Dynamikmangel geht in Torflut über
Das Europa-League-Finale kommt lange nicht über zwei typische, wiederkehrende Konstellationen hinaus. Auftaktaktionen gegen mehr Herausrücken und einige gute kleine Anpassungen bringen später Chelseas wegweisenden Zwischenspurt zum Titel.
Chelsea und Arsenal trafen im Europa-League-Finale zum Londoner Stadtduell aufeinander. Für die beiden Trainer Maurizio Sarri auf der einen und Unai Emery auf der anderen Seite endete die jeweils erste Saison in der englischen Hauptstadt mit einem europäischen Endspiel.
Chelsea wird links weg gedrängt
Insgesamt erlahmte die Partie über weite Strecken in zwei wenig Dynamik erzeugenden Mustern, jeweils bei Aufbauspiel der einen und Pressingsituationen der anderen Mannschaft. Hatte etwa Chelsea den Ball, ergab sich eine klare Anordnung seitens der „Gunners“: Die zwei Stürmer stellten die Innenverteidiger zu, im Mittelfeld verteidigten Zehner und die Sechser mit Mannorientierungen, die Flügelläufer versuchten balancierte Positionen zu finden. Sie staffelten sich zunächst knapp vor Hazard bzw. Pedro und hielten sich so zumindest in Lauerstellung für den Weg nach vorne.
Bei Ballvortrag über eine Seite zogen sie sich wieder zurück und der jeweils ballnahe Akteur verteidigte im Folgenden gegen den gegnerischen Außenspieler, zumal das Leder ohnehin oft schnell vom Außenverteidiger zum Achter gespielt wurde. Gerade über die linke Seite griff Chelsea bevorzugt an: Dort kippte häufig Kovacic etwas breiter heraus und Torreira schob dagegen weiträumig nach. Während Maitland-Niles gegen Hazard verteidigte, konnte dahinter Sokratis ebenfalls großräumig gegen etwaige Unterstützungsbewegungen von Giroud folgen.
Zumal Chelsea darüber hinaus eher wenig Offensivpräsenz nach vorne brachte, war es für jene Spielergruppe schwierig sich zu lösen und hatte Arsenal in dieser Konstellation noch ausreichend Absicherung. Trotz der quasi auf allen Positionen vorhandenen Mannorientierungen blieben die „Gunners“ über die Fünferkette letztlich doch in Überzahl. Damit hing sehr viel an individuellen Einleitungen durch Hazard. Kovacic hatte wenig Möglichkeiten, wenn er durch das frühe Herausrücken aus dem Mittelfeld schon in Ausgangssituationen abgedrängt wurde. Im Verlauf der ersten Halbzeit konnte Chelsea die festgefahrene Konstellation etwas aufbrechen, indem Jorginho sich einige Male diagonal vor Kovacic freilief.
Ansonsten hielt sich gerade Kanté in seinem Halbraum sehr tief, konnte nun aber tatsächlich tiefer als der Sechser absichern. Hinsichtlich des Aufrückverhaltens vermochte Chelsea ebenfalls die eigene Präsenz leicht zu erhöhen: In den Momenten, in denen sie sich mal über Einzelaktionen oder ambitionierte Verlagerungen ins Angriffsdrittel gelöst hatten, schoben für Folgeaktionen einfach mehr Spieler nach. Das betraf gerade die Außenverteidiger stärker in den Halbräumen, bei Umschaltszenen auch vereinzelt Jorginho als Ergänzung. So entfachten sie zum Pausentee hin erstmals etwas mehr Dynamik.
Primäre Vorwärtswege über Aubameyangs Ausweichen
Bei Ballbesitz Arsenals ergab sich ebenfalls eine wiederkehrende Struktur. In ihren Wechselwirkungen sorgten die beiden Formationen schon für viele klare Zuteilungen. Kam einer der Flügelläufer an den Ball, rückte schließlich der dortige Außenverteidiger ins Pressing heraus, wiederum meistens auf Arsenals rechter Bahn. Im Mittelfeld hielt sich Özil zunächst sehr hoch und teilweise fast direkt an der letzten Linie, pendelte eher in Anschlussmomenten höher unterstützend zu den Seiten. Später ließ er sich zunehmend tiefer fallen, doch gingen diese Bewegungen nur bedingt mit Anpassungen der beiden Sechser einher und endeten daher mehrfach in verbreiterten, flachen Staffelungen.
Am ehesten konnte sich der Zehner in dieser Phase präsenter einbringen, indem er sich seitlich neben Jorginho und oft sogar noch breiter als die gegnerischen Achter freilief. Dann hatte er die Möglichkeit, das Leder im äußeren Halbraumkanal nach vorne zu treiben, Chelseas funktionale Rückzugsbewegung schnitt die diagonalen Anschlussverbindungen aber zuverlässig ab. Insgesamt bestand das häufigste Muster für die Aufbaufortsetzung vom Flügel darin, dass Maitland-Niles mit vertikalen Pässen den ausweichenden Aubameyang suchte.
Bei Erfolg des Zuspiels kam dieser somit einige Male in Dribblings gegen David Luiz. Dadurch wurde der Innenverteidiger dann herausgezogen und gelegentlich ergaben sich für Arsenals Angreifer dementsprechend Hereingabemöglichkeiten hin zur Grundlinie. Wenn das Leder nach Abprallern oder durch vereinzelte Rückzirkulation mal etwas länger im Offensivdrittel festgemacht werden konnte, bildeten Verlagerungen auf die Flügelläufer das wichtigste Mittel für die Mannschaft von Unai Emery.
In diesem Zusammenhang hatte ihre Dreierkettenausrichtung den Vorteil, die Breite sehr offensiv besetzen zu können, insbesondere eben gegen die normalen Verschiebemomente von Chelseas Außenverteidigern. Auf links kam das häufiger zum Tragen, durch Azpilicuetas gute Restverteidigung führte es aber zu keinen entscheidenden Gefahrenmomenten. Im Grunde genommen blieb bei allen Annäherungen die Sachlage so, dass Arsenal bzw. prinzipiell beide Teams viel um die gegnerische Defensive herumspielten und oft nur aus dem Rückraum des Blocks zum Abschluss kamen, aber kaum mal diesen wirklich bespielen oder knacken konnten.
Nach der Pause: Chelsea macht sich auf den Weg
In der Gesamtsituation profitierte Chelsea davon, so zügig nach dem Seitenwechsel – durch eine Aktion aus einer Halbfeldflanke – in Führung zu gehen. Gerade aus strategischer Perspektive half ihnen diese Veränderung, die die Partie überhaupt stärker zu öffnen begann. Arsenal wurde im Aufrückverhalten langsam, aber sicher offensiver: Das galt sowohl für die Angriffsmomente der „Gunners“ – als mögliche Ausgangspunkte für Konter – als auch für deren Pressingausrichtung, in dieser Hinsicht sogar noch mehr.
Auch wenn Chelsea den Ball hatte, rückte der Stadtrivale weiter heraus, und auch in potentiell offenen, nicht ganz eindeutigen Situationen versuchten die Mannen von Emery in ihren jeweiligen Mannorientierungen etwas häufiger auf den Zugriff zu gehen, wo sie zuvor die Zurückhaltung bevorzugt und damit eher den „konfrontationsfreien“ Patt gewählt hatten. Bei den weiträumigen Herausrückbewegungen im zentralen Mittelfeld oder gegen Hazard und Pedro hatten sie so aber weniger Absicherung, zumal nach der späteren Umstellung auf 4-3-3. Dass ihre Gegenspieler so mehr „anboten“, sollten jene Akteure Chelseas mit ihren hervorragenden, besonderen Dribblingfähigkeiten letztlich ausnutzen.
Vor allem Hazard und Kovacic hatten nicht nur im Umschalten mehr Raum, sie konnten auch aus dem Ballbesitz attackierender einleitende Bewegungen suchen und trafen nicht auf primär verzögernde, passive Defensivakteure. In einer kurzen Phase der zweiten Halbzeit nahm Chelsea entscheidend Tempo auf und entschied die Partie – unterstützt von sehr konsequenter Chancenauswertung – über einige Umschalt- und Schnellangriffe. Während der erhöhten Gesamtdynamik setzte sich die Mannschaft durch, die insgesamt schon das stabilere und ballsicherere Team, auch mit mehr Selbstverständlichkeit darin, (gewesen war).
Zu der veränderten strategischen Umgebung trat als wegweisender Faktor für den Auftritt der der Mannen von Maurizio Sarri in Halbzeit zwei noch eine kleine weitere gelungene Anpassung: Bei den Angriffen über die bevorzugte linke Seite bewegte sich häufiger Pedro für zusätzliche Überladungen mit in jenen Halbraum hinüber. Wenn dies direkt auch nicht zu den Toren beitrug, war es doch zumindest an fast allen weiteren – nicht exorbitant vielen – Chancen beteiligt, die sich Chelsea aus jener Zone teilweise sehenswert herausspielte. Letztlich war der Sieg in diesem Finale für die „Blues“ verdient.
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