Freiburg, aber Lewandowski

1:2

Streichs Mannschaft liefert dem Tabellenführer eine clever vorgetragene Intensitätsschlacht in der Breisgauer Kälte. Der Lohn gleitet ihnen kurz vor Schluss aus den Händen.

scf-fcb-2017-januarGegen den zum „Rückrundenauftakt“ noch nicht wieder warmgespielten Rekordmeister konnten die Freiburger die Qualitäten ihres bekannten Systems gut einbringen: Hohe Grundintensität war die Basis, beim Anlaufen vorne fanden die Stürmer den richtigen Ausgleich zwischen Druckaufbau und Bindung nach hinten, ebenso bewegten sich die Flügel passend. Erst in tieferen Phasen folgten Philipp und Grifo im Pressing weiter gegen die Münchener Außenverteidiger nach hinten, zunächst aber versuchten sie eher die Passwege durch die Halbräume auf diese zuzustellen und zeigten punktuell diagonale Vorrückbewegungen.

Bayern noch nicht so souverän aufgestellt

Die Münchener begannen die Partie mit einer Aufbaudreierkette, die etwas überraschend von Vidals Zurückfallen nach halblinks gebildet wurde. Damit verblieb Xabi Alonso in einer recht klaren 3-1-Struktur als einzelner Verbindungsgeber nach vorne. Auch nachdem schon früh die Zuständigkeiten getauscht waren und der Spanier sich zentral zwischen den Innenverteidigern einreihte, fehlte es an der durchgehend stabilen Bindung des Aufbaus in die Angriffsräume. Diese mussten meist mit überbrückenden Pässen erreicht werden. Vor Vidal bildete sich durch Müller halbrechts und den teils einrückenden Douglas Costa halblinks eine 1-2-Struktur. Letzterer führte das aber inkonstant aus, wurde häufig wieder zu eher simplen Bewegungen nach außen gedrängt, um Alaba dort Optionen in die Tiefe zu geben.

Hinter der ersten Pressinglinie – mit ihrem aggressivem, aber im Raum anpassungsfähigen Verhalten – arbeiteten die Freiburger stärker und klarer gegen den Mann. Gerade aus der Viererkette rückten sie häufig intensiv mannorientiert heraus, wenn sich einzelne Offensivkräfte der Bayern zurückfallen ließen. Neben Douglas Costa tat das vor allem Lewandowski, der sich zentral für Direktpässe anbot. Ein Ablauf bei den Bayern sah so aus, dass der von Freiburgs Sechsern aufgenommene und in diesem Zusammenhang situativ von Höfler gedeckte Müller nach rechts auswich oder nach vorne startete und den diagonalen Passweg auf den Mittelstürmer öffnete.

Da Müller sich so aber vom Ball wegbewegen musste, war Lewandowski selbst der einzige wirkliche Verbindungspunkt in dieser Vertikalen von den tiefen Sechsern nach vorne. Von daher hatte er es – mit mannorientiertem Gegner im Rücken – schwer und kaum weiterführende Anspieloptionen, außer riskanten Pässen nach außen auf Robben oder wenn Lahm punktuell in den Halbraum schob. Es war eine generelle Schwierigkeit für die Bayern, dass sie zwar erst einmal gar nicht so schlecht in Zwischenräume hineinkamen, dort aber letztlich in Unterzahl gerieten und nicht für weitere Entwicklung sorgen konnten – ähnlich dann in höheren Zonen.

Seitliches Zuschieben und mannorientiertes Lückenfüllen

Bei Pärchenbildungen auf links fehlte ohnehin etwas die letzte Präsenz, rechts beispielsweise gelang das aber auch nur sporadisch, selbst wenn dort Müllers Läufe hinzukamen und Douglas Costa einige Male bis in den dortigen Halbraum hinüberging. Den Freiburgern gelang es aber trotz ihrer in der hinteren Mannschaftsabteilung mannorientierten Grundstruktur, eine hohe Horizontalkompaktheit aufrecht zu erhalten. Ursächlich dafür war neben ihrer enormen Laufstärke, durch die sie im seitlichen Verschieben viele Wege weiterziehen und Personal nach außen bringen konnten, etwa die Spielweise der individuell eigentlich eher schwächeren Doppel-Sechs.

Gerade der jeweils ballnahe Akteur schob weit nach außen, zumal dort auch Haberer bzw. Niederlechner unterstützten. In Richtung der rechten Münchener Angriffsseite schob dann auch der ballferne Kollege – in der Regel Frantz – meistens weit herüber, orientierte sich teilweise aber schon etwas zum anderen Flügel, was umgekehrt noch klarer auftrat. Bei Gäste-Angriffen über links hielt sich Höfler teils etwas breiter, wodurch vermutlich Müller stärker beachtet werden sollte. Gelegentlich wurde das mit kleinen Bewegungen nach hinten kombiniert, was die Strafraumpräsenz erhöhen konnte – gerade vor dem Hintergrund der vielen Herausrückbewegungen der Innenverteidiger. Zudem half das gegen einige Verlagerungen der Bayern.

Nun ergab sich horizontal zwischen den beiden Sechsern dadurch bisweilen eine etwas größere Lücke. Bei der Münchener Struktur konnte diese aber fast nur von tendenziell zurückfallenden Bewegungen genutzt werden, häufig auch wiederum vom sich kurz anbietenden Lewandowski. Entsprechend bot Freiburg diesen Raum an, füllte ihn jeweils durch momentane, individuelle Deckungen, ließ sich also mannorientiert dort hinein ziehen. Das war dann der Auslöser für die umliegenden Spieler, speziell die etwas auseinander stehenden Sechser, sich um die Einzelzuordnung herum zusammenzuziehen und den Raum zu verengen.

Hohe Intensität mit cleverer Umsetzung

Durch die intensive, geschlossene und gruppentaktisch starke Ausführung stellte Freiburg bayerische Unterzahlen her, wenn vonseiten des Tabellenführers das kombinative Zusammenspiel gesucht wurde. Für die Münchener war problematisch, dass sie zwischen defensivem und offensivem Mittelfeld eher zügig verbinden wollten und dort so nicht noch einmal eine feste Zirkulationsstruktur hatten. Schließlich agierten auch – besonders durch die unstetige Rolleninterpretation von Douglas Costa – die Flügel recht breit. Rechts sorgte Robben einige Male mit Einrücken an der letzten Linie für Gefahr, wenn aus einer Halbraumunterzahl noch schnell in jene Richtung weitergeleitet werden konnte.

Das waren dann in der Folge eher unkontrollierte und nicht ganz saubere Szenen, aber man sah im Ansatz, wie die von verschiedenen Mannorientierungen und Herausrückbewegungen in der Besetzung verformte Freiburger Abwehrlinie teilweise nicht mehr genug Breitenabdeckung übrig hatte in Richtung ballferner Seite. Mehrmals brauchte es schon eines geschickten Verhaltens der offensiven Flügelspieler in brenzligen Szenen. Auch bei Bayern-Verlagerungen über die höhere Zirkulation lauerten diese gut im tiefen Halbraum. Insgesamt zeigten die Freiburger eine starke Umsetzung ihres Systems gegen einen strukturell nicht herausragenden Gegner, ihre Intensität war auch von einer passenden Methodik unterlegt:

Zwischen den Mannorientierungen orientierten sie sich immer wieder neu, auch beim Fortlauf von Situationen, was sich bei den Flügelpärchen wohl am griffigsten veranschaulichte. Dazu trafen sie mannschaftlich recht gute Entscheidungen bei der genauen Anpassung dieser Intensität, wann sie aggressiver Zugriff suchten und wann sie sich auch in präsent gestaffelten Szenen eher damit begnügten, den Gegner nur zu stellen. Am Flügel rückten die Außenverteidiger nicht nur mannorientiert in die Halbräume, sondern mitunter über die Mittelfeldlinie gegen Robben bzw. Douglas Costa hinaus oder übernahmen dort gar die Position über etwas längere Phasen, gerade rechts hinten.

In letzterem Fall verhinderten sie so, zu weit nach hinten gedrängt zu werden und die Breitenstaffelung in der zweiten Linie nicht aufrechterhalten zu können. Zusammen mit dem Herüberschieben der Sechser erzeugte sie weiterhin Enge und Druck in den Flügelzonen. Im erstgenannten Szenario positionierte sich gerade Grifo einige Male sauber in einem Dreieck hinter dem herausrückenden Günter und dem diagonal von hinten unterstützenden ballnahen Stürmer. Insgesamt bedeutete das eine sehr unangenehme 4-4-2-Interpretation, die ihr Level auch über praktisch das gesamte Spiel so hochhielt. Bayern wurde zu vielen unkontrollierten Aufrückläufen gegen die Mannorientierungen in Umgebungen mit nur einer übrig bleibenden Anspielstation gedrängt, woraus dann viele Missverständnisse entstanden.

Freiburg mit Ballungen und Nadelstichen

Das war einer der Gründe, wieso Freiburg nicht jedwede Kontergefahr einbüßte – und zwar auch dann nicht, wenn sie phasenweise sehr weit, speziell auf den Flügelspielerpositionen, zurückgedrängt wurden. Ein zweiter Punkt betraf hier umgekehrt die aggressiven und etwas riskanten Herausrückbewegungen gerade aus der Abwehrkette heraus, die wiederum einige Ballgewinne von hoher Qualität brachten und einzelne Probleme bei den Folgemöglichkeiten abfederten. So kam Freiburg durch die nicht optimalen Abstände zwischen Sechsern und Offensiven der Bayern also immer mal zu Umschaltmomenten.

Insgesamt springt der Führungstreffer der Breisgauer hier ins Auge, weil eine solche Überzahlbildung um die mannorientierte Verfolgung des zurückfallenden Lewandowski vorausging. Allerdings handelte es sich auch um eine Szene, die zu einem frühen Zeitpunkt der vorigen Bayern-Zirkulation stattfand – bevor diese überhaupt wirklich begonnen hatte, nach einem Einwurf. Eroberten die Freiburger nach längeren Stafetten der Münchener das Leder, hatten sich durch die zahlreichen unterstützenden Nachrückbewegungen der Stürmer zum Flügel viele positionelle Veränderungen ergeben, so dass die Spieler teilweise in ungewohnten Abständen zueinander waren statt in einer festen Struktur zur Orientierung.

Etwas stärker kam die Interaktion zwischen den vorderen Freiburger Kräften daher nach langen Bällen und dann zweiten Bällen zustande. Mit diesem Mittel mussten sie im Aufbau wenig Risiko nehmen, konnten schnell vordere Zonen erreichen – eine Motivation, die viele Gegner der Bayern haben – und brauchten auch den Sechsern keine so ambitionierten Aufgabenstellungen in der Vorwärtsbindung geben. Die kompakte, defensiv gepolte Formation, die der Sportclub für diese langen Bälle einnahm, schob damit auch die Offensivspieler entsprechend eng zusammen.

Das war der wohl wichtigste Aspekt im Freiburger Offensivspiel, das insgesamt einige ansehnliche Szenen generierte – speziell zu Anfang. Über diese engen Ballungen erzeugten sie viel – und sinnvoll auf den Bereich um Bayerns Sechser fokussierte – Präsenz, die mit kleinen Ablagen und Zurückfallbewegungen Niederlechners ausgespielt werden konnte. Dabei zeigte sich das Freiburger Bewegungsspiel gruppentaktisch gut und zielstrebig. Sie lösten sich schnell aus ihren engen Verbindungen in den Raum, kombinierten oft eine enger anschließende mit einer in die Tiefe startenden oder sich absetzenden Flügelbewegung. Teilweise blieb Niederlechner auch mal über längere Zeit tiefer, zeigte dann erst verspätete und recht überraschende Nachstöße in offene Räume um die bayerische Restformation herum. Potential blieb insgesamt aber durch die vielen frühzeitigen, teils hektischen Abschlüsse liegen.

Zusätzliche Präsenz entstand durch das weite Vorrücken von Frantz, der sich nah an die vorderen Ballungen anschließen konnte – zumindest, um das Mittelfeld der Gäste stärker zu beschäftigen und so den Mitspielern zu helfen. Teilweise bewegte er sich sogar höher als einer der Flügelspieler. Bei schnellen Aufrückaktionen über Stenzel bzw. Günter die Linie entlang, die der Gastgeber aus dem Aufbau ebenfalls einige Male nutzte, fiel das ebenfalls auf und ergab einige, wenngleich etwas instabile Optionen für Halbraumverlagerungen. Die Anlage im Angriffsspiel noch durch die weiten Frantz-Vorstöße ergänzen zu lassen, war sicher nicht ohne Risiko – nach dem Überspielen der ersten Engen hatte Bayern auch den einen oder anderen (Gegen-)Konter. Viele Bayern-Gegner leiden eher am Gegenteil.

Fazit

Von den Verbindungen und der Kohärenz der gesamten Anlage war es sicher ein eher schwächeres Spiel der Münchener. Überhaupt ist so eine eher spezifische, eigenwillige Mittelfeldbesetzung mit Xabi Alonso und Vidal hinter Müller gerade gegen sich stark über das Pressing definierende Teams eine etwas schwierige Angelegenheit. Das führt dann  wiederum direkt zu dem Punkt, dass die Freiburger andererseits einen sehr starken Auftritt hinlegten und mit ihrer Ausrichtung für die Münchener nicht der passendste Gegner waren:

Ein Gegner, dessen Pressingintensität nicht so viele, saubere Aufrückmomente gewährt, der zwar aggressiv verschiebt, aber durch Laufstärke und einige ballfernere Positionierungen Verlagerungen ganz gut verhindern kann und der mit der guten Vermischung von herausrückenden Mannorientierungen in eine intensive Gesamtanlage das direkte Passspiel auf einzelne Zentrumsspieler in eine recht gestreckte Offensivstruktur hinein aggressiv zuschieben kann.

Vielleicht hört sich die Analyse etwas einseitig so an, als wäre Freiburg klar überlegen gewesen, das hört sich natürlich – die typische Einschränkung bei Analysen solcher Art – teilweise nur so an und blendet etwa die grundlegende Feldüberlegenheit der Bayern, gewisse positive Aspekte, usw. tendenziell eher aus. Von der Performance her rief der Gastgeber tatsächlich die stärkere Leistung ab, so dass sie die Münchener neutralisieren konnten, phasenweise auch etwas gefährlicher agierten und sich – ohne Lewandowskis Geniestreich – wohl einen Punkt dafür abgeholt hätten.

tobit 21. Januar 2017 um 14:16

Freiburg war ziemlich beeindruckend. Das war von der Mittelfeldkompaktheit bei Anspielen auf den höheren Bayern-Sechser oder weit zurückfallende Stürmer genau das, was ich eigentlich von Leipzig erwartet habe. Abwarten, bis der Ball in die Mitte geht und dann brutal zusammenziehen.
Aus diesen Situationen haben sie sich dann auch richtig stark befreien können mit teilweise Direktpassstafetten über 4,5,6 Stationen. Auch bei den – im Mittelteil des Spiels (sehr) seltenen – Kontern haben sie das gefühlt etwas lasche Bayern-Gegenpressing mit Steil-Klatsch-Serien schnell überspielt oder zurückgedrängt und konnte da auch aus Unterzahlen (oft 2-3 gegen 6) heraus etwas Gefahr erzeugen. Gegen Spielende haben sie dann eigentlich nochmal an Konsequenz zugelegt und sind generell wieder weiter rausgeschoben, leider wurden sie dafür nicht belohnt.
Die Strafraumverteidigung sah auch meist sauber aus – endlich Mal sinnvolle 6er-Ketten. Wie angesprochen sehr balancierte Nutzung von Mannorientierungen, die meist sauber aufgelöst und übergeben wurden und durch die hohe Intensität aller Spieler den Fluss der Bayern doch stark gestört haben.

Niederlechner hat mich echt überrascht. Ich hatte den immer als reinen Mann für den Strafraum im Kopf, aber der hat ja technisch und taktisch echt was drauf. Stand immer sehr sauber und anspielbar – und hatte dann auch gute Ideen, was er mit dem Ball machen wollte. Konnte da aber vielleicht auch etwas von den etwas passiven Bayern-IV profitieren, die entweder sehr hoch aufgerückt waren oder sich (gefühlt) zu schnell fallen ließen, was dann Raum hinter Vidal und Alonso öffnete.

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