Stadtduell mit Folgen

1:4

Ein zu hoch ausgefallener Roma-Sieg in einem recht facettenreichen Hauptstadtderby bringt Lazio-Trainer Pioli um seinen Posten.

Mit einer eher enttäuschenden Saison im Rücken befanden sich die Laziali, in der vergangenen Spielzeit fast am Rivalen vorbeigezogen, diesmal gegen die unter Luciano Spalletti wieder konstant punktende Roma in einer Außenseiterrolle. Dementsprechend kam der Sieg für die Giallorossi nicht unbedingt überraschend und dürfte einige Beobachter in ihren Einschätzungen bestätigt haben, doch so deutlich, wie das Ergebnis am Ende aussieht, gestaltete sich die Begegnung über weite Strecken keinesfalls. Vielmehr hatte man es mit einem facettenreichen, teilweise recht ausgeglichenen Hauptstadtderby zu tun, in dem die Ausrichtungen der beiden Teams einige interessante Wechselwirkungen entwickelten.

römer derby 2016Frühes Pressing mit Mannorientierungen dahinter

Das etwas höhere, intensivere Pressing gab es auf Seiten der Roma zu sehen, wenngleich die allerersten Minuten noch etwas abwartender im 4-3-3 gestaltet wurden. Die 4-2-1-3-hafte Grundstruktur ging aber schon bald in Richtung eines 4-4-2, da Nainggolan mit nach vorne schob. Zusammen mit Perotti machte er Druck auf die erste gegnerische Aufbaulinie. Einer der beiden bewegte sich flexibel etwas näher an Biglia, deckte diesen enger oder per Deckungsschatten ab. Durch die guten Bewegungen dieser Doppelspitze gelang es Lazio nur selten, ihre nominelle Überzahl von Innenverteidigern und Sechsern auszuspielen, auch wenn der argentinische Mittelfeldmann bis in eine klare Dreierkette zurückfiel.

Dahinter nutzten die Mannen von Spalletti lose Mannorientierungen in verschiedenen Abstufungen. Die äußeren Stürmer etwa bewegten sich, neben einigen diagonalen Pressingaktionen auf Bisevac bzw. Hoedt, gegen Lazios Außenverteidiger teilweise recht tief nach hinten. Vor allem die beiden Sechser zeigten viel klarere Zuordnungen zu den Gegenspielern, als ihr Kontrahent es im Mittelfeld handhabte. Bisweilen verfolgten die Gäste sogar etwas plump, ließen sich weit nach außen oder auseinander ziehen. Aus mehreren Gründen gelang es Lazio jedoch nicht entscheidend, aus den entstehenden Lücken im Zentrum nachhaltig Kapital zu schlagen.

Lazios Probleme mit der vorderen gegnerischen Linie

Zunächst einmal fanden sie in den ersten Linien gegen den Pressingdruck zu selten Ruhe, um entsprechende Momente gut genug vorzubereiten. Sie wurden zu vielen unsauberen Aktionen gedrängt oder mussten Pässe aus ungünstigen Situationen spielen. Das wiederum hing auch mit den Freilaufbewegungen der Achter zusammen, die gegen mannorientierte Gegner nicht zum ersten Mal mit Problemen zu kämpfen hatten. Zwar agierten Cataldi und Parolo weitläufig, häufig aber etwas zu individuell in ihren Bewegungen. So fehlte es an Abstimmung zwischen den potentiell raumöffnenden Läufen, die zu wenig in Beziehung mit den Bewegungsmustern der Offensivspieler passten.

So kamen letztlich nicht die klaren Wechselwirkungen zustande, bei denen ein bestimmter Spieler eine Lücke freizog und ein Kollege dann umgehend mit dem richtigen Timing dort hineinstartete. Das bedingte wiederum gleichsam die leichte Unruhe in der Tiefe ebenso wie die Schwierigkeiten nach vorne. Phasenweise mussten die Laziali den Aufbau daher auch vermehrt mit langen Bällen gestalten. Gegen die Lücken um die Mannorientierungen hätte das theoretisch nicht so schlecht passen können, trat in der Praxis aber nicht ein. Unmittelbar um den Zielort des langen Balles herum, sozusagen in der ersten Abprallerzone, ergab sich aus den direkten Zuordnungen trotz der Räume oft eine Patt-Situation, in denen Lazio die kurzzeitige Fragmentierung durch die Mannorientierungen nicht überwinden konnte.

Sprang der lange Ball etwas weiträumiger ins Mittelfeld zurück, wirkte sich die gute Rückzugsbewegung der Roma aus. In dieser Hinsicht waren sie stärker als die zwar soliden und disziplinierten, aber nicht so harmonischen und aktiven Biancocelesti. Die vorderen Reihen der Roma rückten nun sehr geschlossen und zügig nach. Dazu machte sich auch die tiefe Rolle von Perotti bezahlt, der zwischendurch einfach mal sehr weit in hintere Zonen mit schob und dort lückenstopfend half, wo es gerade gut tat. Trotz alledem war die Roma-Ausrichtung mit den simplen Mannorientierungen im Sechserraum aber doch etwas zu anfällig, um komplett kaschiert werden zu können.

Unterschiede im schnellen Ausspielen

So verblieben letztlich immer noch nicht wenige Szenen, in denen Lazio – etwa durch einrückende Außenspieler, oft Candreva von links – in den geöffneten Zwischenlinienraum eindringen und dann Tempo zum Strafraum hin gegen die verbleibende Abwehrkette aufnehmen konnte. Diese Situationen waren eigentlich sehr aussichtsreich und Lazio hatte viel umliegendes, sauber positioniertes Personal, um daraus etwas zu machen. Allerdings spielten sie diese vielversprechenden Szenen nicht optimal aus – etwas, das der Roma in die andere Richtung auch wieder besser gelang.

Das Problem bei Lazio war häufig, dass sie in diesen dynamischen Szenen zum Sechzehner hin mit allen gerade beteiligten Spielern jeweils zu sehr darauf ausgerichtet waren, klar neben der Abwehr vorbei zu brechen oder den einen entscheidenden Pass hinter die Kette der Roma zu suchen. Dadurch schränkten sie sich aber in ihren Optionen ein, die Bewegungen waren leichter zu antizipieren und man hing gewissermaßen die gesamte Erfolgsstabilität an den einen Pass. Bei Kontern oder Schnellangriffen der Roma zeigte sich in einigen Details, wie es besser hätte gemacht werden können. Hier waren nicht immer alle der umliegenden Spieler ohne Ball auch auf die Vorwärtsbewegung und den möglichen Lauf zum Tor bestrebt.

Manchmal konzentrierten sich die Kollegen darauf, Löcher in der letzten Linie zu reißen und dem Ballführenden dadurch bessere Abschlussgelegenheiten kurz vor der Strafraumgrenze zu ermöglichen. Das trug später beim vierten Treffer noch zum Erfolg bei. Außerdem orientierte sich jemand mal kurzfristig wieder zum Ball statt zum Tor hin, um eine kleinräumige Anspielstation zu bieten. So konnten dann effektiver Doppelpässe, Ablagen oder einfach neue, leicht veränderte Dynamiken entstehen, mit denen sich der Angriff angenehmer oder vielseitiger weiterführen ließ. Das machte am Ende zu einem entscheidenden Grad den Unterschied, auch im Abschluss der Szenen, zwischen den Teams aus.

Tiefe Perotti-Überladungen gegen Umverteilung von Mannorientierungen

Die Roma sah sich bei ihren Aufbaubemühungen einem weniger aggressiven Pressing des Gegners gegenüber. Die Mannschaft von Stefano Pioli wartete zunächst etwas tiefer ab und war stärker auf Stabilität bedacht. Sie agierten zwischen einem 4-3-3 und 4-1-4-1, mit einigen mehr oder weniger deutlichen Mannorientierungen, prägend etwa von Biglia (anfangs auch oft noch Parolo) gegen Nainggolan. Insgesamt machten Pressing und Grundkompaktheit der Laziali einen soliden Eindruck, sie standen – abgesehen von einigen unsauberen Phasen unbedachterer Bewegungen – also eigentlich nicht schlecht und ließen auch gar nicht so viel zu.

Zwei hervorstechende, spezielle Aspekte prägten diese Momente: Zum einen das Zurückfallen Perottis, zum anderen die tiefe Defensivpositionierung von Matri mit ihren Folgewirkungen. Wie schon in den vergangenen Wochen üblich agierte der nominelle Mittelstürmer der Roma bei Ballbesitzphasen sehr tief und suchte häufig den linken Halbraum im zweiten Felddrittel, um dort etwa als überzähliger Spieler eingesetzt werden zu können. Auch diesmal gab es einige Überladungsansätze und Perotti erhielt viele Bälle. Andererseits konnte Cataldi, der wegen Matris tiefer Positionierung weniger lose mannorientiert agieren musste als Parolo, diese Zone oft übernehmen und sich um Perotti kümmern.

Gelegentlich organisierten die Laziali ihre Grundzuordnungen in Anpassung an die gegnerischen Bewegungen sogar großflächig um. Das war speziell in Phasen der Fall, in denen Cataldi gegen den Ball mehr aufrückte: Felipe Anderson bewegte sich dann in seiner engen Positionierung im Bereich von Perotti, Patric war grundsätzlich für den sehr hoch spielenden Digne zuständig und Bisevac orientierte sich eher am leicht einrückenden El Shaarawy. Das setzte Lazio durchaus flexibel um und hatte diese Linksüberladungen um Perotti daher recht gut im Griff. Die Roma konnte sich aus diesen sehr seitlichen Zonen nicht entscheidend zum Tor durchspielen.

Das war auch entscheidend dadurch bedingt, dass Salah und Nainggolan im ballfernen Halbraum positioniert blieben und in diesen Szenarien kaum eingebunden waren. Am linken Flügel hatten sie lokal zwar viel Bewegung und kurzzeitige Überzahlen, aber es fehlten dann die direkten Anschlussoptionen, zumal Perotti und Pjanic in eher tiefen Zonen starteten. Letzterer stellte gelegentlich Rückraumverbindungen her und kam so zu einem Pfostentreffer aus der Distanz. In einer Szene positionierte sich die Roma gut im linken Halbraum, hatte durch das Zentrum aber eine große Lücke – die allein vom kompletten und etwas unschlüssig wirkenden Mittelfeldtrio Lazios besetzt war – nach halbrechts.

Ambivalenz zwischen Matri-Rolle und den Achtern

Wenngleich sie im letzten Drittel also häufig noch die Stabilität halten konnten, tat sich Lazio jedoch schwer, die gegnerische Zirkulation übergreifend zu kontrollieren und zu stören. Die tiefe Positionierung Matris, der kaum mal vorschob, sondern sich fast immer am gerade hinteren und zentraleren der beiden Roma-Sechser orientierte, war eigentlich eine sinnvolle Maßnahme. Sie versprach mehr Kohärenz nach hinten und zusätzliche Abschirmung des gegnerischen Mittelfeldbereiches. Allerdings wurde diese Rolle, gerade in Verbindung mit den umliegenden Kollegen, zu passiv ausgeführt, griff nur selten über diesen Grundraum hinaus.

So mussten situativ weiträumige Aktionen der gegnerischen Innenverteidiger oder seitlicheres Herauskippen der Roma-Sechser aufwändig aus dem Mittelfeld beantwortet werden. Diese Aufgabe fiel den Achtern Cataldi und Parolo zu, die lange Wege nach vorne gingen. Dies geschah aber in zu großen Abständen, so dass die Vorteile jener Bewegungen – etwa das Nachziehen des Deckungsschattens und die potentiell schnelle, in der Gesamtdynamik stattfindende Absicherung durch die nächsten Kollegen – nicht mehr so gut zum Tragen kamen, zumal sie nur hinschoben, aber dann nicht auch noch Druck machten. Die Stürmer, auch die äußeren, waren zwar in Tiefe wie Breite eng an die Grundstaffelung angeschlossen, aber besetzten nur jeweils kleine Zonen in der Raumsicherung. Die großen Flächen dazwischen blieben dann an den Achtern hängen.

Teilweise führten die weiten Wege zu kleineren Lücken, die in der Folge aufwändiger im Nachschieben durch die Kollegen beantwortet werden mussten. Ein Spieler rückte heraus, kam vielleicht im ersten Moment zu spät und damit gerieten dann auch die hinterherrückend folgenden Akteure in Rückstand. Im zweiten Drittel lief Lazio in einigen Phasen daher eher nur hinterher und musste der Roma die Kontrolle überlassen. Manchmal wirkte das besonders stark, weil diese mit den weit vorstoßenden Außenverteidigern und den hohen seitlichen Stürmern in der Folge sehr systematisch die äußeren Kanäle zum Aufrücken nutzte, um dann in die Halbraumoptionen zurückzuspielen versuchen.

Nicht so viele Aufbaudurchbrüche, aber eine 0:2-Führung

Letztlich drangen die Giallorossi also mit ansehnlichen Stafetten oft ins Angriffsdrittel ein. Nur dort allerdings setzte sich dann oft noch einmal die Stabilität der Himmelblauen durch und konnte gefährliche Torchancen vorerst abwehren. Abgesehen von einigen Schnellangriffen waren es vor allem die Konter, oft auch im Anschluss an geklärte lange Bälle, welche der Roma vor der Halbzeit Gefahr brachten. Gerade halblinks hatten sie durch die unangenehmen Bewegungen Perrottis dorthin gute Voraussetzungen. Genau diese Konstellation ging dann auch dem Treffer zum 0:1 voraus, den Lazio-Schwächen in der Strafraumverteidigung noch mit begünstigten.

Nach dem Seitenwechsel wurde – durch langsame Risikoerhöhung, und dadurch auch mal mehr Unsauberkeit, seitens der Gastgeber – das Überspielen des herausrückenden Mittelfelds wichtiger. Vor dem 0:2 gelangte in letzter Instanz der Bewegungskette Nainggolan hinter Biglia in einer großen Zwischenlücke, zur Abwehrkette liegend, frei an den Ball. Zu diesem Zeitpunkt tendierte das Pressing Lazios bereits immer häufiger zu klaren 4-4-2-haften Strukturen. Durch die teils unsaubere Ausführung war das etwas riskanter, aber mit den höheren Grundpositionen zugleich konsequenter. Prinzipiell ließen sich so das Aufrücken der Achter besser einsetzen und die Roma zu mehr langen Bällen zu drängen als zuvor.

Kleinere Lazio-Umstellungen in Durchgang zwei

Parallel zu diesem früheren Pressing versuchten die Biancocelesti mit einem Fokus auf Linksüberladungen ins Spiel zurückzufinden. Sie betonten nun diesen Bereich um den für Candreva eingewechselten Keita und zogen häufig Felipe Anderson weit mit herüber. Trotz einiger Ansätze litt das Ausspielen aber erneut an einigen bekannten Problemen, etwa zu flachen Staffelungen oder unpassendem Fokus auf den einzelnen tödlichen Pass. Hinzu kam, dass sie diese Versuche gegen die mannorientierte Spielweise des Gegners in manchen Phasen bisweilen schon zu eng anlegten. Die Gegenspieler wurden in ihre Überladungen hineingezogen und konnten den engen Raum am Flügel effektiv für einzelne unangenehme Herausrück- und Pressingbewegungen nutzen.

Zwischendurch wurden Lazios Bemühungen somit aufgehalten, wenn sie aus den tieferen Flügelzonen nicht bis zu den vorderen Überladungen hingelangten. So reichte ihr Engagement letztlich nur für einen Treffer, das zwischenzeitliche 1:2, entscheidend vorbereitet durch den für Matri eingewechselten Klose. In jener Szene zahlte sich aus, dass der ehemalige Nationalspieler sich bei einem Angriff über links ballfern zum zweiten Pfosten absetzte. Dieses Tor nach 75 Minuten hätte nochmals eine knappe Schlussphase einleiten können – für die nun auf 4-4-2 umstellenden Laziali war ein Remis noch im Bereich des Möglichen. Jedoch brachte eine Ecke zum 1:3 die Vorentscheidung, ehe kurz darauf mit einem schnellen Angriff nach einem gewonnenen losen Ball sogar das 1:4 folgte.

Fazit

So feierte die Roma in einem Hauptstadtderby durchaus interessanter Wechselwirkungen einen am Ende zu hoch ausgefallenen Sieg. Über viele Phasen hatte Lazio fast auf Augenhöhe mit dem favorisierten Rivalen agieren können. Das deutliche Endresultat kostete nun aber Trainer Stefano Pioli seinen Job. Prinzipiell war Lazio auch im zweiten Jahr unter seiner Ägide die taktisch solide, stabile und nüchterne Kraft. Es fehlte aber einerseits an wirklicher Weiterentwicklung, während andererseits minimale Nachlässigkeiten in verschiedenen Bereichen sich so summierten, dass die eigentlich zuverlässige Konstanz auf ordentlichem Niveau ins Wanken geriet.

Die Sauberkeit an verschiedenen Stellschrauben in den Pressingabläufen, den Abständen oder den genauen Positionierungen der Außenstürmer waren beispielsweise nicht mehr so gut. Zudem baute die Mannschaft gerade im gruppentaktischen Bereich ab, verglichen mit dem Vorjahresniveau. Letztlich trugen dann noch individuelle  Faktoren, der eine oder andere unglückliche Spielverlauf und vor allem die Probleme in der Strafraumverteidigung ihren Teil zur für Lazio unbefriedigenden Gesamtsituation bei. Gerade Letzteres wirkte sich in dieser Begegnung wie schon beim Europa-League-Aus gegen Sparta Prag dann fast multiplizierend auf das Ergebnis aus.

August Bebel 7. April 2016 um 00:23

Ich finde es doch traurig, dass die Roma mit einer Art falscher 9 spielt, die aber nicht Francesco Totti heißt.

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