Derbysieg trotz enttäuschender Halbzeit

3:1

Hertha müht sich über 65 Minuten Überzahl redlich. An herauskippenden Bewegungen bestand kein Mangel, an Anschlussaktionen nach dem offensiven Übergang dafür umso mehr. Nach der Halbzeit traten einige Mittel der Linderung auf, vor allem das Dribbeln.

Es reicht eine einzelne Beschreibung, um die erste Halbzeit und in wesentlichen Teilen die zweite Halbzeit dieses Stadtduells zusammenzufassen: Hertha gewann mit Andrichs Roter Karte in der 24. Minute eine Überzahl, doch man merkte dies kaum.

Genau genommen, so ist einzuschränken, konnte Union nach dem Platzverweis aus dem Umschalten weniger Übergänge nach vorne einleiten als zuvor. Zumindest brachten die Gäste brachten das Leder mehrmals in die Rückzirkulation zurück und schufen so kurze Entlastung durch tiefe Ballbesitzphasen.

Union vorsichtig gegen herausschiebende Halbspieler

Bereits mit elf Mann waren die Gäste aber kaum im vorderen Drittel präsent gewesen, weder nach Kontern noch aus dem eigenen Aufbau heraus. Von daher sorgte auch diesbezüglich der Platzverweis für keine maßgebliche Lageveränderung. Mit dem Ball startete Union sicherheitsfokussiert: Der Stadtrivale lief mit zwei Stürmern vorne an und schob mit den Halbspielern früh aus der Formation. Optional konnte einer der beiden zusammen mit Darida die gegnerischen Sechser aufnehmen. Grundsätzlich schoben Guendouzi und Tousart verstärkt in der Breite seitlich hinter den Angreifern nach, konzentrierten sich also auf die Anschlusswege zu den Flügelverteidigern oder eventuelle Dribblingräume für Unions Halbverteidiger.

Das seitliche Herausschieben der Halbspieler: Cunha läuft an und muss Andrich im Deckungsschatten halten. Guendouzi bewegt sich etwas breiter, geht quasi aus dem Rücken Cunhas nach außen. Dabei belauert er den Passweg auf Trimmel. Im Falle eines möglichen Überdribbelns von Cunha durch den Halbverteidiger könnte er sich situativ entscheiden, ob er weiter auf den Ballführenden herausrücken wolle.

Zumal Trimmel und Lenz oft in hohen Positionen standen, erschwerten sie so diese Verbindungen – insofern eine erfolgreiche Maßnahme. Vertikal musste dadurch speziell Darida manch größere Abstände zu den Stürmern in Kauf nehmen. Staffelte Union einen der Sechser tiefer, konnte er nicht immer eng folgen, sofern dadurch der seitliche Anschluss zum Halbspieler zu klar abgerissen wäre. Eine entsprechende Lücke zwischen Stürmern und Zehner besetzten die Gäste von Urs Fischer nicht nur mit einem tiefen Sechser, sondern auch durch vorgerückte Positionierung des Zentralverteidigers.

In beiden Fällen trauten sich die „Eisernen“ aus der ersten Linie heraus aber kaum, den jeweiligen Spieler zwischen den gegnerischen Stürmern einzubinden. Eine mögliche zusätzliche und „linienübergreifende“ Überzahlbildung im Zentrum kam kaum effektiv zum Tragen. In der Anfangsphase schien Union in Zweifelsfällen etwaige Aktionen durch die Mitte vermeiden zu wollen und die konservativere Entscheidung vorzuziehen. So operierten die Halbverteidiger mit frühen Flugbällen hinter die seitlich herausschiebenden Mittelfeldakteure der Hertha. Insgesamt waren diese jedoch nicht sauber genug vorbereitet und entfalteten in der Folge nur geringe Wirkung.

Herauskippen bei der Hertha

Es spricht einiges dafür, dass das Team von Urs Fischer im Laufe der Begegnung seine strategischen Präferenzen angepasst hätte – ehe der Platzverweis einem etwaigen Plan dieser Art einen Strich durch die Rechnung machte. Zumal nur wenige Minuten zuvor die erste Torchance für den Gast direkt das Führungstor gebracht hatte, ergab sich anschließend ein klares Bild: Union verteidigte, Hertha versuchte das Spiel zu machen. Bruno Labbadias Gastgeber agierten aus einem Rauten-4-4-2 (von der Rollenverteilung her 4-3 plus drei Offensive) heraus, Union formierte gegen den Ball ein 5-2-1-2 (nach dem Platzverweis zunächst im 5-2-2) – das hätte interessant werden können.

Seitens der Gäste bedeutete dies eine präsente Besetzung im Zentrum und eine unangenehm dichte Struktur. Für Stark als Sechser der Raute war es darin schwierig, eingebunden zu werden. Daher orientierte er sich später – speziell nach dem Platzverweis – häufig nach vorne, lief aus seiner Grundposition bis in die Spitze durch und trieb sich längerfristig in Offensivzonen herum. Dafür überließ er den Mittelfeldkollegen die Besetzung in den ersten Linien, die ohnehin ständig herauskippten, um sich Bälle abzuholen. Solche Bewegungen gingen genau in die Freiräume, die sich neben dem kompakten Mittelfeld Unions befanden.

Zu Beginn der Aufbauaktionen liefen sich Guendouzi und Tousard typischerweise nach außen frei – nicht selten gleichzeitig, jeder auf seine Seite. Auch im weiteren Verlauf von Angriffen, beispielsweise nach Verlagerungen oder im Zuge der Ballzirkulation nach hinten, griffen sie fortwährend zu diesen Bewegungen. Situativ übernahm Darida aus dem Offensivbereich das Herauskippen im zweiten Drittel. Seine schiere Weiträumigkeit machte diesen Ansatz der Hertha erst einmal unangenehm zu verteidigen: Union sah sich dazu gezwungen, sich stark auf einzelne Mannorientierungen und gruppentaktische Gleichzahlsituationen einzulassen.

Union jongliert mit Mannorientierungen

Die Halbverteidiger verfolgten ballnah gegen zurückfallende Gegenspieler über weite Wege und rückten daher regelmäßig weit in Mittelfeldbereiche hinein. Meistens wechselten sich Flügelverteidiger und Sechser auf einer Seite bei den Zuteilungen ab: Der eine schob gegen den jeweils andribbelnden gegnerischen Halbspieler vor und der andere nahm den Außenverteidiger der Hertha auf. Je nach Situation mussten Andrich oder Prömel (bzw. später Prömel oder Ingvartsen) die Formation also weiträumig verlassen.

Im Einzelnen waren die Spieler Unions fortwährend damit beschäftigt, Mannorientierungen zu balancieren und neu zu justieren. Sie nahmen diese Zuordnungen temporär auf und lösten sie schnellstmöglich, sobald es die Situation hergab, wieder, ehe sie anschließend einen anderen Gegner kurzzeitig verfolgten. Gerade auf der Sechs funktionierten die Entscheidungsfindung und die kommunikative Abstimmung gut, wenn es darum ging, nach vorne durchlaufende Herthaner ziehen zu lassen, diese entweder in den Raum oder an die Verteidiger zu übergeben.

So gelang es mit diesen Positionen, die Verbindungswege vom Flügel im zweiten Drittel nach vorne weitgehend geschlossen zu halten. Spätestens wenn Hertha außen den Ballvortrag unterbrach und verlagern wollte, beendeten Unions Mittelfeldakteure eventuelle temporäre Mannorientierungen und rückten schnell wieder in die Grundposition.

Durch die großen Gesamtabstände in diesen Momenten ließen sich Raumgewinn für die Hertha bzw. Aufrückmöglichkeiten durch Dribblings der Halbspieler kaum konstant verhindern. Es blieb für Union nicht aus, solche Aktionen zuzulassen. Sie verhielten sich jedoch geschickt: Ihre Mittelfeldakteure rückten nicht überhastet heraus. In Situationen, in denen sie praktisch kaum eine andere Möglichkeit hatten, beschränkten sie sich tatsächlich darauf, gegen den ballführenden Gegenspieler zu verzögern. Zudem improvisierten sie situativ recht gut, sofern dies bestimmte Szenen nötig machten.

Probleme mit der Anspielbarkeit und der geschlossenen Beteiligung

So war Raumgewinn aus Sicht der Hertha das eine, der Wert der dadurch erreichten Zielräume jedoch eine andere Frage. Gerade in der ersten halben Stunde fokussierten die Halbspieler nach dem Vordribbeln mit Ball oft zu schnell das sofortige weitere Vorwärtsspiel. Sie hätten oft zunächst lokale Möglichkeiten für Aktionen nutzen können – einen kurzen vorbereitenden Pass, vor allem kleine Vorstöße am Ball, um selbst weitere Räume zu erschließen. Zudem hätten sie den Ball auch mal in den höheren Linien laufen lassen können, die sie durch ihr Aufrücken erreicht hatten – statt sofort die nächste Ebene zu suchen.

Angesichts der schnellen Übergänge kamen die Mitspieler nach vielen Verlagerungen nicht schnell genug mit herüber, um wieder neue Anspielstationen im Zentrum zu bieten. Doch auch als die Spieler im Laufe der Zeit zunehmend geduldiger agierten, tat sich die Hertha weiterhin schwer, Synergien der Mittelfeldkräfte untereinander aufzubauen. Das lag auch an der Positionsfindung als solcher: Es gab zu viele Situationen, in denen nominelle Zentrumsspieler – gerade jene im Bereich des ballfernen Halbraums – nicht effektiv eingebunden werden konnten. Theoretisch hatte die Hertha in der Raute vier Leute in der Mitte, die dort eine gute Präsenz versprachen. Doch letztlich waren diese zu oft nicht anspielbar.

In dieser Szene hat Hertha das Zentrum zwar grundsätzlich präsent besetzt, viele Akteure sind aber nicht anspielbar. Die seitliche ballferne Startposition von Tousart müsste zumindest nicht in dieser Form ausgeprägt sein, da bereits eine doppelte Breitenbesetzung vorhanden ist und bei einer Verlagerung gegebenenfalls auch der Innenverteidiger aufrücken könnte.

Eine Rolle spielten dafür Unzulänglichkeiten in den individuellen Verhaltensmustern: Gelegentlich wurden offene Passwege auf Mitspieler, die sich in einen Zwischenraum geschlichen und so aus dem gegnerischen Deckungsschatten heraus geschoben hatten, schlichtweg ignoriert. In anderen Situationen unterblieb genau eine solche Reaktion des sich hinter einem Gegner befindlichen und somit zugestellten Herthaners, wenn es nur eines kleinen Schrittes bedurft hätte, um sich zu lösen, und der Vorlauf der Szene dafür genug Zeit ließ. Über die Mittelfeldspieler hinaus passierte dies mitunter auch auf anderen Positionen.

Schließlich verpasste es mehrmals entweder der Passgeber, vor einem Zuspiel zunächst den vor ihm liegenden Raum selbst anzudribbeln, oder der Passempfänger, mit dem ersten Kontakt eine ausreichend klare Auftaktbewegung auszuführen, die einzelne Gegner hätte provozieren und Dynamik entfachen können. In der Folge fand der Gastgeber über weite Strecken fast keinerlei Anschlussaktionen bei Pässen in den Zwischenlinienraum. Ganz allgemein litt das Spiel der Hertha daran, dass in den einzelnen Situationen nur jeweils zwei oder vielleicht mal drei Akteure klar beteiligt waren. Diese Zweier- oder Dreier-Gruppen blieben weitgehend auf sich alleine gestellt, so wie im nächsten Moment wiederum die nächste Gruppe würde für sich agieren müssen – ohne übergreifende weitere Unterstützung.

Nach einer Verlagerung ist Boyata mal aufgerückt, so dass Hertha Höhe gewinnt. Anschließend wird der Ball zurück auf Tousart gespielt. Dieser könnte die ersten Meter vor sich kurz andribbeln, um nicht zuletzt Kruse und/oder Awoniyi vor eine Entscheidung zu stellen. Stattdessen versucht er aber schnellstmöglich die Verlagerung auf Plattenhardt zu spielen – zu frühzeitig und durch die überhastete Ausführung zudem unsauber. Der Raum vor ihm bleibt ungenutzt. Daneben läuft es auf anderen Positionen auch nicht optimal: Stark ist hinter Ingvartsen verschwunden, die Staffelung zwischen den zwei Breitengebern rechts und dem aufgerückten Boyata aus der vorigen Situation heraus gestaltet sich nicht ideal.

Jenseits des Mittelfeldbereichs zeigte sich die Offensivabteilung zwar sehr beweglich. Aber die verschiedensten Laufwege ergänzten sich selten. Auf die erste Bewegung eines bestimmten Spielers lieferte eine zweite Bewegung durch dessen Kollegen nur selten eine passende Ergänzung dazu, sondern hätte eher als eine weitere „erste“ Bewegung gelten können. Vom Grundsatz waren solche Laufwege zwar sinnvolle Ideen, dies aber nur bedingt für den Kontext der momentanen Dynamik, zu der sie kaum in Bezug standen. Zumindest gab es manche Ansätze: Dementsprechend gehörte dieses Thema zunächst nicht zu den schwerwiegendsten Problemen aus Sicht der Hertha, es blieb aber über die gesamte Partie eines der konstantesten.

Viele Übergänge, aber kaum Anschlussoptionen

Der zentrale Knackpunkt betraf zuvorderst die Anschlussaktionen. Schließlich konnte man den Mannen von Labbadia keineswegs vorwerfen, sie würden nicht versuchen, aus den Halbräumen Bälle in offene Räume in der Mitte zu tragen. Erstens besetzten sie diese Bereiche recht flexibel. Zweitens unternahmen sie regelmäßig Versuche, diese anzuspielen. Beispielsweise initiierte Guendouzi zahlreiche diagonale Pässe. Welche Qualitäten er als Passgeber einbringen kann, deutete sich nicht zuletzt später bei allen Herthaner Toren in der Entstehung an. In seinem Fall ergaben sich die Schwierigkeiten jedoch eher aus der Positionsfindung und dem Timing.

Es gelang dem Gastgeber also grundsätzlich, meist nach weiträumigen Vorbereitungen, Übergänge ins letzte Drittel herzustellen. Aber in den meisten Fällen ließ sich mit diesen Aktionen kaum etwas anfangen – darin bestand letztlich die Konsequenz in Folge der verschiedenen Problempunkte. Ohne direkte Anschlussoption, die aus den umliegenden Bereichen nicht klar und aktiv genug hergestellt wurden, musste ein Passempfänger mit dem Rücken zum Tor den Ball erst einmal im 1gegen1 gegen einen situativ mannorientierten Union-Spieler sichern. Oft bedeutete das auch, ein Stück nach außen abzudrehen.

In den meisten Fällen war nun der vormalige Passgeber – beispielsweise ein herausgekippter Mittelfeldakteur – wiederum die nächst gelegene Anspielstation. Weil diese Konstellationen jedoch gegen aus Mannorientierungen startende Gegner sehr unangenehm sind, wirkte der Auftritt der Hertha so besonders schwerfällig – über viele kleine eigentliche „Allerweltsszenen“ hinweg. Wollte der ursprüngliche Passgeber nicht einfach nur in seiner Position verbleiben und einen Rückpass erhalten, sondern sich neu freilaufen und dadurch die Szenerie zu beleben, drohte dieses Engagement die Lage sogar zu verschlimmern.

Denn solche Situationen waren oft – mangels der Dynamik ergänzender Akteure – festgefahren und wirksame Vorwärtsbewegungen dadurch sehr schwierig: Versuchte der ursprüngliche Passgeber beispielsweise diagonal nach vorne und nach innen zu gehen, quasi gegenläufig zu seinem Mitspieler zu rotieren, würde er leicht in den gegnerischen Deckungsschatten geraten. Der zweite Spieler Unions konnte in diesen Fällen einfach herausrücken und dadurch effektiv ein 2gegen1 am Ball herstellen.

Grundsätzlich eine Szene mit Potential: Guendouzi spielt auf Cunha, mit einer schnellen Folgeaktion könnten die zwei Mittelfeldkollegen im Zentrum eingesetzt werden. Zunächst einmal verhält sich Cunha individuell nicht optimal: Er hätte sich besser orientieren können und nimmt den Ball statt einer Drehung über die Schulter zunächst nach außen mit. Vermutlich fehlte allerdings auch die entsprechende Kommunikation von Guendouzi. Mit Ingvartsen im Rücken dreht Cunha ab und muss erst einmal den Ball sichern.
Im weiteren Verlauf ist die mögliche Einbindung Tousarts dadurch kaum ein Thema mehr. Cunha steht nun unter Druck, das Sichtfeld nach hinten hat sich nun endgültig zum Problem entwickelt. Die umliegenden Kollegen bleiben weitgehend passiv, halten ihre Positionen statt zu unterstützen und diese dafür anzupassen. Auch der Abstand zu den Innenverteidigern könnte geringer sein. Stark hat sich mittlerweile in den Deckungsschatten treiben lassen. Guendouzi versucht in diesem Kontext die Initiative zu übernehmen, hat jedoch kaum Möglichkeiten für effektive Aktionen. Während Cunha nach außen dribbelt, versucht er sich nach innen abzusetzen, in die kleine Lücke zwischen Prömel und Ingvartsen. Der entsprechende Passweg wäre jedoch nur für einen kurzen Moment nutzbar gewesen. Stattdessen ergibt sich für Prömel, die Möglichkeit, vor Guendouzi herauszurücken, Cunha zusätzlich zu attackieren und dadurch Guendouzi in einen neuen Deckungsschatten zu bringen. Der Halbspieler der Hertha ist letztlich also doch nicht mehr anspielbar und Union hat ein 2gegen1. Wollte Cunha den Ball zurückspielen, könnte er dies nicht mehr über die Sechs oder die Acht, sondern nur noch über die Innenverteidigung machen.

Währenddessen würde die Hertha obendrein eine der zuvor vorhandenen Rückpassstationen einbüßen. Solange kein dritter oder vierter Kollege ergänzten, ließ sich jenes Dilemma nicht aufbrechen. Die Alternative nach gescheiterten Übergängen bestand darin, den weiten Rückweg bis über die Innenverteidiger einzuschlagen. Diese hielten sich jedoch oft zurück und konnten daher keinen Raumgewinn vorbereiten. Zudem erfolgten die Übergänge in diese Rückzirkulation nicht dynamisch genug, mit unnötig hoher Kontaktanzahl vonseiten vieler Spieler. Bei Verlagerungen bewegte sich die Hertha meist von Station zu Station, ohne eine solche bei Möglichkeit zu überspielen. Erst in der Kabine scheint Labbadia unter anderem daran erinnert zu haben.

In dieser Szene hat Hertha eigentlich eine ordentliche Struktur. Stark beispielsweise (hier quasi nach einem Tausch in der Rolle Tousarts) hält sich klarer im Zwischenraum, wenn auch etwas unsauber. Nach Plattenhardts Pass auf den kurz kommenden Lukebakio verharren fast alle Spieler aber einfach in ihren Startpositionen, ohne ergänzende Bewegungen. Tousart beispielsweise könnte sich zwei bis drei Meter nach vorne bewegen, um einen verbesserten Passwinkel zu bieten. Letztlich spielt Lukebakio einfach auf Plattenhardt zurück. Beim Neuaufbau fehlen Andribbeln und Dynamik: Der Ball läuft von Station zu Station statt einzelne eigene Akteure zu überspielen.

Die zweite Halbzeit

Zum zweiten Durchgang steigerte sich die Hertha. Mit den Auswechslungen gingen strukturelle Veränderungen einher, die zu ersten Verbesserungen führten: Labbadia stellte auf ein 4-2-3-1 um und hatte damit effektiv einen „zusätzlichen“ Offensivspieler mehr auf dem Platz. Dafür fiel eine der beiden Halbspielerpositionen fort, so dass sich die übermäßigen Herauskippbewegungen aus dem Mittelfeld reduzierten. Man kann die Rechnung wiederum ganz einfach aufstellen: Es gab nun im Zentrum einen Spieler weniger, der sich womöglich aus demselben weit nach außen hinaus ziehen würde. Potentiell verschenkte Hertha also weniger Personal in Bereichen außerhalb der gegnerischen Formation.

Insgesamt genügte die Halbzeitpause nicht, damit anschließend sämtliche Probleme behoben waren: Viele Schwierigkeiten der Hertha aus der ersten Halbzeit setzten sich auch nach dem Seitenwechsel fort. Es kam weiterhin zu einigen Momenten, in denen nun die zwei verbliebenen zentralen Mittelfeldspieler zu weit auseinander drifteten und so die Verbindungen im Zentrum verloren. Zudem mühten sich die Blau-Weißen nach Pässen auf einen zurückfallenden Offensivspieler in einen Verbindungsraum, dort dynamische Anschlussoptionen herzustellen. Zumindest fanden diese Akteure aber gezieltere Positionen, um Bälle zu fordern. Wenn sich beispielsweise der eingewechselte Dilrosun situativ kurz anbot, suchte er sich oft eine Schnittstelle zwischen zwei Gegenspielern.

Auch die Sechser verhielten sich in der zweiten Halbzeit etwas klarer, boten sich vermehrt – wenn auch nicht konstant – in solchen Zwischenpositionen an. Sie richteten sich stärker an der gegnerischen Struktur aus, wie sie es zuvor nur sporadisch gemacht hatten – und zum Ende der ersten Halbzeit im Zuge überengagierter Läufe immer seltener. Wenn die Offensivakteure sich gezielter in jenen Zwischenlücken anboten, hatten sie bessere Chancen, nach der eigenen Rückwärtsbewegung aufdrehen zu können. Grundsätzlich entwickelte Hertha eine klarere Struktur, auch wenn manche übereifrigen und unruhigen Freilaufbewegungen diese immer noch aufrissen.

Die wichtigste Verbesserung bestand jedoch in einer anderen Form von Bewegung aus Ordnung heraus: Andribbeln. In der ersten Halbzeit hatten Boyata und Torunarigha die Bälle selbst dann häufig bei den herauskippenden Mittelfeldspielern abgeliefert, wenn sie selbst Raum vor sich gehabt hätten. Jenes Herauskippen sorgte mit hohem Aufwand effektiv nur für die Besetzung einer Zone, die die Innenverteidiger selbst – und teilweise sogar schneller – hätten anvisieren können. In der Pause scheint Labbadia eindringlich darauf hingewiesen zu haben, das Andribbeln nicht zu vergessen, sondern zu nutzen.

Das konnte entweder als Alternative zum Herauskippen geschehen oder in Kombination als Ergänzung. Wenn ein Sechser Gegenspieler im Zentrum band und neben Unions 5-3-1 Raum blieb, bot sich ein diagonales Dribbling an dieser Struktur „vorbei“ an. Kippte der Mittelfeldakteur frühzeitig heraus und zwang Union zum Verschieben, hielten die Innenverteidiger nun enger den Anschluss. Im Idealfall konnten sie nach einem Anspiel sogar mögliche Lücken innerhalb der gegnerischen Mittelfeldreihe belaufen. Ansonsten waren die Wege für anschließende Verlagerungen kürzer. Unabhängig von der genauen Umsetzung: Wichtig war, dass Boyata und Torunarigha nicht mehr systematisch in der hintersten Linie verharrten, sondern in verschiedenen Situationen durch Aufrücken einen zusätzlichen Mann in die nächsthöhere Ebene bringen konnten.

Fazit

Insgesamt kam Hertha zu einem besseren Vorwärtsspiel und einer strafferen Ballzirkulation. Auf dieser Grundlage geriet der tiefstehende Stadtrivale ganz automatisch stärker unter Druck als es unter den Voraussetzungen der ersten Halbzeit passiert wäre. Angesichts der bedingt zielstrebigen Bewegungsmuster im Angriffsdrittel hätte das nicht notwendig reichen müssen, um das Spiel zu drehen. Sicherlich profitierte Hertha davon, dass das Ausgleichstor – im Wesentlichen auf einer Einzelaktion gründend – so früh fiel.

Beim wegweisenden 2:1 half der Zufall mit, wird mancher Beobachter weiterhin einschränken. (Sowohl beim zweiten als auch beim dritten Treffer unterstrichen die Vorlagen Dilrosuns den Wert des Verzögerns im 1gegen1 und von Passmustern quer nach innen.) Aber andererseits fiel der Heimsieg der Blau-Weißen eben nicht vom Laster: Ohne sämtliche Probleme einer schwachen ersten Halbzeit hinter sich lassen zu können, gelangen Labbadia wesentliche und konkrete Verbesserungen, die unabhängig der Vorgeschichte anzuerkennen sind. Sie machten sich deutlich bemerkbar und indirekt belohnte sich Hertha für diese Reaktionen – so zwingend notwendig sie auch waren.

AG 5. Dezember 2020 um 18:11

Und ich dachte, die Hertha hätte ein schlechtes Zusammen- und Stellungsspiel in der zweiten Hälfte, die ich gesehen habe 😉 Jede Menge Ballbesitz ohne Gefahr, und ich erinnere mich an eine Aktion, wo der Ball um den Mittelkreis nach außen kommt, nur dass beide Mitspieler in der Nähe einen Lauf in die Tiefe starten, um die Gegenspieler wegzuziehen… Nur gab es dann eben keine Passoption mehr nach vorne, und stattdessen ging es wieder hintenrum.

Und ich würde schon sagen, dass Herthas Sieg *insgesamt* glücklich war, mit einem xG von 0.7 zu 0.4 bei langer Überzahl. Wirst aber schon Recht haben, dass auch für das Glück die Anpassungen Voraussetzung waren.

Antworten

Hinterlasse eine Antwort

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*