutschland einen Zeitvorteil gegen den Ball zu verschaffen.

Schüller und Dallmann markierend auf die Sechserin, Bühl mit Deckungsschatten in die Breite, Übergabe der gegnerischen Achterin

Nüsken und Senß im Zentrum von Deutschland agierten initial ebenfalls sehr eng, meist in oder um den Mittelkreis positioniert. Auf das Ballspiel der niederländischen Halbverteidigerinnen reagierten sie mit einer Horizontalverschiebung und schoben dann auf die Achter heraus und übernahmen von den Außenverteidigerinnen.

Provokation schafft Risiko

Unter Trainern hört man in Training und Spiel nicht selten den Zuruf, man solle „in die Pocket“ spielen – Deutschland provozierte genau das. Durch das passive Anlaufen von Schüller und Dallmann sowie das diagonale Isolieren der Flügelspielerinnen ließ man bewusst den vertikalen Passweg im Halbraum auf die Achter offen. Die niederländischen Halbverteidigerinnen wurden regelrecht eingeladen, diese Anspiele zu suchen. Senß und Nüsken waren darauf jedoch gut vorbereitet und rückten immer wieder extrem aggressiv auf Groenen und Egurrola heraus. Das zweikampfstarke deutsche Zentrum ließ dabei kaum etwas zu und entschied 10 von 12 direkten Duellen für sich. Die Niederländerinnen hatten große Probleme im Aufdrehen und fanden aus diesen Bewegungen heraus kaum Tiefe.

Zwischen Knaak und Lindere ist der Zwischenraum extrem groß

Gleichwohl lässt sich grundsätzlich diskutieren, ob das Verhältnis von Ertrag und Risiko im Verlauf der Europameisterschaft nicht kippen könnte. Senß und Nüsken kommen aus der Horizontalverschiebung heraus meist nur mit einem Pressingwinkel von der Seite gegen die gegnerischen Achter. Sollten diese sich dennoch aufdrehen und das Dribbling suchen – oder Stürmer konsequent die Tiefe attackieren –, drohen Deutschland erhebliche Probleme. Die Innenverteidiger verschieben in solchen Momenten häufig zu langsam horizontal, der Halbraum bleibt durch das Herausrücken der Außenverteidiger in die Breite oft unbesetzt. Das ist strukturell gegen gut nachschiebende Gegner oder technisch starke Achter extrem riskant.

Niederlande mit Problemen im langen Aufbauspiel

In der Abstimmung zwischen Bühl und Linder zeigten sich weiterhin Schwächen – insbesondere dann, wenn sich eine gegnerische Stürmerin geschickt zwischen den Innenverteidigerinnen positionierte. Bei tiefen, langen Pässen mangelte es häufig am sofortigen Zugriff, wie exemplarisch beim 0:1 durch Beerensteyn im Hinspiel zu sehen war.

Im Offensivspiel blieben die Gäste unter ihren Möglichkeiten. Leuchter konnte im Luftspiel kaum Akzente setzen, und auch im Anschluss an zweite Bälle fehlte häufig die Präsenz. Die breite Staffelung in der Überladung der zweiten Aufbaulinie führte dazu, dass die Halbräume oft unbesetzt blieben – wodurch der Zugriff auf lose Bälle erschwert wurde. Eine systematischere Besetzung dieser Zonen hätte hier womöglich mehr Stabilität und Anschlussaktionen ermöglicht.

Deutschland nutzte diese Schwächen immer wieder effektiv für Konter, speziell nach langen Bällen der Niederländerinnen. Auffällig war dabei das Verhalten der ballfernen Flügelspielerin – meist Brand oder Bühl –, die bei Ballverlusten früh spekulierte und schnell ins Umschaltspiel kam. Dank ihrer Dribbelstärke und Ballverarbeitung konnten diese Spielerinnen oft direkt Tempo aufnehmen, was schnelle, diagonale Verlagerungen in die Tiefe ermöglichte. Diese Muster funktionierten mehrfach gut gegen die kompakte, aber in der Breite anfällige Dreierkette der Niederländerinnen.

Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob eine Außenverteidigerin überhaupt konsequent in die Breite schieben muss, wenn die ballführende Spielerin bereits effektiv durch die Deckungsschatten der ersten Pressinglinie isoliert ist. Hier fehlt Linder noch das nötige Gespür dafür, wann welche Intensität im Herausrücken angebracht ist. Auffällig ist, dass sie selten auf Sprung verteidigt, sondern häufig in einem konstanten Pressingdruck bleibt – dadurch bleibt die Tiefe im Rücken der Außenverteidigerin oft ungesichert.

Problematik gegen flache Viererkette

Das Aufbauspiel der Niederländerinnen verbesserte sich situativ deutlich durch eine einzige Anpassung: Sechserin Egurrola kippte neben Janssen ab, wodurch sich phasenweise eine flache, sehr breite Viererkette im 4-1-3-2 formierte – mit Buurman und Casparij als Außenverteidigerinnen.

Diagonale Pressingwinkel bei Dallmann und Brand, dynamisches Abkippen schafft mehr Momentum im Halbraum für Holland, fehlende Tiefe (braune Pfeile)

Das zentrale Problem lag zunächst darin, dass der bisherige Pressing-Trigger – der Pass auf die Halbverteidigerin – durch die Systemumstellung hinfällig wurde. In der Folge schoben Gwinn und Linder direkt in die Breite auf ihre Gegenspielerinnen, wodurch der Halbraum zunehmend offen blieb.

Dallmanns diagonaler Pressingwinkel als nominelle Stürmerin gegen die breite niederländische Viererkette erwies sich als schwierig: Oft war der diagonale Pass in den Halbraum daher möglich, ohne dass wirklicher Druck entstand. Ähnlich zeigte sich das Muster auch, wenn die niederländischen Außenverteidigerinnen situativ den Ball führten: Brand und Bühl stellten zwar ebenfalls diagonal an, doch die Passlinie in die Breite blieb in diesen Mustern häufig offen (genau das möchte Deutschland eigentlich nicht!) – wurde von den Niederländerinnen allerdings kaum genutzt. Gwinn und Linder mussten sich kaum in 1-gegen-1-Duelle begeben, da diese Situationen von Holland selten forciert wurden.

Die Halbraum-Achterinnen der Niederlande positionierten sich im Aufbau daraufhin höher und ließen sich situativ und dynamisch ins Mittelfeld zurückfallen. Dadurch verschafften sie sich Zeit- und Raumvorteile gegenüber ihren direkten Gegenspielerinnen. Besonders Kaptein konnte sich in diesen Situationen mehrfach gegen Nüsken aufdrehen und Raum gewinnen. Was allerdings weitgehend ausblieb, waren die Tiefenläufe der Flügel- bzw. Schienenspielerinnen sowie von Mittelstürmerin Leuchter. Dadurch fehlten Anspielstationen in der Tiefe, sodass Kaptein sich nach dem Aufdrehen häufig festlief – aus neutraler Sicht durchaus bedauerlich, da das Potenzial für Durchbrüche in der Breite hier sogar zeitweise vorhanden war.

Die Niederlande nutzte die vielversprechenden Muster aus dem 4-2-3-1 leider nur vereinzelt, sodass vorhandene Schwächen im deutschen Defensivverbund kaum konsequent bespielt wurden. Stattdessen setzte man zunehmend auf ein 2-3-2-3 mit tiefer positionierten Außenverteidigerinnen – vermutlich in der Absicht, Deutschland vor die Frage zu stellen, ob Gwinn und Linder die weiten Wege in die Breite mitgehen würden.

Das geschah jedoch nicht. Stattdessen reagierten die Flügelspielerinnen Bühl und Brand pragmatisch, indem sie auf die gegnerischen Außenverteidigerinnen herausrückten. Gwinn und Linder blieben derweil auf Höhe der zweiten Linie und orientierten sich an den niederländischen Halbraum-Achterinnen, die im 2-3-2-3 als nominelle Außenstürmer agierten und sehr breit standen.

Teilweise rückten die niederländischen Außenverteidigerinnen extrem hoch auf – diese Wege wurden von den deutschen Außenspielerinnen meist mitverfolgt, wodurch situativ Deutschland in einer tieferen 4-4-2-Ordnung zu sehen war.

Jonker mit Halbraumüberladung

Mit Beginn der zweiten Halbzeit verlagerte die niederländische Team ihren Fokus stärker auf zweite Bälle. In der neuen Struktur verzichtete man zunehmend auf Überladungen in der zweiten Aufbaulinie und spielte stattdessen gezielt lange Bälle in die Halbräume auf die Stürmerin Leuchter. Dadurch konnte man in diesen Zonen besser nachsetzen und situativ auch ins Gegenpressing gehen.

Jonker sucht die Halbraumüberladung – Holland mit kaum Lösungen in den kleinräumigen Szenen gegen zweikampfstarke Deutsche

Dieser strategische Wechsel funktionierte zeitweise gut – führte aber auch zu einem fahrigeren Spielverlauf. Deutschland profitierte von der großen Kompaktheit zwischen Verteidigungs- und Mittelfeldlinie und konnte daher gut markierend auf die Halbraumüberladung reagieren. In diesen kleinräumigen Situationen kam Holland kaum heraus, auch weil weiter die Tiefe fehlte. Gerade Nüsken und Senß sind hier wieder mit ihrer Zweikampfstärke hervorzuheben – nach deren Ballgewinnen schaffte meist durch deren direkte und vertikale Ballverarbeitung auch sofort Entlastungsangriffe.

Kleiner Exkurs: Sowohl gegen Österreich als auch gegen die Niederlande zeigte sich ein wiederkehrendes Problem im deutschen Pressingverhalten: Wenn die gegnerische Sechserin vor den deutschen Pressingwall – also die erste Linie des Doppelsturms – ausbrach, ergaben sich regelmäßig Unterzahlsituationen auf Pressinglinie 1 für Deutschland.

Diese zurückfallende Sechserin konnte häufig ungestört zwischen die Innenverteidiger, oder etwas davor, angespielt werden, wodurch der direkte 1v1-Zugriff der deuschen Elf erstmal manipuliert wurde. Deutschland fand in diesen Momenten keinen konsequenten Zugriff – insbesondere, weil sich die beiden Stürmerinnen im Improvisieren (bspw. Bogenläufe fehlten oft der Stürmerinnen in diesen Szenen) gegen solche Abkippmuster schwer taten.

Allerdings schaffte es weder Österreich noch die Niederlande, aus diesen Situationen klare Anschlussmuster zu entwickeln. So blieb der Vorteil strukturell zwar vorhanden, wurde aber selten effektiv in Raumgewinn oder Durchbrüche übers Zentrum übersetzt.

Österreich-Aspekt: 2-4-Aufbau gegen tiefes 4-4-2

Grundausrichtung

Ein paar Tage später fand dann das letzte Vorbereitungsspiel vor dem Start der EM im Stadion der Wiener Austria gegen die Österreichische Frauen-Nationalmannschaft statt. Die Gastgeber von Trainer Alexander Schriebl starteten in einer 4-1-3-2-Grundformation mit Sherif im Kasten, davor agierten Kirchberger und Georgieva als Innenverteidgerinnen, daneben Hanshaw und Wienroither. Auf der Sechs sah man Bayern-Spielerin Zadrzil, Höbinger als Achterin, am Flügel agierten Platner und Feiersinger. Pinther und Hickelsberger-Füller (H-F) als Doppelspitze.

Bundestrainer Christian Wück stellte für die EM-Generalprobe um. Mit vier Änderungen in der Startelf im Vergleich zum überzeugenden 4:0 gegen die Niederlande am Freitag ging es gegen Ösis. Für Sarai Linder, Sjoeke Nüsken, Jule Brand und Linda Dallmann rücken Sydney Lohmann, Laura Freigang, Selina Cerci und Franziska Kett in die erste Elf. Hieraus ergab sich die gewohnte 4-2-3-1-Grundformation.

Ballferne Außenverteiidger rücken ein

Was im Spiel gegen Österreich früh auffiel, war die ballferne Positionierung der deutschen Außenverteidigerinnen und Flügelspielerinnen. Insbesondere die Bewegungen von Gwinn und Kett wirkten – auch im Vergleich zur Partie zuvor – deutlich bewusster eingerückt. Gerade bei Einwürfen im eigenen Drittel oder bei Ballbesitz Österreichs in der Mittelfeldbreite schoben beide bis ins Zentrum durch und orientierten sich dabei in der Höhe oft an den eigenen Achtern.

Das Einrücken von Gwinn und die Markierung von Senß

Diese Ausrichtung ergab taktisch viel Sinn: Österreichs Flügelspielerinnen rückten meist weit ins Zentrum ein und wurden dort von den deutschen Achtern mannorientiert markiert. Dadurch hatten die deutschen Außenverteidigerinnen oft keinen direkten Gegenspieler und konnten sich stärker raufokussiert positionieren.

In einem Pressingansatz, der gezielt auf Ballgewinne im Zentrum ausgerichtet ist, erscheint die Positionierung des deutschen Teams logisch und konsequent. Durch das Einrücken einzelner Spielerinnen – insbesondere der Außenverteidigerinnen – verkürzen sich die Wege zu drucklösenden Optionen unmittelbar nach einem Ballgewinn, gerade in den typischen Ballungszonen im Zentrum.

Auffällig ist dabei, dass Deutschland bestimmte vorbereitende Elemente besonders im ballfernen Raum betont. Einerseits bleibt die ballferne Flügelspielerin bei gegnerischem Ballbesitz oft vorne und breit – sie „zockt“ also bewusst gegen den Ball. Das sichert nicht nur Entlastung nach Balleroberung, sondern ermöglicht schnelle Verlagerungen in die Tiefe, da sofort eine Anspielstation vorhanden ist. Andererseits wird dieses Verhalten ergänzt durch den taktischen Kniff der einrückenden Außenverteidigerin, die sich ballfern nach innen in den Halbraum orientiert.

Im weiteren Verlauf der Partie erwies sich diese Struktur als äußerst wertvoll: Nach Ballgewinnen im Zentrum hatte Deutschland stets eine drucklösende Anspielstation im Halbraum oder ballfernen Zwischenraum zur Verfügung. Da Österreich in diesen Situationen kaum über eine saubere ballferne Staffelung verfügte, kam es selten zu einem funktionierenden Gegenpressing.

Deutschland nutzte diesen Vorteil klug: Man fand Ruhe im ersten Pass, konnte Tempo kontrollieren und Struktur in den eigenen Aufbau bringen. Gerade mit der Führung im Rücken wirkte diese Ruhe im Spielaufbau fast schon lähmend für die nervös agierenden Österreicherinnen – ein psychologischer wie struktureller Vorteil, der das Spiel zunehmend in deutsche Kontrolle überführte. Zudem schoben Gwinn und Kett mehrmals aus dieser zentralen, ballfernen Position mehrmals bis in die gegnerische Box durch, was zu schon fast eklantanten Zuordnungsproblemen für die Heimelf führte und dazu auch indirekt mehrmals einen Beitrag für Treffer beitrug.

Dialektik über Berger

Extrem auffällig war, wie häufig Deutschland nach Ballgewinnen im Zentrum nicht direkt die Vertikale suchte, sondern zunächst den Rückpass bevorzugte. Statt sofort in die Tiefe zu spielen oder ihn im Mittelfeld zirkulieren zu lassen, wurde der Ball kontrolliert bis auf die Torspielerin gesichert.

Dieser Spielansatz folgte in dieser Partie einem strikt wiederkehrenden Prinzip, das sich fast schon philosophisch fassen lässt – im Sinne der Dialektik:
These – der Ballgewinn im Zentrum und das Spiel aus der Ballung,
Antithese – der Rückpass zur Stabilisierung auf Berger und das Finden von Struktur,
Synthese – die anschließende Progression mit Raumgewinn und Tempoaufnahme.

Diese Struktur verleiht dem deutschen Aufbauspiel eine gewisse Klarheit und Wiedererkennbarkeit. Man suchte nicht die überhastete Tiefe (was in der Vergangenheit oft zu viel Unruhe im Spiel führte und daher durchaus bemerkenswert ist), sondern fand gerade über Torspielerin Berger auch sofort die Spielerin, die praktisch den Übergang in den strukturierten Ballbesitz ausdrückt.

2-4-Aufbau gegen 5-3-2-Abwehrpressing

Deutschlands Aufbauspiel sah man strukturell aus einem sehr breiten 2-4-Aufbau heraus, wobei sich Sechserin Senß oder Lohmann gelegentlich auch zwischen die Innenverteidigerinnen Knaak und Minge fallen ließ und dadurch situativ ein 3-2-Aufbau entstand. Hielt Torspielerin Berger den Ball, dann rückten Knaak und Minge bis an den äußeren Rand des Halbraums, wodurch die Außenverteidigerinnen sehr hoch schoben.

Das war auch deshalb möglich, weil Österreich im 5-3-2-Abwehrpressing sehr tief agierte und die erste Aufbaulinie der Deutschen kaum anlief. Man versuchte, die deutschen Sechserinnen frauorientiert aus dem Spiel zu nehmen – was aufgrund der extrem hohen Ballsicherheit von Lohmann jedoch oft nicht gelang – und das Spiel stattdessen nach außen zu lenken, um dort die Flügelspielerinnen in der Breite ins 1-gegen-1 zu zwingen. Durch die Fünferkette wollte man zudem das Nachschieben der deutschen Spielerinnen auf den Flügel verhindern.

2-4 gegen 5-3-2

Das klappte allerdings aufgrund verschiedener Bewegungsmuster kaum:

  • Abkippen von Stürmerinnen: In diesen Szenen musste eine Verteidigerin der Österreicherinnen aus der Fünferkette herausverteidigen, was jedoch oft nur zaghaft oder mit zu wenig Intensität geschah. Aufgrund des ungünstigen Zweikampfwinkels von hinten und der häufig zu großen Abstände gelang es kaum, gegen die technisch starken Freigang und Schüller wirksam zu verteidigen. Dadurch entstanden für Deutschland situative 3-gegen-2-Überzahlsituationen im Zentrum – das Zentrum wurde somit bespielbar. Teilweise suchte man auch gezielt das Ablagenspiel auf die abkippenden Stürmerinnen, etwa mit direkten Anspielen von Berger. In diesen Szenen war jedoch entweder das Zuspiel noch zu unsauber oder das Nachschieben aus dem 2-4-4 bzw. 2-4-1-3 lokal zu zögerlich.

  • Bewegungen der Zentrumsspielerinnen: Die Achterinnen Senß und Lohmann liefen sich wiederholt in bogenförmigen oder diagonalen Bewegungen im Halbraum frei. Dabei gelang es den Österreicherinnen kaum, diese Wege konsequent zu verfolgen. Meist war der Abstand zu groß, sodass man nicht in den Zweikampf kam. Das eröffnete Möglichkeiten für Anspiele und ermöglichte es Deutschland, situativ Überzahlsituationen herzustellen oder die Flügelspielerinnen zu unterstützen – obwohl Österreich eigentlich genau diese isolieren wollte. Auch das Abkippen von Senß oder Lohmann zwischen die Innenverteidigerinnen wurde von den Österreicherinnen selten begleitet. Die österreichischen Stürmerinnen reagierten darauf nicht mit improvisiertem Pressing auf die sich freilaufenden Zentrumsspielerinnen – ein strukturelles Defizit im Anlaufverhalten.

  • Andribbeln, in die Breite und durchschieben: Gegen das passive 5-3-2 der Österreicherinnen konnten die deutschen Innenverteidigerinnen mehrfach ungestört andribbeln. Die österreichischen Stürmerinnen pressten nur vereinzelt bei höherer Ballposition, sodass Knaak und Minge wiederholt die erste Pressinglinie überdribbeln konnten. Im Anschluss spielten sie häufig in die Breite auf die Flügelspielerinnen, um die geplante 1-gegen-1-Isolation zu umgehen. Auffällig war das Prinzip des „Spielen und Gehens“: Nach dem Pass schoben die Innenverteidigerinnen direkt nach und stellten gemeinsam mit der angespielten Flügelspielerin lokal ein 2-gegen-1 gegen die österreichische Schienenspielerin her. Österreich hatte damit große Zuordnungsprobleme – insbesondere bei Übergaben in der Fünferkette, die oft nicht rechtzeitig oder unklar erfolgten.

Besonders hervorstach Knaak, die mit viel Tempo mehrfach bis zur letzten Linie durchschob. So ermöglichte sie es Bühl wiederholt, ihren typischen Move – das Einziehen nach innen – optimal umzusetzen.

Fazit

In der zweiten Halbzeit tat man sich – auch bedingt durch viele Wechsel – etwas schwerer, und das Spiel wurde phasenweise fahriger. Dennoch gewann Deutschland am Ende deutlich mit 6:0. Österreich wirkte insbesondere im Zweikampfverhalten und im Spiel gegen den Ball schlichtweg nicht auf Augenhöhe mit der deutschen Mannschaft. So konnte Deutschland mit vergleichsweise einfachen taktischen Kniffen das österreichische System regelmäßig aushebeln.

Gerade das konsequente Heranschieben der eingerückten Außenverteidigerin sowie die kontrollierende Einbindung von Berger zur Spielberuhigung waren an diesem Tag entscheidende Faktoren dafür, dass das Momentum nahezu ausschließlich auf deutscher Seite lag. Auch gegen den Ball zeigte man sich – ähnlich wie gegen die Niederlande – grundstabil. Gleichzeitig bleiben bestimmte Schwachpunkte weiterhin sichtbar.

In der Gesamtschau lässt sich festhalten: An beiden Tagen gewann man verdient, an beiden Tagen gewann man hoch, an beiden Tagen zeigte man Stärken – aber auch immer ein gewisses „Aber, wenn“. Entscheidend wird sein, wie viele dieser offenen Punkte bis zur EM im System noch geschlossen werden können und wie strukturiert man bleibt, wenn noch viel mehr auf dem Spiel steht.

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MX entdeckte seine Liebe zur Taktik beim SSV Jahn. Nach einigen Stationen in Nachwuchsleistungszentren und zulletzt einer kurzen Pause richtet er nun seinen Fokus wieder verstärkt – und vor allem – auf seine Liebe: Spielverlagerung.

 

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