Ein wahres Spitzenspiel

1:0

Barca und Atlético präsentieren hochklassigen Fußball und weisen bei aller Gegensätzlichkeit auch einige Parallelen zueinander sowie zum Hinspiel auf. Zwar passten die Gewichte in den Offensivzonen nicht immer, aber beide Teams waren spielstark und fanden gute Lösungen.

Plötzlich war aus der reizvollen Paarung zweier der stärksten Mannschaften der letzten Jahre sogar ein Schlüsselspiel um die Meisterschaft geworden: Schien Barcelonas Vorsprung zwischenzeitlich fast uneinholbar, konnte das Team von Diego Simeone in den vergangenen Wochen reichlich Boden gut machen und hatte sich nun Anfang März auf fünf Punkte an die Katalanen heran geschlichen. Es gab also die Chance, das Rennen um den spanischen Titel nochmals voll zu entfachen. Dieser Ausgangslage als großes Spitzenspiel sollte die Partie insgesamt gerecht werden – auf hohem Niveau geführt, ein intensiver Schlagabtausch insbesondere in der Anfangsphase, mit nicht so leichten Herausforderungen und einigen kompakten Duellen um Kontrolle und Zugriffshoheit in Einzelszenen und längeren Abläufen. Insbesondere starke Gegenpressingmomente schränkten den jeweiligen Gegner immer wieder entscheidend ein, das Stabilitätslevel lag beiderseits ziemlich hoch.

Herausrückende Sechser und dynamische Übergänge

Auffallend war, dass beide Mannschaften mit sehr weiträumigen Herausrückbewegungen eines tiefen Sechsers auch im Pressing arbeiteten. Bei Barcelona war dies häufig Busquets, der aus den mal 4-4-2-haften, mal 4-3-3-haften und mal gemischten Defensivstaffelungen einige Male die Aktivitäten gegen den Ball herausschiebend anleitete, wofür Rakitic und Iniesta hinter ihm etwas „einkippten“. Im Falle Atléticos nahm für gewöhnlich Gabi solche Aufgaben wahr, insgesamt sogar noch aggressiver und auch extremer. Der Routinier stellte beispielsweise im Angriffspressing der ersten Minuten (und zwischendurch punktuell) hinter den beiden Stürmern Busquets hoch zu, wofür sich der jeweils ballferne Außenstürmer – häufiger der rechte – diagonal stärker fallen ließ als normal und eher den Sechserraum mit auffüllte. Auch in tieferen Ausgangskonstellationen rückte Gabi später weit heraus, um Druck zu machen, und ließ sich ebenfalls von den enger gestaffelten Kollegen absichern.

Nicht zuletzt aus diesen Strukturen speiste sich die Ähnlichkeit der Angriffsübergänge zwischen beiden Teams. Das ging natürlich von gänzlich unterschiedlichen Grundlagen aus, denn Atléticos Spiel sah weniger Zirkulation vor, Barca dagegen baute deutlich ruhiger auf und hatte viel mehr Ballbesitz. Aber von der jeweiligen Basis aus erfolgte der Weg in die Offensivzonen in der Folge häufig recht zügig. Gegen die enger verteidigenden Mittelfeldkombinationen boten sich für beide Seiten die Außenverteidiger an, Atlético etwa nutzte das mit Filipe Luís – etwas spielmachender – sowie Vrsaljko – etwas attackierender und höher. Letzterer sollte offenbar einen möglichen Zielraum für lange Bälle und Abpraller besetzen, was bei Barca aber das weite Herüberschieben von Busquets teilweise bis zur Außenlinie gut konterte und dadurch letztlich in seiner Bedeutung einschränkte.

Flügelüberladungen der Gäste kommen nicht durch

Generell versuchten die Gäste über diese seitlichen Routen schnell ihre Stürmer einzubinden, die hinter dem engen Mittelfeld weiträumiger verteidigt werden mussten – und das hieß häufig: durch aggressives mannorientiertes Herausrücken. Letztlich fokussierte Atlético vor allem die linke Seite stark, was allerdings Saúls Einbindung verringerte. In die teils massiven Flügelüberladungen schoben Griezmann und Diego Costa sehr weit hinüber, hinter dem kompakten Mittelfeld verteidigte Barca das aus der Abwehr heraus entsprechend großräumig. Mit Zurückfallbewegungen der Angreifer versuchte wiederum der Gast aus Madrid, die Horizontale innerhalb der letzten Linie noch mehr aufzureißen und Raum für schnelle Abläufe zu provozieren. Einige Male waren sie sehr nah an ganz gefährlichen Durchbrüchen, am Ende ließen die Katalanen in Halbzeit eins aber dennoch nur einen Abschluss zu.

Beim Timing musste dann alles schon sehr gut zusammenpassen und das war nicht so genau der Fall, dass es die Physis von Barcas Restverteidigung geknackt hätte. Von der Position her hätte vor allem Koke entscheidende Läufe liefern müssen bzw. können, den man sich dafür aber nicht unbedingt als den prädestinierten Akteur vorstellt. Generell hatten es die nominellen, häufig in die Halbräume einrückenden Außenspieler der „Rojiblancos“ schwer, zum Zuge zu kommen, da Barca vor der Abwehr immer noch recht einfach mindestens eine Dreierreihe aus Rakitic, Busquets und Iniesta an Präsenz in diesen Zonen entgegensetzen konnte. Wenn Atlético dann ins letzte Drittel vorgerückt war, hatten sie dies meist über die Außenverteidiger geschafft: In diesen Konstellationen erwiesen sich die Positionierungen der Offensivkräfte mitunter zu eingerückt (und teilweise auch hoch), da sie Vrsaljko bzw. Filipe Luís nicht immer schnell genug wieder Anschlussoptionen anbieten konnten.

Konterstrategie und Defensivkoordination bei Atlético

Die Spielweise der Atlético-Angreifer aus dem Ballbesitz ähnelte der im Umschaltmoment: Dort wurden sie ebenfalls frühzeitig in hohen Positionen eingebunden. Die Gäste schienen auf die Bewegungen des Sturmduos und direkte, vertikale Auslösungen zu setzen, ließen dafür zumindest Diego Costa aus dem 4-4-2/4-4-1-1-Pressing auch schon mal vergleichsweise aufgerückt zocken – in Erwartung, dass Konterverbindungen durch das Mittelfeld hindurch gegen Barcelonas Tiefenpräsenz schwierig werden würden. Vor der zweiten gegnerischen Linie hatten die Gastgeber also schon etwas Freiraum und dadurch eine gewisse Kontrolle, nicht zuletzt Rakitic fiel häufig zurück und genehmigte sich in der Ballverteilung reichlich Präsenz. Besonders bei stärkerem Einrücken Messis bis ins Zentrum oder höheren Positionierungen Busquets´ zeigte sich das Herausschieben Gabis aus der Formation besonders deutlich, um diese Akteure frühzeitig unter Druck zu setzen.

Die katalanische Präsenz um die Defensivformation herum schien Atlético mit einer klaren Rollenverteilung kontern zu wollen, in der sich ein spezifischer Akteur jeweils massiv zum (zentralen) Ball bewegte, um so die Schwierigkeit einer vernünftigen, einheitlichen Koordination für den Druckaufbau zu umgehen. Anfangs passte die kollektive Aufmerksamkeit und Intensität bei den Umformungen noch nicht ganz, einige Male konnte Barcelona daher den Ball neben den eingerückten Flügel schoben und so beispielsweise Iniesta Dribblingmöglichkeiten aus dem Halbraum schaffen. Aufgrund Barcas Stil entwickelte sich letztlich die Situation, dass es die Katalanen viel mit kleinen, lockenden Tiefenüberladungen von zwei oder vielleicht drei Akteuren versuchten und die Gäste auf die Schnittstelle Pässe hinter den höher geschobenen Sechser aufpassen mussten.

Zügige Diagonalangriffsrouten hinter den Außenverteidiger aus der Tiefenpräsenz

Wenn es gelang, war Atlético in der weiteren defensiven Reaktion aber insgesamt stark genug, das entstehende Potential noch zu entschleunigen. Beim Team von Ernesto Valverde war abermals die Präsenz abermals so verteilt, dass sie viel davon zum Umstellen der gegnerischen Formation hatten und daraus punktuell jene Überladungen bildeten, aber dann vielleicht nur zwei Akteure in den Offensivzonen. Zum Raumgewinn boten sich auch für die Hausherren Verlagerungen auf die Außenverteidiger an. In vielen Fällen musste Atlético dagegen mit ihren eigenen äußeren Defensivspielern herausrücken. Barcelona wiederum antwortete sehr konsequent mit diagonalem Freilaufverhalten in die nach hinten entstehende Schnittstelle. Insbesondere rechts in der Kombination von Sergi Roberto und Coutinho gab es das häufig, aber auch links durch Suárez, später dann auch mit Coutinho auf jener Seite, nachdem dieser aus Verletzungsgründen die Iniesta-Rolle in etwas offensiver übernahm.

So entstanden auch bei Barca schnelle Angriffsübergänge: Solche Szenen nach Steilpässen hinter die gegnerischen Außenverteidiger mussten sie sehr direkt zu Ende bringen. Es gab dann in der Tiefe wenig Optionen, da viele Spieler noch hinter dem Ball waren und überhaupt bei Flügelangriffen die zentralen und ballfernenen Spieler in ihrer horizontalen Betätigung sehr zurückhaltend blieben. Selbst Messi klinkte sich teilweise im ballfernen Halbraum ein Stück weit aus. So nahmen mit der Zeit zügige Diagonalangriffe außen mit anschließenden Hereingabe(versuche)n zu, obwohl manchmal der Strafraum kaum besetzt war gegen Atléticos massive Endverteidigung. Generell gingen von Barca viele Unterzahlangriffe, auch kleinräumiger Art, aus, deren Präsenz für ein Kaliber wie Atlético aber nicht ganz ausreichten. Dafür waren sie eben fast immer gut abgesichert. Bei Atlético wiederum beeindruckte in der Verteidigung im Abwehrpressing die enorme, intensive Konsequenz im Doppeln und im Rückzug.

Dribblingpotential gegen Defensivvorsicht

Wenn sie in Ballbesitz – häufig natürlich nach kurzen Verlagerungen und öffnenden Pässen – gelangten, warteten die Außenverteidiger Barcelonas häufig überdurchschnittlich lange vor der Folgeaktion. Auch Atlético zeigte sich hier im Verschieben teilweise sehr abwartend, aus der grundlegenden Passivität punktuell sogar fast lasch wirkend. Strategisch war das allerdings nicht ungeschickt und – im Falle des aggressiv herausrückenden Sechsers dahinter auch – konsequent, gegen die katalanischen Ansätze von Tiefenüberladungen keinen Dynamiknachteil anzubieten. Eine oder zwei unvorsichtige Defensivbewegungen hätten eine komfortabel wirkende Überzahl ins Wanken bringen können. Andererseits hatte das aber einen Nebeneffekt: Individuelle Dribblings mit gut verzögernden Bewegungen waren potentiell enorm effektiv. In dieser Hinsicht hat natürlich Barcelona auch einiges zu bieten, nicht zuletzt boten sowohl Iniesta als auch Messi jeweils eine brillante Szene eines Unterzahldribblings.

Viel Engagement und häufig auch gutes Raumgespür zeigte zudem Jordi Alba, der in typisch attackierender, wendiger Art aus jener Konstellation mit schnellen Haken und Körpertäuschungen Kapital zu schlagen versuchte. Unangenehm für Atlético waren Szenen, wenn nicht sofort eine Folgeaktion von außen geschah, der ballnahe Sechser aus der 4-4-Staffelung in dieser Zwischenzeit noch weiter nachschob und so die horizontale Bindung innerhalb des defensiven Mittelfelds kurzzeitig offener wurde. Für Querlagen deutete sich einige Male eine Anfälligkeit an, zumal bei einem überraschenden Vorstoß eines Barca-Spielers aus der Mittelfeldpräsenz. Auch darüber hinaus leitete Jordi Alba einige aussichtsreiche Schnellangriffe in Kombination mit Iniesta und Suárez ein. Gleichzeitig illustrierte sein Beispiel aber sehr gut, dass nicht wenige dieser Unterzahlaktionen zu frühzeitig und hektisch eingeleitet wurden, so dass trotz guter Voraussetzungen nur wenig klare Torchancen für die Gastgeber heraussprangen.

Atléticos Anstrengungen reichen nicht

So deutlich das Übergewicht gegenüber Atlético bei den Abschlussversuchen statistisch stand, das entscheidende Siegtor erzielte Messi per direktem Freistoß. In der zweiten Halbzeit musste Atlético aufgrund des Rückstandes offensiver werden, versuchte auch einiges, nicht nur mit zwei ziemlich offensiven Wechseln nach etwa 60 und dann 65 Minuten. Diego Costa wich häufiger zur Seite aus, auch als ballferner Zielspieler, wofür abwechselnd Saúl und vor allem Koke noch weiter nach innen rückten. Letzterer ergänzte teilweise den rechten Halbraum, wo er einige Vertikalpässe für den ebenfalls offensiver werdenden Gabi ablegen konnte. Solche Muster erleichterten Atlético das Aufrücken in die hohen Zonen. Wenn es über den Flügel weiter nach vorne ging und Diego Costa noch ballfern positioniert war, kreuzte Griezmann häufig ballnah nach außen, was weitere Optionen generieren konnte.

Etwas mehr Risiko gingen die Madrilenen zudem bei verstärkten Tiefenpässen direkt hinter die Abwehr auf die Angreifer. Mit Correa für Vrsaljko (Thomas Partey als Rechtsverteidiger, Gabi zunächst in der herausrückenden Rolle bleibend, im Pressing fast „überrückend“) und Gameiro für Gabi besetzte Atlético schließlich das 4-2-2-2 deutlich offensiver. Barcelona wurde aber nie zu defensiv, sondern blieb immer gut im Spiel. Wenn die Gäste etwas aggressiver und höher auf die Außenverteidiger pressen wollten, reagierten die Katalanen etwa auf ihrer rechten Seite sehr gut: Rakitic zeigte in Halbzeit viele Ausweichläufe zum Flügel, konnte so Thomas Partey wegziehen und Sergi Roberto damit den horizontalen Dribbelraum hinter die erste gegnerische Linie öffnen – als effektive Druckauflösung und punktuell sogar Ausgangspunkt für eigene Schnellangriffe. Am Ende blieb Barca der verdiente Sieger gegen einen guten und in manchen Aspekten sehr starken Gegner.

Ala 8. März 2018 um 22:32

Könnt ihr das Mysterium auflösen, warum Gomes immer wieder spielt? Abgesehen davon, dass er vermutlich im Training viel besser ist, nehme ich jetzt mal an. Aber sonst?

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Cali 7. März 2018 um 17:41

Das soll ein starkes Spiel gewesen sein? Beide haben ziemlich gut verteidigt, ja, aber offensiv war das sehr wenig, speziell von Atletico.

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P_N_M_123 7. März 2018 um 20:41

Woran das wohl lag…

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TR 7. März 2018 um 22:41

Sehr wenig, ja, aber nicht unbedingt dann auch schlecht, würde ich sagen. Taktisch war das Niveau schon sehr gut und es hat sich in vielen Phasen darum gedreht, wie die Gesamtkontrolle verteilt war und wie aus diesen Konstellationen die Möglichkeit für Offensivmomente strukturiert wurden. Atlético hatte doch durchaus einige und auch keinesfalls undurchdachte (wenngleich nicht überragende, sondern schon in mancherlei Hinsicht unsaubere) Offensivmechanismen oder -ansätze, aber sie kamen selten in die Situation, diese zu nutzen. Vielleicht kann man hier noch etwas weiter ausholen, ich versuche mal einige allgemeine, eher taktiktheorie-„philosophische“ Gedanken von diesem Beispiel her auszuführen:

Es ist dann die Frage, ob bzw. wie stark man daraus eine Kritik ableitet. Ich würde das an dieser Stelle nur sehr bedingt tun und es auch nicht so negativ sehen, dass Atlético sich ausgehend vom hohen Grundniveau der Partie eben nicht mehr Möglichkeiten erringen konnte, ihr Potential offensiv einzubringen. Das würde ich folglich genau mit dem Argument machen, dass das Grundniveau so hoch war und Atlético einfach in vielen Aspekten weit über dem Durchschnitt gearbeitet hat. Trotzdem sind sie im Aufeinandertreffen mit einem hohen Gegner dann offensiv kaum in Erscheinung getreten.

Ich würde schon so weit gehen zu argumentieren, dass bei je höherem Grundniveau eine gewisse Ineffizienz in dem, was offensiv letztlich herausspringt, leichter zu „entschuldigen“ ist in einer „Bewertung“ eines Spiels, eben weil die Umstände und Voraussetzungen deutlich komplexer und schwieriger sind. Wäre diese Partie her deutlich offener, unkompakter und taktisch „simpler“ gewesen, dann könnte man aus meiner Sicht eine sich durch diesen veränderten Hintergrund veränderte, anders grundierte „Einschätzung“ eines Atlético-Offensivspiels, was sozusagen als Teilaspekt aber genau gleich bliebe wie in dem anderen Szenario, vertreten und hätte mehr „Berechtigung“ zum „Kritisieren“. Von der Verhältnismäßigkeit und immer auch von der begrifflichen Aufladung bzgl. „positiv/negativ“/“gut/schlecht“ (in seiner Relationalität und Orientierung an einem Maßpunkt oder Richtwert, den man für sich in eigenen Analysen nicht immer eindeutig bestimmt, sondern grob normativ setzt; natürlich kann man dann überhaupt fragen: „wie normativ muss oder darf man eigentlich analysieren?“, etc.) ist das eine schwierige und auch etwas unangenehme Frage, aber eigentlich doch sehr spannend und auch nicht unwichtig, so etwas mal anzudiskutieren.

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Peter Faber 6. März 2018 um 19:30

Was glaubt Ihr Herrschaften ? Warum schiesst Barca in den letzten etwa 5 – 6 Spielen weit wenige Tore als vorher (auch wenn Barca das weit bete Torverhältniss der Liga hat) ? Ist es wegen dem Valverde-System mit mehr Nachdruck auf Abwehrverhalten oder … ? Danke

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CHR4 6. März 2018 um 01:27

Vielen Dank! – hatte schon gehofft, dass ihr euch dieses Speil nicht entgehen lasst!

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