Ballbesitz gewinnt keine Spiele?
Schmidt lässt Rudy manndecken. Ohne Erfolg. Dann kopiert er einfach Bayern. Mit Erfolg.
Der Spielverlauf suggeriert es bereits: Das 2:2 zwischen Bayern und Wolfsburg ging durch mehrere Phasen. Zunächst war Wolfsburg passiv aber stabil. Dann nicht mehr so stabil. Dann nicht mehr so passiv. Dann sogar aktiv und am Ende sogar dominant. Aber machen wir es wie so viele gute Münchner Spielzüge: Beginnen wir bei Rudy.
Manndeckung auf Rudy – und eine Reaktion
Martin Schmidts Plan A war der typische, defensive: Seine Mannschaft reihte ein 4-1-4-1-0 bzw. 4-5-1-0 in der eigenen Hälfte auf und konzentrierte sich auf Kompaktheit. Ein schöner Kniff dabei war aber, dass Stürmer Origi konsequente Manndeckung gegen Sebastian Rudy spielte. In den ersten 20 Minuten spielte Rudy nur vier (!) Pässe; Vidal kam auf 22.
Rudy reagierte darauf jedoch gut. Zunächst schob er etwas vor, um das Mittelfeldzentrum zu öffnen. Vidal fiel teilweise zurück und Hummels bekam Raum zum Aufrücken. Allerdings blieb Origi in einer blockierenden zentralen Position und die Wolfsburger Dreifachsechs konnte sich an ihm ausrichten. Guilavogui oder Arnold stellten durch Herausrücken stabile 4-4-2-0-Staffelungen her.
Nach der Anfangsphase wurden Rudys Ballkontakte aber häufiger und Bayern dominanter, weil sich der Spielmacher noch stärker anpasste: Statt zentral vorzuschieben kippte er nun konstant nach rechts, auf eine etwas eingerückte Rechtsverteidigerposition. So weit verfolgte ihn Origi nicht, der nun stattdessen etwas orientierungslos war. So ließ sich Wolfsburg noch etwas tiefer fallen.
Bayern konnte nun mehr und schneller in der horizontalen Zirkulieren und besetzte den Zwischenlinienraum sehr fokussiert. Ribery, Müller, Robben und Vidal schoben alle, teilweise sogar alle gleichzeitig, in die Räume vor der Wolfsburger Abwehr. Die Mittelfeldreihe der Wolfsburger wurde dadurch passiver und flacher.
Flaches Bespielen von tiefem Pressing
Tatsächlich hatte Wolfsburg trotz dieser Münchner Anpassung in der zweiten Phase der ersten Halbzeit mehr Spielanteile als in der Anfangsphase. Durch Rudys breitere Position konnten sie sich leichter in Konter lösen. Außerdem versuchten sie nach dem 1:0 immer mehr, auch den eigenen Ballbesitz zu nutzen (bis dahin 32% Ballbesitz, zwischen 1:0 und Halbzeitpfiff 45%).
Letzteres führte aber nach einem Ballverlust gegen Bayerns Angriffspressing zum 2:0. Dieses Resultat hatte auch einen gewissen taktischen Kern: Die Wolfsburger versuchten zwar, unter dem Münchner Druck den Ball zu halten, doch sie hatten kaum Zug zum Tor. Die gefährlichen Räume wurden nicht besetzt, beide Achter orientierten sich eher nach hinten, Origi war einigermaßen auf sich alleine gestellt.
Gegen ein Angriffspressing ist das genau die falsche Methode, schließlich ist der Nachteil des Angriffspressing der große Raum hinter der Abwehr und zwischen den Linien. Je länger ein Angriff dauert, umso mehr Zeit bekommt die verteidigende Mannschaft, diese Räume zu schließen und sich zurückzuziehen; und umso mehr steigt die Wahrscheinlichkeit eines Ballverlustes in der eigenen Hälfte. Insofern war Wolfsburgs Ambition, auch selber etwas mit dem Ball zu machen richtig. Doch sie machten zunächst das falsche.
Umstellung auf (klügeres) Mitspielen
Das änderte sich jedoch im zweiten Durchgang – zumindest ein bisschen. Schmidt zog Arnold nach vorne und stellte auf ein 4-2-3-1 um. So gab es einen Spieler mehr in der Tiefe, der die Abwehr der und die Sechser der Münchner beschäftigen konnte. Arnold hatte dabei selber gar keinen so großen Einfluss in Form von Ballaktionen, doch verbesserte schlichtweg die Struktur.
Konkret äußerte sich das so, dass Origi für die Bayern schwerer zu verteidigen war. Dieser wurde nun auch viel häufiger gesucht; oft von Casteels, nachdem Bayerns Formation in die Tiefe gezogen wurde. Aufgrund der Münchner 4-4-2-Formation hefteten sich Lewandowski und Müller dann meist an die Wolfsburger Innenverteidiger und einer der beiden Sechser kam mit herausgerückt.
Die Folge war Raum für Origi, um lange Bälle zu halten. (Auch der Freistoß zum 2:1 entstand, weil Guilavogui in den Raum hinter Vidal kam. Boateng konnte in den direkten Duellen mit dem belgischen Stürmer weniger gut abgesichert werden (wegen Arnold) und verteidigte (wohl auch) deshalb recht passiv. So entstand dann auch das 2:2 nach einem langen Ball auf Origi.
Ein individuelles Lob ist auch Blaszczykowski zu machen. Der legte vor dem 2:1-Freistoß eine hohe Verlagerung gut auf Guilavogui ab und brach damit das Pressing; beim 2:2 band er mit geschickter Bewegung Rafinha und ermöglichte damit die Flanke und zog gleichzeitig Hummels aus der Position, von wo aus Didavi dann traf.
Spiegel!
Abgesehen von diesen Details war Wolfsburg aber taktisch nicht herausragend. Die große Änderung war schlichtweg, dass sie noch mehr versuchten, mitzuspielen. Das äußerte sich vor allem darin, dass sie im 4-2-3-1 nun auch immer mal ins Angriffspressing aufrückten. So bekamen sie mehr Spielanteile. Dieses Pressing war aber auch nicht optimal und war ähnlich wie das der Bayern anfällig, unter anderem für lange Bälle. So hatte beispielsweise Robben eine Riesenchance nach einem Schnellangriff.
Generell gab es im zweiten Durchgang frappierende Ähnlichkeiten zwischen Bayern und Wolfsburg. Die Formation waren die gleichen, viele Rollen ähnelten sich und auch der strategische Mix war beinahe identisch: Gegen den Ball Angriffspressing oder Zurückziehen mit etwas lascher Organisation, mit Ball ein Fokus auf Ballbesitzspiel, aber punktuellen langen Bällen, wenn der Gegner weit herauskam.
Individuelle Spielstärke gegen lasches Pressing
Was diese Gleichheit zwischen den Mannschaften noch einmal etwas brach waren die Wechsel. Ancelotti versuchte mit Tolisso zu stabilisieren, Schmidt brachte mit Didavi einen durchschlagskräftigeren Zehner und zog Arnold auf die Sechs zurück. Von dort kurbelte er das Spiel seiner Mannschaft sehr aktiv an, während Didavi in den Offensivräumen präsenter agierte. Außerdem gab es verstärkt eine Rechtsüberladung, indem Itter links die Breite gab und Malli einrückte, während rechts beide Außenspieler breit blieben. Teils entstand ein verschobenes 3-2-4-1:
Dazu kam, dass Bayern gegen den Ball lascher wurde. Ohnehin fehlt es im Münchner Pressing öfter an Kohärenz, weil etwa Aufrückbewegungen nicht mitgegangen werden oder einzelne Mannorientierungen Lücken reißen. Dem Zugriffsverhalten im Angriffsdrittel geht außerdem zuweilen die letzte Aggressivität ab. Diese Problematiken wurden mit nachlassender Grundintensität immer deutlicher.
So konnte Wolfsburg in der Endphase immer häufiger in freie Räume kommen, verlor weniger Bälle, kam öfter in Strafraumnähe – mit dem logischen Resultat. Nach der Einwechslung von Didavi (73. Minute) erreichten die Wölfe sogar einen Ballbesitzwert von 56%! Dieses Muster gab es schon im Spiel gegen Leverkusen und auch dort ging das für die Bayern nicht gut aus.
Sebastian Rudy hatte die wenigste Präsenz im Spiel übrigens in der Phase um das 2:2. Da spielte er zehn Minuten lang keinen einzigen Pass. Nicht weil er manngedeckt wurde. Sondern weil der Ball meistens beim Gegner war.
Auch wenn Ballbesitz keine „Spiele gewinnen“ mag, ist es doch zumindest so, dass fehlender Ballbesitz Spiele verlieren kann.
12 Kommentare Alle anzeigen
Cali 27. September 2017 um 03:50
Findet noch jemand, dass Maxi Arnold die deutsche Version von Frank Lampard ist?
tobit 25. September 2017 um 19:33
Klasse Sache, dass ihr trotz anderer Planung was zu dem Spiel schreibt. Fand ich sehr interessant, da ich mich nach dem nicht gesehenen Spiel gefragt habe, wie es denn zu dem Ergebnis kommen konnte.
Seit wann kann Martin Schmidt denn mitspielen? Und warum hat er das mit Mainz nicht gemacht, die auch einen (für ein kleines Team) ziemlich spielstarken Kader hatten?
MR 25. September 2017 um 21:01
Naja, das war ja der erklärte Fokus von Jonkers. Das verlernt eine Mannschaft ja nicht von heute auf morgen. Und es stand schon 2:0. Wird interessant, wie sich das entwickelt.
tobit 27. September 2017 um 09:53
Den ballbesitzorientierten Vorgänger gab es mit Hjulmand in Mainz ja auch. Mal schauen, ob wir jetzt öfter konstruktives Spiel zu sehen bekommen oder ob das nur ein Notfallplan war.
Jonker hätte gegen Bayern wahrscheinlich auch versucht zu kontern und nicht auf Ballbesitz gesetzt. Festhalten lässt sich aber: Man kann den Bayern die Spielkontrolle wieder wegnehmen, sie sind also nicht mehr unschlagbar.
Koom 27. September 2017 um 09:09
Ohne Martin Schmidt was böses zu wollen: Ich halte ihn in erster Linie für einen Motivator. Er hat keine elaborierten Matchpläne und Taktiken, sondern darin eher einfache Ideen. Liegen gute Grundlagen vor und auch Spieler, die seine einfachen Ideen ausbauend umsetzen, dann läuft es. Siehe die ersten 1,5 Saisons mit Mainz. Gehen ihm dann wichtie Spieler verloren (Baumgartlinger) und ist die Kaderfluktuation zu groß, so dass die Mannschaft keine einheitliche Lehre vom Vorgänger hat, dann bröckelt es. Schmidt schult aus meiner Sicht keine detaillierten taktischen Abläufe, kein Pressing, keine Offensive. Ball vor, Tempo, druff. DAs vor ihm mit Joncker durchaus ein Spezi für Positionsspiel am Werk war, wird Schmidt helfen. Wenn die Mannschaft Jonckers Training nicht in den Wind schlägt und mit den einfacheren Plänen von Schmidt kombiniert, kann das diese Saison erfolgreich sein (sprich: ruhiger Mittelfeldplatz).
Daniel 25. September 2017 um 18:54
Dankeschön MR für die vielen interessanten Artikel und lass dich ja nicht runterziehen von einigen Dauernörglern. Kommt es mir eigentlich nur so vor oder ist es tatsächlich so, dass du inzwischen wieder mehr Artikel schreibst? Ich hab deinen Analysestil schon immer gemocht, aber habe deine Artikel als ziemlich seltenes Vergnügen empfunden (kein Vorwurf, kann ja jeder machen wie er möchte). Deswegen freut es mich sehr, dass du in den letzten Monaten meinem Eindruck nach deutlich aktiver warst…weiter so 🙂
Ahnungsloser 25. September 2017 um 19:06
Dem möchte ich mich gerne anschließen.
Nebenbei gefällt mir die Themenwahl bei SV sehr gut. Obwohl ich eigentlich Gladbach-affin bin, lese ich hier lieber Artikel über Dortmund, Bayern, Leipzig, Hoffenheim etc.
Und das nach fast jedem Trainerwechsel analysiert wird, möchte ich lobend hervorheben….
MR 25. September 2017 um 19:12
Dankesehr für das Lob. Ich hab aktuell deutlich mehr Zeit zur Verfügung, daher kommt mehr, ja.
siq 24. September 2017 um 13:44
Da gabs hier grad ne Diskussion dazu und ihr kommt wieder mit nem Bayern Artikel.
MR 25. September 2017 um 18:32
a) Das ist eher ein Wolfsburg-Artikel.
b) Bayern hat nicht gewonnen. Das ist interessant.
c) Das war das Freitagsspiel und wurde vor den Samstagsspielen analysiert. Da hatte sonst noch niemand gespielt.
d) ENTSCHULDIGUNG, DASS WIR CONTENT LIEFERN.
MarcAnton 27. September 2017 um 09:54
Die Entschuldigung zu d) wird akzeptiert.
AL 23. September 2017 um 21:32
Beschwerde uber Bayernartikel in 3, 2, 1 …