La Furia Roja im Gegenpressing – MH

„Der beste Spielmacher der Welt“. Nein, hier ist nicht die Rede von Johan Cruyff, Michel Platini oder Diego Maradonna. Nach Jürgen Klopp ist es das Gegenpressing. Für die meisten Leser auf dieser Plattform dürfte das wohl keine große Überraschung sein. Schließlich hat das Zitat von Klopp inzwischen große Bekanntheit erlangt. In diesem Artikel soll der beste spanische Spielmacher bei dieser EM unter die Lupe genommen werden. Hoffen wir, dass Hansi Flick nicht auf die Idee kommt, diesen Blog für Pedri ins Spanische zu übersetzen.

Die Schwierigkeiten

Das Problem in der Analyse des Gegenpressings sind die zumeist völlig verschiedenen Grundsituationen in der Entstehung und Spontanitäten in der Ausführung. Während der Spielaufbau einer Mannschaft sich immer wieder aus der gleichen Ausgangssituation wiederholt, lässt sich das Gegenpressing seltenst eins zu eins wiederholen. Im Gegenteil, Ballverluste sind normalerweise nicht Teil des Plans, unterliegen einer besonders schnellen Entscheidungsfindung der Spieler und sind somit auch schwer vorherzusehen. Um einen Überblick über das Thema Gegenpressing zu erhalten, findet ihr eine ausführliche Übersicht hier.

Die Spanier spielen bei dieser EM ein besonders effektives Gegenpressing. Auf Grundlage verschiedener Kriterien und einer großen Anzahl an Szenen lässt sich dieses untersuchen. Die klaren und eintrainierten Abläufe im spanischen Spiel sorgen für eine gewisse Vorhersehbarkeit, anders als es vielleicht bei den Engländern gewesen sein mag.

Prioritäten bei Ballverlust

Eigentlich naheliegend erscheint die Unterscheidung der Prioritäten des gegenpressenden Teams je nach situativer Möglichkeit zum Zeitpunkt des Ballverlusts. So steht bei Ballverlusten mit eigener fehlender Absicherungsstaffelung nicht die sofortige Ballrückgewinnung im Vordergrund, sondern das Sichern des tornahen Zentrums. Das ist wohl eine logische Risiko/Nutzen Abwägung. Typischerweise kommen im gegnerischen Drittel häufiger Ballverluste in der Offensive vor, womit eine defensive Absicherung gegeben ist, während im eigenen Drittel häufiger Ballverluste in der Defensive vorkommen und man seltener ins Gegenpressing geht.

Besonders interessant erscheint somit der Blick auf Gegenpressingmomente bei Ballverlusten der Offensive, typischerweise im gegnerischen Drittel. Hier lassen sich direkt gegnerische Konter gegenkontern und offensive Umschaltmomente nach Ballgewinn kreieren aufgrund der besonderen Nähe zum gegnerischen Tor. Da das spanische Spiel zumeist noch immer auf längere Ballbesitz- und Druckphasen im gegnerischen Drittel ausgelegt ist, gibt es hierbei etliche Szenen, die sich untersuchen lassen. Entsprechend liegt der Fokus dieser Analyse auf jenen Gegenpressingmomenten im gegnerischen Drittel bei offensiven Ballverlusten.

Staffelung in Ballbesitz

Die Spanier agieren aus dem nominellen 4-3-3 im Ball im gegnerischen Drittel mit Sechser Rodri, dem linken Achter Fabian und rechten Zehner Pedri/Olmo. Außerdem stehen zumeist die Flügelspieler Williams und Yamal sehr breit, während die Außenverteidiger Cucurella und Carvajal insbesondere ballfern zentraler in den jeweiligen Halbräumen spielen. Häufig zu beobachten ist, dass wenn es nicht notwendig ist, maximal ein Spieler in voller Breite steht, um zentrale Überzahl herzustellen. Das ist mit einer der wichtigsten Aspekte, weshalb das spanische Gegenpressing so griffig ist.

Ballnah wird häufig überladen durch die eingerückten AVs, den 10er Pedri und/oder Stürmer Morata sowie je nach Seite den Anker Rodri bzw. Fabian. Das sorgt für eine ballnahe Überzahl und ständigen Zugriff bei Ballverlusten. Da bei der Überladung einer Seite die Passwege entsprechend kurz sind, sind die Laufwege der Spieler zum Ball ebenfalls kürzer. Weniger Zeit zum offensiven Umschalten für den Gegner ist die Folge.

Um die Flexibilität in Ballbesitz zu wahren, rotieren die Spieler aus ihren eigentlichen Positionen sehr häufig. Dabei wird dennoch eine spezielle Zoneneinteilung beachtet. Geht auf der linken Seite beispielsweise Cucurella ballnah tief auf der Außenbahn, so besetzt Williams den offensiven Halbraum und Fabian den defensiven Halbraum. Rodri besetzt das Zentrum und der ballferne Außenverteidiger rückt mit ein in Richtung Zentrum. Geht auf der rechten Seite wiederum Carvajal ballnah auf der Außenbahn tief, so besetzt Yamal den offensiven Halbraum, Rodri verschiebt auf den ballnahen Halbraum und Fabian besetzt das Zentrum, Cucurella rückt ein. Das ist natürlich nur eines von vielen Beispielen, wie eine solche Rotation aussehen kann, dennoch ein häufig genutzter Spielzug der Spanier.

Vorderlaufen Cucurellas, Spielminute 4:15 gegen England im Finale

Wichtig ist, dass zu jeder Zeit die defensiven Halbräume und das Zentrum besetzt sind zusätzlich zu den absichernden Innenverteidigern. Meist sind in diesen Zonen die spanischen Außenverteidiger sowie 6er Rodri aufzufinden. Da das spanische Spiel in Ballbesitz jedoch sehr schwimmend sein kann, werden entsprechende Abläufe zur Sicherung gegen Ball festgelegt. Ein Fokus auf die ballferne Seite oder auf die vorderen Zonen wird durch diese Zoneneinteilung verhindert und das Gegenpressing somit effektiver.

Auf Vorderlaufen Cucurellas reagierende Zonenbesetzung gegen England

Auch wenn eine solche Zoneneinteilung gegen den Ball sehr effektiv ist, haben die spanischen Spieler selbstverständlich in Ballbesitz mehrere Spielprinzipien zugleich. Primäres Ziel des spanischen Ballbesitzes ist schließlich normalerweise nicht die Verhinderung eines gegnerischen, sondern die Erzielung eines eigenen Tors. Somit lassen sich gewisse Muster aufweichen je nach Priorität der jeweiligen Spielsituation, da die Restverteidigung flexibel von 6 Spielern hergestellt wird. Das kann zum Beispiel so aussehen, dass Rodri sich aus seiner zentrumsabsichernden Rolle offensiv in den Rückraum vor den Strafraum begibt, um zum Abschluss zu kommen. So geschehen beim 1:1 gegen Georgien bei 0:1 Rückstand in der 39. Minute.

Spanischer Ballbesitz – ideal für Gegenpressingmomente

Warum spielt(e) ausgerechnet Manchester City unter Pep Guardiola, Bayern München unter Jupp Heynckes, Ajax Amsterdam unter Erik ten Hag oder auch die Spanier unter Luis de La Fuente ein so gewinnbringendes Gegenpressing? Alle Mannschaften hatten/haben gemeinsam, dass man einen Fokus auf viel Ballbesitz (auch) im gegnerischen Drittel hat.

Darunter profitiert nicht zuletzt die Passqualität der Einzelaktionen. Schärfere Pässe sorgen logischerweise für erschwerte gegnerische Ballkontrolle bei der Balleroberung. Auch andere Faktoren sorgen für eine höhere Wahrscheinlichkeit der Ballrückgewinnung. Die Art des Ballverlustes kann mitentscheidend sein.

Kurze Pässe bringen den Vorteil mit, direkt den Aktionsradius des Gegners einzuschränken, da man mindestens zwei Richtungen bei Ballverlust abgedeckt hat. Ein längerer, auch hoher Ball hingegen ist leichter abzufangen aufgrund der längeren Wegzeit. Dadurch dass längere Bälle weniger kontrollierbar sind als kurze Pässe, gibt es in der Folgeaktion auch eine entsprechende Kontrollunsicherheit. Das Gegenpressing ist zufälliger und auch weniger planbar.

Zusätzlich hat Spanien kaum „offene“ Ballverluste auf den Aufbaupositionen, sondern größtenteils jenseits der gegnerischen Sechser. Das ist natürlich auch der individuellen Qualität der eigenen Aufbauspieler, hier vorrangig Rodri geschuldet und sorgt dafür, nicht direkt ins defensive Umschalten zu müssen, sondern sofort ins Gegenpressing gehen zu können. Spanien profitiert im Gegenpressing also bereits aus der Art und Weise ihres Ballbesitzfußballs.

Antizipation der Gegenpressingsituation

Da es bei Gegenpressingsituationen oft um das Treffen einer möglichst schnellen Entscheidung geht, ist es besonders wichtig, sich durch die nötige Antizipation der Situation genügend Zeit zu verschaffen. Diese lässt sich nicht nur durch implizites Training verbessern, auch durch das Analysieren gewisser Spielsituationen und festlegen von Prinzipien kann man für einen zeitlichen Vorsprung sorgen.

So befindet sich Cucurella getreu dem Prinzip „Risiko bestimmt Zugriff“ zumeist bereits in Vorbereitung auf das Gegenpressing (dynamisch und räumlich), wenn Williams ins risikoreiche gegnerüberwindende Dribbling in Richtung gegnerisches Tor übergeht. Hier ist die Wahrscheinlichkeit eines Ballverlusts relativ hoch und eine Gegenpressingsituation könnte entstehen. Dieser „Wissensvorsprung“ reicht häufig aus, um schneller als der Gegenspieler wieder am Ball sein zu können. Zum Beispiel so zu beobachten im Spiel gegen Italien in der 19. Spielminute.

Auslöser des Gegenpressings

Um Gegenpressingsituationen noch besser vorhersehen zu können, lassen sich gewisse Auslöser des Gegenpressings festlegen. Antizipation und Auslöser sind eng miteinander verbunden. Wer bestimmte Spielsituationen als Auslöser festlegt, der kann diese auch besser antizipieren.

Zwar lassen sich keine absichtlichen Fehlpässe im spanischen Spiel erkennen, um durch das Gegenpressing offensive Umschaltmomente zu kreieren, das Inkaufnehmen eines Ballverlusts in einem sehr risikoreichen 1gg1 oder 1gg2 Dribbling lässt sich jedoch als einer dieser häufigen Auslöser zählen.

So lässt sich insbesondere bei genannten Dribblings von Williams in den Strafraum nicht nur erkennen, dass sich Cucurella auf einen Gegenpressingmoment einstellt, auch Rodri schiebt im Zentrum ballnäher, um einen größeren Deckungsschatten zu haben. Der ballferne Carvajal tut es in solchen Situationen Rodri gleich und schiebt noch weiter Richtung ballnaher Seite, um Überzahl im Zentrum zu schaffen.

Ein weiterer häufiger Auslöser im spanischen Spiel sind tiefe Schnittstellenpässe in den Halbraum hinter bzw. auf die letzte Kette. So zum Beispiel geschehen in Minute 53:50 gegen Georgien. Rodri spielt den Ball auf den tief laufenden Williams. Dieser wird von einem georgischen Verteidiger in der letzten Kette abgefangen. Der Vorteil für die Spanier ist der begrenzte Rahmen an Möglichkeiten für den ballgewinnenden Georgier. Ein schneller Ballgewinn ist die Folge. Diese Szene wird im Folgenden noch näher untersucht.

Abläufe im Gegenpressing – erläutert mithilfe von Spielszenen

Gegenpressingsituationen sind wie eingangs erwähnt sehr variabel und intuitiv je nach Spielsituation. So unterscheiden sich auch die Abläufe je nach Situation. Dabei spielen viele verschiedene Faktoren eine Rolle, wie die Zone des Ballverlusts, die eigene ballnahe Raumabdeckung, die gegnerischen Deckungsvarianten oder auch das Spielergebnis und die damit einhergehende Risikobereitschaft beider Teams. Dennoch lässt sich ein Rahmen skizzieren, nach dem das spanische Gegenpressing funktioniert.

Bei Ballverlusten im tiefen Halbraum, wie in der 54. Minute gegen Georgien attackiert meist der tief gegangene Flügelspieler, hier Williams, sofort im Rücken des ballführenden Gegenspielers und der Torwart wird als Anspielstation aus dem Spiel genommen, um den Druck hochzuhalten. Williams versucht im Durchlaufen direkt den Ball zu erobern bei gleichzeitigem Lenken in die Gegenpressingsituation. Klassischerweise entsteht diese im Zentrum oder Halbraum, indem die Mitspieler durch ein Spielraumorientiertes Deckungsverhalten ballnah verschieben und Deckungsschatten sowie Überzahl in diesen Zonen erzeugen können. Rodri deckt das Zentrum ab, Cucurella den ballnahen Halbraum und Carvajal den ballfernen Halbraum. Morata positioniert sich als Stürmer so, dass er Druck auf die Innenverteidiger ausüben kann. Fabian und Pedri positionieren sich in den halblinken und halbrechten offensiven Halbräumen.

Achtelfinale ESP vs. GEO, Spielminute 54; Aufgrund der vorherigen Ballbesitzstruktur tauschen Fabian und Rodri die Rollen im Gegenpressing.

Im etwas höheren Halbraum näher an der eigenen Hälfte attackiert sehr häufig der eingerückte Außenverteidiger. So auch zu sehen in Minute 45+1 gegen Deutschland. Hier kann der eingerückte Raum ausnahmsweise nach Ballverlust direkt mit dem ersten Kontakt Sané auf der anderen Seite finden. Dennoch wird der Weg ins Gegenpressing gefunden. Cucurella, als durchlaufender Akteur, setzt Sané direkt unter Druck, um den Ball zu erobern. Rodri und Fabian sichern spielraumorientiert das Zentrum, während Morata wieder verhindert, dass Sané sich in Richtung eigenes Tor vom Druck befreien kann. Spanien kann den Ball erobern.

Viertelfinale ESP vs. GER, Spielminute 45+1

Wer diese Szene weiterverfolgt, wird Carvajal und Cucurella in einer weiteren Gegenpressingaktion im Zentrum sehen. Ein hervorragendes Beispiel für die Intensität der attackierenden Spieler. Allerdings wird hier auch ein Nachteil der Methode des Durchlaufens und direkten Attackierens ohne das klassische ASTLB (Anlaufen, Stellen, Tempo aufnehmen, lenken, Ballerobern) deutlich. Zwar ist der Druck auf den Ballführenden Spieler maximal hoch, häufig wird der Gegenspieler beim Versuch der Balleroberung allerdings gefoult, da man ohne das klassische Stellen schnelle Richtungswechsel des Gegners nicht mitgehen kann. Ein eigenes offensives Umschalten in Folge des Ballgewinns durch das Gegenpressing kann nicht stattfinden.

Bei Ballverlusten im tiefen Zentrum nahe am gegnerischen Tor attackiert meist Morata als erster Gegenpressingspieler. In Minute 38 gegen Italien verliert Williams zentral im gegnerischen Strafraum den Ball. Morata übt als durchlaufender Akteur Druck aus, versucht direkt den Ball zu gewinnen und lenkt weg vom italienischen Tor. Der erste Pass kommt zwar trotz stören Moratas über Umwege an, die einrückenden Carvajal und Cucurella sowie die das Zentrum sichernden Rodri und Fabian stoppen allerdings direkt den italienischen Konter. Auch hier attackiert letztlich Cucurella als Außenverteidiger im Zentrum den italienischen Ballführenden äußerst aggressiv ohne das übliche ASTLB anlaufen, während die Mitspieler spielraumorientiert Zonen bzw. Gegenspieler decken und somit Optionen des Ballführenden nehmen bei geichzeitigem Stellen des Ballführenden, hier Chiesa.

Gruppenspiel ESP vs. ITA, Spielminute 37:50

Allgemeine Abläufe im Gegenpressing

Je nach individueller Spielsituation können sich die Aufgaben der einzelnen Spieler unterscheiden. In Abhängigkeit der eigene Ballbesitzstruktur, wie bereits im obigen Abschnitt „Staffelung in Ballbesitz“ beschrieben, können unterschiedliche Spieler die Zonen besetzen. Das wirkt sich im Folgenden natürlich auch auf die Gegenpressingstruktur aus.

Durchaus bewusst beteiligen sich nicht alle Spieler an der direkten Ballrückeroberung. Insbesondere die ballfernen Flügelspieler und/oder 10er Pedri dienen häufig als offensive Umschaltspieler nach Ballgewinn. Konstant bleiben zudem die beiden Innenverteidiger, die defensiv absichern sollen.

Generell gilt, dass der ballnächste Spieler attackiert. Im gegnerischen tiefen Halbraum sind es dadurch meist die Flügelspieler, im etwas höheren Halbraum meist die Außenverteidiger, im tiefen Zentrum häufig Morata. Außerdem attackiert nur ein einzelner Akteur im Durchlaufen direkt und aggressiv den Ballführenden ohne das übliche ASTLB anlaufen, während die Mitspieler lediglich zu stellen versuchen.

Ein weiteres Merkmal ist das Abschneiden des Raumes im Rücken des Ballführenden, meist durch Stürmer Morata, wodurch der Druck auf ein Maximum erhöht wird, allerdings auf Kosten der Absicherung des eigenen Tors.

Bemerkenswert ist, dass das spanische Spiel auf zentrale Überzahl ausgelegt ist und man dementsprechend in den allermeisten Gegenpressingsituationen in Richtung des Zentrums lenkt. Zum einen birgt es ein erhebliches Konterrisiko, da potentiell über beide Seiten Gegenspieler tief angespielt werden können, zum anderen allerdings auch eine sehr hohe Chance einer aussichtsreichen Balleroberung, wodurch vielversprechendere offensive Umschaltmomente kreiert werden können, als bei einer Balleroberung auf der Außenbahn. Die wohl auffälligsten Akteure im spanischen Gegenpressing sind die aggressiv einrückenden Außenverteidiger. Diese sorgen für die nötige Überladung des Zentrums und die allermeisten Ballgewinne im Gegenpressing. Ein Alleinstellungsmerkmal bei dieser EM.

Auflösung Gegenpressing

In den meisten Fällen endet das Gegenpressing mit einem Ballgewinn oder Foul Spaniens. Bei gegnerischem Lösen der Spielsituation aus dem Druck in Richtung des Torwarts wird auf spanischer Seite häufig ins Angriffspressing übergegangen. Lediglich wenn sich aufgrund der eigenen ungünstigen Staffelung kein Druck mehr ausüben lässt, zieht man sich zurück.

Schwächen des Gegenpressings

Das spanische Gegenpressing wurde unter anderem gegen Deutschland vor große Probleme gestellt. Durch das mannorientierte Verteidigen ließen sich im Umschalten kaum Überzahlsituationen im Zentrum schaffen. Außerdem kam es selten zu länger anhaltenden spanischen Ballbesitzphasen im gegnerischen Drittel, da die Deutschen zumeist im mannorientierten Angriffspressing attackierten.

Gegen Frankreich ließ sich beobachten, dass die Spanier ein nicht ganz so aggressives Gegenpressing mit ihren Außenverteidigern spielten. Das war den schnellen Gegenspielern Frankreichs in Person von Mbappé und Dembelé geschuldet. Man wollte verhindern, dass die Franzosen im Umschalten große Räume auf den Außenbahnen durch die einrückenden spanischen Außenverteidiger erhielten. Das funktionierte lediglich auf Kosten eines etwas weniger griffigeren Gegenpressings.

Ähnliche Voraussetzungen ließen sich im Finale gegen England beobachten, da der Fokus auf beiden Seiten auf möglichst risikoarmen Aktionen lag, um nicht in Rückstand zu geraten.

Das Fazit

Der beste spanische Spielmacher: Die spanischen Außenverteidiger Cucurella und Carvajal… Übrigens hat man bei all der Klasse Cucurellas und Carvajals fast schon vergessen, dass auf der Bank von Trainer De la Fuente der beste Linksverteidiger der Bundesliga sitzt. Kaum zu glauben, dass Grimaldo nur so wenig zum Einsatz gekommen ist. Nicht zu vergessen ist natürlich auch Rodri, der als Sechser mit einem unglaublich guten Gespür für Raum und Gegner die Rolle als Zentrumsabsicherer bestens erfüllen kann und gleichzeitig kaum Ballverluste im eigenen Aufbauspiel hat. Es lässt sich festhalten, dass das Gegenpressing der Furia Roja eine echte Waffe ist, die ihnen zu dem ein oder anderen Sieg verholfen hat und das auch in Zukunft noch wird.

Autor: MH ist Fußball-Aficionado von Herzen. Seine Wohnung gleicht einer Fußball-Bibliothek in deren Regalen Bücher über die großen Taktiker von Rinus Michels bis Pep Guardiola stehen. Das Buch von Spielverlagerung.de fehlt hier natürlich nicht. Für MH ist Fußball nicht nur ein Spiel. Es ist ein Lebensgefühl.

Koom 17. Juli 2024 um 09:38

Cucurella war schon bockstark gewesen. Natürlich hilft auch diese Wallemähne sehr, ihn auf dem Feld rumflitzen zu sehen, aber der war gefühlt auch wirklich überall. War mir vorher gar kein Begriff gewesen.

Ansonsten: Ich liebe diese spanische Spielweise. Persönlich halte ich dieses 4-3-3 / 4-2-3-1 schon für das beste Allroundsystem – wenn man eben Gegenpressing und Ballbesitz spielt. Es ist extrem ausgewogen, hat klare Rollen, bietet über den ganzen Platz Möglichkeiten zu doppeln oder gar zu trippeln, gute Absicherungen.

Selbst ohne hohen Gegenpressing oder extremen Ballbesitz hat es die vielleicht besten Möglichkeiten im Aufbauspiel und Dreiecksbildung.

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Taktik-Ignorant 17. Juli 2024 um 14:07

Dass Cucurella vorher weniger auffiel, liegt wohl daran, dass Cucurella beim FC Chelsea weniger glänzt, was wiederum auch mit der etwas unklaren (zumindest für mich) Spielstrategie des Vereins zu tun haben könnte. Da bleibt abzuwarten, wie Chelsea nächste Saison auftritt.

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tobit 18. Juli 2024 um 00:38

Ich hab Cucurella seit seiner letzten Beighton-Saison sehr bewundert. Er ist einer der komplettesten und vielseitigsten Außenverteidiger der Welt. Bei Brighton auch durchaus mal spielmachend gewesen, das ist danach eher weniger geworden, dafür nutzt er jetzt seine tlw akrobatisch anmutenden Fähigkeiten sehr gut gegen den Ball. Er hat oft mal irgendwie ungewöhnliche Körperstellungen, die dann aber perfekt die Situation auflösen und besonders als Halbverteidiger eventuelle körperliche Nachteile (vor allem Größe und damit Masse) kaschieren. Da hat er was von Alaba, der ja auch bis heute keine IV-Statur hat und das trotzdem mit Bravour spielt.
Aber er ist unheimlich abhängig davon, die Aktionen seiner Mitspieler vorhersagen zu können. Er muss wissen, was sie tun werden um die richtige seiner vielen Fähigkeiten anzuwenden (sonst wäre er ja auch Philipp Lahm, der das so instantan improvisieren konnte wie niemand sonst). Bei Chelsea gab es fast die ganze Zeit, die er dort ist, kein System und damit keine Chance für ihn, das richtige zu tun. Im Saisonendspurt haben sie dann einen Rhythmus und eine Struktur gefunden und prompt spielt er darin herausragend.

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Joakina 18. Juli 2024 um 10:57

Ja, auch die Parade mit der Hand war wie bei einem Tänzer, den Oberkörper nach links schieben und nimmt den linken Arm dabei mitnehmen.

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Taktik-Ignorant 18. Juli 2024 um 23:24

Beim Magazin „11Freunde“ war er unter den Kandidaten für den „besten Torwart der EM“ – die hatten auch sonst sehr kurzweilige Vorschläge. Vermutlich steckte, wie bei allem, was die Spanier machen, ein ausgeklügelter Plan dahinter, und er wollte nur die Diskussion über die Handspielregel neu anfachen, im Spiel über Bande mit Gary Lineker, der in einem Interview mit einer deutschen Zeitung vorschlug, dass die Spieler die Handspielregel formulieren sollten, als Betroffene. Da haben wir bei der EM einige geeignete Kandidaten für einen Sachverständigenausschuss gesehen, Cucurella wäre für mich neben Openda ein Kandidat für den Vorsitz des Gremiums.

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tobit 17. Juli 2024 um 09:27

Ich war überhaupt nicht überrascht, dass Grimaldo so wenig gespielt hat. Er ist ein bedeutend offensiverer Spieler als Cucurella (der kann ja sogar in einer 3er-Kette spielen, Grimaldo hauptsächlich davor), der viel weniger darauf achtet, das Gegenpressing vorzubereiten. Ein bisschen wie bei Deutschland mit Raum und Mittelstädt.
Von Grimaldos Spielweise am Ende der Saison in Leverkusen hätte ich ihn fast schon eher mal für Williams oder sogar Pedri/Olmo gebracht, weil er da offensiv genau in seine Lieblingsräume und -aktionen käme. Aber wenn er mal für Cucurella kam, hat er seine Sache hinten auch besser gemacht als ich erwartet hätte. Ist für mich noch ein Zeichen für die sehr gut vermittelten Mechanismen der Spanier (wie z.B. auch die fast nahtlose Ersetzbarkeit von Rodri durch Zubimendi selbst in einem Finale).

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Koom 17. Juli 2024 um 09:43

Ja, die Spanier sind schon wirklich extrem auf die Grundordnung und Struktur von diesem 4-3-3 eingeschworen. Da kannst du wirklich fast mühelos austauschen. Natürlich verliert man u.U. mal etwas an Optionen mit einem anderen Spieler, gewinnt aber neue.

Bei vielen anderen Teams wäre alles zusammengebrochen, wenn man jemanden wie Rodri hätte auswechseln müssen (Kroos bei Deutschland bspw.). Spanien hat gar nicht mal krass viel anders gemacht, u.U. vielleicht etwas weniger auf Rodri fixiert danach, wodurch der ganze Apparat etwas gefährlicher wurde.

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Taktik-Ignorant 17. Juli 2024 um 14:13

Zubimendi hat eine etwas andere Art zu spielen als Rodri, den man kaum 1:1 ersetzen kann. Die Spanier hatten diesen Eventualfall aber zuvor offensichtlich trainiert und konnten als Mannschaft diesen Wechsel durch etwas andere Staffelungen und Spielweisen auffangen.

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Taktik-Ignorant 17. Juli 2024 um 14:11

Volle Zustimmung, Cucurella hat das eindeutig defensivstärkere Profil und wurde vielleicht auch deswegen vorgezogen, weil die spanische IV wohl nicht der stärkste Mannschaftsteil der Spanier ist und z.B. die Defensivprofile der Leverkusener IV besser zu einem Spieler wie Grimaldo passen dürften. Das sind aber Nuancen. Dass Grimaldo in der spanischen NM funktioniert, hat er bei früheren Einsätzen bereits nachgewiesen. Und m.E. ist er auch der beste Standardschütze bei den Spaniern, weshalb es naheliegt, dass die Spanier ihn dann einsetzen, wenn sie unbedingt ein Tor erzielen müssen und es ihnen aus dem Spiel heraus schwer fällt.

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