Stagnation in der (Zweiten) Bundesliga

2:2

Aufsteiger Kiel ist als Winterpausen-Zweiter die (vielleicht nicht ganz so überraschende) positive Überraschung dieser Zweitliga Saison, Union als Siebter mit eben so vielen Punkten Rückstand auf die Aufstiegsplätze eine der Enttäuschungen. Beim Aufeinandertreffen dieser Mannschaften am ersten Spieltag des Jahres zeigten beide Mannschaften, weshalb sie in ihrer jeweiligen Position sind, trennten sich aber in Wind und Nieselregen 2-2 Unentschieden.

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Die Aufstellungen mit Kiels 4141 und Unions Raute

Die wesentliche Qualität, mit der Kiel in der Hinrunde zunächst viele Spiele gewann und dann selten verlor, waren die schnellen Außen, die dank gut strukturierten Aufbauspiels und der Pässe von Dominick Drexler offensiv effektiv eingesetzt wurden und für hoch-intensives Pressing sorgten. Gegen tiefer stehende Gegner gelangen Kiel am Ende der Hinrunde weniger Tore und Siege, an der Ausrichtung der Mannschaft hat sich in Reaktion darauf aber nichts geändert.

Union mit Raute

Auf der Agenda der mit Union befassten Medien war in der kurzen Winterpause ein Formationswechsel vom unter Jens Keller meist praktizierten 433 hin zu einer 442-Raute eines der bestimmenden Themen. Mit dieser Änderung wollte der nicht-mehr-ganz-neue Trainer André Hofschneider, der vor den letzten beiden Spielen vor dem Jahreswechsel vom U19- zum Chef-Trainer befördert wurde, seinen Verlautbarungen zu Folge das Ballbesitzspiel stärken. Dass der Unterschied zwischen beiden Ordnungen in der Weise, in der Union sie umsetzt, gar nicht so groß ist, zeigt sich aber schon daran, dass schon unter Keller die Raute die erste Ausweichvariante Unions war. Sie kam zu Stande, indem der rechte Flügelstürmer Steven Skrzybski auf die 10 einrückte und Simon Hedlund auf links asymmetrisch den zweiten Stürmer gab.

In Hofschneiders Version wird Hedlund nun als linker Achter in der Raute aufgeboten und ist Skrzybski der zweite Stürmer, während sich der im Sommer aus Köln gekommene Marcel Hartel auf der Zehn etabliert hat. Letztlich ergaben sich aber ähnliche Staffelungen und Rollen, da Hedlund auch aus dieser Mittelfeldposition heraus mit seinen Sprints Räume auf dem linken Flügel hinter der Kieler Abwehr suchte und Skrzybski ähnliche Bewegungen auf der rechten Seite zeigte. Die tiefere Grundposition von Hedlund war aber trotzdem nicht unwichtig, da er sich oft zunächst kurz für Pässe aus dem defensiven Mittelfeld anbot und erst danach in die Tiefe ging.

Kiels Achter Dominick Drexler beschrieb Unions Spielweise als ’sehr unangenehm für uns‘ und meinte damit die ganze Kieler Mannschaft, aber vor allem auch sich persönlich. Denn wie Trainer Markus Anfang nach dem Spiel sagte bedeutete Unions Ordnung mit vier Spielern im Zentrum für Kiel, dass sie dort numerische Ausgeglichenheit herstellen und Mannorientierungen eingehen mussten. Daraus folgten vor allem für die zentralen Mittelfeldspieler lange Wege.

Kiel gegen den Ball

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Kiels Pressing, aus dem sich Union in diesem Fall über Trimmel befreit. Gerade auf der linken Seite gelang es Kiel in vielen Fällen, Pedersen in Person von Herrmann zu stellen.

Den in Kiels 4-1-4-1 ‚fehlenden‘ Mittelfeldspieler im Zentrum ersetzte im Pressing Stürmer Marvin Duksch, der Unions Sechser Grischa Prömel zustellte und sich so tiefer hielt als die eigentlichen Mittelfeld-Außen Schindler und Lewerenz. Problematisch wurde diese Zuteilung gelegentlich, wenn Prömel außerhalb des Aufbauspiels aufrückte und Duksch ihn nicht verfolgte. Das geschah zum Beispiel bei Unions Anschlusstreffer: Prömel bekam nach einem Einwurf frei den Ball und lief auf die Viererkette zu, aus der sich Innenverteidiger Hoheneder ungeschickt löste. Der Ball kam über Stürmer Polter zum rechts aufgerücktem und ebenfalls nicht verfolgtem Trimmel, der Skrzybski den Ball zum einschieben quer legte. Auch David Kinsombi konnte, von Hoheneder allein gelassen, diese Situation nicht mehr verteidigen. Der in Rüdesheim geborene frühere U-Nationalspieler machte ansonsten mit guten Ballgewinnen und Umschaltaktionen ein starkes Spiel – bis zu seinem Foul an Hedlund, das zum Ausgleich per Elfmeter, einem Platzverweis und einer Schlussphase führte, in der Union das Spiel fast noch gewann.

Im Kieler Pressing stellten Lewerenz und Schindler zuerst Pässe ins Mittelfeldzentrum zu und liefen dann nach Rückpässen Unions neuen Stammtorwart Mesenhöler an. Mit einigen fast-Ballgewinnnen waren sie dabei erfolgreicher als damit, nach Pässen aus der Innen- auf die Außenverteidiger Trimmel und Pedersen zu stören. Beide konnten einige Male versuchen, Bälle die Linie entlang (nicht zwingend hoch) hinter die Kieler Abwehr zu spielen, wurden aber zumindest in den Phasen mit höherem Pressing Kiels selbst von den Außenverteidigern Holsteins gestört.

Nur in den Phasen, in denen Kiel sich etwas zurück zog und Duksch ihn nicht so konsequent begleitete bekam Prömel häufiger im Aufbau den Ball. Er spielte dann aber oft recht kluge Ablagen und öffnete damit und – wie auf der Gegenseite Atakan Karazor – gelegentlich auch mit guten Drehungen Räume.

Stärkephasen

In einer zweiten Hälfte ohne viele große Anpassungen oder Umstellungen (nur ein Wechsel insgesamt bis zur 87. Minute) hatten beide Mannschaften starke Phasen. Zuerst gelang es Kiel, einige Angriffe nach ihren favorisierten Mustern mit Steilpässen ins defensive Mittelfeld, Ablagen auf die Außenverteidigerpositionen und erneuten vertikalen Kombination fast immer mit Drexler als entscheidendem Passgeber auszuspielen.

Nachdem Holstein es verpasste, die Partie mit dem 3-1 zu entscheiden kam dann Union noch einmal besser ins Spiel. Die Köpenicker nahmen nun öfter früh in Angriffen 4-3-3 Staffelungen ein und versuchten mit direkten Anspielen in die letzte Linie zu kommen. Das gelang oft genug, um recht konstant Druck aufzubauen. Ein starker Pass von Felix Kroos durch den Zehnerraum provozierte schließlich die Elfmeterszene und läutete eine Schlussoffensive ein, die ertraglos blieb.

Damit bleiben beide Mannschaften im sechsten Spiel in Folge sieglos. Trotzdem übernimmt Kiel zumindest Zwischenstands-weise die Tabellenführung [insert quality-of-competition moan here] – und auch Union festigt seinen Tabellenplatz.

vgwort

Daniel 31. Januar 2018 um 13:51

Fände es auch sehr schön, wenn es zu den unteren Ligen mehr Artikel hier gäbe. Bitte wenige Kommentare nicht mit fehlendem Interesse verwechseln…bei mir zumindest ist es so, dass ich Buli-Artikel häufig kommentiere, weil ich eine Meinung bzw. eigenen Eindrücke zu den geschilderten Sachverhalten habe, was in der zweiten Liga selten der Fall ist. Wenn mir nix einfällt, was ich zu einem Artikel oder einer Diskussion beitragen kann, dann halt ich mich halt heraus, auch wenn es mich interessiert. Den tollen Artikel über den Club hab ich z.B. dreimal gelesen (öfter als fast alle anderen Artikel), aber mir fällt nichts ein, was ich dazu sagen kann, dafür seh ich den Club zu selten. Und ich kann mir vorstellen so geht es hier vielen.

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Schimanski 29. Januar 2018 um 15:06

Sehe ich auch so. Interessant zum Beispiel: Alle drei Aufsteiger unter den ersten sieben in der Tabelle. Das muss auch taktische Gründe haben bzw. grundsätzlich die Frage aufwerfen, wieso Drittligisten trotz Budgetnachteilen so gut Fuss fassen können. Vor 10 bis 15 Jahren waren die Aufsteiger in die 2.Liga die ersten Abstiegskandidaten und das Leistungsgefälle grundsätzlich größer.

Aber 123 Kommentare unter irgendwelchen – relativ untaktischen – Transfergedankenspiele der Bayern und praktisch kaum Feedback zu den ausführlichen Zweitligaanalysen lassen erahnen in welchen Regionen sich die Klickzahlen der Artikel im Vergleich bewegen. Und die Autoren dieser Seite werden die Artikel nicht nur aus Nächstenliebe schreiben…

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dr 30. Januar 2018 um 11:25

Was an den drei Aufsteigern strategisch auffällt, ist dass sie alle offensiven Fußball spielen. Das funktioniert in einer Liga mit ziemlich vielen Mannschaften, die unkonstruktiv spielen ohne dabei wenigstens konsequent gegen den Ball zu arbeiten, recht gut. Dazu kommt, dass Kiel, Regensburg und Duisburg auch alle recht gute Kader haben, wie sich etwa in den GoalImpact Zahlen zeigt, in denen Kiel als erster und die anderen beiden auch in den top10 projiziert wurden.

Und: Danke für das ausgedrückte Interesse. Ich glaube, nicht zu viel zu verraten wenn ich sage dass der angesprochene Artikel klicktechnisch ungefähr bei Faktor 10 zu diesem liegt. Ist also nicht ganz so schlimm. Und dass die Seite sich nur am Massengeschmack orientiert ist ja nicht ganz das erste, was man SV vorwerfen kann.

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kalleleo 31. Januar 2018 um 11:48

Ich glaube im Saisonverlauf sind die momentan guten Positionen von Regensburg und Duisburg aber auch so bisschen Ausreisser. Beide Mannschaften haben mehr Zeit im unteren und mittleren Drittel zugebracht. Das ist denke ich eher ein Ausdruck der Ausgeglichenheit der Liga, mit zwei, drei guten Spielen ist man eben gleich oben dran aber genauso mit ein paar schlechten Spielen wieder viele Positionen abgerutscht. Viele Vereine sind diese Saison ueber ganz schoen rumgeeiert von der Platzierung her.

Zur Arbeit gegen den Ball: Ich habe nur die Dresdner Spiele gesehen, aber relativ oft haben die gegnerischen Mannschaften eigentlich recht gut Druck aufgebaut und Fehler im Aufbauspiel provoziert (hat zumindest gefuehlt besser funktioniert als letztes Jahr). Vom Niveau her halt trotzdem nur 2. Liga 😉

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MPK 31. Januar 2018 um 15:33

Die Einzelspielerqualität ist in der zweiten Bundesliga relativ gleichmäßiger verteilt. Gute Spieler, die sich in der zweiten Liga behaupten können, verlassen früh ihre Vereine Richtung Bundesliga (zb. Höler oder Teuchert. Neuhaus und Drexler werden wohl auch nicht mehr lange in der zweiten Liga spielen). Bedeutet, dass das Leistungsniveau der Mannschaften sich in der Breite ziemlich angleicht.
Die Aufsteiger sind soweit ich das überblicken kann alle sehr eingespielt und können auf funktionierende Abläufe in der Arbeit gegen den Ball zurückgreifen, während die die beiden Absteiger Ingolstadt und Darmstadt nicht die dominante Rolle der letztjährigen Absteiger einnehmen können. Insbesondere bei Ingolstadt hat man gemerkt, dass sie zu Beginn lange gebraucht haben um sich an die neuen Gegebenheiten zu gewöhnen. In der Bundesliga konnten sie sich ja nur auf die Arbeit gegen den Ball konzentrieren…
Generell finde ich, dass der Spielaufbau flächendeckend etwas konstruktiver angegangen wird, ohne jedoch groß ins Risiko zu gehen. Die meisten Mannschaften definieren sich aber dennoch über ihre Arbeit gegen den Ball -eigentlich kann jede Mannschaft ordentlich und kohärent pressen- und versuchen nach Ballverlusten schnell umzuschalten. Mir ist aufgefallen, dass Mannschaften, die im eigenen Aufbau sehr ambitioniert sind und mit vielen Spielern aufrücken dann oftmals Probleme haben ins Gegenpressing zu kommen und dann ausgekontert werden.

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dr 31. Januar 2018 um 15:51

das stimmt alles, und die Aussage zu den vielen Mannschaften oben ohne konsequentes Spiel gegen den Ball muss ich zurücknehmen, nachdem ich die Liga nochmal durchgegangen bin. Als ich das sagte, hab ich mich vielleicht ein bisschen von meiner schlechten Laune über Bochum-Bielefeld leiten lassen (wobei da zb Bielefeld sich mit Pressing, das aus 442 ins 433 schob gegen Bochums zurückfallende Sechs auch durchaus kohärent gezeigt hat).

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Schimanski 1. Februar 2018 um 10:14

Beim MSV, den ich fast jede Woche sehe, fallen zwei Kernpunkte in der Spielanlage auf:

– möglichst viel Action und Abschlüsse im gegnerischen Drittel (Ball schnell nach vorne und dann druff)
– im eigenen Ballbesitz werden Situationen, die dem Gegner Konter, Umschalt- und Pressingaktionen ermöglichen, grundsätzlich vermeiden, also Risikominimierung.

Konkret heisst das:

– lange Spieleröffnung, wenn der Gegner lauert oder zustellt
– flache Anspiele auf die Sechs werden nur bei ausreichend Zeit und Raum gespielt, meist geht`s den Flügel hoch
– passives Mittelfeldpressing wenn der Gegner aufbaut, um die Kompaktheit zu wahren
– auf Balleroberungen im Mittelfeld lauern und dann schnell umschalten (Stürmer kommt zum Ballhalten und Klatschen lassen entgegen, die Außen werden in die Räume und in Dribblings geschickt)
– situativ wird auch mal höher angelaufen oder zugestellt
– situativ wird auf einen Pressingtrigger auch mal aktiver und kollektiver angelaufen, aber beides nur phasenweise
– bei Ballverlust im eigenen Ballbesitz aggressives Gegenpressing in Ballnähe, der Rest lässt sich eher fallen

Interessant ist der Ansatz deswegen, weil man in der 3.Liga noch auf viel geduldigen Spielaufbau und Spielkontrolle über Ballbesitz gesetzt hat. Jetzt ist mehr Chaos. Aber die passenden Leute wurden dazu verpflichtet. Schnelle, mutige und ggf. auch mal ballhaltende und abschlussuchende Außen, die invers spielen, so dass man mit den zwei Stürmern vier Spieler in „Boxnähe“ hat. Ein kopfballstarker Sechser, der gebolzte gegnerische Bälle kontrolliert. Ein Stürmer, der sich fallen lässt und situativ den Zehnerraum bespielt.

Interessant ist auch noch die Personalie Schnellhardt, der von den Anlagen so eine Mischung aus Kroos und Max Meyer ist. Er ist beidfüssig sehr passstark, kann sich mit kurzen Körpertäuschungen und Drehungen aus Engen und Pressingsituationen befreien, verlagert stark, hat einen unberechenbaren, kreativen ersten Kontakt, ist aber in den klassischen Sechsertugenden eher schwach. Der jetzige Spielansatz fokussiert seine Stärken nicht mehr zwingend und die Einbindung ist von einer gewissen Unkonstanz geprägt. Aber er ist trotzdem oft wertvoll, weil er in dem Chaos eine Anspielstation in der Tiefe darstellt bzw. Engen gut auflösen kann. Zudem kann er im Ballbesitzsspiel, wenn der Gegner sich komplett zurückzieht und nur noch reaktiv verwaltet, wichtig sein. Er ist dann der Ankerpunkt im Plan B, dazu die Ballbesitz-Erfahrungen des ganzen Teams aus der 3.Liga.

Nichtsdestotrotz ist der MSV individuell und fussballerisch den meisten Teams in der Summe unterlegen. Im Moment kommt halt der Faktor Selbstvertrauen, breite Brust, wenig Verletzte und eingeschworene Gemeinschaft hinzu.

Zudem ist der MSV in der Hinrunde ein paar Mal verhauen worden (Nürnberg, Düsseldorf) als man zwar das Spiel machte, sich aber auskontern ließ. Diese Erfahrungen stärkten den Glauben bei Mannschaft und Anhang, dass das meist passive Mittelfeldpressing für die Kaderqualität alternativlos ist. Das ganze wird seitdem nach meiner Einschätzung noch geduldiger und kollektiver durchgeführt.

In der Summe also taktisch nicht besonderes, teilweise sogar ziemlich bieder und wenig hipp. Aber alle Spielphasen werden kollektiv und klar umrissen umgesetzt. Das reicht im Moment für Platz 5 (für den Aufstiegskampf aber natürlich nicht, auch wenn ich mich selbst dabei erwische, den Abstand nach oben zu checken 😉 ).


HT 28. Januar 2018 um 13:47

Ich fände es gut, wenn wieder mehr Analysen aus der zweiten Liga kämen. Die wurde ja nach durchaus interessanten Projekten (Bochum über eine gesamte Saison zu begleiten) in letzter Zeit eher sträflich vernachlässigt.

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