Wie gewinnt Atlético gegen die Bayern?
Für Bayern München wird es die schwerste Prüfung auf dem Pfad zum angestrebten Champions-League-Titel. Für Atlético Madrid soll es der nächste Schritt sein, um das zu erreichen, was ihnen 2014 im letzten Moment aus den Händen glitt. Wir skizzieren für die Rojiblancos den Weg zum Erfolg.
Atléticos Charakteristika
Es ist wahrlich kein Geheimnis mehr: Diego Simeones Atlético zeichnet sich in erster Linie durch eine herausragende Defensive aus. Dies wird einerseits durch die hohen individuellen Qualitäten der Rojiblancos und zum anderen durch Elemente des Systems herbeigeführt.
Aufgrund der Mischformen aus 4-4-2/4-4-1-1 und 4-3-3/4-1-4-1 in der Arbeit gegen den Ball können sie sich auf jede herkömmliche Form des Spielaufbaus flexibel einstellen. Strategisch versuchen die Madrilenen die Spieleröffnung des Gegners zu limitieren und gegebenenfalls bis zur Mittellinie einen Ballgewinn zu erzielen, wobei Letzteres kein zwangsläufiges Ziel darstellt.
Atlético stellt ganz zu Beginn einer gegnerischen Aufbauphase nicht unmittelbar alle kurzen Passoptionen zu, was unweigerlich zum langen Schlag führen würde. Vielmehr beobachten sie für einen Augenblick den Initialpass sowie die grundsätzliche Staffelung und schieben daraufhin nach vorn.
Dadurch können sie das Anlaufen des Ballführenden sowie einer lateralen Anspielstation mit der Anwendung von Deckungsschatten verbinden. Atléticos Angreifer wissen, in welchem Winkel sie ihre Körper drehen müssen, um die zweite Reihe des Gegners aus Sicht des Ballführenden abzudecken.
Die Arbeit mit Deckungsschatten ist stets ein Spiel mit Winkeln und Raumwahrnehmungen. Umso näher ein Pressingspieler am Ballführenden steht, umso größer ist die Wirkung von leichten Körperdrehungen. Das hängt natürlich auch unmittelbar mit dem Zugriffsradius um den Körper des Verteidigers zusammen.
Die Rojiblancos sind aber keineswegs allein auf die Wirkung dieses Pressingmechanismus angewiesen. Sie reagieren ebenso clever auf frühe Pässe in Richtung der gegnerischen Außenverteidiger, wobei die komplette Mannschaft dabei meist etwas tiefer steht. Diese Art des Pressing erscheint noch effektiver. Denn neben dem herausrückenden Flügelstürmer, der zumeist auf die Höhe der beiden zentralen Angreifer rückt, macht auch der ballnahe Sechser einige Schritte nach vorn und zum Ball hin, wodurch sie mit Hilfe der Seitenlinie Semi-Isolationen kreieren und lediglich den Rückpassweg als Ausgang lassen. Doch selbst dieser kann vom ballnahen Mittelstürmer belauert werden.
Doch der oftmals erzwungene Rückpass führt zu einem weiteren Trigger. Der ballnahe Flügelstürmer stößt zumeist nach, nimmt den Außenverteidiger in seinen Deckungsschatten und presst seitlich den nun ballführenden Innenverteidiger, während der zweite zentrale Verteidiger von einem Mittelstürmer zugestellt wird und der zweite Mittelstürmer oder der vorstoßende Sechser den nahe postierten gegnerischen Sechser bewacht. Diese Variante ist genauso mit einem breit stehenden Mittelstürmer möglich, welcher dann vom Flügel beim Rückpass nach innen zieht.
Sollte es dem Gegner jedoch gelingen, durch eine schnelle Dreieckskombination über Innen- und Außenverteidiger den Ball zum Sechser zu bringen, beginnt für Atlético eine neue Phase im Pressing. Nun zieht sich die Mittelfeldkette aufgrund der mittigen Balllage zusammen, während mindestens ein Mittelstürmer im Rückwärtspressing Druck ausübt.
Genauso gut kann Atlético auf die Pressingläufe aus der Mittelfeldkette heraus verzichten und ausschließlich auf die intelligente Raumbesetzung des zweiten Bandes vertrauen. Die Madrilenen sind Meister eines defensiven Juego de Posición, was sie mit ihren Zick-Zack-haften Staffelungen unter Beweis stellen. Zur verbesserten Zonenkontrolle positioniert sich zum Beispiel der ballferne Flügelspieler tiefer als der zentrale Mittelfeldspieler neben ihm, während wiederum der zweite Sechser auf Höhe des erwähnten Flügelstürmers steht. Dadurch kann der ballferne Sechser schneller nach vorn stoßen und beispielsweise in Manndeckung gehen, während der andere Sechser zurückbleibt und die Zone kontrolliert, die er ansonsten, entblößt hätte, wäre er selbst herausgerückt.
Hinter der Mittellinie werden zum Teil mannorientierte Schemen deutlicher. Atlético gibt hierbei sogar gelegentlich die horizontale Kompaktheit der Mittelfeldkette auf und verfolgt einzelne Gegenspieler in der Mitte. Doch auch auf diese Bewegungen wird vom Rest der Mannschaft adäquat reagiert, indem sich zum Beispiel die rudimentäre zweite Reihe zusammenzieht.
Alternativ positionieren sie sich in dieser Phase des Pressings in einem 4-5-1/4-1-4-1. Dadurch hat der tiefe zentrale Sechser die Möglichkeit, im Zwischenlinienraum einen Gegner in enge Deckung zu nehmen, während die Innenverteidiger die Formation der Abwehrkette erhalten können. Ähnliche Hilfsmechanismen gibt es auch auf den Flügeln. Die Außenverteidiger positionieren sich im Gegensatz zur Meistersaison 2014 nicht mehr ständig breit, sondern stehen zuweilen hinter den Flügelstürmern. In der Regel sind sie aber mit Manndeckungsaufgaben betraut. Lässt sich der Gegenspieler jedoch zurückfallen, übernimmt der Sechser, der sich in der Nähe aufhält, die Bewachung.
Im eigenen Defensivdrittel profitiert Atlético von den angesprochenen Qualitäten der Defensivakteure rund um Abwehrchef Diego Godín. Aber sie verlassen sich nicht ausschließlich darauf. Neben Mannorientierungen im Zwischenlinienraum nutzen die Rojiblancos vor allem den Druck von zwei sich aufeinander zu bewegenden Ketten, sollte der Gegner hinter die Mittelfeldlinie gelangen. Auf den Flügeln gehen die beiden nominellen Außenspieler von beiden Seiten auf den Ballführenden. In den Halbräumen und in der Mitte sind es sogar mindestens vier Spieler, die den Akteur am Ball einkreisen.
Lokale Kompaktheit ist bei Simeones Team oberes Gebot. Sie versuchen, den Gegner jedoch nur zu isolieren, wenn sie rechtzeitig die Bewegungen des Balles erkennen und die Mannschaft ihre Ausgangsstaffelung lediglich leicht verformen muss, um zur Seite zu verschieben.
Spielt der Gegner jedoch längere Seitenverlagerungen und sind die Rojiblancos dabei sogar in Unterzahl auf der schwächer besetzten Seite, versuchen die Spieler in Ballnähe zunächst den Angriffsfluss nur zu drosseln, damit sich der Rest des Teams formieren kann. Statt viele Spieler nach einem Verlagerungspass nahe Atléticos Strafraum zur anderen Seite zu verschieben, lassen sich Teile der Mittelfeldllinie diagonal in den Sechzehner zurückfallen, um das Zentrum gegen Flanken zu verstärken.
Nun kommen klassische Verteidigungsfähigkeiten zum Tragen. Denn viele Defensivakteure der Madrilenen sind äußerst geschickt darin, das Spielgerät aus der Gefahrenzone zu klären. Selbst wenn Hereingaben scharf zum Fünfmeterraum gespielt werden, lenken sie die Kugel meist weg vom eigenen Tor. In diesem Kontext würde ein möglicher Ausfall von Godín im Hinspiel unheimlich schmerzen.
Atléticos eigentliches Ziel in der Arbeit gegen den Ball besteht jedoch darin, offensive Umschaltsituationen zu kreieren. Befinden sie sich einmal in kompakter Staffelung am und im eigenen Strafraum, wird es für die Rojiblancos zumeist schwer, den Ball effektiv nach vorn zu bewegen. Meist harrt nur ein Angreifer weiter vorn aus und dieser muss sich, sofern er das Spielgerät überhaupt sauber erhält, für mehrere Momente gegen einige Verteidiger behaupten. Die Nachrückbewegungen sind nicht schlecht und einige Laufwege auch einstudiert, aber der notwendige Raumgewinn doch nur schwer zu erzielen.
Gefährlicher ist Simeones Elf hingegen, wenn die Situation auf dem Feld etwas lockerer ist und zwischen den Spielern ein wenig Abstand besteht. Doch selbst dann rennen die Spanier nicht einfach kopflos in einen schnellen Ballverlust. Gerade beim Umschalten aus dem Sechserraum heraus schauen Gabi und Co. ganz genau, ob ein Verlagerungspass nach außen – vornehmlich zum dortigen Flügelstürmer – nicht doch abgefangen werden könnte. Ist dies der Fall, wählen sie lieber eine Sicherheitsvariante oder brechen den Versuch komplett ab.
In den vorderen Linien wird das Risiko erhöht, da sich die Angreifer sicher sein können, dass ihre Hintermänner Ballverluste notfalls ausbügeln. Der Grad der Sicherheit hängt natürlich auch von der Stärke des Gegners ab. Das beeinflusst zum Beispiel das Aufrückverhalten der Außenverteidiger, allen voran von Juanfran.
In Ballbesitzphasen agiert Atlético bei weitem nicht so ausgereift und durchdacht wie in der Arbeit gegen den Ball. Am effektivsten operieren Simeones Spieler, wenn sie Schnellangriffe vornehmen beziehungsweise Umschaltangriffe aus einer geordneten Staffelung simulieren. Steile Anspiele in die Spitze können gegebenenfalls zu Auseinandersetzungen um zweite Bälle führen. Damit diese Gegenpressingmomente jedoch passend vorbereitet werden, überladen die Madrilenen zum Beispiel eine Seite.
Oder sie verlagern über die eigene letzte Linie und spielen anschließend rasch vertikal durch eine geöffnete Gasse. In jedem Fall sind Überladungen sowie das Nachrückverhalten der Mittelfeldspieler und Außenverteidiger essentiell für den offensiven Erfolg, sollten sie ihre Gegner nicht ganz klassisch auskontern können.
Schlagen sie die Bayern? Und wenn ja, wie?
Bayern München ist offensiv mit das Beste, was der Weltfußball im Moment zu bieten hat. Ergo, keiner möchte wirklich gerne gegen sie spielen. Atlético unterscheidet sich da wohl ein wenig vom Rest. Denn bei diesen Kräfteverhältnissen blühen sie zumeist auf.
Sie müssen nicht das Spiel machen und selbst unheimlich kreativ aus der eigenen Abwehr nach vorn spielen, sondern können die Bewegungen im besten Fall für sich nutzen. Atlético hat eine realistische Chance, dieses Halbfinalduell für sich zu entscheiden, wenngleich die Verteilung von Heim- und Auswärtsspiel ihnen sicherlich nicht gelegen kommt.
Das sind die wichtigsten Elemente auf dem Weg zum Finale:
- hohes Pressing bei gleichzeitigem Vertrauen auf den Druck des eigenen Zugriffs
- nicht zu tief nach hinten fallen; keine Nerven zeigen gegen lange Passstafetten
- im Vorwärtsgang verteidigen ohne kopflos zu sein
- kleine Rempler um den Spielfluss zu unterbrechen; aber bestenfalls auf den Füßen bleiben
Makrotaktisch sollte sich das grundsätzliche Vorgehen der Rojiblancos nicht wesentlich von ihrer Herangehensweise gegen Barcelona im Viertelfinale unterscheiden. Allerdings spielen die Bayern aktuell meist in einer 4-2-4-haften Grundformation, während Barcelona im 4-3-3 agiert. Die Erweiterung der Sturmreihe um einen Spieler könnte für Probleme sorgen.
Warum? Normalerweise verdichten Flügelstürmer und Sechser vorm gegnerischen Außenverteidiger, sobald dieser den Ball erhält. Damit bleibt zumindest für einen kurzen Moment der zweite Sechser im Zentrum allein. Es entsteht eine Lücke zwischen den beiden zentralen Mittelfeldspielern, die aber nicht schadet, da Atlético nicht nur den angesprochenen Außenverteidiger des Gegners isoliert, sondern auch recht einfach in Gleichzahl gegen das Dreiermittelfeld steht.
Bayern allerdings bringt einen weiteren hohen Achter oder zweiten Mittelstürmer ins Geschehen, der die erwähnte Lücke zwischen den beiden Sechsern nutzen könnte, sollte sich Atléticos ballferner Zentrumsspieler nicht direkt ins Loch bewegen. Und selbst dann tut diese erhöhte Offensivpräsenz der Münchener, die noch mindestens einen Sechser oder einen eingerückten Außenverteidiger nach vorn stoßen lassen können, Atléticos Kontrolle nicht gut.
Aber sie können auch dafür Lösungen finden. Viel hängt vom einzelnen Personal der Bayern ab. Die Rojiblancos positionieren sich im Pressing zunächst im 4-4-1-1, wobei der situative Zehner den tieferen gegnerischen Sechser decken könnte. Gegen Arturo Vidal oder Xabi Alonso wäre dies jedoch nicht unbedingt notwendig.
Die Madrilenen könnten folglich ein etwas passiveres 4-4-2-0 oder 4-5-1 aufbieten und die Wege zu beiden bayerischen Außenverteidigern offen lassen. Das 4-4-2-0 hätte den Vorteil, dass sie mit kurzfristiger Mannorientierung beziehungsweise üblichen Dreiecksbildungen auf das potenzielle Einrücken eines bayerischen Außenverteidigers reagieren könnten.
Beim 4-5-1 wiederum wäre das schnelle Verschieben und Zustellen der breit postierten Außenverteidiger, die aufgrund des Mangels an Anspielstationen zwangsläufig den Ball vermehrt erhalten sollten, sehr einfach möglich. Aufgrund der horizontalen Kompaktheit der Fünferreihe sowie der Möglichkeit, den zentralen Sechser in den Zwischenlinienraum fallen zu lassen, würde Atlético flexibel genug bleiben. Und Flexibilität ist ein wichtiges Stichwort bei diesem Unterfangen.
Vereinzelte Verfolgungen im Mittelfeld – beispielsweise infolge von Vidals Vorstößen – müssen realisierbar sein, ohne die Kompaktheit der Grundstaffelung komplett aufzugeben.
Sollten die Bayern im Spielaufbau mit Abkippbewegungen und demzufolge mit einer Dreieraufbaureihe operieren, würde Atléticos situative 4-3-3-Defensivformation greifen. Durch das Vorrücken des ballnahen Flügelstürmers, der dem Systemgedanken folgend nicht aus einer zu breiten Position heraus startet, ergäbe sich schnell eine Drei-gegen-Drei-Situation, bei welcher die Rojiblancos jedoch die gegnerischen Außenverteidiger nicht aus den Augen verlieren. Denn die Positionierung des Flügelstürmers im Halbraum gibt ihm die Möglichkeit schnell zur Seitenlinie zu rücken und den offenen Raum zuzuschieben.
Die vielen Varianten, die in Atléticos Defensivsystem möglich sind, wurden oben bereits angedeutet. Schlussendlich kommt es darauf an, dass Simeone und sein Team in den ersten Minuten die Muster im Spielaufbau der Bayern erkennen und sich darauf einstellen können. Dies gilt ebenso für etwaige Umstellungen von Seiten Guardiolas.
Erst einmal in Besitz des Balles sollten die Madrilenen ein ähnliches Konzept wie gegen Barcelona befolgen. Sie spielen in statischen Situationen vor allem lange Bälle hinter die Schnittstelle von Innenverteidiger und Außenverteidiger. Hierbei kommt es auf die konkrete personelle Besetzung des Gegners an. Juan Bernat oder Rafinha sind kleine Schwachstellen in der Außenverteidigung der Bayern. Womöglich kommt einer von ihnen zum Einsatz.
Atlético wiederum agiert meist mit einem offensiv- und einem defensivstärkeren Flügelstürmer. Yannick Ferreira-Carrasco bietet beispielsweise mehr Qualitäten im Angriffsspiel, während Koke und Saúl Ñíguez typische Hybridspieler sind. Ferreira-Carrasco sollte auf die Seite rücken, die vermehrt mit langen Zuspielen gefüttert wird. Im defensiven Umschaltspiel beziehungsweise beim Kampf um den zweiten Ball sollte die Besetzung dann von Vorteil sein, da sich der ballferne Flügelstürmer ins Dreiermittelfeld eines situativen 4-3-3 eingliedern kann.
Im Rahmen von Flügelangriffen müsste Simeone einen Sechser in die Spitze vorstoßen lassen, um kleinere Kreuzbewegungen zu ermöglichen. Während der Sechser zum gegnerischen Innenverteidiger läuft, setzt sich jener Mittelstürmer, der zuvor dort postiert war, in Richtung der Seite des Balls ab, um eine kurze hohe oder tiefe Hereingabe zu verwerten. Auf diese kurzfristige Überladung des Zentrums muss Atlético zurückgreifen, um die Chancen zu erhöhen, eine Flanke zu nutzen.
Was das Konterspiel der Rojiblancos betrifft, gibt es wenig zu sagen. Die Reaktionsschnelligkeit des ballnahen Flügelstürmers ist von immens hoher Bedeutung, da dieser sich im besten Fall hinter den gegnerischen Außenverteidiger absetzen kann, was entweder einen bayerischen Innenverteidiger zum Verlassen des Zentrums zwingen oder aber die Außenbahn für einen Sprint öffnen würde.
Damit kurze Ablagen im Konterspiel funktionieren, sollte einer der beiden nominellen Mittelstürmer stets höher positioniert sein. In dieser diagonal versetzten 1-1-Staffelung ist die Vorbereitung von längeren Verlagerungspässen auf die Flügel leichter möglich. Auf die Passablage folgt aus der Dynamik heraus das öffnende Zuspiel. Kleinteilige Kombinationen sind derweil weniger erfolgsversprechend, weil hier die bayerischen Verteidiger dank ihrer Physis und ihres Stellungsspiels schnell intervenieren könnten.
Atlético sollte darauf gefasst sein, dass Bayern die oben erwähnten langen Aufbaubälle der Madrilenen verhindern möchte. Das Gegenpressing von Simeones Team ist aufgrund der aggressiven Nachrückbewegungen zu Recht gefürchtet.
Ein hohes Pressing der Bayern im 4-1-4-1 oder 4-4-1-1 könnte gewiss für Schwierigkeiten sorgen. Die Problematik hierbei: Lassen sich die Innenverteidiger zu tief an den Strafraum fallen, um dem Druck zu entkommen, wird Atlético eventuell anfälliger nach eigenen langen Bällen, da die Staffelung anschließend nicht kompakt genug ist, sofern ein Bayern-Spieler den Ball schnell abfängt.
Als Lösungsansatz könnte man ganz klassisch einen Sechser zwischen die beiden Innenverteidiger ziehen, welche dadurch breiter stehen und aus den Halbräumen heraus die Bälle vertikal nach vorn schlagen. Zur Absicherung im Mittelfeld müssten sich die beiden Flügelstürmer zusammenziehen, während der ballnahe Außenverteidiger nach vorn stößt und die Angriffslinie verstärkt. Aber das ist nur ein Gedankenspiel von vielen.
Zu guter Letzt bleibt noch Atléticos Geheimwaffe: tornahe Standardsituationen. Aufgrund der zahlreichen Konter und Tempodribblings, die sie pro Partie auf den Rasen zaubern, sind die Gegner der Rojiblancos häufig dazu gezwungen, zum Foul zu greifen oder den Ball in höchster Not ins Toraus zu klären. Dann schlägt jedoch die Stunde von Simeones Team.
Sie überladen eine Zone im Strafraum – oftmals den Bereich vorm kurzen Pfosten – oder rennen aus einem Pulk in die Räume am Tor. Am gefährlichsten sind ihre Eckstöße, die auf den ersten Pfosten fliegen. Die Bayern verteidigen zumeist in einer Mischung aus Raum- und Manndeckung. Sie müssten gegen Atlético allerdings den Zielspieler der jeweiligen Ecke, den sie im Vorfeld nur erahnen können, in enge Deckung nehmen. Denn stößt eben jener Madrilene in die angepeilte Zone, kann ein wartender Raumdecker wenig ausrichten. Die Rojiblancos sollten für den Überraschungseffekt den Zielkorridor und den Zielspieler – auch im selben Korridor – wechseln.
Fazit
Diese Begegnung ist allem Anschein nach eine ausgeglichene. Der deutsche Rekordmeister wirkt im Moment wenig variantenreich in seinem taktischen Vorgehen. Simeone sollte trotzdem auf alles vorbereitet sein. Doch eigentlich ist sein Team selbst spielbestimmend, obwohl sie in einer verteidigenden Rolle sind. Sie reagieren mit ihrem Defensivsystem nicht nur auf den Gegner, sondern sie zwingen die andere Mannschaft proaktiv zu jenen Entscheidungen, die ihnen in die Karten spielen. Im für Atlético besten Fall bewegen sich die Bayern in einer Art Scheindominanz, die viel tiefen Ballbesitz und wenig hohe Durchbruchsgefahr mit sich bringt.
33 Kommentare Alle anzeigen
Gh 28. April 2016 um 09:26
Atletico gestern mit der Antwort: einfach das spielen, was man immer spielt, das reichte. Bayern zur Verzweiflung von Pep mit dem hohen Pressing Atleticos überfordert, dann reichte ein zunehmend passives Verteidigen (ohne Fouls, war wohl Marschroute von Simeone) und in-Kauf-nehmen von halb bis 3/4 Chancen aus Flanken, Fernschüssen und Ecken der Bayern. Konter wurden nur noch eher dürftig als Unterzahlkonter angespielt, da Bayern nie die Absicherung aufgab (was vernünftig war). Keine einzige Torchance Bayerns aus einer Zentrumkombination, bzw. keine einzige Zentrumkombination Bayerns trotz eher hüftsteifer Innenverteidiger bei Atleti. Stattdessen immer wieder über die überragend verteigten Außen.
B4tigoal 28. April 2016 um 12:08
Simme in weiten Teilen zu, erinnere mich aber sehr wohl an eine Zentrumskombination nach Kopfballablage von Müller (oder wars Lewa?) auf Vidal. Dass zweiterer dann den Schieber per Innenseite versucht anstatt das Ding voller Wucht in die Gamaschen oder in den Nachthimmel zu jagen – naja. An sich ein dickes Ding.
CE 28. April 2016 um 12:08
„Atletico gestern mit der Antwort: einfach das spielen, was man immer spielt, das reichte.“ – Jein. Sicherlich zu großen Teil schon, aber es gab kleine Anpassungen – beispielsweise bei den Angriffsmustern.
Michael 28. April 2016 um 13:35
So wie immer würde ich nicht sagen, aber der Plan ging schon auf. Auffallend wie wenig Fouls ATM gespielt hat. Die haben Bayern sogar spielen lassen. Die können das auch ganz anders, insbesondere nach Fouls dann noch den Schiri einbinden um den Spielfluss zu torpedieren. Wenn Bayern kein schnelles Tor im Rückspiel gelingt, werden wird das wohl zu sehen bekommen. ATM ist wie ein Vampir, die saugen dich aus, berauben dich Deiner stärken und machen Dich geistig fertig. Bayern wird 3 Tore brauchen um das Ding noch zu regeln, selbst Barca hat diese Saison nur 3 mal 2:1 geschafft. 3 Gegentore ATM gabs diese Saison nur im CdR.
Gh 28. April 2016 um 19:20
Hoffentlich kommt noch was zu den Angriffsmustern nach der Führung. Bezog mich v.a. auf den Grundplan mit dem typischen anfangs hoch pressen, dann tiefer kompakt stehn. Hane manchmal den Eindruck, Atletico spielt absichtlich auf knappe Ergebnisse, damit der Gegner nicht die Devensivstruktur aufgibt, sprich, vorne bis kurz vor Schluss in Unterzahl spielt. Glaube bei bedingugnsloser Offensive a la Klopp gegen Dortmund könnte es manchmal problematisch für Atletico werden.
Tim 27. April 2016 um 20:26
Wow, habe mir wirklich Mühe gegeben….aber leider verstehe ich kein Wort davon….für einen interessierten ohne großes Vorwissen wohl nicht lesbar 😐
Todti 28. April 2016 um 00:34
Ich bin kein Experte, aber ich würde es mal so zusammenfassen:
– sehr variables Pressing mit verschiedenen, geplanten „Stufen“ je nach Höhe des gegnerischen Ballbesitzes
– überragende Kombination aus Aggressivität und Kompaktheit
– anspruchsvolle Übergeben/Übernehmen-Mechanismen von Gegenspielern und/oder Räumen zwischen Mittelfeld- und Abwehrspielern
– offensiv gefährlich nach Umschaltaktionen, umschalt-ähnlichen einstudierten Angriffen aus dem Ballbesitz und Standardsituationen
Ich hoffe, ich habe nichts falsches gesagt. Habe den Beitrag heute Nachmittag gelesen und jetzt ein paar Punkte aus dem Gedächtnis wiedergegeben. Was ich persönlich hinzufügen würde und unglaublich beeindruckend finde, ist, dass Atletico nicht nur hervorragend von Simeone eingestellt wird, sondern auch verschiedenste individuelle Fähigkeiten in der Mannschaft vereint. Alle Spieler sind unglaublich diszipliniert im taktischen Schema, man ist extrem stark in der Endverteidigung, aber im Prinzip alle Spieler abgesehen der Innenverteidiger sind auch sehr pressingresistent, sodass die Erfolgschancen auch in Unterzahlkontern oder ähnlichen Situationen vielversprechend sind. Ich habe so das Gefühl, dass Atletico die positiven Eigenschaften verschiedener Vereine oder Ligen kombiniert. Man kombiniert eher typisch britische Endverteidigung mit deutsch/spanischem Pressing, profitiert aber auch von der technischen Ausbildung der größtenteils spanischen oder lateinamerikanischen Spieler.
CE 28. April 2016 um 12:11
Da hast du dir natürlich auch gleich den schwersten Brocken rausgesucht. Lieber mit Analysen von Bundesligaspielen anfangen, die Du zuvor gesehen hast. Das vereinfacht den Einstieg.
Postskriptum: Wir veröffentlichen regelmäßig Textbeiträge bei anderen Medien, die leichter verständlich sind. Hier findest Du zum Beispiel einen Text zu Simeone und Atlético.
Frank 26. April 2016 um 19:26
sehr guter und wahrer artikel, aber: sehe ich es richtig, dass in der ersten graphik 11 feldspieler im spiel sind? 😉
CE 26. April 2016 um 20:02
Das sind die Bayern. Natürlich steht Neuer dort als Halbverteidiger. (Wundert mich, dass noch niemand den kleinen Scherz gesehen hat.)
Todti 27. April 2016 um 15:38
Haha, großartig!
Josef 26. April 2016 um 13:44
Die geteilte Vorschaus mit Blick aus FCB-Sicht und Atleti-Sicht finde ich stark.
Paradoxerweise bin ich (Bayernfan) nach Lektüre dieser Pro-Atletico-Vorschau optimistischer als nach Lektüre der Pro-Bayern-Vorschau von RM.
luckyluke 26. April 2016 um 19:53
😀 witzig, mir gings tatsächlich ähnlich. So in der Zusammenfassung klingen die Mittel Atleticos irgendwie eher „limitiert“ und sollten von Bayern in (sehr) guter Form wortwörtlich ausgespielt werden können. Leider ist diese Form im Augenblick nicht wirklich vorhanden…
Peter Vincent 26. April 2016 um 13:07
Bayern muss mind. ein Auswärtstor schießen.
Schnelle Seitenverladungen (Alonso) und Durchbrüche auf den Außen (Ribery, Costa/Coman), Nachrückbewegungen der ZM, hoch und kompakt stehen sowie einrückende AV sind die Mittel.
Ribery————-Müller——————Costa
———–Thiago————–Vidal—————-
———————-Alonso————————–
Bernat—-Alaba———–Kimmich—–Lahm
———————-Neuer—————————
luckyluke 26. April 2016 um 19:55
Ich glaube, das schlimmste, was man gegen dieses Atletico machen kann, ist Alonso aufzustellen. Aber ja er wird wohl spielen… Ich persönlich hätte in dem Spiel ja gerne Martinez auf der 6 gesehen…
Peter Vincent 26. April 2016 um 20:05
Alonso ist gg. Atletico mE „key“.
Vidal ist nicht pressingresistenter, braucht auch relativ lange, um seine Beine zu sortieren und muss sich ebenfalls daher weit zurückfallen lassen, um das Spiel aufzubauen.
Vorteil Alonso: Seine langen Bälle sind gg. die Spanier mE sehr wichtig, weil Atletico extrem kompakt verschiebt. Schnelle Seitenverlagerungen auf die dribbelstarken Aussenstürmer sind da mE ein wichtiges Mittel.
Damit sich Atletico nicht nur auf Alonso im Pressing stürzen muss, würde ich aufbaustarke IV aufstellen. Leider sind Holger und Boa wohl beide nicht fitt, daher Alaba + Kimmich. Die bringen auch Geschwindigkeit mit. Dazu dann eben die einrückenden Außenverteidiger und Alonso als DLP. Das ist mE dann ein kompaktes und dominantes Gebilde, mit dem man Madrid penetrieren kann.
Peter Vincent 26. April 2016 um 20:07
+
Vidal ist so als in den Strafraum rückender ZM wichtiger. Dort kann er seine Torgefahr und sein extrem starkes Pressing perfekt einbringen.
Win-Win-Situation.
luckyluke 27. April 2016 um 09:40
Sehe ich ähnlich. Zumindest den Teil über Vidal. Ich denk er hätte auf der 6 minimale Vorteile im Bereich der Physis, würde also einfach den ein oder anderen Zweikampf gewinnen, wenn er gepresst wird, allerdings ist er als „Spielmacher“ wesentlich limitierter und als vorstoßender 8er wertvoller…eventuell habe ich also leicht übetrieben, wenn ich sage, dass Alonso aufzustellen „das schlimmste“ ist 😀
Wie gesagt würde mir persönlich Martinez auf der 6 sehr gut gefallen, da er physisch mit Vidal vergleichbar ist, aber bei der entscheidungsfindung deutlich über Vidal und Alonso anzusiedeln ist und ersteren auf als „Spielgestalter“ meiner Meinung nach übertrifft. Dafür dann eine spielstarke IV mit Alaba und Kimmich oder im Idealfall natürlich Boateng, der Alonsos Qualitäten dann sowieso überflüssig machen würde…
wolfgang 26. April 2016 um 13:01
Godin absolviert schon wieder leichtes Lauftraining. Ich glaube erst an seinen Ausfall, wenn ich ihn auf der Tribüne sehe.
Isco 26. April 2016 um 15:42
Der wird spielen, zur Not auch mit Hilfe einer Pferdeplazenta
studdi 26. April 2016 um 11:36
Wie schwer wiegt denn der Ausfall von Godin? Ich habe immer der Eindruck das gerade die Strafraumvereidigung zum Großteil von seiner enormen Kopfballstärke abhängt.
CE 26. April 2016 um 12:19
Es ist nicht nur seine Kopfballstärke, sondern auch seine Geschicklichkeit im Strafraum. Der Ausfall tut auf alle Fälle weh.
Alexander Füßer 26. April 2016 um 11:03
Verstehe die Grafik zu Überladungen nicht ganz. Das stellt doch die Szene vor dem 1:0 gegen Barcelona dar ? Wo hat Madrid da eine Seite überladen ? Da ist doch eine Überzahl Barcelonas zu sehen oder ? Oder bezieht sich die Grafik auf den folgenden Absatz, das Bespielen von geöffneten Gassen ?
Generell, Bilderbeschriftungen wären hilfreich 😉
CE 26. April 2016 um 12:18
Die meisten Grafiken sind selbsterklärend 😉 Und hier befindet sich die Lösung des Rätsels im Satz unter dem Bild.
rrrazrrr 26. April 2016 um 17:44
Auch wenn das richtig ist (-> selbsterklärend), so sind Bildunterschriften doch ein nettes, bewährtes Mittel.
Ein wenig Potential zur Verbesserung der tollen Vorschau in Form konstruktiver Kritik wird doch bestimmt aufgezeigt werden dürfen? 😉
CE 26. April 2016 um 18:08
Klar. Ich sehe es nur nicht so.
rrrazrrr 26. April 2016 um 20:46
Also doch nicht.
Dr. Acula 26. April 2016 um 22:52
konstruktive kritik hat nur einen anspruch an sich selber, nicht an den empfänger. solange CE nicht schreibt „ich pfeif auf deine meinung“ o.ä, ist die kritik angenommen. ob sie auf anklang stößt, liegt bei ihm.
JTF 27. April 2016 um 12:02
Ich sehe aber nicht ganz, was Atletico da so besonderes macht. Habe zwar nur einen schlechten Video-Zusammenschnitt und die Grafik gesehen, aber für mich bespielt Atletico da nur ein ziemlich schlecht stehendes Barcelona:
Barcelona deckt mit 5 Spieler 3 Gegner, baut aber weder Druck auf den Ballführenden auf, noch haben sie den Verteidiger, der dann das Zuspiel bekommt im Zugriff und lassen da wo das Rechteck eingezeichnet ist einfach mal eine riesige Lücke im Zentrum.
Ich kann aber weder in der Grafik noch im Viedeo irgendwelche besonderen Bewegungen oder außerordentlich geschickten Positionierungen der Atletico-Spieler erkennen. Der letzte Pass und der Abschluss sind ganz gut, aber vorher?
Vielleicht könntest Du da nochmal auf die Sprünge helfen.
CE 27. April 2016 um 12:14
Sie erkennen die Situation schnell genug, bevor Barcelona die Lücke schließt. Es wird kein verlangsamender Lobpass versucht, sondern man spielt intelligent über die letzte Linie, um Tempo zu behalten. Zudem gibt es kleine Details, die mir hier gefallen. Zum Beispiel der späte Lauf zur Seitenlinie, der Iniesta nach außen zieht. Oder etwa Koke. Er positioniert sich clever und geht nicht zu stark in Richtung Abwehrlinie, obwohl er großen Freiraum hat. Damit kann er nach der Ballannahme den Verteidiger zum Herausrücken bewegen.
Dr. Acula 26. April 2016 um 08:43
„Am effektivsten operieren Simeones Spieler, wenn sie Schnellangriffe vornehmen beziehungsweise Umschaltangriffe aus einer geordneten Staffelung simulieren. Steile Anspiele in die Spitze können gegebenenfalls zu Auseinandersetzungen um zweite Bälle führen. Damit diese Gegenpressingmomente jedoch passend vorbereitet werden, überladen die Madrilenen zum Beispiel eine Seite.“
oh man, als ich das las, wollte ich direkt klugscheißen und kommentieren, dass das genauso beim 1:0 gegen barca passiert ist.. nix da 🙁
ich finde es schade, dass dieser artikel auch etwas zu sehr auf atletico eingeht. bei „wie schlägt bayern atletico“ war das natürlich erforderlich, aber dieser ging auch etwas in die richtung. die einzigen dinge, die ich über bayerns fähigkeiten gelesen habe, waren, dass ihre offensive zu dem besten gehört, was europa zu bieten hat und wie sie gegen bayerns pressing reagieren könnten, was eh so gut wie nie der fall sein wird.
interessant allerdings der vergleich zwischen barca und bayern! auf ein tolles spiel!
PS: eure tipps für manchester city – real madrid?
rrrazrrr 26. April 2016 um 17:45
Eine Vorschau aus Bayern-Sicht gibt es bereits seit gestern von RM.
Mike the Knight 26. April 2016 um 07:37
Sehr interessanter Artikel, vor allem im Vergleich zu „Wie gewinnt Bayern gegen Atletico“. Das können wirklich zwei heiße und spannende Spiele werden.