Vor und zurück
Ein Nordduell mit vielen langen Bällen, das die typische Derbymetapher bediente. Immerhin: Kleine Lichtblicke beim HSV.
Mannorientierungen und lange Bälle mit Dynamik
Es war mal wieder Zeit für lange Bälle und Mannorientierungen im Nordderby – strukturell nicht unähnlich, aber schon anders und weniger geschlossen als noch das letzte Aufeinandertreffen. Zwischen dem Hamburger 4-2-1-3/4-2-3-1 und dem Bremer 5-3-2 ergaben sich viele direkte Zuordnungen, die auch konsequent und schonungslos zur Geltung gebracht wurden. Vor allem beim Pressing der Gastgeber konnte das sehr anschaulich werden: Zustellen der Dreierkette mit Wood und den Flügelstürmern, weites Nachrücken der Außenverteidiger auf Gebre Selassie und Ulisses García. Zumal also die ersten Anspielstationen häufig zugestellt waren, arbeiteten beide Teams viel mit langen Bällen, gingen die Mannorientierungen einher fast mit einer Art „Kick-n-Rush“-Charakteristik. So wirkte die Partie oft wie raue Wellen auf hoher See.
Diese Eigenheit bedeutete Dynamik, wenig kontrollierte Aufbauszenen und auch nicht die allzu hohe spielerische Attraktivität – aber zumindest nicht durchweg Magerkost. Sicher war es hauptsächlich ein intensives, umkämpftes Match mit vielen direkten Duellen, Umschaltszenen und wilden Gegenkontern, dem Ringen um lose, abprallende Bälle. Sobald aber ein Spieler mit einem gewonnenen Dribbling eine der Mannorientierungen kurzzeitig aus der Partie nehmen oder auch sich ein zurückfallender Stürmer zwischen den Deckungslinien freischwimmen konnte, ergab sich für den betreffenden Akteur etwas Platz: Das war direkt vielversprechend und konnte dann zur Einleitung mancher fußballerischer Momente im sonstigen Hin und Her genutzt werden. Beide Teams hatten auch ihre guten Ansätze in dieser Hinsicht, wenngleich zu selten.
Folgeaktionen aus abspringenden Bällen
Etwas interessanter zwischen den ganzen Mannorientierungen war die Weiterentwicklung nach langen Bällen aus Bremer Aufbauszenen. Das hatte zunächst einmal nur bedingt etwas mit den Teams an sich zu tun, als vielmehr mit den strukturellen Gegebenheiten: Denn in diesen Momenten fächerte die Dreierkette bei Werder auf, rückten die Flügelläufer nach vorne – und unter diesen Voraussetzungen entstanden neue räumliche Dynamiken aus den Wechselwirkungen der Teams. Zum einen konnten die Hamburger Außenstürmer gelegentlich Platz hinter den gegnerischen Flügelläufern finden und dorthin springende Abpraller verwerten – im Zuge ihrer normalen Rückzugsbewegung aus der hohen Grundstaffelung und quasi außerhalb des Sichtfelds des Bremer Mittelfelds.
Das war der Ausgangspunkt für einzelne interessante Konter-Szenen, vor allem über den wendigen Ito mit seinen Dribblings. Entsprechende Situationen traten auch deshalb gerade auf seiner Seite so gehäuft auf, weil die langen Bälle der Bremer fast alle konsequent in die rechte Feldhälfte geschlagen wurden. Dort versuchten die Gäste am Flügel viel Präsenz für das Abprallerduell herzustellen, schoben beide Stürmer nach außen, mit Belfodil als Zielspieler, teilweise im Luftkampf prominent ergänzt um Delaney. Analog zu diesem sich entwickelnden massiven Rechtsfokus standen durch die Mannorientierungen aber die Hamburger auch schon „automatisch“ so verdichtet. Zum anderen gibt es in solch einer Spieldynamik, wie sie diese Begegnung prägte, auch viele zweite Bälle, die irgendwo nach außen abprallen. Mit den aufgefächerten Flügelläufern der Bremer war hier ein Element vorhanden, das die Szenen nochmals „erwärmen“ und für neue Folgeaktionen sorgen konnte.
Über diese Positionen gelang es Werder, Bälle neben den Ballungszonen einzusammeln und sich dann mal außerhalb der üblichen Strukturen zu lösen. Das zwang beide Teams, darauf zu reagieren und sich aus den Leitlinien der Mannorientierungen zu lösen. Entsprechend der Asymmetrie bei „Grün-Weiß“ gab es das häufiger auf deren linker Seite, die eben eigentlich weniger bespielt wurde. Der HSV verhielt sich in diesen Situationen sinnvoll, indem Ekdal als ballnaher Sechser zur Unterstützung des Flügels weit nach außen rückte und die zentralen Deckungen entsprechend neu organisiert wurden. Da der gerade ballferne Bremer Achter ohnehin häufig ziemlich breit – ganz allgemein: mit zu wenig diagonalen Läufen gegen die gegnerischen Zuordnungen – agierte, ergaben sich daraus auch keine großen Organisationsschwierigkeiten. Teilweise doppelte Ekdal sogar mit dem zurückeilenden Hahn und Diekmeier konnte enger bleiben, was gegen Bartels´ umtriebige Schnittstellenläufe nicht unwichtig war.
Hamburger Ansätze
Ihre Flügelverteidiger ließen die Bremer nicht immer auf die gegnerischen Außenverteidiger herausschieben, sondern hielten sie häufiger auch tief. Gegen die vielen langen Bälle des HSV machte das prinzipiell Sinn. Innerhalb der defensiven Fünferlinie übergaben Gebre Selassie und Ulisses García zunächst die beiden Hamburger Flügelstürmer gut mit ihren jeweiligen Nebenleuten, in der tiefen Flügelverteidigung waren die mannorientierten Zuordnungen aber klar. Auch bei den Bremern gab es in der Arbeit gegen den Ball – speziell im formativ gespiegelten Mittelfeldzentrum – viele Mannorientierungen, unter diesen Umständen der Abwehrspielweise ließ sich aber nicht immer alles hoch zustellen. In der Folge hatte der HSV ein bisschen mehr Ballbesitz und versuchte in der ersten Halbzeit die eine oder andere Aufbauaktion auch flach über den Flügel zu initiieren.
Links ging das über den teils einrückenden Sakai. Grundsätzlich konnte Bremen die Hamburger Außenverteidiger dann durch Herausschieben des ballnahen Achters zum Flügel verteidigen, wo sich Kainz ohnehin gut zurechtfand. In den Reihen dahinter mussten die Mannorientierungen entsprechend etwas umgeformt werden Auf der rechten Außenbahn rückte demgegenüber Diekmeier früher und höher auf, so dass die Bremer Fünferkette dort endgültig hinten beschäftigt wurde. Dahinter übernahm hauptsächlich der agile Ekdal mit herauskippenden Aktionen die Aufbauarbeit, während es bei Werder wiederum an Delaney als ballnahem Mittelfeldmann lag, dagegen weiter diagonal herauszuschieben.
Nur konnte er auch nicht übermäßig weit den Achterraum verlassen und gleichzeitig den Bereich neben dem Zentrumsblock komplett zulaufen. Da der weit nach hinten gedrückte Flügelverteidiger ihn über ergänzende Positionierungen kaum unterstützen konnte, blieb ein gewisser Passkanal direkt am Flügel entlang offen. Der HSV schien dort in der ersten Halbzeit punktuell für Überladungen sorgen zu wollen, indem sich Hahn ballfordernd einband sowie durch Wood und/oder herüber schiebende Bewegungen Hunts oder sogar mal Itos ergänzt wurde. Das funktionierte aber in letzter Instanz nicht vollends, da wenig Personal für die Anbindung der Folgeaktionen blieb und sie die schwierigen direkten Durchbrüche aus der Überladung heraus gegen die Fünferkette nicht bewerkstelligen konnten. Bei Werder sicherte zudem Bargfrede das ähnlich gut ab wie bei vielen langen Bällen. Im zweiten Durchgang intensivierte Hunt seine Bewegungen nach rechts, um dort eine stabile Zirkulation aufzustellen zu versuchen.
Phasen und Tendenzverschiebungen
Beide Mannschaften fanden gelegentlich ihre spielerischen Ansätze – ausgehend von Momenten, in denen sie eine Mannorientierung überspielt oder die Zuordnungen etwas „verzerrt“ hatten. Wie auch an den kleinen Rechtsüberladungen zu sehen, kam der HSV im ersten Durchgang etwas stärker zur Geltung – bevorzugt über bestimmte typische Abläufe. Für Pässe von Sakai beispielsweise ließ sich häufiger Wood in die Tiefe fallen, Hunt wich gleichzeitig schräg nach links in Richtung Ito aus und die beiden konnten dort auf mögliche Weiterleitungen des Mittelstürmers lauern. Zudem gab es einige ballhaltende Aktionen des amerikanischen Angreifers oder kurze Ablagen erneut auf Sakai oder den sich recht klug bewegenden Janjicic. Auch ganz zu Beginn und ganz zum Schluss des zweiten Spielabschnitts verzeichnete Hamburg ein leichtes Übergewicht, nachdem die Bremer die Anfangsphase der ersten Halbzeit – über konsequente Läufe von Bartels und Kainz aus dem Rechtsfokus zur Grundlinie – dominiert hatte.
Diese wiederum kamen zu ihrer besten Phase in einem längeren Zeitraum etwa Mitte von Durchgang zwei: Sie gelangten nun deutlich zielstrebiger und fokussierter in den Zwischenlinienraum, konnten ausgehend davon ihre eigentlich große Offensivpräsenz mit den hohen Achtern und den nachrückenden Flügeln mal wirklich effektiv einbringen. Zwei Schlüsselrollen für diese Entwicklung lagen bei Bartels und dem eingewechselten Junuzovic, welcher für vielfältige Bewegungen sorgte und mit klugen Läufen zwischen den Deckungen wichtige gruppentaktische Dynamiken schuf. Dadurch wurde auch Bartels etwas entlastet. Der Angreifer der Bremer suchte nun auch seine Präsenz etwas aggressiver, forderte die Bälle höher und zentraler zwischen den Sechsern.
Dass diese Veränderungen so stark zur Geltung kamen und zwischenzeitlich in eine „Sturm-und-Drang“-Phase einmündeten, hing nicht zuletzt aber noch mit einem Faktor auf Hamburger Seite zusammen: Gegen den Ball agierte im Verlauf des zweiten Durchgangs Zehner Hunt zunehmend tiefer, teilweise kurz vor den Sechsern, womit Gisdol eventuell mehr Präsenz und absichernde Stabilität schaffen wollte. Inmitten von Mannorientierungen war das aber etwas ungünstig und hatte eher den gegenteiligen Effekt: Der eingewechselte Eggestein konnte dadurch vielmehr einfacher angespielt werden. So verteilte er in der stärksten Bremer Phase manchen Ball hinter die mannorientierten Hamburger Sechser, vor allem konnte Werder von ihm ausgehend aber besser horizontal zirkulieren, dann auch die Halbverteidiger viel mehr einbinden und entsprechend Pässe auf ausweichende Läufe kontrollierter vorbereiten. Erst dadurch wurde die verstärkte Einbindung der massiven Präsenz von Bartels und Co. überhaupt in dieser Art möglich.
Fazit
Kein allzu berauschendes und taktisch auch eher unspektakuläres Nordduell mit vielen Mannorientierungen und langen Bällen. Während die in der letzten Rückrunde noch furiosen Bremer mit ihrem Rechtsfokus bei den langen Schlägen eine gewisse Stabilität generierten, sich im weiteren Angriffsspiel nur selten entscheidend von jenem Flügel zu lösen vermochten und nur in einer Phase mal offensive Wucht entwickelten, war die Anzahl der Lichtblicke bei den Hausherren aus Hamburg insgesamt etwas höher. Zu diesen positiven Eindrücken gehörten die Stabilität der Doppel-Sechs, im Spiel nach vorne zudem die Variante der versuchten Rechtsüberladungen oder die Abläufe halblinks entlang der Achse Sakai-Ito-Wood. In der Gesamtbetrachtung legten die Hausherren den etwas ambitionierteren Auftritt an den Tag. Zu Begeisterungsstürmen wird sich aber wohl kaum jemand veranlasst sehen.
20 Kommentare Alle anzeigen
Schorsch 4. Oktober 2017 um 10:58
@tobit:
Richtig, Jóhannsson ist kein klassischer Stoßstürmer. Er ist auch auf beiden Flügeln durchaus einsetzbar und hat auch schon öfters als hängende Spitze agiert. Als Wandstürmer sehe ich ihn auch nicht unbedingt, während er als Kombinationsspieler mMn durchaus passabel ist.
Ja, Lasogga hätte Werder gerade noch gefehlt… 😉 Ich glaube, der ist bei den Peacocks schon sehr gut aufgehoben, wie ich von der Insel gehört habe. Aber Flachs beiseite, ein Strafraumstürmer fehlt im Kader ebenso wie ein Wandstürmer, der mit dem Rücken zum Tor spielen und Bälle festmachen kann. Auch wenn Nouri dies nicht unbedingt präferiert.
Werders Problem ist nicht die Defensive/Endverteidigung, sondern der Spielaufbau und die Chancenkreierung/Chancenverwertung. Sicherlich fehlt da aktuell ein Kruse, aber diese Personalie ist es mMn nicht allein, wie an anderer Stelle schon beschrieben. Nur auf den Sturm bezogen heißt dies (nicht nur, aber auch), dass ein ‚Chancenverwerter‘ einfach fehlt. Bartels in allen Ehren, aber er und Großchancen sind zumindest ‚gefühlt‘ nicht das beste Tandem 😉 . Wie dies bei Belfodil sein wird, werden wir sehen. Ich persönlich kann es nicht so recht nachvollziehen, dass man nicht konsequent versucht, verstärkt auf Eggestein zu setzen.
Ob man wieder auf eine Viererkette setzen wird? Ich habe meine Zweifel. Nouri scheint sich definitiv auf die Dreierkette in einem 3-5-2 festgelegt zu haben. Möglicherweise sieht er seine Außenverteidiger nicht als stark genug an. Wobei man sich mit Augustinsson mMn hier schon durchaus respektabel verstärkt hat. Und ich stimme Dir zu, man hat durchaus die passenden offensiven Spieler für ein effektives Flügelspiel. Jetzt hat man mMn mehr das Problem, dass der eine oder andere Spieler zentral spielt, der eigentlich auf den Flügeln besser aufgehoben wäre.
Die nächsten Gegner nach der Länderspielpause sind Gladbach (H), Köln (A), Augsburg (H), Frankfurt (A), Hannover (H). Alles keine ‚Übermannschaften‘; gegen alle Gegner müsste Werder im Normalfall punkten können. Der EffZeh steckt mAn tiefer in der Krise als Werder, die SGE kann auch noch nicht so recht überzeugen, Gladbach ist unkonstant. Der FCA und 96 sind allerdings sehr stark in die Saison gekommen. Wenn Werder in diesen Spielen nicht ausreichend punktet, dann wird auch eine ansprechende spielerisch-taktische Leistung Nouri wohl wenig helfen können.
Daniel 4. Oktober 2017 um 11:16
@Schorsch
Ist das nicht ein prinzipielles Werder-Problem, dass man keine Jugendspieler in die erste Mannschaft kriegt? Hatte Bremen denn in den letzten Jahren mal einen selbst ausgebildeten Stammspieler, der auch bei Werder den Durchbruch zum Profi geschafft hat (im Gegensatz zu Kruse oder Wiedwald, die Werder erst aussortiert und dann diesen Fehler Jahre später teuer korrigiert hat)? Mir fällt tatsächlich nur Bargfrede ein (dessen Durchbruch ja jetzt schon recht lang her ist), mit Eggestein (also dem im Mittelfeld 😉 ) sieht es jetzt endlich bei einem zweiten recht gut aus.
Da haben selbst Spitzenmannschaften deutlich mehr Eigengewächse zu Stande gebracht. Umso erstaunlicher wenn man bedenkt, dass Werder seit Jahren die erfolgreichste zweite Mannschaft Deutschlands stellt.
Schorsch 4. Oktober 2017 um 12:46
Man kann da etwas zynisch geradezu von einer Tradition bei Werder sprechen. Bargfrede ist in der Tat der einzige in den letzten 10 Jahren, und davor sah es auch sehr mau aus. Es ist schon interessant, welche Nachwuchsspieler bei Werder nicht den Durchbruch schafften und dann woanders reüssierten. Altes Thema, hatten wir hier bereits mehrmals. Umso merkürdiger, weil eine der größten Vereinsikonen, Thomas Schaaf, seit frühester Kindheit bei Werder war und seine Entwicklung vom Nachwuchs- zum Profispieler und dann über den Nachwuchstrainer zum Coach des Profikaders verlief. Nebenbei einer der erfolgreichsten deutschen Trainer der 00er-Jahre. Aber in der Ära KATS wurde eine andere Kaderpolitik betrieben (kostengünstig, ‚verkanntes Talent‘, Schaffung eines hohen Wiederverkaufswertes). Erst als diese nicht mehr funktionierte, man in der Folge abstürzte und massiv Kosten einsparen musste, tauchte (noch in der Ära KATS) plötzlich das Thema ‚Nachwuchsspieler‘ auf. Füllkrug, Thy und anderen waren plötzlich Hoffnungsträger, die in den Profikader aufrückten. Das Team war aber quasi im Sinkflug und im Totalumbruch, denkbar schlechte Voraussetzungen. Schaaf war vielleicht auch nicht der richtige Trainer dafür, es war möglicherweise auch alles zu früh für diese Spieler und die Qualität hat eventuell auch nicht gereicht. Unter Eichin wurde dann vor allem auf Betreiben Willi Lemkes das Thema ‚Nachwuchsspieler in den Profikader entwickeln‘ groß propagiert, auch mit dem Hinweis auf die klamme finanzielle Situation bei Werder. Aber so etwas geht nicht von heute auf morgen. Und wenn man dann permanent gegen den Abstieg spielt, dann setzen Trainer gerne einmal voll auf ‚erfahrene‘ Spieler. Selke war vielleicht eine Ausnahme, aber bei ihm ging es auch um die Schaffung eine möglichst hohen Transfersumme.
Aber es hat sich wirklich etwas getan im Nachwuchsbereich. Ich fand es schon bemerkenswert, dass man z.B. die Eggestein-Brüder zum Werdernachwuchs lotsen konnte. Denn auch im Nachwuchsbereich ist die Konkurrenz beinhart und die big player haben die Nase vorn. Jetzt sind beide im Profikader und M. Eggestein hat im defensiven/zentralen MF mMn das Zeug sich durchzusetzen. Sein jüngerer Bruder J. ist für mich fußballerisch das größere Talent, erhält allerdings für meinen Geschmack zu wenig Einsatzminuten.
Aber ergeht es anderen Clubs wirklich anders? Was wäre Bayern ohne die konsequenten Personalentscheidungen eines Louis van Gaal? Vor ihm war da auch nicht so viel. Das Ausnahmetalent Lahm hatte der Tiger ‚angeboten wie Sauerbier‘, wie er sich einmal ausdrückte. Schweinsteiger, das war es dann auch. Und aktuell? Nicht umsonst hat sich Uli Hoeneß so für eine Stärkung der Nachwuchsentwicklung ausgesprochen und diese forciert.
Mich stimmt es schon bedenklich, wenn eine sehr gute Nachwuchsarbeit in den Clubs dazu führt, dass es zu wenige in den Profibereich schaffen. Gerade, aber nicht nur vor dem Hintergrund der immens gestiegenen Transfersummen. Aber auch das ist nicht nur hier ein immer wiederkehrendes Thema.
tobit 4. Oktober 2017 um 15:19
Wie würdest du J. Eggestein beschreiben, was macht ihn aus?
Die meisten Toptalente spielen schon in der Jugend bei Topteams. Dort werden sie oft mit sehr guter Infrastruktur und auch mit viel Geld geködert. Eine wirklich Kaderperspektive haben aber dort nur die allerwenigsten. Diese wechseln dann nach der Jugendzeit zu unterklassigen Teams oder in die U23-Mannschaften und sind da zum ersten Mal mit Profi-Niveau konfrontiert. „Schwächere“ Talente können diese Gewöhnung an die Eigenheiten auf Profi-Niveau aber schon früher machen und gewinnen dadurch einen Entwicklungsvorsprung gegenüber den „Toptalenten“ (und nehmen diesen dann als teuer gekaufte Zugänge den Kaderplatz weg). Sieht man beim BVB z.B. bei Isak, der schon mit 17 konsequent bei den Profis war, während ein Serra (auch verletzungsbedingt) oder Amenyido sich bei der U19 (teilweise waren die da ziemlich unterfordert) und der zweiten Mannschaft (erstes Mal Herren-Niveau) behaupten mussten bzw. müssen – da spielt sicherlich auch das generelle Talent von Isak und die bezahlte Ablöse eine Rolle. Auch ein Reus oder Großkreutz nahmen lange Umwege, bis sie wieder bei den Dortmunder Profis landeten.
Schorsch 4. Oktober 2017 um 21:24
J. Eggestein ist nach meiner Einschätzung der Typus mitspielender Mittelstürmer. Er lässt sich öfters fallen, um als Anspielstation zu fungieren; mitunter auch auf die Flügel. Auffallend finde ich, dass er den Ball schnell, direkt und schnörkellos weiterleitet (gerne auf Außen) und damit für Tempo sorgt. Er verfügt über eine in seinem Alter nicht selbstverständliche Übersicht und ein sehr gutes und sicheres Passspiel. Technisch ist er beschlagen und seine Ballbehandlung ist sehr gut, aber ein Dribbler ist er mMn nicht unbedingt. Das ist auch nicht sein Spiel, das sozusagen ohne ‚Mätzchen‘ ist. Er kann auch mit dem Rücken zum Tor spielen. Er bringt sich sehr geschickt im Strafraum in Schussposition und hat im Nachwuchsbereich sehr sicher und zuverlässig abgeschlossen. Wobei er kein ausgesprochener Kopfballspieler ist. Als Hauptdefizit sehe ich die mangelnde Schnelligkeit; ein Auba wird er sicher nie. Aber seine Antrittsschnelligkeit ist gut ausgeprägt und er verfügt über eine ausgesprochen gute Antizipationsfähigkeit.
Hier bei sv.de hat es vor ca. 2 Jahren in der Rubrik ’scouting‘ ein sehr gutes und empfehlenswertes Portrait von ihm gegeben; ich meine von CE. Auch wenn sich dies auf den Nachwuchsspieler bezog und zwei Jahre in diesem Alter eine Menge an Veränderungen bringen können, trifft wohl das meiste noch auf ihn zu.
Clubs wie Bayern, ManUnited oder der BVB wollten J. Eggestein zu sich holen. Aber er hat sich entschieden, weiterhin Werder treu zu bleiben. Er ist direkt in den Profikader übernommen worden, wie es mittlerweile bei hochveranlagten Spielern bei fast allen Clubs der Fall ist. Ich verstehe, dass man ihn behutsam weiter aufbauen und nicht unnötig verheizen will. Dennoch muss man auch aufpassen, ihm bei dieser Entwicklung nicht andere Stürmer quasi vor die Nase zu setzen. Bei aller Behutsamkeit braucht er Einsatzzeiten. Und Werder Tore…
Daniel 4. Oktober 2017 um 19:40
Allein steht Werder mit diesem Problem ganz bestimmt nicht. Mit Bayern find ich das dann immer schwer zu vergleichen…je höher das Niveau einer Mannschaft ist desto schwieriger ist es natürlich für Jugendspieler, sich einen Platz im Team zu sichern, insofern halte ich da die Situation angesichts der auseinanderdriftenden Entwicklungen von FCB und Werder in den letzten Jahren für nicht wirklich vergleichbar. Dennoch hat der FCB in den letzten 12 Jahren mit Lahm, Schweinsteiger, Badstuber, Müller, Kroos und Alaba sechs Leistungsträger hervorgebracht, dazu einige Spieler, die zumindest als Kaderergänzungen brauchbar waren (Lell, Ottl, Rensing, Kraft, Can, Hjojberg). Ohne den Verkauf von Hummels wäre es sogar noch ein Leistungsträger aus den eigenen Reihen. Das ist trotz der schwierigen Rahmenbedingungen durch höhere Konkurrenz und kritischere Presse doch ne andere Hausnummer, auch wenn jetzt seit fünf Jahren tatsächlich eine bedenkliche Flaute herrscht.
Und von Bayern abgesehen zeigen schon viele Vereine (durchaus auch aus oberen Tabellenregionen), wie es gehen kann. Auch der BVB hat in den letzten Jahren einige Talente entwickelt (Pulisic, Götze, Schmelzer), Schalke ist hier sogar in meinen Augen die beste Adresse Deutschlands.
tobit 4. Oktober 2017 um 20:11
Abseits von Selke, den Eggesteins und Grillitsch (war der überhaupt lange in der Jugend?) hat sich ja keiner der zeitweise eingesetzten Jungspieler (Lorenzen, Aycicek, …) in der ersten Liga etabliert. Vielleicht sind also die Jugendmannschaften eben genau so gut, dass es für die sehr gute Zweitvertretung (oder vielleicht etwas mehr) reicht, nicht aber für eine echte Zukunft in der Bundesliga.
Wie werden denn die Jungspieler an die erste Mannnschaft herangeführt?
Beim BVB z.B. versucht man in den letzten Jahren, die besten der A-Jugend direkt (also mit 17-18) bei der ersten Mannschaft mitzunehmen, um sich da ein besseres Bild machen zu können. Wer sich im zweiten A-Jugend-Jahr als vielversprechend erweist (oder wie Serra das erste Jahr fast komplett verpasst) wird mit Profivertrag ausgestattet und versucht sich über die U23 (die man gerne wieder in der 3. Liga hätte, sieht aktuell ganz gut aus) anzubieten. Über die U23 kamen z.B. Durm und Hofmann (das sind aber auch die einzigen langfristig erfolgreichen Beispiele) zu Erstligaweihen.
Als weiteres Mittel scheint man in Dortmund mittlerweile auf Leihgeschäfte zurückzugreifen. Dudziak, Stenzel (mittlerweile an Freiburg verkauft), Passlack und Burnic wurden in den letzten Jahren sehr schnell nach dem Verlassen des Jugendbereichs verliehen. Auch Larsen (LA/RA/LV => 1./2. Liga), Beste (LV =>2. Liga), Serra (ST => 2./3. Liga) und Reimann (TW => 2./3. Liga – ist schon 21, Nachfolger für U23 steht bereit) dürften da bald dazukommen, da sie zu gut für die Regionalliga sind, aber keinen Platz im Profikader finden werden.
Bei Skripnik hatte ich das Gefühl, dass da ein paar Lieblinge aus seiner Zeit im Jugendbereich protegiert wurden, da aber dann eben in höchster Abstiegsgefahr doch wieder die „alten“ Recken den Karren aus dem Dreck ziehen mussten. Das hat ihn zuerst das Vertrauen des Sportdirektors gekostet, dann das der Mannschaft.
Dass man mitten in der Sommertranspherphase den Sportdirektor – der den Laden in den Jahren vorher saniert und mit minimalen Mitteln (so gerade eben) auf Kurs Bundesliga gehalten hat – für den Trainer opfert (weil letzterer zur „Familie“ gehört), um dann eben diesen Trainer nach drei Spieltagen zu entlassen, war fast schon lustig – wenn es nicht so bezeichnend für die Vereinsmeierei, Vetternwirtschaft und Inkompetenz bei vielen Traditionsvereinen wäre.
Schorsch 4. Oktober 2017 um 23:17
Grillitsch hat ein Jahr in der Werder U 19 und ein Jahr bei Werder II gespielt. Damit ist er vergleichbar mit Selke. Der hat ein halbes Jahr in der U 19 und ein Jahr bei Werder II gespielt, bevor er einen Profivertrag erhielt. Nach einem Jahr wechselte er ja dann zu RB Leipzig; Grillitsch blieb immerhin 2 Jahre (allerdings ohne Ablöse). Ob man solche Spieler überhaupt als ‚eigenen Nachwuchs‘ bezeichnen kann, ist mMn zweifelhaft. Selke ist bei Hoffenheim ausgeildet worden und ist nur zu Werder gewechselt, weil er hier die bessere Perspektive sah, schnell Bundesliga spielen zu können. Nicht ganz so, aber ähnlich verhielt es sich mit Grillitsch, der von St. Pölten ausgebildet wurde.
Im Prinzip macht Werder es nicht anders als der BVB, indem man den besten Talenten einen Profivertrag gibt. Die meisten können sich aber nicht etablieren (bei Werder, dem BVB oder anderen Clubs), werden verliehen, landen in der 2. Bundesliga oder im ‚Amateurbereich‘. Wer verliehen wurde, kehrt nicht unbedingt zurück. Von der Regionalliga bis zur 3. Liga gibt es sehr viele Spieler, die aus dem Nachwuchsbereich von Bundesligisten stammen. Was irgendwie auch logisch ist. Jede Wechsel der Altersstufe im Nachwuchsbereich geht mit einer gnadenloser Selektion einher. Das gilt genauso oder noch strikter beim Wechsel von der U 19 in den Profibereich. Jahrgang für Jahrgang. aber all diese Spieler treffen auf einen ganz kleinen Arbeitsmarkt; 36 Clubs mit ihren Teams (Bundesliga / 2.Bundesliga). Die von Spielern im Alter von 20 – 35 dominiert werden. Wobei dieser Markt ja eigentlich noch viel kleiner ist, da sehr viele dieser Spieler aus dem Ausland geholt wurden und weiter rekrutiert werden. Die Lücken, in die man stoßen kann, sind nicht sehr groß.
Was die Angelegenheit mit Skripnik anbelangt, so haben wir ja schon öfters darüber gesprochen. Da ist noch sehr viel mehr schief gelaufen. Peride fand ich dabei, dass er im Prinzip benutzt wurde, um Eichin zu kippen. Baumann konnte dann nicht ‚Nein‘ zu Skripnik sagen. Um dann nach einer ganzen Saisonvorbereitung und nur 3 Spielen Skripnik doch zu entlassen (was abzusehen war). Wirklich unschön, freundlich gesprochen.
Noch einmal zu den Leihgeschäften: Diese sind sicherlich im Einzefall sinnvoll. man muss nur aufpassen, dass sie nicht überhand nehmen. Die UEFA will Auswüchsen wie bei Chelsea ja einen Riegel vorschieben.
Schorsch 4. Oktober 2017 um 22:32
Es ging mir nicht um einen 1:1-Vergleich, sondern um eine Tendenz. Wobei ich auch auf van Gaal hingewiesen habe, der sich gegen erheblichen Widerstand im Club bei Müller, Badstuber und auch Alaba durchgesetzt hat (und nebenbei Schweinsteigers Karriere beim FCB in die richtigen Bahnen gelenkt hat). Hummels hatte keine Perspektive bei Bayern; für ihn kam van Gaal eindeutig zu spät. Man braucht halt auch immer einen Trainer, der auf die (eigene) Jugend setzt.
Beim BVB waren es in der Ära Klopp, als man auf kostengünstige junge Spieler mit einem bestimmten Anforderungsprofil setzte bzw. setzen musste, gar nicht so viele eigene Nachwuchsspieler, die es in erste Mannschaft geschafft haben. Vor allem im Vergleich zu Bayern. Götze ist im Prinzip der einzige wirklich echte Nachwuchspieler gewesen; er hat alle Nachwuchsteams durchlaufen. Und er war so etwas wie ein Jahrhunderttalent. Schmelzer ist seinerzeit in die A-Jugend des BVB aus Magdeburg gekommen. Der Wechsel von der B- in die A-Jugend ist oft der Zeitpunkt, wo Talente von kleineren Clubs zu großen Clubs geholt werden. Kroos beim FCB ist auch so ein Beispiel. Reus wurde exakt zu diesem Zeitpunkt beim BVB aussortiert; im Prinzip Großkreutz auch. Pulisic wurde bereits als B-Jugendlicher geholt, so wie J. Eggestein bei Werder auch.
Schalke ist ein spezieller Fall. Unter Norbert Elgert hat sich die ‚Knappenschmiede‘ zum wohl besten Nachwuchszentrum in Deutschland entwickelt. Und viele Talente wurden/werden direkt aus dem Nachwuchsbereich in die erste Mannschaft entwickelt. Nur leider bleiben sie nicht allzu lange. Das hängt vielleicht nicht nur mit den Verlockungen der big money clubs zusammen. S04 ist auch auf die Transfererlöse angewiesen. Nicht gut, wenn dann z.B. ein Max Meyer ablösefrei wechseln könnte.
Schorsch 29. Oktober 2017 um 21:42
Der Übersichtlichkeit hinsichtlich des Bezugs wegen hier ein Eigenzitat:
„Die nächsten Gegner nach der Länderspielpause sind Gladbach (H), Köln (A), Augsburg (H), Frankfurt (A), Hannover (H). Alles keine ‚Übermannschaften‘; gegen alle Gegner müsste Werder im Normalfall punkten können. Der EffZeh steckt mAn tiefer in der Krise als Werder, die SGE kann auch noch nicht so recht überzeugen, Gladbach ist unkonstant. Der FCA und 96 sind allerdings sehr stark in die Saison gekommen. Wenn Werder in diesen Spielen nicht ausreichend punktet, dann wird auch eine ansprechende spielerisch-taktische Leistung Nouri wohl wenig helfen können.“
Nun sind 3 Bundesligabegegnungen nach der Länderspielpause absolviert worden. Die Ergebnisse sind bekannt. So wie sich Werder in diesen Spielen präsentiert hat, ist nicht zu erwarten, dass man ausgerechnet gegen die SGE und 96 punkten wird. Aber was heißt schon punkten. Mit 2 Unentschieden wird man nicht aus dem Tabellenkeller kommen; das wird nur mit Siegen gelingen. Nur wird das mit Nouri und den bisherigen spielerisch-taktischen Mitteln mMn wohl eher nicht gelingen. Systemumstellungen bringen da offensichtlich wenig bis gar nichts. Das Spiel gegen den FCA heute war nichts weniger als ein Offenbarungseid. Ich gehöre bestimmt nicht zu denjenigen, die gerne und schnell ‚Trainer raus‘ skandieren. Allerdings ist eine Demission Nouris mMn nicht zu umgehen. Wobei Baumann hier mit in der Bütt ist. Die Kaderzusammenstellung liegt in seinem Verantwortungsbereich. Andererseits obliegt es dem Trainer, System, Spielweise und Taktik an den Fähigkeiten der vorhandenen Spieler auszurichten. Werder hat zwar Probleme hinsichtlich der Qualität in der Breite des Kaders. Aber man hat keine Doppelbelastung durch einen internationalen Wettbewerb und die individuelle Qualität der Spieler müsste eigentlich ausreichen, sich von den Abstiegsplätzen fernzuhalten. Wenn adäquat ein- und aufgestellt wird. Nouri dürfte Geschichte sein bei Werder.
Schorsch 2. Oktober 2017 um 11:40
Ich finde es immer gut, wenn sv.de eine Analyse eines Werderspiels bringt. Wenn es denn dann auch noch um den Bundesligaklassiker schlechthin geht, umso besser. Allerdings sind diese Duelle für den Freund des gepflegten Balls schon seit geraumer Zeit kein Grund zur Euphorie, freundlich gesprochen. Was ich da am letzten Samstagabend gesehen habe, war aber so etwas wie ein ’noch tieferer Tiefpunkt‘, um einmal in die Diktion eines ehemaligen Teamchefs der Nationalelf zu verfallen. Wie man aus einem ‚Not-gegen-Elend‘-Match noch eine so fundierte taktische Analyse herausfiltern kann, ist schon bemerkenswert. Vielen Dank an TR dafür! Ich hoffe, er hat demnächst etwas mehr Glück hinsichtlich der Spielqualität, denn für dieses Match müsste er eigentlich so etwas wie eine Erschwerniszulage erhalten… 😉
Was das Spiel selbst anbelangt, so gehe ich mit dem (sehr diplomatisch verfassten) Fazit konform. Der HSV war von zwei taktisch nicht gerade brillianten Teams das geschickter agierende. Ob es nun Mut oder Verzweiflung wegen der Verletztensituation war, was Gisdol dazu veranlasst hat 2 Youngster aufzustellen, ist schwer zu beurteilen. Nouri jedenfalls traut sich da offensichtlich weniger; sowohl taktisch, als auch personell (was durchaus auch zusammenhängt). Defensiv steht Werder recht sicher, offensiv dagegen ist alles recht statisch und vorhersehbar. Erst mit der Einwechslung von Juno, der auch einmal in den 10er-Raum ging und den direkten Weg in den Straufraum suchte, hatte Werder so etwas wie eine Phase der Überlegenheit in diesem Spiel. Was aber auch an den schwindenden Kräften bei einigen HSV-Spielern gelegen haben mag.
Wobei Werder defensiv auch nicht so sicher stand, wie es nach einem Spiel ohne Gegentor den Anschein haben mag. R. Bauer ist mMn auf dieser Position deplaziert und man tut ihm und dem Team keinen Gefallen, ihn entsprechend aufzustellen. Nouri verweist auf die Verletztensituation, aber warum er nicht Caldirola einbaut, ist nicht so recht nachzuvollziehen. Gut, er hat seine Stärken dort, wo Moisander zurecht gesetzt ist. Aber sowohl taktisches wie auch Zweikampfverhalten sind bei ihm auf dieser Position höher einzustufen als das von Bauer. Im Mittelfeld ist ein Bargfrede offensichtlich deutlich schwächer aus der Rekonvaleszenz zurückgekehrt, als dies sonst der Fall war. Weder mit, noch gegen den Ball bietet er momentan für das Team einen Mehrwert. In der Offensive findet Bartels einfach nicht zu seiner Form der letzten Rückrunde. Eigentlich wäre es Zeit für eine Sturmformation mit Eggestein. Dafür müsste Nouri allerdings von seinem statischen Offensivkonzept abrücken. Auch wenn Kruse an allen Ecken und Enden fehlt, ein wenig mehr Flexibilität wäre nicht schlecht.
In Bremen wächst das Gemurre, ob zurecht oder nicht. Hat Nouri nach der letzten Hinrunde (und kurz vor der Demission stehend, auch wenn dies offiziel negiert wurde), im letzten Augenblick die richtigen Schlüsse gezogen und eine (bis auf die letzten Spiele) recht erfolgreiche Restrückrunde aufgrund seiner taktischen Umstellungen gespielt, so
sehr scheint er jetzt (wieder?) in einer gewissen gedanklichen Statik zu verharren. Manche Kritiker werfen ihm vor, durch eine zu große Nähe zur Mannschaft zu sehr nach Sympathie/Antipathie-Gesichtspunkten aufzustellen und sich hinsichtlich der Einstellung auf den jeweiligen Gegner nicht unbedingt die richtigen Gedanken zu machen. Vielleicht kommt die Länderspielpause da ganz recht. Schaun mer mal, wie es da weitergeht. Irgendwie erinnert mich die Situation nicht von den Leistungen, aber von den Ergebnissen her an die unter Dutt vor seiner Demission, wobei seinerzeit gar keine Linie zu erkennen war.
Noch einmal zum HSV: Der HSV war das taktische etwas besser eingestellte Team. Ein Tor ist den Hamburgern allerdings auch nicht gelungen. So gab es für den HSV genauso im Ergebnis einen Punkt wie für Werder. Ob aus dieser relativen taktischen Überlegenheit in diesem Spiel für die nähere Zukunft etwas abzuleiten ist, wird man sehen.
bs 2. Oktober 2017 um 16:05
Ich könnte mir wirklich vorstellen, dass das Problem bei Werders Offensive ein personelles ist. Juno ist jetzt erst wieder zurückgekommen, Kruse verletzt und Grillitsch und Gnabry in Hoffenheim. Wer bleibt da noch mit auffälligen, offensiven Fähigkeiten? Bartels, Delaney und … ? M. u. J. Eggestein? Kainz, Belfodil und Gondorf scheinen nicht so wirklich einzuschlagen, was mindestens bei Gondorf doch etwas verwundert. (Kainz ist noch jung und unkonstant, Belfodil kann ich nicht einschätzen)
Schorsch 2. Oktober 2017 um 17:25
Ja, natürlich fehlt ein Kruse, hat ein Juno gefehlt. Keine Frage. Und man muss auch fragen, inwieweit Grillitsch und Gnabry einigermaßen adäquat ersetzt werden konnten. Wobei in der letzten Rückrunde zu erkennen war, dass Nouri nicht mehr unbedingt auf Gnabry gesetzt hat. Baumann hat Gnabry doch nur zu Werder lotsen könne, weil mit den Bayern im Hintergrund ein deal gelaufen ist (was offiziell bestritten wird). Dabei war jedem klar, dass Gnabry nach der Saison wechseln wird. Zeit genug für eine weitere kreative Lösung, die aber nicht gekommen ist. Die Frage ist für mich, warum Nouri keine Lösung für die Personalausfälle findet.
Was Kainz anbelangt, so ist er noch unstet in seinen Leistungen (was nicht wundert) und mMn nicht richtig eingebunden mit seinen Stärken. Was J. Eggestein betrifft, so ist er Werders größtes Sturmtalent seit langer Zeit. Während Gisdol aus Personalnot heraus einem Ito, einem Janjicic und dann noch für ein paar Minuten einem Arp die Chance gibt, bleibt J. Eggestein bei Werder auf der Bank. Bartels ist z.Zt. nicht in Form und hatte einen ‚gebrauchten Tag‘. Natürlich muss Nouri das Spiel umstellen, wenn er den Mittelstürmer Eggestein bringt. Bringt er ihn nicht, weil er nicht mit einem Mittelstürmer spielen will? Die Frage stelle ich mir mittlerweile, und nicht nur ich. Zu M. Eggestein: Die beste Phase Werders in diesem Spiel war die nach der Einwechslung Junos – und der M. Eggesteins. Bargfrede in allen Ehren, aber auch wenn er die Vorbereitung verletzungsfrei überstanden hat, er hat momentan nicht die notwendige Form und ist spielerisch M. Eggestein unterlegen. Über Gondorf wundere ich mich eher weniger. Ich glaube nicht, dass das Spielerisch-Taktische zu seinen Stärken gehört.
Nouris Aufstellungen nähren bei mir den Verdacht, dass eher die Strippenzieher im Team die Mannschaftsaufstellung bestimmen als der Trainer. Klingt sehr hart, ist vielleicht auch übertrieben, aber mMn auch nicht ganz von der Hand zu weisen. Werder muss nun in den nächsten 3 spielen unbedingt Punkten und dabei mindestens einen Dreier holen. Ansonsten wird es sehr eng für Nouri.
tobit 2. Oktober 2017 um 18:35
Mich würde näheres zum letzten Abschnitt interessieren. Wer sind diese Strippenzieher und wieso lässt man sie (wenn es denn so ist) damit durchkommen? Diese Art von „Verschwörungstheorien“ hört man in der Liga in letzter Zeit ziemlich oft – meist mit schlechtem Ausgang für den Trainer.
Kainz war doch „ursprünglich“ Flügelstürmer (oder?) und hat jetzt zuletzt auf der Acht (bzw. ja eher verkappte Zehn) und im Sturmzentrum gespielt, nachdem er letzte Saison quasi gar nicht berücksichtigt wurde. Wie würdest du ihn besser eingebunden sehen?
Eine ähnliche Fragestellung ergibt sich für mich spontan bei Hajrovic. Der wurde ja Mal mit großen Hoffnungen und Vorschussloorbeeren geholt (und soll auch entsprechend verdienen), konnte sich aber nie wirklich durchsetzen.
Schorsch 2. Oktober 2017 um 21:18
Ich persönlich halte Kainz auf dem Flügel für besser aufgehoben. Es ist auffallend, wie oft er als 8er auf die Flügel ausweicht (wo er dann aber wenig bewirken kann), aber nicht in den 10er-Raum vorstößt. Man hat es bei Juno gesehen, als er hineinkam. Dessen Vertikalität zeigt Kainz zu wenig, wenn er auf der 8 spielt. Einmal auf den Flügel ausgewichen, wird er sehr schnell vom Gegner isoliert und kann seine Schnelligkeit nicht ausspielen. Was er aber kann, wenn er von vorneherein auf dem offisiven Flügel positioniert ist und entsprechend von seinen Mitspielern eingesetzt wird. Das Problem ist nur, dass im 3-5-2 von Nouri eine entsprechende Position gar nicht vorgesehen ist. Was auch das Problem von Hajrovic ist mMn. Ich sehe ihn auf dem offensiven Flügel am stärksten. Je zentraler er eingesetzt wird, desto mehr verliert er an Wirkung. Wobei ich ihn so recht gar nicht beurteilen kann. Unter Dutt noch gespielt, dann unter Skripnik aussortiert (Skripnik war diesbezüglich sehr stur), dann verliehen, dann unter Nouri wieder (allerdings noch in einem etwas anderen System) öfters eingesetzt, dann der Kreuzbandriss, jetzt wieder erste Schritte ins Team zurück. Ob man mit ihm verlängern wird, bleibt fraglich.
Zu den ‚Strippenziehern‘: In jedem Team gibt es Hierarchien, oft Gruppenbildung; Spieler mit Einfluss bei den Cluboberen, Spieler, die pro oder contra bzgl. des Trainers sind. Die Frage ist, wie ein Trainer in welcher Situation damit umgeht. Bei Werder sind es mMn eher weniger die betreffenden Spieler, die hier ‚aktiv‘ geworden sind. Sondern es hat mehr mit der Herangehensweise von Nouri zu tun. Er ist zwar durchaus eloquent, auch in der Kommunikation mit den Medien. Aber er wirkt (nicht nur auf mich) dennoch immer unsicher. Und er war es ganz bestimmt, als er seine Cheftraineraufgabe übernahm. Er kommt aus dem ‚Werderstall‘, hatte aber eigentlich kaum eine Beziuehung zu den Spielern des Profikaders. Anstatt nun mit der gebotenen Distanz zu den Spielern an die Sache heranzugehen, hat er bewusst die Nähe gesucht. Vielleicht auch im Wissen darum, dass sein Vorgänger auch deshalb gescheitert war, weil er von den etablierten Spielern im Kader fachlich nicht mehr ernst genommen wurde. Diese Spieler sind die Stützen des Kaders und gegen sie zu agieren kann gerade bei einem Club wie Werder mit traditionell engen Beziehungen der Cluboberen zu den Führungsspielern für einen Trainer tödlich sein. Dass diese Spieler Unsicherheiten merken und ggfs. auch ausnutzen, liegt in der Natur der Sache. Das steht einer teilweise sicher notwendigen Änderung auf bestimmten Positionen in der Startelf z.B. zugunsten junger Talente aber eher entgegen.
Uncle Jack 3. Oktober 2017 um 05:08
Vielen Dank für all diese sehr interessanten Gedanken und Hintergrundinformationen. Ich hätte da noch eine Frage zu Aron Johannssen: Für vier bis fünf Millionen Euro geholt (was für Werder heutzutage eine große Summe ist), hat er eigentlich nie eine wirkliche Chance bekommen (ich könnte das mit spezifischen Zahlen belegen). In seinem ersten Jahr war er natürlich fast die ganze Saison verletzt. Großes Pech sowohl für ihn als auch Werder. Dann in 2016/17 hat er in den ersten drei Spielen, noch unter Skripnik, eine ganze Menge Einsatzminuten bekommen. Aber das waren ja ziemlich vermurkste Partien. Und danach, unter Nouri hat er im Grunde keine echte Chance bekommen. Was ist da los?
Es wurde ja kürzlich mitunter gesagt, daß Johannsson eher ein mitspielender Stürmer sei und Nouri aber einen ‚Stoßstürmer‘ haben wolle. Dann wurde Belfodil engagiert … und sagte, in seinem ersten Interview, daß er eigentlich eher ein Spielmacher als ein Stürmer sei. Ich finde all dies ziemlich verwirrend…
Schorsch 3. Oktober 2017 um 21:08
Die Verpflichtung Belfodils hat in der Tat etwas Irritierendes. Baumann kündigte die Verpflichtung eines Stoßstürmers an, dann wird mit Belfodil ein eher ‚mitspielender‘ Stürmer verpflichtet. Bei dessen Physis würde man eher einen kopfballstarken Stoßstürmer erwarten, aber das ist er nicht. Er weicht gerne auf die Flügel aus oder lässt sich etwas fallen. Dabei ist er nicht der schnellste, dafür aber am Ball recht stark. Er kann aber auch mit dem Rücken zum Tor spielen und Bälle festmachen. Seine Werte in Belgien waren nicht überragend, aber auch nicht grottig. Eigentlich hatte man Carillo von AS Monaco im Visier (der dem Typus Mittelstürmer eher entsprochen hätte), was dann aber letztlich nicht funktioniert hat. Einige bei Werder sprechen von einer ‚1b‘-Lösung, aber so etwas passiert halt sehr oft im Transfergeschäft. Werder ist halt auch nicht die allererste Adresse. Ich persönlich habe bei Belfodil eher etwas Bauchschmerzen, wenn um sein Verhalten geht. Für sein Alter hat er schon so einige Stationen hinter sich und überall gab es irgendwelche Schwierigkeiten mit ihm. Na ja, Baumann kennt solche Spieler ja noch aus vergangenen Zeiten… 😉 Wie man sich endgültig bei ihm entscheidet, hat er auch selbst in der Hand (oder besser im Fuß… 😉 ).
Aron Jóhannsson ist schon beinahe so etwas wie ein tragischer Fall. Es ist schon so, wie Du es beschreibst. Sein Pech war definitiv seine schwere Verletzung, die ihn fast eine ganze Saison zum Aussetzen zwang. Irgendwie ist er in die Mühlen der Wechsel bei Werder geraten. Wechsel der Sportvorstände, Wechsel der Trainer. Jeder mit eigenen Vorstellungen hinsichtlich Kader, Transferpolitik, Spielweise, System, Taktik. Da hat man es als Spieler, der nie richtig Fuß fassen konnte, nach einer langen Verletzung einiges mehr an Spielen benötigt hätte, nicht leicht. Vor allem, wenn man keine Verpflichtung des aktuellen Sportvorstands ist… Baumann wollte Jóhannsson unbedingt verkaufen, aber das hat nicht geklappt. Und Nouri tut nicht das, was Baumann nicht will… Inwieweit Jóhannsson auf mittlere und längere Sicht sportlich überhaupt eine Verstärkung für Werder gewesen wäre, kann man schlecht sagen. Weil er halt nie über eine längere Zeit gespielt hat. Seine Werte in Alkmaar waren jedenfalls nicht schlecht. Es wäre sehr schade, wenn seine Karriere nun in Werders 2. Mannschaft den Knockout bekommen würde. Vielleicht klappt es ja im Winter mit einem Transfer.
tobit 3. Oktober 2017 um 23:12
Johannsson hatte ich immer eher als dynamischen, schlaksigen Typen im Kopf – eben explizit kein Stoß- oder Wandstürmer. Passt das?
Belfodil hat mich nach dem veröffentlichten Profil auch ziemlich überrascht – könnte aber gut zu Kruse und Bartels passen. Damit hat man drei ausweichende, spielerisch gute Angreifer, die sich trotzdem deutlich unterscheiden und kann form- und gegnerabhängig zwei davon kombinieren. Oder Bartels kann auch Mal woanders eingesetzt werden.
Wäre als Sturmtank nicht Lasogga einer gewesen ???? ?
Gibt es Überlegungen auch Mal wieder mit 4er-Kette zu spielen, oder will man zwingend bei fünf Mann hinten bleiben? Mit Bartels, Kainz, Hajrovic und Johannsson (wenn meine Einschätzung oben passt) hätte man einige Möglichkeiten für die offensiven Flügel, wovon aktuell nur Bartels passend eingebunden ist.
Uncle Jack 4. Oktober 2017 um 06:10
@Schorsch: Vielen Dank für die ausführliche Antwort. Sehr überraschend für mich, daß Baumann – und nicht vor allem Nouri – Johannsson loswerden will. Aber, wie dem auch sei: Der Fall Johannsson ist für einen armen Verein wie Werder betriebswirtschaftliches ein absolutes Fiasko, so scheint mir. Da gibt man vier bis fünf Millionen Euro für einen Spieler aus (und sein Jahresgehalt wird ja wohl auch in einem gewissen Verhältnis zu seiner Ablösesumme stehen) und dann gibt man diesem Spieler – nach einer in der Tat sehr unglücklichen, langen Verletzungspause – im Grunde keine echte Chance, wieder Tritt zu fassen und sich zu beweisen. Selbst wenn man Johannnsson verkaufen können sollte, bevor sein Vertrag ausläuft: An die ursprüngliche Ablösesumme wird man ja wohl kaum auch nur entfernt herankommen. Also etwa fünf Millionen plus etliche Jahresgehälter in den Sand gesetzt. Nur aufgrund eines “Also ich habe den Spieler nicht gekauft, hätte ihn auch nicht gekauft und kann ihn irgendwie nicht leiden.“? Es mag ja so sein … aber … mir ‘dreht sich der Kopf.‘ Ein Verein wie Bayern München könnte sich so eine Verhaltensweise sicher leisten. Aber Werder?
Schorsch 4. Oktober 2017 um 09:59
@Uncle Jack:
Es ist bestimmt nicht der Hauptgrund und es geht auch nicht um Sympathien und Antipathien; die sportlichen Aspekte sind sicherlich hauptsächlich ausschlaggebend (aber auch nicht der alleinige Grund) und Nouri sieht Jóhannsson wohl einfach auch nicht als geeignet genug an. Aber ein Sportdirektor wird sich anders mit einem Spieler befassen, wenn dessen Verpflichtung (überdies eine teure) von ihm selbst zu verantworten war. Nouri wird sich nie gegen Baumann stemmen; seine Stellung als Trainer ist schwach. Und Baumann will Jóhannsson auch deshalb unbedingt veräußern, weil sein Gehalt das Personalbudget halt stark belastet und das Geld somit für andere Spieler fehlt. Die Ablösesumme ist dabei zweitrangig. Jóhannsson war dabei durchaus bereit, Werder beim Gehalt entgegenzukommen. Der ganze Fall ist einfach schon tragisch zu nennen und ein Club wie Werder kann sich so etwas eigentlich überhaupt nicht leisten, da gebe ich dir vollkommen recht. Man kann Baumann aber auch nicht absprechen, sich nicht um einen Transfer Jóhannssons bemüht zu haben. Es hat am Ende nicht funktioniert. Aber es bleibt der fade Beigeschmack, dass Jóhannsson nie eine richtige Chance erhalten hat.