Türchen 15: Vereinfachen des Andribbelns

Was macht man, wenn man viel andribbeln muss, aber nicht so sicher – gar nicht unbedingt im qualitativen Sinne, sondern bezüglich Konstanz und Stabilität – im Andribbeln ist?

Man kann (neben Training, naheliegenderweise) durch systematische Veränderung versuchen, andere (Offensiv-)Spieler ins Andribbeln zu bringen, oder man implementiert gezielt unterstützende Bewegungen, die für einfaches breites Andribbeln als bestmögliche Raumöffner dienen können.

Der Auftritt von Darmstadt 98 im Abstiegsduell gegen Köln gab jüngst einige interessante Anregungen dazu – auch wenn das nicht unbedingt der Plan und die obigen Überlegungen nicht diejenigen von Torsten Lieberknecht gewesen sein müssten. Aber Inspiration für die einleitende Frage hielt die Partie eben bereit. Im Grunde genommen verbanden einige Aufbauszenen Darmstadts die beiden obigen Lösungswege auf das Problem miteinander. (Ob Gjasula der „bessere“ Andribbler ist als Klarer kann man bezweifeln, aber der „stabilere“ Dribbler vielleicht doch.)

Nominell hatte Darmstadt mit zwei Innenverteidigern gegen einen zentralen Kölner Stürmer Überzahl im Aufbau – also eine gute Ausgangslage zum Überdribbeln. Trotzdem kippte mit Gjasula häufiger einer der beiden Sechser zusätzlich zentral ab, wie in dieser Szene, so dass es noch deutlich mehr Freiheiten dafür gab. Wenn der breiter gerückte Innenverteidiger aus dem 3gegen1 angedribbelt wäre, hätte aber die Möglichkeit bestanden, dass der gegnerische Außenstürmer ballnah aggressiv anlief. Tatsächlich bewegte sich Köln hier aus einem echten 4-2-3-1 als Defensivformation heraus und nicht mit flacheren Flügeln in zwei Viererketten wie in einem 4-4-1-1.

Zwei interessante Elemente gab es bei Darmstadt in der Szene:

Erstens spielte der abgekippte Gjasula kurz auf Klarer an, doch danach dribbelte nicht dieser an, sondern er legte den Ball nur für Gjasula ab, der aus der zentralen Startposition diagonal in den Halbraum nachging und dann seinerseits den dribbelnden Part übernahm. Das funktionierte wie ein kleines überraschendes Trickspiel gegen den Stürmer, der irritiert nicht so genau wusste, wie er reagieren sollte.

Zweitens verband Darmstadt das Andribbeln mit dem Einrücken des ballnahen Außenverteidigers. Dieses Mittel lernte die Bundesliga 2013 mit Pep Guardiola bewusst kennen, der das Einschieben der Außenverteidiger unter anderem dafür nutzte, um einen direkten Passweg von den Innennverteidigern auf Robben und Ribéry als Flügeldribbler zu öffnen.

Damals wurden Alaba und Co. in bestimmten Situationen zudem eingerückt in den Halbräumen eingebunden. Das kann man theoretisch auch vollständig weglassen und sich, beispielsweise als individuell schwächere Mannschaft, allein auf den potentiellen raumöffnenden Effekt konzentrieren. In diesem konkreten Fall rückte Rechtsverteidiger Müller auf Höhe von Maina nach innen, lief unmittelbar vor ihm in den Halbraum und beschäftigte ihn dadurch. Der Kölner Flügelstürmer konnte nicht so sauber auf das Dribbling des Ballführenden achten, sollte quasi abgelenkt und konnte auch zum Zögern gebracht werden. Das führte letztlich dazu, dass er nicht auf Gjasula herausrückte, sondern in der Position blieb, da er sich auch mit Kainz neben ihm abstimmen musste. Dementsprechend hatte Gjasula mehr Platz und Zeit, um den Pass nach vorne vorzubereiten.

In diesem konkreten Fall war der entsprechende Pass der weite Flugball in die Spitze, den Darmstadt in dieser Saison häufig nutzt. Von daher könnte man vermuten, dass die Mechanismen das Ziel hatten, solche Flugbälle deutlich effektiver und gezielter anbringen zu können. In jedem Fall wäre es eine Möglichkeit, einrückende Außenverteidiger – gegen Defensivformationen mit einem Stürmer wie 4-2-3-1 – nur mit genau diesem Ziel zu installieren: die Effektivität des langen Balles zu steigern, wenn man jenen am Ende ohnehin spielen wird.

Wenn man wiederum zu den Darmstädtern zurückkehrt, hätte es für Gjasula noch eine andere flache Möglichkeit der Spielfortsetzung gegeben, zum Flügel hin. Dort kam nicht nur ein Offensivspieler entgegen, um sich in dem vom Rechtsverteidiger frei gemachten Raum anzubieten – also quasi als Pendant zu Robben und Ribéry. Zusätzlich bewegte sich auch noch ein Sechser in diesem Bereich. Dass die Darmstädter dort gleich zwei Anspielstationen schufen, ließe vermuten, dass die Aktionen eben nicht nur auf den langen Ball hinauslaufen, sondern auch Raumöffnung für anschließende Flügelangriffe betrieben werden sollte. Das hätte grundsätzlich funktioniert: Honsak war für Gjasula anspielbar und hätte Nürnberger vor sich gehabt (als Gjasula ausholte, machte Honsak schnell sofort wieder kehrt und sich bereits wieder auf den Weg nach vorne).

Wie jene Doppelbesetzung der Außenbahn in der Szene hergestellt wurde, also über welche Spieler, war allerdings problematisch. Darmstadt gab seine Zentrumsspieler auf: Der eine hatte bereits die abkippende und andribbelnde Rolle übernommen und der andere bewegte sich auf Flügel. Der höchste Achter bzw. Zehner befand sich zwischen den Linien, von wo er auf den langen Ball hin zumindest schnell den Stürmer unterstützten konnte, aber sich eher für eine mögliche Verlängerung als für den zweiten Ball positionierte. Dazu kam noch ein breiter ballferner Außenstürmer, so dass das Mittelfeld wenig Präsenz hatte. Die Spieler für die rechte Seite hätten anderswo abgezogen werden können.

Gerade vor diesem Hintergrund stellte die Entscheidung Gjasulas für den langen Ball ein zweischneidiges Schwert dar, fehlte doch eine gute Staffelung auf mögliche Abpraller. Holland als ballferner Außenverteidiger versuchte noch etwas einzuschieben, aber damit konnte er die Szenerie nicht mehr entscheidend verändern. Darmstadts Zentrumsbesetzung bestand letztlich improvisiert aus zwei spontan nach innen orientierten Außenverteidigern und Kölns Sechser konnten den Ball aufsammeln, der ins zweite Drittel zurücksprang.

Den Flügelangriff als Alternative zum weiten Pass hätte Gjasula gegebenenfalls sogar noch auf einem zweiten Weg einleiten können: im Dreieck über den nach innen geschobenen Rechtsverteidiger. Dieser beendete seinen Lauf ziemlich genau zwischen Maina und Kainz. Die Schnittstelle war nicht besonders groß und Müller hätte einigermaßen schnell Druck bekommen, aber prinzipiell mit zwei zügigen Kontakten oder sogar One-Touch herausspielen können – und tatsächlich forderte er per Gestik den Ball, um ihn anschließend auf die Außen weiterzuleiten.

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