Pflichtaufgabe erfüllt
Mit einem lange auf Sicherheit bedachten und letztlich soliden, ungefährdeten Erfolg zieht Wolfsburg ins Viertelfinale der Champions League ein. Die ungewöhnliche Offensivstruktur der Belgier deutete aber auch Punkte an, die der VfL noch verbessern sollte.
Wenig spektakulär und ohne neue oder besondere Erkenntnisse: Wolfsburg besiegt Gent und bucht das CL-Viertelfinal-Ticket. Trotz Überlegungen zur Rotation hatte Dieter Hecking praktisch jene Mannschaft aufgeboten, die zuletzt für zwei Bundesliga-Siege in Folge sorgen konnte – und damit auch das neue 4-3-3-artige System. Bei den Belgiern brachte Trainer Hein Vanhaezebrouck eine ungewöhnliche Anordnung ohne wirklich klaren Mittelstürmer auf den Platz. Die vier Spieler vor der Doppelsechs formierten sich unterschiedlich und teils asymmetrisch in 4-2-3-1/4-2-2-2/4-2-4-0-artigen Aufteilungen, gelegentlich mit 4-3-3-Tendenz durch den tieferen Matton.
Raute, 4-3-3-0 und 4-1-4-1
Es schien, als wolle Hecking kein Risiko eingehen, denn die Wolfsburger warteten in Halbzeit eins häufig ab – mit zunehmender Dauer sogar mehr. So veränderte sich ihr Pressing während der ersten Halbzeit in Richtung Zurückhaltung. Anfangs präsentierte sich das in Hannover eingeführte Mischsystem als enge Raute, mit Draxler auf der Zehn. Die beiden Stürmer stellten vorne zu, wollten den Pass nach außen provozieren und der ballnahe der beiden Angreifer schob dann sehr weiträumig auf den Außenverteidiger hinterher. Mit dem Mittelfeld konnte Wolfsburg nachschieben und isolieren.
Wenn der belgische Außenverteidiger nach vorne weiter dribbelte, blieb die Sturmreihe im weiteren Zurückziehen zwar manchmal etwas zu passiv. Doch im Normalfall konnte das Mittelfeld diese vertikalen Zwischenlücken zwischen den beiden Reihen zunächst absichern, so dass sich für Gent nur Ansätze, aber keine nennenswerten Chancen ergaben. Spätestens zum Abwehrdrittel hin wurden die Wolfsburger auch wieder disziplinierter, die Stürmer glitten einige Male gut zum Flügel nach hinten. Insofern blieb der VfL insgesamt stabil, zumal sie über dem Zentrum schon in der ersten Pressinglinie in massierter Staffelung standen.
Aus diesem rautenhaften Startgebilde, das aber zuvor schon viele Übergänge aufwies, wurde mit der Zeit immer mehr ein flaches, enges 4-3-3(-0), indem Draxler nach vorne aufrückte, teilweise dann in verschiedenen Besetzungen. Damit konnten die Wolfsburger noch besser die Passwege auf die gegnerischen Sechser verstellen. Daher mussten diese sich oft nach hinten zurückfallen lassen, um Einfluss nehmen zu können. Dadurch gingen aber stabile, ruhige Vorwärtsverbindungen nach vorne verloren. Einzelne Zurückfallbewegungen der Offensivspieler als Gegenmittel erfolgten letztlich zu isoliert und unsystematisch, so dass die Wolfsburger Innenverteidiger nur kurz ins kompakte Zentrum nachrücken mussten.
Gestört wurde diese Kompaktheit nur durch die losen Mannorientierungen im Mittelfeld, die gelegentlich die Wolfsburger Staffelungen destabilisierten, wenn zu klar ausgeführt. Gerade die innerhalb ihrer Zonen – aber zumindest nach vorne nicht viel weiter darüber hinaus – genutzten Zuordnungen der Achter wurden später deutlicher. Das ging zusammen mit einer weiteren kleinen Anpassung im Pressing: Schließlich zogen sich die seitlichen Spieler der Sturmreihe tiefer in ein enges 4-1-4-1 zurück. Letztlich war entscheidend, dass sich die belgischen Sechser – eng gedeckt – in lokalen Unterzahlen befanden, daher fast nur außerhalb der Wolfsburger Formation eingebunden werden konnten.
Ungewöhnliche Struktur über die äußeren Halbräume nur mit vereinzelten Ansätzen
Dass Wolfsburg wegen der teils etwas chaotischen Verteilungen der Mannorientierungen einige unausgewogene Staffelungen hatte, kam in der Mehrzahl der Szenen durch diese Konstellation in der Ebene davor kaum zum Tragen. Daher konnten die Gäste das Leder in den hinteren Linien laufen lassen, gelangten aber kaum nach vorne. Das lag auch an der ungewöhnlichen Anordnung der vorderen Akteure Gents vor ihrer 4-2-Aufbau-Staffelung. Sie hatten zwei hohe und breite Flügel sowie zwei etwas tiefere Spieler, die sich in den äußeren Halbräumen postierten – bisweilen fast schon in einer V-ähnlichen Logik.
Die Außen waren in den ersten Momenten gut aufzunehmen, die Halbspielertypen konnte Wolfsburg im besten Fall durch das Mittelfeld isolieren. Immer wieder hatten sie hier klare Überzahlen. Später sollten die seitlichen Stürmer mögliche Pässe dorthin verdecken. Diese agierten ab dem 4-1-4-1-Wechsel etwas enger über den Halbräumen. Gerade bei Draxler auf links sah man in einigen Szenen der Schlussphase des ersten Durchgangs gut, wie er den Passweg dorthin versperren sollte. Primär konzentrierte er sich darauf, rückte nur heraus, wenn sein nomineller Gegenspieler Rafinha wirklich den Ball erhielt. In diesem Fall ließ Gent schon bei leichtem Pressing-Ansätzen vom Vorwärtsspiel ab und wählte den Rückpass.
Phasenweise gelang dem VfL die Verhinderung der Vorwärtszuspiele auf Milicevic oder Matton sehr gut. Gelegentlich gab es aber mal Ausnahmen, in denen Gents Pässe in den äußeren Halbraum durchkamen. Später waren die Mannorientierungen im Mittelfeld etwas problematisch, da die Achter teils weit herausgerückt standen und Luiz Gustavo wegen loser Zuordnung zum anderen Offensivakteur Gents nicht schnell genug lokal in den dann recht offenen Zwischenlinienraum nachschieben konnte. Wenn noch kreuzende oder zurückfallende Bewegungen des Flügelspielers hinzukamen, entstanden eigentlich vielversprechende Ausgangsszenen: Wolfsburgs Abwehr war eventuell auf sich allein gestellt und – wie von Gent womöglich intendiert – in sich auseinandergezogen.
Es gelang den Belgiern jedoch kaum, aus diesen Szenen Kapital zu schlagen. Zu oft standen die vorderen Kollegen eher flach auf einer Linie, zu selten fokussierten die Pärchen klare Ablagen füreinander. Wenngleich sie viele einzelne Bewegungen und Rochaden suchten, blieben die Bindungen zwischen dem einen und dem anderen seitlichen Duo oft brüchig und inkonstant. Die Freilaufbewegungen waren entweder zu chaotisch oder richteten sich zu simpel hinter die Abwehr. Daher fanden sie nach den guten Raumöffnungen in der Folge kaum Optionen zum Weiterspielen, sondern neigten zu hektischen Aktionen. Am besten nutzten sie ihre guten Ausgangsszenen für individuelle Dribblings, was Kums ein paar Mal versuchte.
Gents Pressing und Flügelausweichen machen Wolfsburg zahnlos
In die andere Richtung entstand vor dem Seitenwechsel jedoch nicht viel mehr Gefahr. Die Wolfsburger beschränkten sich auf eine stabile, abwartende Haltung und waren insbesondere ab der 4-1-4-1-haften Defensive kaum auf Ballgewinne im Herausrücken ausgerichtet, die entscheidende Konter hätten bringen können. Vor allem störte Gents systematisches Pressing ihren Aufbau. Bei den Belgiern rückte Simon von links konsequent in die erste Linie und erzeugte damit häufig eine asymmetrische Doppelspitze. Diese konnte Wolfsburg vorne zustellen – zumal noch einer der tieferen Mittelfeldspieler mannorientiert in Richtung Luiz Gustavo nachschob – und über Dante auf die Seite lenken.
Das Nachschieben der ballfernen Akteure schnürte den VfL horizontal ab. Dieser tat sich schwer, dagegen eine saubere Struktur zu halten, und konnte sein Angriffsspiel nur selten entwickeln. Es gab einige lange Bälle und unsaubere, stockende Szenen am Flügel um Rodríguez. Auch in Momenten, in denen sie mal das letzte Drittel erreichten, wirkten die Wolfsburger nicht torgefährlich. Die Achter bewegten sich sehr vorsichtig und suchten im Zweifel eher die Absicherung, was Präsenzeinbuße bedeutete. Das Freilaufverhalten der Stürmer wiederum fokussierte sich zu sehr auf ausweichende Bewegungen, die aber in dieser lichten Struktur kaum dynamisch eingebunden werden konnten.
Wenn sich einer der Offensivakteure seitlich auf Raumsuche begab, wurden die Angriffe dadurch immer wieder vom Tor weggezogen. Teilweise standen zwei Mann neben der gegnerischen Formation, aber kaum jemand war in umliegenden Offensivräumen postiert. Gerade die teils diagonal ausweichenden, teils sich nur für Rückzirkulation postierenden Achter fanden mit den Stürmern kaum zusammen. Bei Gent mischten sich verschiedene Mannorientierungen, die in der Überzahl gegen Wolfsburgs Abwarten recht stabil abgesichert waren und zwischendurch für Unruhe beim VfL sorgten, mit engeren Flügelspielern und tiefen Sechsern.
Auch das wiederum hatte durchaus unangenehme Folgen für die Offensivversuche der Hausherren. Die situativ eingerückten Flügel – vor allem links blieb Simon oft hoch und Matton übernahm – konnten auch mal die Bewegungen der Wolfsburger Achter auffangen oder überraschend ins Rückwärtspressing gehen. Die tiefen Sechser füllten bei Gelegenheit die Abwehrlinie auf, was dieser dann eine breitere Staffelung ermöglichte. Die ansatzweisen Fünferketten waren den Flügelversuchen sowie Ausweichläufen der Niedersachsen abträglich. Im Endeffekt sah der etwas fahrige, ungriffige erste Durchgang nur 3:3 Abschlüsse und 1:1 Torschüsse.
Zweite Halbzeit mit mehr Druck
Nach dem Seitenwechsel gestaltete sich das Wolfsburger Pressing abermals verändert. Nun stellte Dieter Hecking auf eine 4-2-3-1-hafte Formation um, die gegen den Ball als 4-4-2 interpretiert wurde, indem Arnold nach vorne rückte. Zum einen gab dies eine solidere Staffelung auf den Flügeln, die stabil mit Pärchen und simpel ausgewogen mit zwei Viererketten besetzt waren. Zum anderen ermöglichte die Anordnung einfacher, breitflächiger Druck aufzubauen. Da Arnold sich beim Nachrücken geschickt bewegte, konnte er zusammen mit dem Mittelstürmer die gegnerischen Innenverteidiger bedrängen, gleichzeitig aber die Sechser der Belgier abschirmen.
Dies fanden innerhalb des Wolfsburger Blocks kaum noch ins Spiel und zunehmend wurden deren Aufbauversuche gegen das Pressing der Niedersachsen brüchig. Obwohl Gent weiterhin das Spiel hätte „machen müssen“, verschob sich der Ballbesitz nun zunehmend zugunsten des VfL. Nun hatten sie mehr Zeit und bessere Ausgangsmomente für die Zirkulation, kamen durch das frühere Pressing auch zu einigen Ballgewinnen – aus beidem entwickelten sich dann schließlich die vermehrten Offensivszenen. Auch das 1:0 ergab sich im weiteren Sinne nach einer Pressingaktion in Überzahl durch Träsch und Guilavogui.
Gleichzeitig war die Situation eigentlich ein Beispiel für die Probleme vor der Pause, da Träsch nicht den zentralen Raum nutzte, sondern entgegen der Dynamik weit nach außen auf den seitlich weichenden Draxler spielte. Dessen Einzelaktion machte das Ganze wieder gefährlich. Hier zeigte sich aus Sicht der Belgier der Nachteil ihrer teils engen Offensivrollen gegen den Ball, die hier das Doppeln Draxler verhinderten. Darüber hinaus machten viele Kleinigkeiten die Gastgeber gefährlicher: konstanterer Support durch Arnold, das zentrale Zurückfallen Max Kruses, vermehrte Einrückbewegungen, einzelne Vorwärtsläufe von Luiz Gustavo mit Absicherung durch Guilavogui. So war ihre Organisation weniger verbindungsschwach über die Mitte – ein Problem, das beide Teams zunächst lange plagte.
Fazit
Mit einem nüchternen, letztlich ungefährdeten Sieg zieht der VfL Wolfsburg ins Viertelfinale ein – das hört sich klangvoll an. Damit belohnen sich die Niedersachsen für die seit dem Amtsantritt von Dieter Hecking Anfang 2013 kontinuierliche und solide Arbeit, wenngleich zuletzt ein wenig die kreative Weiterentwicklung fehlte. Die Ausrichtung der letzten Wochen bildet nun aber ein neues Element, das schon seine Stärken andeutete. Wie auch diese Begegnung unterstrich, bleibt gleichzeitig noch einiges zu verbessern an diesem 4-3-3(-0)/4-3-1-2. Gerade bei der Ausgewogenheit im Mittelfeld – zum einen Organisation und Ausführung der Mannorientierungen, zum anderen effektive Einbindung im Offensivspiel in Wechselwirkung mit den interessanten Stürmerrollen – bedarf es einer schnellen Steigerung. Gent zeigte in der Gruppenphase noch einige spannende Auftritte, war in diesen beiden Achtelfinal-Duellen aber letztlich nicht der Maßstab für den VfL.
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