Nagelsmann-Elf trotzt dänischen Wetterbedingungen

2:0

Nach einem fulminanten Gruppensieg der deutschen Adler inklusive Last-Minute Tor durch Niklas Füllkrug wollte sich die Deutsche Elf nun auch im Achtelfinale gegen den nördlichen Nachbarn aus Dänemark durchsetzen. In Vorbereitung auf das Spiel sollte sich Bundestrainer Julian Nagelsmann nicht nur auf einen wahnsinnig kompakten dänischen Mittelfeld-Pressingblock einstellen, sondern in Anbetracht der Wetterlage auch das ein oder andere Paar Ersatzsocken parat haben.

Julian Nagelsmann veränderte seine Startelf auf 3 Positionen. Für den gesperrten Tah rückte Nico Schlotterbeck in die linke Innenverteidigung. Der zuletzt stark aufspielende Raum ersetzte positionsgetreu Mittelstädt. Anstelle von Flo Wirtz startete Sané, der wohl aufgrund seiner Geschwindigkeit den Vorzug erhielt. Kasper Hjulmand wiederum ersetzte Wind durch Skov Olsen und den gelb gesperrten Morten Hjulmand durch Delaney.

Deutschland startete dominant mit schnellen Ballrückeroberungen durch eine im Ballbesitz enge Staffelung um den Ball. Dennoch entwickelte sich ein ausgeglicheneres Spiel mit längeren dänischen Ballbesitzphasen, die den Dänen ins Spiel verhelfen sollten.

Dänisches Mittelfeldpressing

Dänemark agierte größtenteils aus einem kompakten mid-block heraus, jedoch phasenweise forecheckend in einem mannorientierten Angriffspressing. Im mid-block spielte Dänemark mit einem 5-2-3, um Druck auf die deutschen ballführenden Innenverteidiger ausüben zu können. Wenn man an Höhe verlor, schloss man die Halbpositionen enger und agierte im 5-4(/1-3)-1 mit Skov Olsen und Eriksen etwas tiefer, sowie Delaney raumorientiert als alleinigen Sechser, um den Kettenzwischenraum noch kompakter zu halten. Generell stand man sehr eng gestaffelt, wodurch Bälle zwischen die Ketten ein seltenes Phänomen wurden.

Vor allem Skov Olsen fiel dadurch auf, dass er immer auf der Lauer lag vor Spielverlagerungen auf Kroos, um den deutschen Chef-Aufbaustrategen aus seiner klassisch im Spielaufbau auf LIV agierenden Position unter Druck setzen zu können. Sein Pendant auf der anderen Seite Dänemarks, Christian Eriksen, hielt sich hingegen bedeckt und rückte selten und deutlich weniger aggressiv auf den RIV Rüdiger heraus. Wohl mit ein entscheidender Grund warum wir so häufig, die noch im Laufe des Spiels wichtig werdenden langen Bälle, von Rüdiger ausgehend sehen sollten.

Der deutsche Spielaufbau veränderte sich von seiner Statik her nicht gegenüber den vorherigen Spielen. Weiterhin bauten die deutschen im königlichen Stil aus einem 3-1 Aufbau mit Kroos als linkem Innenverteidiger auf. Auch Sané kam ähnlich wie Wirtz aus dem Halbraum agierend, während die deutschen Außenverteidiger hochschoben. Während man auf dänischer linker Seite mit dem etwas passiveren, dafür aber effektiver passwegschließendem Eriksen arbeitete (zu Lasten Sanés), musste auf der rechten dänischen Seite aufgrund des aggressiveren Anlaufens gegen Kroos, Andersen als RIV deutlich weiter aufrücken bei entgegenkommendem Musiala. Gleichzeitig konnte Raum den dänischen RAV Bah binden, wodurch dieser nicht mehr hinter Andersen absichern konnte. Es ergab sich hinter dem RIV Dänemarks ein Raum, welcher allerdings zunächst kaum belaufen wurde.

Danish Dynamite

Das situative Angriffspressing Danish Dynamite‘s war hingegen größtenteils mannorientiert. Die wohl entscheidensten Duelle: die äußeren Innenverteidiger Dänemarks schoben auf die deutschen Halbraumspezialisten Musiala und Sané drauf, da man im Mittelfeldzentrum mannorientiert spielte. Gleichzeitig schob der ballnahe AV hoch, um den deutschen Außenverteidiger im 4-2-3-1 zu attackieren. Ballfern schob der dänische AV in die letzte Kette und man schob mit +1 ballnah durch, um Überzahl in der letzten Kette zu behalten. Ein durchaus erfolgsversprechendes Rezept – nicht nur gegen die deutsche Elf, jedoch mit dem Risiko der hochschiebenden äußeren Innenverteidiger. Die deutschen Tore waren ein Resultat aus diesem Risiko und den späteren Veränderungen Nagelsmanns.

Deutsches Mittelfeldpressing mit mannorientiertem Mittelfeld

Deutschland verteidigte auf ähnlicher Höhe wie Dänemark im mid-block. Im eigentlichen 4-2-3-1 verteidigte man gegen das dänische 3-4-3 im Spielaufbau. Den 3-2 Aufbau Dänemarks attackierte man mit einem 3-1 Pressing in vorderster Linie. Die hochstehenden Außenverteidiger wurden ballnah von den deutschen Außenverteidigern aufgenommen, die entsprechend breit stehen mussten. Dadurch entstand ein großer Raum zwischen IV und AV.

Durch das linkslastige Spiel der Dänen fiel das besonders zwischen Rüdiger und Kimmich auf. Die mannorientierten Andrich und Kroos spielten gegen Eriksen und Skov Olsen. Skov Olsen ließ sich immer wieder zwischen Schlotterbeck und Raum fallen, wodurch Kroos zunächst defensiv als eine Art LIV agieren musste. Auf der anderen Seite lief Eriksen sehr häufig im Rücken von Andrich in den Raum zwischen Rüdiger und Kimmich. Bei Entgegenkommen von Höjlund, der damit das Rausziehen Rüdigers bewirkte und breit stehendem Kimmich, gab es allermeist Abstimmungsprobleme zwischen den 3 deutschen Akteuren. Dazu rückte Schlotterbeck nicht komplett ein, wodurch sich dieses Muster der Dänen unzählige Male wiederholte und die deutschen von Glück sprechen konnten, dafür nicht bestraft worden zu sein.

Ähnliche Probleme zeigten sich im deutschen Angriffspressing. Durch das breite Stehen der 3 dänischen Stürmern im 3-4-3 und das Herausziehen der AVs, musste Kroos als LIV Schlotterbeck unterstützen und Andrich halbrechts vor der Kette Rüdiger, damit man nicht in Unterzahl/Gleichzahl in letzter Linie stand. Es entstand im Zentrum ein großer Raum, in den Delaney als 6er teils hochschieben konnte, um Andrich in die Zwickmühle zu bringen zwischen +1 in letzter Linie herstellen und das Zentrum schließen. Durch die gleiche gegenläufige Bewegung von Wind und Erikssen konnte Dänemark Tiefe herstellen.

Deutsches (Mittelfeld-)Pressing ohne Mannorientierung im Mittelfeld

Die Spielunterbrechung in der 35. Minute konnte Nagelsmann für einige Umstellungen nutzen.

Im Angriffspressing agierte Andrich fortan als ZIV, aufgrund des linkslastigen dänischen Spiels konnte Raum sich etwas fallen lassen, um ein +1 in letzter Linie wieder herzustellen. Das hatte zur Folge, dass Kroos als raumorientierter 6er spielen konnte und die deutschen deutlich erfolgreicher im Angriffspressing wurden. In erster Pressinglinie konnte man deutlich aggressiver vorschieben, da man Kroos als Absicherer zur Verfügung hatte.

Im mid-block spielten die Deutschen jetzt auch mit einem 3(/5)-1 mit Andrich als ZIV und Kroos als raumorientierter Sechser. Somit konnte man den davor unzählige Male tiefgehenden Erikssen durch Rüdiger in letzter Linie in Manndeckung nehmen. Durch den raumorientierten Kroos, hatte man vor der Kette einen weiteren Spieler, der Linienüberspielende Pässe abfangen konnte. Die Dänen kamen kaum noch tief und wurden, wenn überhaupt, durch seltene Umschaltmomente aus dem Spiel heraus gefährlich.

Offensive Anpassungen

Auch offensiv passte Nagelsmann das deutsche Spiel an. Das für lange Bälle anfällige Mittelfeldpressing der Dänen sollte fortan mit Pässen hinter die letzte Kette überspielt werden. Mit gegenläufigen Bewegungen sollte die deutsche Offensive die mannorientierten Halbverteidiger Dänemarks rausziehen. Die Deutschen waren dabei äußerst variabel mit Havertz/Gündogan, Sané/Havertz oder auch Havertz/Musiala als Gegenläufer. Besonders gut funktionierte das entsprechend gegen den weit aufrückenden Andersen sowohl im Angriffspressing, als auch im mid-block der Dänen.

Der Elfmeter zum 1:0 entstand aus genau so einer Aktion. Die Dänen im Angriffspressing schoben mit Andersen auf den entgegenkommenden Havertz drauf. Gleichzeitig ging Musiala tief, woraufhin der Ball hinter die letzte Kette durch Schlotterbeck erfolgte. Fast gleiches Spiel fand vor dem 2:0 statt. Die gerade ins Angriffspressing aufrückenden Dänen, rückten mit Andersen besonders aggressiv auf Musiala. Dieser konnte durch eine Lauffinte nach kurzem Entgegenkommen in die Tiefe im Rücken von Andersen durchstarten. Der Pass von Schlotterbeck in die Tiefe erfolgte prompt. Nebenbei sorgte Havertz für ein 3gg3 ballnah gegen die eigentlich im +1 agierenden Dänen auf letzter Linie, da er aus deutscher Sicht links neben den ZIV Dänemarks schob. Dieser konnte entsprechend genauso wenig wie der auf Raum aufrückende Außenverteidiger Dänemarks im Rücken Andersens absichern.

2:0 durch Musiala in der 68. Minute

Fraglich ist, ob man dem etwas blass bleibenden Sané nicht damit einen Gefallen hätte machen können, indem man ihn mit Musiala die Seite hätte tauschen lassen. Auf der linken Seite hätte Sané als Linksfuß wahrscheinlich deutlich besser in die Tiefe kommen und seine Schnelligkeit nutzen können, da er mit Ball auf seinem gegnerentfernten Bein Richtung Tor hätte ziehen können. Allerdings spricht der Erfolg der beiden Tore natürlich für sich.

Nach dem 1:0 durch Havertz veränderte Hjulmand seine Herangehensweise, um offensiv mehr Durchschlagskraft zu entwickeln. Die Dänen versuchten jetzt häufiger ballfern die letzte Linie zu überladen mit einem durchschiebendem 6er, dem offensiven Außenverteidiger, Höjlund und dem jeweiligen Halbspieler. Der darauf folgende Diagonalball sorgte durch die Unterzahl Deutschlands für Probleme. Das nötige Matchglück und das richtige Timing zum 2:0 verhalfen jedoch den Bundesadlern zum letztlich verdienten Sieg. Es zeigte sich einmal mehr, dass in einem knappen Spiel Standards eine entscheidende Waffe sein können. Das wichtige 1:0 fiel dreimal aus einem Standard. Jedoch wurden die Ecke Deutschlands sowie das Freistoßtor Dänemarks wieder aberkannt. Der Elfmeter von Havertz hatte Bestand und lenkte das Spiel auf die deutsche Seite. Umso positiver, dass fast jeder Standard der deutschen Mannschaft ein einstudiertes Mittel war.

Fazit

Zum wiederholten Male lässt sich festhalten, dass Deutschlands Man of the Match, der guten Leistungen Rüdigers zum Trotz, Julian Nagelsmann war. Mit Pragmatik schlägt Schönheit lässt sich das Mittel gegen die Dänen gut umschreiben. Die langen Bälle gewinnen zwar keinen Schönheitspreis, dem EM-Titel ist die Nagelsmann Elf dafür einen Schritt weiter entgegengekommen. An dieser Stelle muss wohl an Per Mertesackers Interview bei der WM 2014 erinnert werden: „Ich leg mich jetzt erstmal drei Tage in die Eistonne, dann analysieren wir das Spiel und sehen weiter.“

Autor: MH ist Fußball-Aficionado von Herzen. Seine Wohnung gleicht einer Fußball-Bibliothek in deren Regalen Bücher über die großen Taktiker von Rinus Michels bis Pep Guardiola stehen. Das Buch von Spielverlagerung.de fehlt hier natürlich nicht. Für MH ist Fußball nicht nur ein Spiel. Es ist ein Lebensgefühl.

Taktik-Ignorant 2. Juli 2024 um 09:09

Ich fand es eigentlich imposant, wie es den Dänen in Halbzeit 1 gleich zweimal gelungen ist, das deutsche Offensivspiel nach einigen Minuten zu kontrollieren und wieder ins Spiel zurückzufinden. Ein Aspekt, der mir in der Beschreibung etwas fehlt, ist die Breite, die die Dänen dabei nutzten, indem ihre Außenspieler konsequent die Linie hielten. Dänemark konnte das Spiel auseinanderziehen, und die Deutschen bekamen kaum Balleroberungen.

Insgesamt zeigte das deutsche Spiel viele Anfälligkeiten; der Raum zwischen Kimmich und Rüdiger wurde schon angesprochen, auch das recht einfache Herausholen von Freistößen im Halbfeld durch ungeschickte deutsche Fouls gehört für mich dazu.
Gegen Spanien wird es notwendig sein, deutlich kompakter zu stehen. Und Sané oder Havertz werden sich Fehlschüsse frei vor dem gegnerischen Tor nicht mehr leisten können. Denn die deutsche Mannschaft wird wohl nur selten in die Nähe des spanischen Tores kommen.

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Koom 2. Juli 2024 um 10:34

Ja, das deutsche Spiel ist anfällig. Leider erwartbar. Man bekommt es aber mit ein paar Anpassungen ganz solide hin. Persönlich fand ich jetzt die Variante gegen Dänemark mit Andrich als IV und Kroos als Sechser davor erheblich besser – einfach, weil man jemandem im Sechserraum braucht, der stört – und der den zweiten Ball einsammelt. Wenn Kroos und Andrich in der Kette sind, ist da sonst keiner. Andrich kennt das Wechselspiel aber auch schon von Leverkusen, wo er ja auch gerne mal den flexiblen Aushilfs-IV gibt.

Wie man aber auch sehen kann bei der EM: Zur Hölle ist Xhaka abgewichst. Geiler Sechser und definitiv ein großer Faktor für Leverkusens Meisterschaft und auch für die starken Schweizer. So einen Sechser vermisst Deutschland.

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tobit 3. Juli 2024 um 14:41

Jup, besonders wenn man den Gegner beim Flügelspiel nicht auf einer Seite festnageln kann. Und auch (wie quasi jedes System) verdammt anfällig gegen Tempodribbler wie Williams und Yamal. Das wird ein richtig hartes Stück Arbeit, besonders auf rechts, wo mir Kimmich bisher gar nicht gefallen hat. Ich hätte gern früher Minuten für Henrichs gehabt, würde ihn aber trotzdem jetzt ins kalte Wasser werfen, weil er sich nicht so sehr vor schnellen Gegnern fürchtet (fürchten muss). Und langsamer im Passspiel ist er auch nicht.
Ehrlich gesagt sehe ich die Chancen aufs Weiterkommen sogar sehr klein (vllt 20%), weil die Spanier eben nicht wie Dänemark zum Flügelspiel gezwungen sein werden. Die können mit Rodri und Ruiz auch ohne Probleme ins deutsche Zentrum eindringen (was den bisherigen Gegnern immer nur unkontrolliert mit Hochgeschwindigkeitsdurchspielen gelang) und sich dort festsetzen (das ist eine komplett neue Herausforderung für die N11 in dieser Ausrichtung).

Ich würde nicht sagen, dass Deutschland ein Xhaka fehlt (aber ich find ihn auch generell nicht so krass wie viele andere). Der würde sich mit seinem dominanten und raumgreifenden Bewegungsspiel genauso mit den ganzen Achtern beißen wie die untereinander. Aber für ein Team in dem er der absolute Star ist, oder das sonst sehr auf Support ausgelegte Mittelfeldspieler hat, ist er absolut genial. Für Deutschland wäre er eigentlich nur interessant, wenn man 3er-Kette mit ihm und Kroos als Doppelsechs spielen würde. Wenn man so spielen wollte, könnte man seine Rolle aber schon ganz gut mit Goretzka annähern.

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Taktik-Ignorant 3. Juli 2024 um 17:43

Xhaka hat halt enorme Qualitäten gegen den Ball. Aber gut, es ist müßig, in der Vorausschau von Deutschland-Spanien über Schweizer Nationalspieler zu diskutieren.

Ich sehe sowohl in der Variabilität des spanischen Angriffsspiels als auch in der Intensität des Pressings und Gegenpressings neue Herausforderungen für Deutschland, deutlich schwieriger als durch die Schweiz, die ja auch schon eine harte Nuss für unsere Elf war. Vielleicht steht Unai Simon ja mal so weit vor seinem Tor, dass ein verunglückter Querpass von Toni …
Kimmich hat seine Sache im März gegen Mbappé gar nicht mal so schlecht gemacht, hatte aber auch die nötige Unterstützung auf dem Flügel. Henrichs ist natürlich deutlich schneller und anders als Kimmich gelernter Außenverteidiger. Kimmich sehe ich im Pass-Spiel vorne, er ist da überlegter und strategischer als Henrichs, der wiederum für schnelle Gegenstöße geeigneter wäre – die Frage ist nur, ob es zu solchen kommt.
Immerhin scheinen alle Spieler fit zu sein, und gesperrt ist meines Wissens auch keiner. Zumindest hat der BT also mal eine gewisse Auswahl.
Ich würde deshalb tatsächlich dazu neigen, Wirtz zunächst einmal draußen zu lassen. Sané könnte mit seiner Geschwindigkeit die spanische Abwehr mehr fordern, und Wirtz bringt als Auswechselspieler ein kreatives Element und seriöse Mitarbeit nach hinten ein, was sowohl bei einer Führung als auch bei einem Rückstand sehr zupass käme.

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tobit 3. Juli 2024 um 18:06

Sané statt Wirtz sehe ich auch so. Schnell durchgespielte Konter werden Freitag denke ich wichtiger sein als Kreatives Spiel beim Übergang ins letzte Drittel.

Grundsätzlich sind wir uns auch bei Kimmich einig. Aktuell ist mir Kimmichs Passgeschwindigkeit und -auswahl aber nicht gut genug um seine häufiger gewordenen Schwächen im Stellungsspiel (gerade bzgl Abseits waren da ein paar Momente dabei, die gegen Spanien sofort bestraft worden wären) und den generellen Tempomangel aufzuwiegen. Henrichs ist da aktuell im Passspiel nicht weit weg (dass er sich schnell vom Ball trennt, macht ihn gegen Spaniens Pressing vllt sogar zum besseren Passspieler), deutlich schneller (Nico wird ihm trotzdem Probleme bereiten, aber ihn nicht einfach überrennen können wie Kimmich) und hat im Stellungsspiel den Vorteil seit Jahren nur noch AV zu spielen (auch wenn er wie Kimmich „gelernter“ Mittelfeldspieler ist).

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Taktik-Ignorant 3. Juli 2024 um 21:15

Bei Kimmich ist es wohl wirklich auch eine Formfrage, er macht im Prinzip momentan alles ein wenig langsamer als früher, die Bewegungen, die Entscheidungsfindung, als wäre er manchmal nicht so ganz bei sich und würde so eine Art Rucksack mit sich herumschleppen. Für ihn spricht wiederum die internationale Erfahrung, da hat er Henrichs einiges voraus. Da Nagelsmann seine im März gefundene Elf vielleicht nicht auf zu vielen Positionen verändern möchte, nehme ich an, dass er auf der RAV-Position an Kimmich festhalten wird.


tobit 1. Juli 2024 um 20:34

Ich würde dem Fazit widersprechen. Die langen Bälle waren oft richtig ordentlich vorbereitet und gut gespielt. Das war schon nett anzusehen, wie da immer wieder die gegnerische Struktur erst manipuliert und dann filettiert wurde. Gerade wenn man es mit den bei so vielen Teams vorherrschenden Befreiungsschlägen aus dem Pressing vergleicht.

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Koom 2. Juli 2024 um 10:30

Generell sind diese langen Bälle ja quasi schon in jedem EM-Spiel der Deutschen so oder so ähnlich gemacht worden. Das ist definitiv eine komplett geplante, trainierte Spielweise. Macht auch durchaus Sinn bei der Offensivreihe mit Havertz, Musiala, Sane/Wirtz – das sind alles schnelle, relativ dribbelstarke Offensivspieler, die gern aufs Tor gehen. Und gerade der lange Ball von Rüdiger auf Havertz funktioniert sehr oft, auch wenn unterm Strich noch nicht megaviel rausgekommen ist.

Dazu gehört auch, dass man das auch wirklich gut vorbereitet, den Gegner lockt. Das wirkt manchmal ne Spur zu riskant, aber da kann ich mir auch vorstellen, dass das ein Stück weit Teil des Plans ist.

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Taktik-Ignorant 2. Juli 2024 um 11:00

Spötter könnten ja fragen, ob diese „langen Bälle“ nicht einfach Befreiungsschläge und Ausdruck von Ratlosigkeit mangels vielversprechender Anspielstation im Mittelfeld sind. Normalerweise hat der Gegner ja immer noch eine Überzahl in letzter Linie und kann diese langen Bälle gut abfangen bzw. Abpraller aufnehmen. Gegen Spanien wird es so sein, dass die deutsche hinterste Linie sehr stark unter Druck stehen und kaum Zeit für ein geplantes Aufbauspiel haben wird.

Auch das Defensivspiel macht mir Sorgen: Spanien hat nicht nur 2 starke Außenstürmer, sondern jede Menge Spieler, die das „sich im Zentrum in den Strafraum hineinspielen bzw. Schusskanäle schaffen“ perfekt beherrschen; die scharfe und präzise Ballzirkulation (die mir z.B. bei der deutschen Mannschaft fehlt, wenn sie Gegner an deren Strafraum zurückdrängt und dann mit dem Kreiseln von links nach rechts und wieder zurück anfängt) hilft dabei ungemein. Ich hoffe, die deutsche Abwehr hat die Schwimmwesten mit.

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Koom 2. Juli 2024 um 12:57

Die Wahrheit liegt vermutlich in der Mitte. Ich bin mir schon sicher, dass die langen Bälle ein gewolltes Stilmittel sind – aber nicht das einzige. Nagelsmann mochte Bälle dieser Art auch schon bei den Bayern (vorwiegend durch Kimmich). Im Grunde ein simples Mittel, um den Gegner unkompakter werden zu lassen, weil er auf seine eigene letzte Linie aufpassen muss gegen deutsche Sprinter.

Unabhängig davon: Jo, die Defensive wird eine spannende Sache werden gegen Spanien. Aber das war klar, dass es irgendwann gegen so ein Kaliber geht. Aber auch Spanien wird ein bisserl überlegen, wie man die deutsche Offensive bändigen kann, auch wenn die den Gegner nicht so zerspielt hat bislang.

Taktisch halte ich Spanien für viel weiter und stärker. Was für Deutschland spricht, ist die bislang gute Moral und Bissigkeit. Selbst wenn die Dinge eher schlecht laufen, steckt man nie auf, macht weiter.

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Milo 2. Juli 2024 um 17:34

Meine Wahrnehmung war die:
Vor dem Musiala-Tor hatte die DFB-11 eine Phase des Ballbesitzes und ließ den Ball zirkulieren. Die Dänen gingen ins mannorientierte Pressing. Die DFB-11 reagierte, indem sie weiter den Ball zirkulieren ließ, aber sich schrittweise etwas zurückzog.

Genau das habe ich in dem Moment als ausgeprochen merkwürdig empfunden, weil ja in der Regel so herumzirkuliert wird, um eine Möglichkeit der Vorwärtsbewegung zu suchen. Der Rückzug erschien mir ungewöhnlich. Bis zu dem langen Ball auf Musiala.

Das wirkte ein bisschen wie eine Idee. Oder habe ich das falsch wahrgenommen?

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Taktik-Ignorant 2. Juli 2024 um 20:04

Es wird in manche Szenen gerne viel hineininterpretiert. In dieser Situation zum Beispiel sind beide Varianten möglich: a) die Mannschaft in Ballbesitz zieht sich bewusst zurück, um den Gegner zu locken und hinter den herausrückenden Gegnern im Zwischenraum oder hinter der letzten Linie den Raum zu bespielen, oder b) man wird vom Gegner einfach zurückgedrängt.

Der Ball von Schlotterbeck auf Musiala war jedenfalls genau so gewollt.

Koom 3. Juli 2024 um 09:29

Deine Wahrnehmung dürfte richtig sein. Ich finde, dass das die N11 auch öfter gemacht hat: Also Ballbesitz hoch in den Gegnerischen Raum getragen, dann aber sich wieder tiefer hat fallen lassen. Was eine durchaus „natürlich“ Reaktion sein kann auf die gut zustellenden Dänen, aber meistens neigen Teams dann mehr zu langen Bällen von der Mittellinie, anstatt „kontrolliert“ zurückzuspielen. Lange Bälle kamen aber fast nur von noch weiter hinten, eben vor allem Rüdiger und auch mal Schlotterbeck vor dem Tor (was aber viel mehr eine klassische Kontersituation war).

rb 3. Juli 2024 um 14:51

Sometimes you have to step back to leap forward 🙂

Ich hatte schon bei mehreren Spielen den Eindruck, dass das Zurückfallen und Anlocken eine gezielte Maßnahme war. Immer mit dem Ziel, zu verhindern, dass man permanent zwar den Ball an der Grenze zum letzten Drittel hat, aber nie wirklich in/durch den ultrakompakten Defensivblock kommt.
Gegen Schottland fand ich z.B. auch auffällig, wie Kroos mit aufreizender Lässigkeit die schottische Offensivreihe zum Angreifen getriggert hat und dann entweder direkt oder über die Bande Rüdiger Bälle durch die Linie möglich waren, die gleich 4-5 Schotten aus den Abwehrverbund genommen haben. Vor dem 2:0 (oder war es das 1:0?) gegen Schottland z.B. nimmt die N11 zweimal Anlauf, bevor sie den Angriff ins letzte Drittel ausspielt und plötzlich viel Platz da ist.
Funktioniert aber auch nur, wenn die Mannschaft wirklich die Geduld behält… und sich z.B. nicht von einem ungeduldigen Publikum („die spielen immer nur hintenrum“) zu einem hektischeren Erzwingen-Wollen anstacheln lässt.

WVQ 3. Juli 2024 um 15:37

Ich glaube auch, daß die Entstehung des 2:0 gut exemplifiziert, wie man taktisch auf die in den letzten Freundschaftsspielen noch riesigen Probleme mit gegnerischem Pressing reagiert hat, das kleinräumig auszuspielen man schlicht nicht auf dem Kasten hat. Stattdessen zirkuliert man immer häufiger nur über die „sicheren“ Stationen, spielt nach vorne nur, wenn klare Räume oder Tiefenpaßwege da sind (oder einfach kein Druck), und läßt sich ansonsten bereitwillig fallen. Oft generiert man damit genug Raum, um den Druck von der deutschen Aufbaulinie zu nehmen – wenn’s sein muß eben mit Umweg über Neuer. Die gegnerische Aufrückbewegung nutzt man dann für die langen Bälle, auf die vorne zunehmend sehr passend gelauert wird. Das Motiv, daß dabei ein Zehner den gegnerischen Halbverteidiger rauszieht, hatten wir gegen die Schweiz im Grunde ja auch schon, wenngleich in beiden Spielen erst in der zweiten Hälfte richtig systematisch genutzt.

Wird interessant, inwieweit wir dieses Angriffsmuster gegen Spanien nutzen können. Da werden wir dann zum ersten Mal im Turnier gegen eine Viererkette spielen, wobei das Schema mit möglicherweise bei rausschiebenden IV situativ zurückfallendem Rodri ähnlich sein könnte. Allerdings wird da die übergreifende Frage wohl eher, wie viel Ballbesitz wir überhaupt bekommen und ob wir gegen das spanische Pressing noch hinreichend Druck von den Innenverteidigern wegziehen können, um die langen Bälle noch genau genug zu spielen – insbesondere im Fall von Rüdiger, der bisher ja quasi unser Nr.-1-Tiefenball-Spieler ist. Aber grundsätzlich auch da denkbar und jedenfalls deutlich risikofreier, als es über flache Anspiele auf zurückfallende Zehner zu versuchen, was gegen Ungarn zwar kurzzeitig etwas kollektiver zu werden schien, sich seitdem aber wieder so ziemlich auf „Zehner dreht auf und dribbelt los“ reduziert hat – gegen Spanien wohl nicht so aussichtsreich.

tobit 3. Juli 2024 um 16:20

Rodri habe ich bisher nicht zurückfallend gesehen. Der spielt gegen den Ball teilweise ja Ein-Mann-Mittelfeld, wenn Ruiz ins 4-1-3-2 hochschiebt. Rausrückende IV gibt es durchaus, aber längst nicht so aggressiv oder weiträumig. Und das wird eigentlich sehr gut von den AV abgesichert, die dann sauber einklappen. Gerade Cucurella ist in diesen Aktionen aktuell auf einem Level das ich seit Schmelzer 2011 nicht mehr gesehen habe.
Mit angepasstem Ansatz könnte man da aber natürlich trotzdem noch hinter die Kette kommen. Spontan würde ich sagen, le Normand in den linken Halbraum rausziehen und dann mit LA Sané außen und Zehner Gündogan (aus dem Dunstkreis Rodris heraus) auf den kurzen Pfosten tief gehen. Rodri ist für solche Läufe nicht gemacht und nach den letzten anderthalb Jahren bei Pep auch mal etwas zu hoch bzw vorwärtsorientiert. Man könnte also Carvajal evtl zwingen sich für einen Läufer zu entscheiden und dann den anderen frei anspielen. Gegenstrategie wäre natürlich das noch extremere Einschieben von Laporte und Cucu (können die auf jeden Fall), die auf der deutschen rechten Seite nur selten einen Gegenspieler hätten, da die deutschen AV wohl kaum ballfern so hoch schieben werden (und auch nicht sollten). Insgesamt also wohl eine deutlich situativere Andwendbarkeit als in den bisherigen Spielen.
Interessanter wird das Muster natürlich im Konter, wenn Cucu und Carvajal hochgeschoben sind und Rodri ins Gegenpressing geht. Da entstehen immer mal Lücken vor den IV, die man für sehr „hässliche“ Gleichzahlsituationen nutzen kann.
Gegen Georgien wollte de la Fuente am Anfang in Ballbesitz Laporte in den linken Halbraum (wo sonst Ruiz spielt) bringen und mit Doppelzehn (Ruiz neben Pedri) spielen um mehr Optionen zwischen den Linien zu haben und die georgischen HV vom Doppeln nach außen abzuhalten. Das wurde von Mikautadze und Kvara natürlich gnadenlos filettiert (auch über oben genannte Gleichzahlmomente). Nach der Rückumstellung auf das bekannte 2-2 mit Ruiz im Halbraum und Laporte wieder in der ersten Linie konnten sie wieder jeden Konter im Ansatz ersticken.
Da hat Ruiz auch öfter mal als Raumstopfer hinter Rodri agiert. Man müsste also Konter besonders über die deutsche linke Seite (wo f***ing Rodri im Gegenpressing ist) spielen um ihm aus dem Weg zu gehen, oder aber beide IV nach links ziehen und dann über Ruiz drübersprinten. Insgesamt also wohl immer noch keine Strategie, die man in größerem Umfang anwenden oder umsetzen kann. Deswegen sehe ich die deutschen Chancen aufs Halbfinale auch sehr gering.

Was mich interessiert wäre noch, ob man beim 4-2-2-2-Pressing mit Gündogan vorne bleibt oder ob man ihn tiefer hält und er bei Zurückfallen eines DMs die Doppelsechs nachfüllt.

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