Dominanz mit kleinen Wacklern
Nach zwischenzeitlicher Krise zeigte sich RB Leipzig am Samstagnachmittag von seiner dominanten Seite. Die Sachsen nutzten geschickt die Lücken in Darmstadts Defensivformation und gewannen deutlich mit 4:0.
Grundformationen
RB-Trainer Ralph Hasenhüttl musste auf den verletzten Stammstürmer Timo Werner verzichten. Der kürzlich ins Training zurückgekehrte Angreifer Yussuf Poulsen saß zunächst nur auf der Bank. Deshalb führte Marcel Sabitzer die Leipziger als Sturmspitze an. Hinter ihm formierte sich jedoch nicht wie zuletzt gegen Werder Bremen eine Dreierabwehr mit Vierermittelfeld, sondern die ansonsten gewohnte Viererabwehr mit drei Zentralspielern davor. Stefan Ilsanker agierte auf der mittigen Sechs. Naby Keïta und Diego Demme hielten sich eher in den Halbräumen auf – zumindest auf dem Papier. Oliver Burke und Emil Forsberg flankierten derweil Sabitzer an vorderster Front.
Darmstadt setzte gegen Leipzigs 4-3-3 auf ein 4-2-3-1 mit Sven Schipplock als Sturmspitze und Marcel Heller sowie Sandro Sirigu als „Flügelzange“. Hamit Altıntop und Mario Vrančić bildeten die Doppelsechs in der Darmstädter Formation. Fabian Holland war der offensiv aktivere Außenverteidiger, während Artem Fedezkyj auf der rechten Seite zumeist tiefer positioniert blieb.
Grundsätzliche Abläufe
In der Anfangsphase der Partie bauten die Hessen mehrfach über Torwart Daniel Heuer Fernandes und zwei breitstehende Innenverteidiger auf. Das Trio wurde mannorientiert von Leipzigs Angriffsreihe angelaufen, wobei Sabitzer sich zumeist mit seinem Körper leicht gedreht positionierte, weil Darmstadts Aufbaulinie leicht zu rechten Seite der Lilien verschoben war. Das hatte den einfachen Grund, dass somit ein Anspielwinkel hin zum aufrückenden Linksverteidiger Holland entstand. Oliver Burke blieb unweit Aytaç Sulu stehen, während sich Keïta vielfach an Vrančić orientierte. Sabitzer ging auf den zentralen Aufbauspieler, drehte aber seinen Körper in einigen Szenen leicht, um den linksseitigen Sechser ansatzweise in seinen Deckungsschatten zu stellen.
Ein ähnliches Bild ergab sich auch, wenn Altıntop zwischen die Innenverteidiger kippte und den Spielaufbau übernahm. Im Endeffekt schoben die Darmstädter in dieser Variante Fernandes lediglich zurück in den Kasten, verringerten ihre Präsenz im eigenen Sechserraum, hatten jedoch einen versierteren Passspieler am Ball. Überaus intensiv war Leipzigs erste Pressingwelle jedoch nicht, weil durch das angedeutete Zustellen sowieso nur das erzwungen wurde, was Darmstadt wahrscheinlich ohnehin im Aufbau praktiziert hätte: lange Schläge.
Die Leipziger variierten ihren Aufbau derweil, verfolgten aber zumeist ein konkretes Ziel: Sie wollten in die seitlichen Zwischenräume zu gelangen. Dies probierte der Tabellenzweite entweder über Anspiele auf die Außenverteidiger mit anschließenden Weiterleitungen zu einem der ballnahen Achter. Oder die breit positionierten Innenverteidiger versuchten den Ball direkt zu einem der Mittelfeldakteure zu spielen.
Auffällig war, dass RBL gelegentlich zu einer langsamen Zirkulation tendierte, bei der Demme und Ilsanker im Sechserraum blieben und irgendwann druckvoll von Altıntop oder auch Heller angelaufen wurden. Der Abstand zwischen der Aufbaulinie und den Sechsern betrug in diesen Fällen 15 oder 20 Meter. Ein Anspiel auf Demme hielt die Zirkulation aufrecht, erzwang aber keinesfalls ein Überspielen der Mittelfeldlinie Darmstadts. Anders sah es aus, wenn sich beispielsweise Demme etwas nach vorn bewegte und dieses Vorrücken mit einem Abkippen von Ilsanker verbunden wurde.
Eine Beispielszene ist unter diesem Absatz zu sehen: Marvin Compper stand breiter als Sidney Sam und zog gleichzeitig Sirigu zu sich. Der Kanal zu Demme war offen; Altıntop benötigte einen Moment, bis er zum Leipziger Mittelfeldspieler rückte. Gleichzeitig war Marcel Halstenberg de facto frei an der Außenlinie, was eine direkte Ablage auf ihn ermöglichte. In dieser markierten Zone des Spielfelds ergab sich ein 4-gegen-5 zugunsten der Gäste, aber schaut man auf die positionelle Verteidigung der Spieler, so war Leipzig für einige Sekunden klar im Vorteil.
Der Grund dafür lag einerseits in den immer wieder auftretenden Vorrückbewegungen der Darmstädter Flügelsspieler – Heller auf der anderen Seite ging einige Male fast auf die Höhe von Schipplock oder rückte ein, um Ilsanker gegebenenfalls zu attackieren. Andererseits gelang es den Leipzigern auf der Basis von lokalen Unterzahlsituationen Lücken beziehungsweise Freispieler zu erzeugen. Kleine Blöcke im Mittelfeld konnten über größeres Dreiecksspiel umgangen werden – siehe untenstehende Grafik. Oder aufgrund guter Zirkulation in der ersten Linie ergaben sich diagonale Passkanäle in den Formationsschnittstellen der Darmstädter. Insbesondere Ilsanker auf der rechten Seite profitierte davon gelegentlich, wenn er sich zwischen einem gegnerischen Sechser und Heller in Position brachte.
Darmstadt zeitweilig dem Ausgleich nah
Bereits in der 12. Minute gingen die Hausherren in Führung durch einen Treffer von Keïta. Ein Zuspiel in die Angriffsmitte leitete die Situation ein. Burke lief von rechts ins Angriffszentrum und zog Außenverteidiger Holland mit sich, was wiederum die Außenseite – quasi den statischen rechten Halbraum – für Keïta öffnete. Ein Torschussversuch von Forsberg wurde abgewehrt und fiel direkt vor die Füße des Leipziger Mittelfeldtalents.
Bis zur Halbzeitpause hatten die Darmstädter mehrfach die Chance, den Ausgleich zu erzielen. Teilweise waren es einfach Umschaltangriffe über Sam, Schipplock und Heller, die für Gefahr, jedoch nicht immer zu Torschüssen, sorgten. Aus taktischer Sicht waren aber insbesondere die Angriffsversuche über die Holland-Heller-Seite interessant, weil eine kleine Schwäche im Leipziger Spiel aufgedeckt wurde.
Die Sachsen verteidigten im 4-3-3. Burke stand in der ersten Pressingphase auf der Höhe von Sabitzer und Forsberg. Einige lange Bälle der Darmstädter überspielte direkt diese Linie und zum Teil auch das Mittelfeldtrio. Kam Heller außen an die Kugel, hatte er hier und da die Möglichkeit, nach innen zu ziehen oder Holland ins Spiel zu bringen. Leipzigs Rechtsverteidiger Bernardo war für einen kurzen Augenblick in einer no-win-Situation. Natürlich schob Keïta hin zum Flügel, aber sein Anlaufwinkel war keineswegs optimal, um einen der Darmstädter zu stellen.
Zweite Halbzeit
Hasenhüttl tauschte später Burkes und Sabitzers Positionen. Zudem wurden die Flügelstürmer in der Defensive rascher zurückgezogen, weshalb wiederum die beiden Achter etwas vorschoben, sofern Darmstadt die Zirkulation über die tiefste Reihe laufen ließ und nicht unmittelbar das Spielgerät nach vorn beförderte. (Eine Alternative dazu wäre in meinen Augen ein situatives Zurückziehen der Achter – insbesondere Keïtas – nach außen gewesen. Burke als Rechtsaußen hätte dann die Achterposition besetzt, bis sich die Leipziger neu formieren konnten. Kritikpunkt hierbei wäre allerdings die Rollenverteilung.)
Die Story der zweiten Halbzeit ist schnell erzählt. Darmstadt kam bis zur 67. Minute zu keinem Torschuss. Dann traf Forsberg nach Zuspiel von Halstenberg zum 2:0. Sein Schuss von der Strafraumgrenze wurde abgefälscht. Wenig später erhöhte Willy Orban auf 3:0 per Kopf nach einer Ecke. Zwischendurch sah Sirigu noch die Gelb-Rote Karte. Nach einem Zuspiel Sulus auf Sam im Mittelfeldzentrum wurde Letzterer buchstäblich von Leipzigs Mittelfeld überrannt. Keïta setzte in dieser Szene mit dem vierten RBL-Treffer den Schlusspunkt.
Fazit
Aus mehreren Gründen war diese Partie von Interesse für mich: Leipzig schwächelte zuletzt und Hasenhüttl probierte zugleich neue taktische Ansätze aus, die aber keinen positiven Effekt erzeugten. Herauszustellen ist dabei das 3-4-3 gegen Bremen in der Vorwoche. In meiner Jahresendanalyse zu Leipzig werde ich auf den Verlauf der Rückrunde und gewisse Entwicklungen noch konkreter eingehen.
Dass die Sachsen nun zum 4-3-3 zurückkehrten, das zuvor bereits zweimal zum Einsatz kam (gegen Köln und bei Augsburg), war ein überzeugender Lösungsansatz. Denn die Rollenverteilung gegen Darmstadt war absehbar. Leipzig musste aus dem offenen Aufbau heraus Raumgewinn erzeugen, ohne sich dabei auf eine unkontrollierte Zweikampfschlacht einzulassen. Leipzigs Cheftrainer erkannte die Schwächen im Pressing der Lilien, nutzte die Fähigkeiten seiner Mittelfeldakteure und gab seiner Mannschaft Ideen für das eigene Ballbesitzspiel an die Hand.
Für die nächsten Aufgaben braucht es allerdings noch Verbesserungen in der Verteidigung von Flügelangriffen, andernfalls könnten Mainz oder Leverkusen Tore auf die Anzeigetafel bringen. Darmstadt verpasste es, den Ausgleich zu erzielen, was angesichts der eigenen Möglichkeiten auch der einzige Aspekt ist, über den sich die Hessen ärgern sollten.
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