Türchen 8: Antonio Candreva

Es gehört zu den Wendungen der Saison: Da spielt der fast schon aussortierte Antonio Candreva mittlerweile tatsächlich als Flügelverteidiger und erlebt einen ungeahnten „zweiten Frühling“ bei Inter.

Insgesamt erlebt Inter, nach mittlerweile schon einigen dürftigen Jahren, derzeit eine sehr gelungene Hinrunde. Bisher hat Antonio Conte bei den Nerazzurri aus Mailand einen erfolgreichen Einstand hingelegt. Der neue Coach verabreichte dem Team eine klare Spielweise und implementierte vor allem einige spezifische Charakteristika innerhalb seiner Dreierkettenformationen. Mit dem Ball gehören bestimmte Musterabläufe zu den typischen Elementen, etwa wiederkehrende scharfe, attackierende Diagonalpässe des Sechsers nach kurzen Querpässen des rechten Flügelverteidigers. Individualtaktisch scheint Conte akribisch an der Positionsfindung und den Bewegungen in der Defensivarbeit gefeilt zu haben.

Candrevas Einsätze und Entwicklung unter Conte

Eine bereits im ersten halben Jahr sehr gute Umsetzung der taktischen Abläufe macht Inter in der laufenden Spielzeit stark. Wenn Conte gelegentlich mal von seiner Grundordnung mit zwei Angreifern abweicht und dafür auf ein 5-4-1 umstellt, zeigt sich auch darin eine gute Ausführung einiger spezifischer Schlüsselpunkte – so vor allem die engen Staffelungen der nominellen Außenspieler der vorderen Viererreihe, wie sie bei Contes Chelsea ein entscheidender Faktor damals in der Standardformation gewesen waren. Eine solche Umstellung gab es unter anderem im September beim Stadtduell gegen Milan im Verlauf der zweiten Halbzeit.

Beispielhaft für die konsequente Schulung der Spieler und entsprechende Verbesserungseffekte in der Umsetzung stand die Einwechslung von Antonio Candreva, der die rechte Offensivposition einnahm. In weiten Teilen seiner Zeit in der Serie A zwar als robuster, aber in der Defensivarbeit nicht gerade geschickter Flügel bekannt, verteidigte er in jener Begegnung mit einer anderen Klasse, als man es zuvor normalerweise von ihm gesehen hatte: Man konnte sich beinahe ein wenig darüber wundern, wie stabil er seine Positionsfindung gestaltete und wie oft er eine geschickte Körperdrehung bei kurzen Anlaufbewegungen mit Deckungsschattennutzung fand. Beides basierte besonders auf einem wesentlich aktiveren Umblickverhalten, das der Flügelspieler klar verbessern konnte.

Seither haben sich die Einsatzzeiten Candrevas nur noch weiter erhöht – und das auch bzw. gerade in den gegenüber der 5-4-1-Variante weiterhin bevorzugten Formationen mit zwei Angreifern, entweder als 5-2-1-2 oder als 5-3-2. In beiden Fällen agiert Inter ohne offensive Außenspieler: Candreva bekleidet dann die Position des Flügelverteidigers. Wenn auch der italienische Nationalspieler zuvor weniger als besonders starker Pressingspieler aufgefallen wäre und in der Rückzugsbewegung zumeist nicht mehr als solide agierte, stellt diese anfänglich seltene, mittlerweile über mehrere Wochen fast schon etablierte Maßnahme in gewisser Hinsicht eine naheliegende Überlegung dar.

Konkrete Facetten: Bewegungsspiel, Defensivverhalten, Passspiel

Mit seiner ausdauernden Spielweise, auch bei kürzeren Intensitätsintervallen, kann Candreva generell sehr viel Raum überbrücken – grundsätzlich genau passend für eine Spielweise mit nur einfacher Flügelbesetzung, in der ein jeweiliger Außenspieler weite Wege zurücklegen muss. Auch in konkreten Einzelsituationen, beispielsweise nach Verlagerungen oder dem Auflösen von umkämpften Szenen bei losen Bällen, schlägt sich dieser Stil in schnellen Anschlussläufen und attackierenden Übergängen in balltreibende Dribblings nieder, die oftmals für ein direkt sehr weites Aufrücken sorgen. Insgesamt bringt Candreva sehr direkte Laufwege ein, deren mitunter fast lineare Prägung in diesen speziellen Konstellationen eine erhöhte Effizienz annehmen können.

Generell neigt der italienische Nationalspieler, wie aus seiner Zeit auf den offensiven Außenbahnen deutlich wurde, zu einem gewissen Übereifer und mitunter sogar zu unüberlegten Handlungen. Wenn er jedoch nicht als solch klarer nomineller Offensivakteur für die attackierenden Aktionen in Strafraumnähe verantwortlich zeichnen muss, verringert sich der zu ambitionierte Zug schnell. Trotz des Hangs zu auch schon mal eher plumpen Szenen: Gegen den Ball agiert Candreva insgesamt zuverlässig. Die typischen Defensivbewegungen im normalen Mittelfeldpressingablauf seines Teams setzt er solide um. Vor allem die enorme Grundsauberkeit in der Positionsfindung tritt zurzeit besonders hervor. Das gilt auch für das ballferne Nachschieben, das zwar nicht immer ganz so kompakt erfolgt, aber eben recht sauber gestaffelt – und zumal recht achtsam auf seine unmittelbare Umgebung von ihm ausgeführt wird.

Mit dem Ball schließlich kommt die Aufstellung als Flügelläufer Candreva insofern entgegen, dass er als Breitengeber in einer Dreierkettenformation im Passspiel sehr weiträumig agieren kann – letztlich sogar zu seinem Pendant auf der anderen Seite hin, zumal in einem Conte-Team mit vielen Direktpassabläufen. Nach Pässen vom Halbverteidiger nimmt er das Leder oft mit dem ersten Kontakt kurz diagonal nach hinten an und schlägt dann mit dem nominell schwachen linken Fuß eine extrem weiträumige Verlagerung auf den anderen Flügelspieler links – manchmal auch wiederum sehr ambitioniert. Nicht zuletzt in diesen Szenen zeigt sich besonders, welch vielseitige Passtechnik der mitunter brachial wirkende Candreva eigentlich hat.

tobit 9. Dezember 2019 um 14:07

Candreva hatte ich irgendwie seit Jahren als potentiellen Flügelverteidiger im Kopf. Genau wegen seiner eher weiträumig unsauberen Anlage. Interessant, dass das jetzt tatsächlich Mal umgesetzt wird.

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studdi 9. Dezember 2019 um 14:37

Hat Conte Ihn das in der Nationalelf nicht auch spielen lassen?

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tobit 9. Dezember 2019 um 16:08

Kann gut sein. Würde auf jeden Fall Sinn ergeben.

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August Bebel 12. Dezember 2019 um 13:25

Das gab es bei der EM 2016 in den ersten beiden Spielen Italiens gegen Belgien und Schweden. Ich finde eigentlich, dass das naheliegend und längst überfällig war. Bei der EM 2016 gab es auch schon ambitionierte Diagonalbälle (damals aber auch häufig auf die Stürmer, vor allem auf Pelle) der Flügelverteidiger, oft als hohes Pressing auflösende Direktpässe, was umso mehr möglich war, weil links fast immer Rechtsfüße gespielt haben.

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