Wolfsburgs Regression zum Mittelwert
Im offiziell letzten Spiel der Hinrunde kam es zu einem entscheidenden Duell in Hinblick auf die zweite Hälfte der Saison: Wolfsburg empfing die norddeutschen Leidensgenossen vom HSV. Ein Sieg hätte für Punktgleichheit zwischen beiden Teams gesorgt. Weder Albin Ekdal noch Mario Gomez schienen Interesse daran zu haben.
Aufstellungen
Der VfL begann im Gegensatz zu den letzten Spielen vor der Winterpause und auch entgegen einiger Vermutungen vor Spielbeginn nicht im 3-5-2, sondern griff auf das altbewährte 4-2-3-1 zurück. Kapitän Benaglio hat sich unter Ismael seinen Platz als Nummer eins zurückerkämpft. Davor wurde Rodriguez kontinuierlich zum Innenverteidiger umgeschult und startete zur Linken von Jeffrey Bruma. Flankiert wurden die beiden vom ungewöhnlichen Außenverteidiger-Pärchen Seguin und Gerhardt, das man eigentlich auch als Doppelsechs hätte aufbieten können. Diese Aufgabe oblag jedoch Luiz Gustavo und Guilavogui. Davor gab es eine Dreierreihe aus Caligiuri sowie den beiden interessanten Neuzugängen Malli und Ntep zu sehen. In vorderster Front lief der allseits beliebte Mario Gomez auf.
Beim HSV fiel Djourou fünf Minuten vor Anpfiff verletzt aus, sodass es ein dreifaches Debüt in der Innenverteidigung gab: Mavraj und Papadopoulos spielten nicht nur jeweils zum ersten Mal für den HSV, sondern taten dies auch erstmals gemeinsam. Auf den restlichen Positionen tat sich demgegenüber wenig. Die ungewohnte Kontinuität bei den Hanseaten sorgte dafür, dass Mathenia weiter im Tor stand, Sakai als Kapitän auflief und die Doppelsechs wie zuletzt aus Ekdal sowie Ostrzolek bestand. Lediglich Holtby kehrte ins Team zurück. Wood rückte im Rahmen der üblichen Rotation für Gregoritsch in die Sturmspitze.
Wolfsburg verbessert, aber mit Fragezeichen
Die Gastgeber begannen insgesamt bemüht und hatten auch ein ums andere Mal gute Ansätze zu bieten. Die Grundformation wurde im Aufbau etwas asymmetrisch interpretiert, indem Seguin häufig tiefer blieb als Gerhardt auf der anderen Seite. Gegen Mitte der ersten Halbzeit gab es so immer klarere Dreierketten-Staffelungen zu sehen, die auch Rodriguez und Bruma entgegenkamen. Letzterer fungierte als zentraler Verteidiger, während der Schweizer quasi die Rolle des Halbverteidigers innehatte und vermehrt das Aufbauspiel ankurbeln konnte.
Luiz Gustavo war zumeist der tiefere der beiden Sechser, der mit seiner guten Übersicht und Pressingresistenz immer wieder eine anlockende Wirkung hatte, die entweder Passwege auf die Flügel öffnete oder Pässe von dort ins Zentrum zurück ermöglichte. Insgesamt drehte sich bei den Wölfen letztlich vieles um ein Vorrücken in den äußeren Zonen. Teilweise geschah dies gezwungenermaßen, da Holtby und Wood im hohen Hamburger 4-4-2/4-1-3-2 früh bogenförmig auf die Innenverteidiger zuliefen und diese zur jeweiligen Seitenlinie lenkten. Ekdal nahm daraufhin lose Kontakt zu Gustavo auf, konnte bei Bällen nach links im weiteren Verlauf auch mal ebenso weit wie riskant zur anderen Seite rücken.
Allerdings steckte hinter dem flügellastigen Aufbauspiel auch ein willentlicher Fokus des VfL, wie einige wiederkehrende Abläufe verrieten. Dabei waren vor allem die Rollen der Außenverteidiger auffällig, wenngleich die Einbindung nicht immer sauber vonstattenging. Sie orientierten sich beide im Zusammenspiel mit den Vorderleuten zur Innenbahn und ermöglichten direkte Pässe nach außen zu Caligiuri oder Ntep. Diese mussten dann häufiger einmal mit dem Rücken zum Tor verarbeitet werden, gerade bei ersterem. Der Gegenspieler konnte somit jedoch teilweise weit aus seiner Position gezogen werden. In diesen Momenten vorderlief der jeweilige Außenverteidiger dann aggressiv, zog einen anderen Hamburger mit sich und öffnete den Passweg auf einen der Sechser. Dieser Weg wurde bei Caligiuri eher fokussiert, während Ntep auf der anderen Seite noch klarer ins Dribbling ging und seine unkonventionellen Stärken dabei durchaus auch im Zuge linearer Durchbrüchen ausspielen sollte.
In etwas höheren Zonen, nach Überqueren der Mittellinie, wurden solche Versuche zudem von diagonalen Sprints hinter die Außenverteidiger, etwa von Guilavogui (in der Regel konsequent als „Blocker“ eingesetzt), unterstützt. Auch dadurch konnten Spieler des HSV weggezogen und der Weg nach innen geöffnet werden. Malli bot sich viel für kleinräumige Überladungen an. Sein Zusammenspiel mit Gomez wirkte bereits ziemlich vielversprechend. Besonders im Ablagenspiel ergänzten sich die beiden schon gut. Der deutsche Nationalspieler konnte hier auch immer wieder mal als klarer Zielspieler eingesetzt werden.
Problematisch war bei Wolfsburg hingegen, dass der Übergang vom Aufbauspiel selten über den direkten zentralen Weg erfolgte. Luiz Gustavo und Guilavogui staffelten sich gerade zu Beginn etwas flach und ungünstig zueinander. Vor ihnen klaffte ein relativ großes Loch, dass Malli kaum alleine füllen konnte, da die Flügelspieler zunächst breit blieben. Dies spiegelte sich beispielsweise auch dahingehend wieder, dass in der entsprechenden Passmap praktisch keine Verbindungen zwischen Sechsern und den beiden vorderen zentralen Spielern auftauchen.
A propos Verbindungen: Nach Verlagerungen funktionierte die Pärchenbildung am Flügel zwar durchaus gefällig, aber die Verbindung ins Zentrum war nicht immer gegeben. Vielmehr verharrten mehrere Spieler relativ passiv auf der ballfernen Seite und zwangen ihre Kollegen regelrecht zum linearen Ausspielen oder zu Einzelaktionen. Das hatte von der Dynamik, gerade beispielsweise bei diagonalen Antritten Seguins mit Ball aus tiefer rechter Position ins unbesetzte Zentrum, fast schon etwas von Zidanes Real in vielen Spielen.
Ähnlich auch der dann häufig, und gerade im letzten Drittel, hohe Fokus auf die letzte Linie. Hier rückten die Wölfe häufig sehr schnell auf und fokussierten sich eher darauf, Flanken in Empfang zu nehmen, als anderweitig für Durchbrüche zu sorgen. Die Strafraumpräsenz war dann zwar ziemlich gut – und wurde passend von Luiz Gustavo abgesichert -, aber eben auch vorhersehbar.
Hanseaten mögen es stürmisch
Damit wurde dann durchaus auch in die Karten der Gäste gespielt, deren neues Innenverteidiger-Pärchen noch gar keine optimale Abstimmung haben konnte, wenn es um komplexere Situationen ging. Köpfen können aber sowohl Mavraj als auch Papadopoulos. Letzterer ist darüber hinaus auch ein berüchtigter Strafraumverteidiger, was später noch durchaus wichtig werden sollte.
Neben dem bereits erwähnten Angriffspressing konnten sich die Hamburger zudem einen Hauch tiefer, in einem hohen Mittelfeldpressing, formieren. Dieses tendierte aus dem 4-4-2 heraus eher zu einem 4-2-2-2 und fiel dann durch gute Orientierungen der jeweiligen Spieler an Passoptionen positiv auf. Auch das konsequente Zusammenziehen bei etwaigen hohen Bällen gehört unter Gisdol deutlich zur HSV-DNA. Solche chaotischen Situationen sind ausdrücklich erwünscht – auch in eigenem Ballbesitz.
Dort galt das Augenmerk von Beginn an einer überaus direkten Spielweise, im Zuge derer Zielspieler Wood mit hohen Bällen gesucht wurde (Häufigste Passkombinationen logischerweise: Mathenia-Wood, Wood-Müller, Müller-Wood). Er ließ sich dafür in der Regel auf die nominelle Zehnerposition zurückfallen, wobei der Fokus grundsätzlich klar auf der (halb-)rechten Seite lag. Die anderen drei Offensivspieler starteten im Gegenzug Sprints in die Tiefe, um für Weiterleitungen bereitzustehen. Wirkliche Wolfsburger Pressingszenen gab es so praktisch gar nicht zu sehen. Vielmehr mussten auch sie sich kompakt in den Hamburger Zielbereichen ballen und an der nur schwer kontrollierbaren Spielweise teilhaben.
Wenn Hamburg in davon geprägten Situationen an den Ball kam, wurden diese dann auch zielstrebig und mit passender gruppentaktischer Abstimmung ausgespielt. Wood konnte mit Ablagen und wuchtigen Aktionen eingebunden werden. Müller stach besonders heraus, indem er überraschende Pässe und andere kreative Aktionen einbrachte. Kostic konnte seine Dribblingstärke nutzen. Holtby unterstützte vielfältig. Das gute Zusammenspiel sorgte auch bei Kontern immer wieder für Gefahr.
Eine andere Situation, aber irgendwie doch dasselbe Spiel
Diese wurden umso klarer das bevorzugte Angriffsmittel, als mit dem Platzverweis für Ekdal in der 33. Minute ein (vermeintlicher) Bruch durch das Spiel ging. Der HSV musste sich fast zwangsläufig weiter zurückziehen, Wolfsburg rückte zusätzlich relativ konsequent auf und hielt die Gäste meistens am eigenen Strafraum.
Doch die grundsätzliche Wechselhaftigkeit blieb den Wölfen treu. Das Spiel schwankte irgendwo zwischen unverbundenen mannschaftlichen Staffelungen im „U“ (oder gar „O“) und extremen Überladungen, die ihrerseits zwischen „sich gegenseitig auf den Füßen stehen“ und ansehnlichem One-Touch-Fußball pendelten. Ntep rückte in der zweiten Halbzeit jedenfalls konsequenter in den Halbraum ein, wo er seine kombinativen Fähigkeiten unter Beweis stellen konnte. Seguin ging insgesamt in eine höhere Position. Auch Luiz Gustavo wechselte häufiger einmal die Rolle mit Guilavogui.
Die Rothosen verteidigten die Angriffsbemühungen der Gastgeber aber insgesamt weiterhin gut. Holtby ging auf die Sechserposition zurück und schob gemeinsam mit Ostrzolek fleißig von Flügel zu Flügel, wo die Hamburger unter Gisdol regelmäßig gute Zugriffssituationen schaffen. Dagegen waren gleichzeitig die Überladungen in äußeren Zonen nicht so wirkungsvoll. Die Anbindung ans Zentrum wurde zwar häufiger einmal geschaffen, teilweise gar durch Einrücken Gerhardts in den Zehnerraum, doch das Ausspielen zum Tor hin blieb hektisch und meist unpassend gegen einen leidenschaftlich verteidigenden Gegner.
So musste ein Gegenkonter für den Siegtreffer sorgen. Die Beschreibung desselben sprüht vor individueller Klasse: Luiz Gustavo rückt zum Doppeln nach halblinks, gewinnt den Ball, schlägt ihn jedoch nicht blind weg, sondern wartet geschickt ab, ohne wirklich angegriffen zu werden, um nach kleiner Körpertäuschung leicht in Richtung Zentrum zu dribbeln. Der für Malli eingewechselte Mayoral bewegt sich dort geschickt in den offenen Passweg und erhält den Ball, den er zum am Flügel durchstartenden Ntep weiterleitet. Der kann sich eine unsaubere Mitnahme erlauben, ohne wirklich seinen Tempovorteil einzubüßen. Doppelpass mit Mayoral an der Strafraumgrenze im linken Halbraum und Pass ins Zentrum. Dort hatte sich Gomez clever abgesetzt und muss den Ball nur noch leicht berühren, um das entscheidende 1:0 zu erzielen.
Fazit
Die Aussagekraft dieses Spiels, vor allem in Bezug auf die Leistung des VfL Wolfsburg, bleibt letzten Endes fraglich. Zweifelsohne zeigten sich die Mannen von Valerien Ismael verbessert, doch vor allem an der letzten Konsequenz mangelt es definitiv noch. Das insgesamt eher improvisierte Gebilde konnte sich tatsächlich kaum Chancen herausspielen und profitierte in Bezug auf die grundsätzliche Dominanz klar vom Platzverweis Ekdals. Mit dem Kader darfst du aber eigentlich nicht absteigen. Selbst wenn sehr viel falsch läuft.
Den HSV kann man dagegen für seine Konsequenz loben, was wiederum fast kurios anmutet. Aber: Gisdol hat eine richtig eklige Truppe geschaffen, die das außerhalb des Platzes größte Merkmal erfolgreich auf den Rasen bringt und für sich nutzt: Chaos. Im Gegensatz zu vielen der vorangegangenen Jahre wäre es somit eigentlich keine Schmach für die Konkurrenz, würde der Dino die Klasse halten.
2 Kommentare Alle anzeigen
_DC_ 23. Januar 2017 um 14:16
Kann mir irgendjemand erklären, warum Mayoral so wenig zum Einsatz kommt?
Wenn ich ihn sehe, spielt er gut. Wenn ich von ihm lese, wird er gelobt. Trotzdem kommt er grad mal auf gut 200min.
Gibts da irgendwas, das ich nicht sehe?
herrherrman 24. Januar 2017 um 19:41
WB spielt doch so einige hohe Bälle von hinten raus. Gomez ist dafür nicht das Idealziel, aber er macht es die letzten Spiele eigentlich doch sehr ordentlich (auch bei der EM schon positiv zu sehen), die Bälle oft mit dem Kopf weiter in den Lauf eines Mitspielers zu verlängern. Zumindest sehe ich ihn da als Luftanspielstation im Vorteil ggü. Mayoral. Als Bodenanspielstation im Zentrum fungierte vor der Winterpause Draxler, nun Malli. Hier sehe ich dann eigentlich eher die Frage: Malli oder Mayoral – und hier bringt Malli dann doch mehr mit. Mayoral sehe ich als typische Option für die letzten 10-20 Minuten neben Gomez als zweite Spitze, wenn man ein Tor braucht.