Kramnys krude Manndeckung reicht für Beförderung

3:1

Vor dem letzten Spiel der Hinrunde stand der VfB Stuttgart mit nur 12 Punkten am Tabellenende. Trainer Zorniger musste bereits vor einigen Wochen seinen Posten räumen und Interimstrainer Kramny wurde mit der Aufgabe betraut den VfB aus dem Keller zu ziehen. Der VfL Wolfsburg hingegen war bemüht den Abstand zu den Champions-League Plätzen zu verkürzen, nachdem Leverkusen und Schalke zuvor vorbeigezogen sind.

Grundformationen

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Interessante Ballbesitzansätze bei Wolfsburg

In den letzten Wochen fiel auf, dass Dieter Hecking seinen Torjäger Bas Dost immer öfter auf der Bank ließ und mit Kruse anscheinend eine flexiblere Besetzung des Sturmzentrums präferiert. Tatsächlich führt die Anwesenheit von Dost automatisch zu vermehrten Halbfeldflanken und halbhohen Bällen in die Spitze, welche der großgewachsene Holländer meist ganz gut festmachen kann. Trainer Hecking strebt jedoch langfristig einen gepflegteren Spielaufbau an, bei dem ein Spielertyp wie Bas Dost offenbar keinen Platz hat. Kramny hingegen setzt am Papier zwar nach wie vor auf ein 4-4-2, interpretiert dieses jedoch gänzlich anders als sein Vorgänger.

Die Stuttgarter agierten viel tiefer als noch unter Zorniger, und spickten ihre Formation mit sehr vielen Mannorientierungen. Diese Manndeckung, welche vor allem gegen die gegnerischen Außenverteidiger und im Zehnerraum benutzt wurde, zeichnete sich jedoch durch das fast nicht vorhandene Übergeben der Spieler untereinander aus und führte dadurch zu teils sehr langem „Nachlaufen“ der Gegenspieler, die den Manndecker sogar teilweise im Kreis laufen ließen. Der VfL Wolfsburg hatte dagegen sogar einige gute Ideen im Gepäck, konnte diese jedoch nicht konstant genug abrufen, denn sowohl am Flügel als auch im Zwischenlinienraum waren die kruden Manndeckungen der Kramny-Elf einfach auszuhebeln:

Mit der offensiven Besetzung Draxler/Kruse agierten die Wolfsburger tatsächlich sehr flexibel. Vor allem Kruse war fast nie auf der Neunerposition anzutreffen, sondern wich in alle Richtungen aus und verdiente sich dadurch den Namen „Falsche Neun“ redlich. Durch die Mannorientierungen der Gastgeber führte das nicht selten zu Verwirrung in der Stuttgarter Hintermannschaft. Maximilian Arnold streute aus seiner Sechserpostion – aus der er zunächst auch oft nach halblinks abkippte – immer wieder vertikale Läufe in die Spitze ein, welche Kruse mit einem gegengleichen fallenlassen beantwortete und so von seinen Kollegen im offensiven Zwischenlinienraum freigespielt werden konnte. Leider benutzten die Wolfsburger dieses probate Mittel viel zu selten und hatten bei eventuellen Ballverlusten auch kein adäquates Gegenpressing, um diese Spielzüge stabil zu spielen.

manndeckzentrum

Arnold schiebt zunächst in den offensiven Zwischenlinienraum vor. Von dort zieht er Rupp mit in die Spitze. Kruse antwortet darauf mit einem klugen Zurückfallen, welches Sunjic nicht mehr rechtzeitig erkennt. Man beachte den geöffneten Halbraum und das Sturmpärchen beim VfB.

Ein weiteres Mittel, die Manndeckung der Gastgeber zu brechen, ergab sich über die Mannorientierung der Schwaben am Flügel. Im Spielaufbau agierten die Wolfsburger Außenverteidiger sehr hoch. Vor allem Schäfer ging über seine linke Seite weit mit nach vorn und hinterlief André Schürrle ein ums andere Mal. Dabei griffen sofort die Mannorientierungen der Stuttgarter. Klein ließ sich fallen, verfolgte dabei den Laufweg von Schäfer und bildetete dadurch eine Fünferkette, welche auch zu einer situativen Sechserkette wurde, wenn Kostic auf der Gegenseite seinem Gegenspieler ebenfalls nachlaufen musste. Dabei passte es gut, dass das Hinterlaufen der Außenverteidiger mit einem Einrücken der Flügelstürmer – Schürrle und Caligiuri – einherging und dadurch den Stuttgartern eine gute Breitenstaffelung trotz sturer Manndeckung erlaubte. Es gelang den Wolfsburgern in der zweiten Halbzeit damit einen Durchbruch zu erzielen, welcher zu einem Stangenschuss des eingewechselten Bast Dost führte. Dieser Mechanismus war jedoch durch die strategisch schlechtere Ausgangslage am Flügel einfacher zu verteidigen und dadurch auch weniger erfolgsversprechend, wenngleich man hier zumindest bei Ballverlust besser abgesichert war.

manndeck seite

Schäfer schiebt nach vorne, Klein verfolgt ihn mannorientiert, dadurch entsteht eine situative Fünferkette. Der ballferne Halbraum ist frei.

Gutes Umschaltspiel der Schwaben gegen schlecht abgesicherte Wölfe

Die Stuttgarter spielten, wie eingangs erwähnt, sehr tief und dank der Mannorientierung nicht selten mit fünf oder sechs Mann auf der ersten Linie. Was außerdem auffiel war die unterschiedliche horizontale Kompaktheit der drei Linien im 4-4-2. Während die Viererabwehr sehr geringe Abstände vorweisen konnte, stand das Mittelfeld schon viel luftiger in der Horizontalen, während Didavi und Werner vorne stets als engstehendes Pärchen agierten. Der VfL Wolfsburg konnte dieses Pärchen durch wenige weiträumige Pässe zwischen den eigenen Verteidigern auf einer Seite abhängen und den defensiven Halbraum auf der Gegenseite öffnen (Siehe Bild 1 und 2). Dieser geöffnete Raum wurde von den Innenverteidigern jedoch viel zu zögerlich angelaufen und so mehr oder weniger verschenkt. Es wurden dadurch zwar teilweise gute Laserpässe in den offensiven Zwischenlinienraum gespielt. Durch die mangelnde Absicherung kamen diese jedoch nicht selten postwendend zurück und führten zu gefährlichen Kontern der Gastgeber.

Dabei konnten die Stuttgarter in diesem tiefen Abwehrpressing den Ball gewinnen und trotz weitem Weg zum gegnerischen Tor einige Konter fahren. Den Schwaben spielte das mangelhafte Gegenpressing der Gäste in die Karten, welche nur zaghaft den Ballführenden unter Druck setzten und den gegenpressingresistenten Stuttgartern genug Zeit zum Handeln ließen. Hinzu kam eine außerordentliche Vertikalität im Konter, gespickt mit vielen, technisch anspruchsvollen Ablagen, welche wohl als letzte Überreste aus der Zorniger-Ära angesehen werden können. Vor allem Spieler wie Rupp und Didavi verfügen über eine ausgesprochene Pressingresistenz, welche das defensive Umschaltspiel der Wolfsburger im Sand verlaufen ließ.

Hier spielte vor allem die schlecht abgesicherte, hohe Positionierung des Linksverteidigers Schäfer eine Rolle. In der ersten Phase des Spielaufbaus kippte nämlich nur sehr selten ein Mittelfeldspieler bei den Wolfsburgern ab, weshalb die erste Linie dementsprechend geschwächt war. Nur sehr selten kippte Maximilian Arnold nach halblinks ab, schaltete sich jedoch in weiterer Folge wieder in den Angriffsverlauf ein und landete dabei im offensiven Zwischenlinienraum, wie auf Bild 1 zu sehen. Dadurch wurde der Raum im Rücken von Schäfer nur unzureichend abgesichert und beide Stuttgart-Stürmer konnten in diesen ausweichen und dadurch signifikante Durchbrüche über den rechten Halbraum erzielen, welche in weiterer Folge auch die Stabilität und die guten Ballbesitzansätze der Wolfsburger zunichtemachten und den Führungstreffer durch Arnold noch in der ersten Halbzeit drehen.

Durch den hohen Ballbesitzanteil des VfL kam dieser Umstand zwar nicht so zum Tragen, doch auch Dieter Hecking setzte gegen den Ball auf Mannorientierungen, vor allem am Flügel. Dabei kam es dann immer wieder vor, dass Schäfer seinen Gegenspieler Klein mannorientiert verfolgte und dabei genau vor seinem Mitspieler Klose landete, wobei der defensive Flügel brach lag und für ausweichende Läufe der VfB-Stürmer geöffnet wurde.

aufbauprobleme

Arnold und Guilavogui nehmen sich selber aus dem Spiel. Naldo bleibt nur der Pass auf Träsch.

Das Spiel der Wolfsburger mit Ball hatte aber, wie erwähnt, durchaus interessante Ansätze. Doch man manövrierte sich auch oft selbst ohne Not auf den Flügel, vor allem wenn es sich die beiden Sechser Arnold und Guilavogui im Deckungsschatten der Stuttgarter Stürmer bequem machten und dadurch die Manndeckung der Stuttgarter zusätzlich befeuerten. Naldo blieb dann oft keine andere Wahl als der kurze Pass auf den tiefen Außenverteidiger, vor allem weil ohne Bas Dost nicht einmal der hohe Ball eine Option darstellte.

Über den Haufen geworfene Pläne in Halbzeit 2

In der 2. Halbzeit reagierte Dieter Hecking und opferte Julian Draxler, um Paradestürmer Dost einzuwechseln. Mit ihm hatte Wolfsburg eine ganz andere Präsenz in der Box der Gastgeber, ignorierte aber zu großen Teilen die immer noch kruden Mannorientierungen des VfB Stuttgart. Ein einziges Mal gelang es den Wolfsburgern, über den Flügel durchzubrechen (Bild 2) und damit eine Chance auf den Anschlusstreffer herauszuspielen. Ansonsten neutralisierten die Gäste weitesgehend und konnten ihren 2-Tore Vorsprung sicher verteidigen. Nur kurz stand der Sieg auf der Kippe, nachdem Sunjic mit gelb-rot vom Platz musste. Kramny reagierte gut, wechselte Didavi aus und stellte auf ein 4-4-1 um, bei dem Kostic immer wieder rausrückte, um an der Seite von Werner ein 4-3-2 zu erzeugen, wobei dann Insua dahinter auffüllte, um ein situatives 3-4-2 herzustellen, mit dem die immer kopfloser agierenden Wolfsburger nicht mehr zurechtkamen.

Fazit

Trotz guter Ansätze im Ballbesitzspiel musste sich die Mannschaft von Dieter Hecking dem bisherigen Tabellenschlusslicht mit 1:3 geschlagen geben. Dabei waren vor allem die fehlende Absicherung nach Ballverlust, sowie die ungeduldige Ausrichtung in der zweiten Halbzeit entscheidend für die Niederlage. Für Jürgen Kramny reichte hingegen eine sehr plumpe Ausrichtung mit vielen simplen Manndeckungen für den Sieg und der damit verbundenen Beförderung zum Cheftrainer.

Jörg Bochow 22. Dezember 2015 um 11:53

Meines Erachtens tut sich Wolfsburg schwer, das Spiel vom Flügel in die Mitte zu verlagern, weil insbesondere Guilavogui Schwierigkeiten damit hat, möglichst oft unspielbar zu sein bzw. nach dem erfolgtem Anspiel schnell den richtigen Pass zu finden. Das ist vielleicht auch nicht seine Aufgabe als 6er, aber gegen so defensive Mannschaften auf seiner Position trotzdem notwendig.
Auch hat Draxler immer noch nicht gelernt den Ball, schnell den richtigen Pass zu finden. Der hält den Ball noch immer so lange. Damit nimmt er Kruse dessen Stärken im Kombinationsspiel.

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ijoe 21. Dezember 2015 um 18:28

Merkwürdig: die „plumpen, kruden“ Methoden haben zum Sieg geführt, wie kann das sein, wo doch Wolfsburg so „modern“ spielt? Erstens scheinen mir viele BuLi-Spieler mit der Raumdeckung hoffnungslos überfordert, durch die Verschieberitis werden Freiräume aufgemacht, die spektakulär sind. Zweitens sind es die Spieler nicht mehr gewohnt, gegen Manndeckung zu spielen. Hier trifft dann Magaths Bemerkung zu, dass die Liga taktisch zwar besser, technisch aber eher schlechter geworden ist. Ein technisch guter, laufstarker Spieler hat mit der Manndeckung keine Probleme.

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Delphinho 21. Dezember 2015 um 19:46

Wow…

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MA 21. Dezember 2015 um 21:58

Dazu ein paar Bemerkungen

1) Stuttgart war vor diesem Spiel Tabellenletzter, Kramny ohne Sieg in der Liga.

2) Wenn Wolfsburg wirklich „modern“ gespielt hätte, hätten sie eine weniger katastrophale Absicherung gegen Ballverluste vorgewiesen.

3) Wolfsburg spielt auch gerne mit vielen Mannorientierungen: siehe hier https://spielverlagerung.de/2014/12/20/wolfsburg-gewinnt-das-manndeckungsduell/

4) Neben den beschriebenen Riesenlücken im Manndeck-Verbund waren auch Lücken zu sehen wenn beispielsweise Insua bei seinem Gegenspieler klebte, während der Rest der Kette auf die linke Seite zum Ball verschob. Dass diese nicht bespielt wurden, ist nicht Schuld der Raumdeckung.

LG
MA

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