Blick über den Tellerrand – Folge 30

Zum runden 30. Jubiläum dieser Reihe wartet der Abschluss des Artikels mit einem neuen Spezial-Service für dieses Format auf. Zuvor geht es in den Texten um Fußball in Valencia, einen frechen Ligue1-Aufsteiger und einen der großen Namen der argentinischen Fußballgeschichte, Riquelme.

Spiel der Woche: Valencia – Levante 3:0

blick über den tellerrand 30 valencia-levanteEs war nicht nur das Stadtderby Valencias, sondern auch das Debüt von Levantes neuem Coach Rubi, zuvor unter anderem Teil des Trainerteams bei Barca unter Tito Vilanova und in der vergangenen Saison recht erfolgreich bei Real Valladolid. Gegen den Ball setzte er auf eine 4-1-4-1-Formation mit solider und oft schon sehr sauberer Organisation, einigen losen Mannorientierungen sowie vereinzelten Herausrückbewegungen oder höheren Pressingphasen. Gegen dieses Konstrukt musste Valencia nun anspielen: In den ersten Aufbauphasen strahlten sie gewohnt viel Ruhe aus, ließen Javi Fuego in eine Dreierreihe zu den Innenverteidigern zurückfallen und diesmal die äußeren Defensivakteure situativ ins Zentrum gehen, um aus den Lücken neben dem einzigen Stürmer Levantes zu eröffnen.

Weiter vorne taten sie sich mit ihrer schon in der Vorsaison simpel angelegten Offensivspielweise aber schwer – derzeit macht sich das etwas häufiger bemerkbar. In Gent mussten sie unter der Woche eine schmerzhafte Niederlage in der Champions League verkraften. Der Fokus auf Flügeldurchbrüche und Dribblingaktionen der Außenspieler reichte in dieser Begegnung gegen die solide, außen recht gut zuschiebende Defensive des Lokalrivalen lange Zeit nicht zu viel mehr als einigen Ansätzen. Zwar sorgten einrückende Positionierungen von João Cancelo und Gayá manchmal für etwas Raum, aber blieb es in dieser Hinsicht bei einer passiven Nutzung ohne weitere Folgeeffekte.

Durch diagonal unterstützende Tiefenläufe des jeweils ballnahen Achters entstand zwischendurch mal Unruhe in der gegnerischen Hintermannschaft, aber war das insgesamt für Chancen zu wenig. Dass Levante hinter der Mittelfeldlinie des 4-1-4-1 phasenweise noch etwas die balancierte Kompaktheit fehlte, wurde also – zumal von den Achtern vereinzelt gut verdeckt – nicht so häufig aufgezeigt. Dennoch hingen damit die besten der seltenen Offensivszenen Valencias zusammen: Im Verlauf des ersten Durchgangs sorgten die zielstrebigen diagonalen Schnittstellenläufe von Enzo Pérez, zumal wenn im dynamischen Zusammenwirken mit Cancelo, für Gefahr. Zur Halbzeit sollte es jedoch noch bei einem 0:0 bleiben.

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Defensives 4-1-4-1 bei Levante

Tendenziell hatte Levante fast noch die etwas besseren Torgelegenheiten verbucht, wenngleich sie keineswegs Spektakel boten und auch eher selten mal wirklich sauber durchkamen. Die überraschend klare, teilweise simple und im eng verfolgenden Herausrücken problembehaftete Mannorientierungsausrichtung im Mittelfeld Valencias zeigte sich nicht so stabil und bot den krisengeschüttelten Gästen Angriffsfläche. Aus einer prinzipiell guten Grundstruktur agierten diese fluid, aber doch etwas chaotisch. Mit einrückenden Bewegungen der Außenspieler, insbesondere von Morales, suchten sie im zweiten Drittel bzw. im mittleren Teil der Angriffsverläufe hohe Zentrumspräsenz, die auch Raum zum Aufrücken öffnen oder bei längeren Direktpässen helfen sollte.

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Valencia mit recht engen Mannorientierungen im Dreiermittelfeld

Gelegentlich wirkte sie vor allem bei Schnellangriffen, wenn die beiden eingeschobenen Offensivakteure zwischen den Mittelfeldmannorientierungen Valencias kombinieren konnten. Meist führte es aber letztlich dazu, dass die offenen Bereiche an den Flügeln für Vorstöße der Außenverteidiger genutzt und das Leder entsprechend auf diesem Wege nach vorne getragen wurde. In diesen höheren Zonen schien Levante aus der zentrumspräsenten Formation herausfallende Bewegungen in verschiedene Ausweichräume zu suchen. Morales bot sich wieder zum Flügel an, die Achter starteten verschiedene Diagonalläufe. Zum einen waren ihre Bewegungen aber oft überambitioniert, untereinander nicht optimal abgestimmt und etwas ungerichtet irgendwo nach vorne.

Auch aus dem in seiner konkreten Verteilung grundsätzlich flexiblen Mittelfeld gestalteten sich die Bewegungen immer mal zu hektisch oder direkt in die Spitze gerichtet. Zum anderen wirkte die konkrete, einzelne Raumwahl beim Ausweichen nicht immer günstig. Im Verlauf der Szenen verflüchtigte sich die anfängliche Zentrumspräsenz zusehends. Zwar kam es zu einigen seitlichen Grundliniendurchbrüchen nach Doppelpässen oder Rückablagen zum Flügel nach Pässen ins Zentrum, was beides in manchen Momenten auch recht erfolgsstabil sein konnte. Mehrheitlich wurden Levantes Bemühungen aber an der Außenseite festgedrückt.

Ein wichtiger Teil der Strategie Levantes waren die langen Bälle, insgesamt prägend in diesem intensiven, umkämpften Derby. Es gab viele horizontal eng zugeschobene Duelle um Abpraller nach weiten Zuspielen oder Abstößen. Aus diesem quasi ausgeglichenen Patt marschierte Valencia nach der Pause dann zum Sieg. Sie agierten in den horizontalen Staffelungen kohärenter und fokussierten Überladungen der linken Seite, wo sich bisweilen beide Achter einschalteten. Auch die Einwechslungen von Dani Parejo und Zakaria Bakkali sorgten für Schwung. Zur Führung nach etwa 65 Minuten brauchten sie noch einen Elfmeter als Dosenöffner, ehe sie in der Schlussphase – nach einem verunglückten Rückpass bei Levante und einer Einzelaktion nach schneller Verlagerung – auf ein zu hohes 3:0 stellten.

Schon dieser zweite Durchgang des Derbys deutete beim Team von Nuno Espírito Santo also gewisse Verbesserungen an, die möglicherweise nach der Niederlage bei Gent nun vermehrt forciert werden. Die jüngste Begegnung in La Liga brachte ein furioses, aber zu hoch ausgefallenes 5:1 bei Celta de Vigo, zu dem fraglos auch Abschlusseffektivität, Standards und wieder ein verunglückter Rückpass beitrugen, das aber auch manche ansehnliche Szene hatte. Speziell beim 4:1 gab es eine starke Vertikalkombination mit kohärenten Mittelfeldstaffelungen, kurzem Einrücken eines Flügelstürmers, Ablagen von Paco Alcácer und dem entscheidenden Nachstoß von Dani Parejo in die Lücke vor das Tor.

Vielen Dank an laola1.tv, die das Bildmaterial zur spanischen La Liga zur Verfügung stellen!

Spieler der Woche: Juan Román Riquelme

Zur 30. Jubiläumsausgabe dieser Reihe gibt es in der Kategorie des „Spielers der Woche“ zum ersten Mal einen „historischen“, nicht mehr aktiven Kicker – wenngleich Juan Román Riquelme die Schuhe erst vor etwas mehr als einem Jahr an den Nagel gehängt hat. In der ersten Dekade des neuen Jahrtausends gehörte er zu den klangvollsten Namen im Weltfußball und war fraglos der schillernde Stern und Topstar seines Landes, wenngleich ihm – speziell nach dem Ausscheiden Argentiniens bei der WM 2006 und seiner wenig erfolgreichen Zeit in Barcelona zu Karrierebeginn – immer ein wenig das Schild des Unvollendeten anhing und er schon bald vom jungen Lionel Messi abgelöst werden sollte.

Riquelme gilt als sensibler Feingeist und einer der letzten klassischen, eigenwilligen, besonderen Zehner der Fußballgeschichte – diese Spielmacher, die so oft, auf teils fragwürdige Weise, mystifiziert und romantisiert werden. In diesem speziellen Falle stellt man fest, dass Riquelme dem Bild des einsamen, aus der Tiefe des Raumes vorgebenden und orchestrierenden, die Mitspieler entscheidend bedienenden Dirigenten (wenn man das mal als Grunddefinition für den „klassischen Zehner“ nimmt, unter dem viele im Detail etwas anderes verstehen) nur bedingt entspricht. Mittellange und längere Zuspiele beherrschte er prinzipiell herausragend, doch ansonsten zeigte beispielsweise sein Passspiel einige Schwächen. Es dominierte insgesamt gar nicht so sehr, einige Zuspiele waren schwierig zu verarbeiten oder unsauber.

Vielmehr stachen eigentlich andere Aspekte hervor, agierte er trotz seiner schwermütigen Art überraschend athletisch und umtriebig. Das zeigte sich in den manchmal leicht unharmonischen, vor allem explosiven Dribblings ebenso wie in einer aktiven, etwas unsicheren, aber punktuell sehr starken Positionsfindung mit weiträumig-ausdauernden Freilaufbewegungen in verschiedenste Zonen. Teilweise band er sich schon zu viel, situativ zu seitlich ausweichend oder zu bestimmend ein, was fast wieder typisch für den dominanten, spielmachenden Taktgeber erscheint. Ein solcher war Riquelme aber nicht – sondern gar nicht so gut, wenn er als klarer Zehner durchgehend bestimmen und der entscheidende Faktor für Erfolgsstabilität sein musste.

Seine Spielweise war schwankender, unstetiger, nicht immer zuverlässig oder technisch absolut sauber. Es lag ihm stattdessen, situativ für einzelne starke Momente in den Zwischenlinienraum hineinzuziehen, als Ablagespieler zu agieren, zwischendurch explosive, fast kraftvolle Kombinationsszenen einzuleiten. In seinen Aktionen war Riquelme nicht immer bedacht-vorausschauend – manchmal schon, manchmal nicht und ansatzweise willkürlich, insgesamt stark schwankend. Seine Entscheidungsfindung gestaltete sich teils hektisch oder drückend, wenn es brillante Kreativität gebraucht hätte. Insgesamt war er kein spektakulärer Künstlertyp, sondern spielte pragmatisch, nüchtern und sehr klug.

Es wäre interessant gewesen, ihn mal konstant als Achter o.ä. eingebunden zu sehen – in etwas tieferen Zonen mit Möglichkeiten zum situativen Vorstoß – und wie er von dort seine Qualitäten eingesetzt hätte. In diesem Zusammenhang gehört die fast unscheinbare, aber sehr bewusste und fast immer herausragend souveräne Pressingresistenz zu den wichtigen Stärken des argentinischen Mittelfeldmannes. Kaum einmal verlor er einen Ball, war mit gutem Umblickverhalten aufmerksam und konnte sich engagiert aus schwierigen Lagen heraus drehen. Andererseits sorgte er in hohen Bereichen für punktuell überraschende direkte Durchschlagskrafterzeugung aus unsauberen Situationen – eine zweite unterschätzte Fähigkeit von Juan Román Riquelme.

Interessant zu beobachten: Angers SCO

blick über den tellerrand 30 angersEs läuft nach zwei Niederlagen in den zwei vergangenen Partien nun nicht mehr ganz so gut bei den Westfranzosen aus Angers, die dadurch ihren dritten Tabellenplatz eingebüßt, mit 22 Punkten aus 13 Spielen aber immer noch eine – für einen Aufsteiger – vorzeigbare Bilanz aufzuweisen haben.

Seit 2011 führt Erfolgstrainer Stéphane Moulin das Team und konnte im vergangenen Sommer für den ersten Ligue1-Aufsteig seit 21 Jahren sorgen. Übergreifend ist seine Mannschaft von einer Art Ungebundenheit und einer Art Kollektivindividualität geprägt. Die Spieler bewegen sich häufig recht individualisiert und dabei bisweilen isoliert voneinander, nutzen das aber fluide und meistens bewusst. Sie führen die eigenständigen Positionierungen nicht engstirnig aus, sondern achten auf die Harmonie der gesamtmannschaftlichen Anordnung, versuchen sich daran einzufügen und an das lokale Umfeld der jeweiligen Situation anzupassen. Auf diese Weise wird die leichte Zusammenhangslosigkeit wieder ausgeglichen.

Bei eigenem Ballbesitz ist bei Angers eine starke Orientierung auf das Erschließen und Öffnen von Raum, der dann schnell bespielt werden soll, erkennbar. Dabei handelt es sich nicht um eine Dominanz vieler raumöffnender Bewegungen der Einzelspieler, sondern den kollektiven Versuch, eine bestimmte Zone freizuspielen und dorthin zu verlagern. Dadurch können die Westfranzosen in den genauen Angriffsverläufen manchmal etwas ungerichtet werden, wechseln schnell mal die Räume und driften etwas ziellos zirkulierend herum, wenn sie diese raumöffnenden Momente suchen. Die Achter kippen im Aufbau häufig diagonal in die Linie zwischen Innen- und aufrückenden Außenverteidigern zurück, gerade halblinks.

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Raumöffnen zum linken Flügel: Mangani kippt nach außen und dribbelt an, Camara ist eingerückt und leitet weiter auf Andreu. In grau mögliche anschließende Bewegungen, um die geschaffene Situation im Folgenden unterstützen und den Ball behalten zu können.

Aus diesen tiefen Stellungen lassen sie den Ball gut laufen, wollen viele Szenen konstruktiv lösen und nutzen im Duell mit gegnerischen Anlaufbewegungen auch viele individuelle Moves, beispielsweise kurze mutige Körpertäuschungen oder explosive Dribblings, deren Einbindung allgemein weitreichend, bewusst und prominent wirkt. Im Anschluss an solche Aktionen können sie sich gegen Pressingversuche oft mit schnellen, kleinräumigen Verlagerungen befreien und zum Flügel hin den Raum öffnen: Beispielsweise läuft der Achter das gegnerische Vorrücken im Pressing kurz an, sucht den vor ihm einrückenden Flügelspieler, der direkt auf den aufrückenden Außenverteidiger zur Seitenlinie weiterleitet. Mit ihren Mechanismen wissen sie immer mal seitlich zwischen die gegnerischen Pressinglinien einzudringen.

Auf dem Weg zum Strafraum schließlich verändert sich dieses Muster und Angers sucht zunehmend lokale Engenbildungen, um sich improvisiert durchzuspielen. Das ist vom Prinzip ein sinnvoller Ansatz, der auch bei schwächerer Qualität erfolgreich sein kann. Die Strategie, oft auch mit langen Bällen verbunden, erinnert an Ingolstadts horizontal radikales Einschieben in Offensivkompaktheiten – wenngleich weniger konsequent, eher gruppentaktisch organisiert, nicht so klar flügelüberladend – und der arbeitsamen Nutzung dessen. Aufgrund der suboptimalen Übergangsmomente und dem doch stark ungeplanten, unsauberen Charakter im Ausspielen kommt Angers aber nur zu wenigen Chancen. Es gibt hier noch zu viele zu simple Phasen, die teilweise enttäuschend wirken.

Auch wenn sie letztlich nicht so häufig durchkommen und bisher nur elf Treffer markierten, stehen sie dadurch in letzter Instanz doch zumindest immer gut abgesichert. Das Spiel gegen den Ball gilt überhaupt als das Prunkstück des Aufsteigers, der in den ersten zwölf Ligapartien nur sieben Gegentore kassierte. Auch in dieser Hinsicht schlägt sich ihre spezielle Spielweise nieder und sorgt dafür, dass der defensive Achtungserfolg nicht allein auf klassischen, typischen Komponenten erwachsen ist, wie man sie allgemein mit Defensivstärke verbindet. So ist bei Angers in ihrer 4-1-4-1/4-3-3-Defensivformation beispielsweise die Grundkompaktheit gar nicht so gut und speziell zwischen Mittelfeld und der stärker für sich agierenden Abwehr bestehen bisweilen doch größere Abstände.

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4-3-2-1-Ansätze aus dem 4-1-4-1/4-3-3 mit ballnah herausrückendem Achter und losen Mannorientierungen der Außenverteidiger. Ndoye rückt als ballferner Akteur mit herüber und kann bei Verlagerungen gegen ein weiteres Herauskippen des Gegners nachrücken.

Dafür setzt das Team stärker auf Anpassungsfähigkeit und balancierte Bewegungen innerhalb der Bänder. So zeigt das Mittelfeld meistens gute, ausgewogene Bewegungen und Bewusstheit in der absichernden Breitenstaffelung. Aus den Grundstellungen schieben die Achter immer wieder flexibel etwas höher und bilden viele abschirmende breite 4-3-2-1-Phasen. Insgesamt laufen all diese Bewegungen weitgehend harmonisch ab und sorgen für solide, gespannt aufgezogene Anordnungen. Nur selten gibt es mal Phasen plumperen Herausrückens, in denen die isolierte Absicherung Probleme machen kann und den Gegner schnell nach vorne kommen lässt, wenngleich man das in der Rückzugsbewegung oft noch ausgleichen kann.

Es scheint ein wenig so, als würde Angers Defensivstil einige Gegner vermehrt zu individuellen Aktionen verleiten, wodurch diese sich bisweilen dann selbst die eigenen Strukturen aufweichen. Gerade wenn eine Mannschaft die Zwischenräume nicht mutig, zielstrebig und aktiv-systematisch genug besetzt bzw. bespielt, ist der defensive Stil Angers – teilweise wirkt es wie ein Zocken, dass bestimmte Bereiche vom Gegner suboptimal genutzt werden – prinzipiell sehr mächtig. Gegen die gestreckten Staffelungen spielte zudem Monaco verfrühte halblange Lupfer in die Zwischenlinienräume, wo ihre Offensivspieler aber oft noch isoliert waren. Mit gutem, gleichförmigem und zuverlässigem Zuschieben zum Flügel zerbrach Angers diese Szenen dann.

Über die Bewegungen des Sechsers und ballnahen Achters erzielen die Westfranzosen potentiell einige starke Lokalkompaktheiten. Etwas herausgelöst wirken bei all dem bisweilen die Rollen der Außenverteidiger, die ihre losen Mannorientierungen feinfühlig individuell in das Gesamtkonstrukt „einzuweben“ versuchen. Insgesamt führen Manceau und Andreu diese Zuordnungen durchaus harmonisch um den restlichen Defensivblock herum aus. Sie passen ihre eigentlich isolierten Positionierungen immer mal an und beobachten die umliegenden Staffelungen. Ganz stabil ist das aber nicht, zumal es auch Phasen individueller Unsauberkeit und Desbalance gibt.

Durch die ausgewogene Grundanordnung und vor allem gute Zusammenarbeit mit den Kollegen vor ihnen lassen sich einige Schwächen aber kaschieren. Wenn sich die Flügel tiefer als die Achter zurückfallen lassen, versuchen sie aufmerksam diagonale Passwege ins offene Zentrum zu verschließen oder zumindest lose im Zugriffsradius zu haben. Zudem führen sie, falls ein solches Zuspiel doch gelingen sollte und der offensive Außenspieler des Gegners einrückt, ihre Rückwärtsbewegung weiter und übernehmen diesen, während Manceau bzw. Andreu die Kette halten. Überhaupt läuft das situative Aufgeben einer Mannorientierung bei Angers grundsätzlich harmonisch ab.

Wo bietet diese Spielweise des Aufsteigers im defensiven Bereich anfällige Schwächen? Klar angelegte Diagonalspielzüge vom Flügel zum Strafraumeck mit vielen Schnittstellenläufen aus der Tiefe sind vielversprechend. Auch der Fokus auf individuelle Dribblings oder einzelne Hauptdribbler mit Supportrollen dürfte Sinn machen. Es kann zudem ein Ansatz sein, schon sehr frühzeitig – auch in etwas instabilen Strukturen und Situationen – flache Vertikalpässe in die Tiefe zu suchen, wenn man es normalerweise noch nicht wagen würde. Dann kann man die größeren Lücken zur Abwehr hin so ansteuern, dass die Passivität Angers´ zur Geltung kommt, noch nicht aber ihre potentielle Anpassungsfähigkeit vorbereitet ist.

Zum Abschluss: Ein Register für „Blick über den Tellerrand“

In 30 Ausgaben kommen einige Themen und Texte zusammen. Da ist es manchmal schwer, die Übersicht zu behalten. Manche nachgefragten Analysen gehen mit der Zeit unter und werden trotz ungebrochener Aktualität nicht gefunden. Daher soll das Register als Service nun Abhilfe schaffen und auf einen Blick zeigen, welche Teams, Spiele, Spieler und Trainer in den bisherigen Ausgaben behandelt worden sind. Wer sich also für ein spezielles, konkretes Thema interessiert, das möglicherweise auf Spielverlagerung bisher nicht analysiert worden  zu sein scheint, könnte in diesem – bisher etwas versteckten – Archiv vielleicht fündig werden. Für den Link zur Übersichtsseite mit dem Register hier klicken!

tom 27. Januar 2016 um 13:08

Ich hätte mal einen Vorschlag für den Blick über den Tellerrand. In der zweiten italienischen Liga führt derzeit der FC Crotone. Diese waren letztes Jahr ziemlich weit unten zu finden. Nach dem Ivan Juric übernommen hat, geht es steil bergauf.
Der Paulianer Budimir spielt da ganz ordentlich (10 Tore, 3 Vorlagen).
Muss aber sagen, dass ich nicht ein Spiel sehen konnte.. Vielleicht wisst ihr ja mehr, warum die so erfolgreich gerade sind.

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Bernhard 12. November 2015 um 08:29

Der Absatz über Riquelme ist sehr spannend. Danke!

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Tank 11. November 2015 um 20:10

p.s.: Super Text, ich les sowas total gerne und lerne immer was dazu. Wenn ich was hinterfrage, dann bitte in diesem Kontext sehen.

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Tank 11. November 2015 um 16:32

„Seine Spielweise war schwankender, unstetiger, nicht immer zuverlässig oder technisch absolut sauber. Es lag ihm stattdessen, situativ für einzelne starke Momente in den Zwischenlinienraum hineinzuziehen, als Ablagespieler zu agieren, zwischendurch explosive, fast kraftvolle Kombinationsszenen einzuleiten. In seinen Aktionen war Riquelme nicht immer bedacht-vorausschauend – manchmal schon, manchmal nicht und ansatzweise willkürlich, insgesamt stark schwankend. Seine Entscheidungsfindung gestaltete sich teils hektisch oder drückend, wenn es brillante Kreativität gebraucht hätte. Insgesamt war er kein spektakulärer Künstlertyp, sondern spielte pragmatisch, nüchtern und sehr klug.“

Der letzte Satz überrascht mich. Das davor klingt doch grade nach dem typischen Künstlerspieler, oder? Mit Genialität gesegnet, aber nicht in der Lage die konstant auf den Platz zu bringen oder stattdessen eine Rationalitätsmaschine zu geben.

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TR 11. November 2015 um 18:57

Das davor schlägt aber eher nicht in diese Kerbe des Genies, des Feingeistes, des vor allem auf Ästhetik ausgerichteten Zauberers oder des vor allem eleganten Spielers – wie es eigentlich gemeinhin heißt und was vielerorts eben eng an die Vorstellungen des „Zehners“ anliegt. Liest man den ersten Teil des Absatzes also nicht so, sondern eher mit Bezug auf dieses Physische, Unsaubere, gar nicht so Grazile (und so ist er gemeint), dann löst sich dieser Widerspruch etwas auf. Dazu muss man natürlich auch sagen, dass in diesem Fall die Eigenschaften „pragmatisch, nüchtern und sehr klug“ bei Riquelme von eben dieser zuvor erwähnten schwankenden Inkonstanz durchzogen sind, was man klassischerweise nicht mit jenen eher gleichförmigen Adjektiven verbinden würde. Von daher kann sich der letzte Satz tatsächlich etwas seltsam anhören. Es ist also eine gute, berechtigte Nachfrage, über die man diskutieren kann. Ich würde aber sagen, dass sich die Beschreibung im ersten Teil des Absatzes und der letzte Satz aus den genannten Gründen nicht „beißen“. Unter den Vorzeichen: Zustimmung deinerseits?

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Tank 11. November 2015 um 20:09

Auch wenn die Antwort furchtbar langweilig ist: Ich hab Riquelme zu wenig gesehen, um da qualifiziert was zu sagen zu können.

Der ganze Text geht ja so in die Richtung der Beiträge aus einem der letzten Adventskalender: Spieler XY wird falsch eingeschätzt. Und Du sagst ja, dass Riquelme dem Bild des klassischen, launischen Künstler-Zehners, welches viele von ihm haben, in mancherlei Hinsicht nicht entspricht. Um die These richtig einordnen zu können, müsste ich vielleicht noch mehr über Dein Bild des „klassischen, launischen Künstler-Zehners“ wissen. Riquelme war ja schon zu, ich sag mal, zehnertypischen genialen Momenten fähig. Das würdest Du gar nicht bestreiten, oder? Kurzgesagt: Ich verstehe die Richtung Deiner These, aber noch nicht deren genauen Inhalt.

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TR 17. November 2015 um 13:36

Ich habe mich mit einer Antwort etwas schwer getan. So kommt sie erst jetzt und ist dafür nicht so besonders umfangreich. Danke übrigens nochmal für das Lob, Nachfrage ist auch absolut in Ordnung. 😉

Zum einen ist Riquelme aus der technischen Hinsicht gar nicht in allem so der saubere, enorm begabte Zauberer. Zum anderen ist er nicht unbedingt ein Spieler, dem diese dauerhafte Verantwortung, als Zehner die entscheidenden Pässe spielen, die große Kreativlast tragen oder gelegentlich einzelne geniale Momente einstreuen zu müssen. In diesem Zusammenhang finde ich „Riquelme war ja schon zu, ich sag mal, zehnertypischen genialen Momenten fähig. Das würdest Du gar nicht bestreiten, oder?“ darauf schwierig zu antworten und es zu bewerten. Tendenziell würde ich zwar zustimmen, aber irgendwie auch nicht. Es ist aus meiner Sicht eher eine allgemeine Wechselhaftigkeit in seinem Spiel, die unabhängig von „genialen“ Momenten ist, sondern überhaupt gilt. Aus der „pragmatischen, nüchternen, klugen“ Spielweise, in der er weniger den schwermütigen Dirigenten gab, sondern eben viel aktiver, weiträumiger, tlw. unsauberer, athletischer und kämpferischer spielte, als ihm nachgesagt wurde, heraus gab es eben Schwankungen, auch mal den einen oder anderen genialen Moment, bspw. durch mittellange Diagonalpässe oder eben dieses situative Durchdrücken von Abschlüssen o.ä., aber solche einzelnen genialen-Zehner-Momente waren halt nicht überwiegend oder der entscheidende Aspekt. Insgesamt gibt es doch vor allem das Bild des etwas faulen oder tlw. trägen, zu zurückhaltenden, manchmal elegant-ineffektiven Riquelme mit herausragenden Pässen und zwischendurch mal kreativen Geistesblitzen (vieles davon geht dann eben in eine Richtung vom „klassischen, launischen Künstler-Zehner“, oder?), aber das passt meiner Meinung nach nicht besonders, aus den in der Analyse genannten Punkten. So, ideal ist die Antwort jetzt nicht geworden, aber schon ganz in Ordnung, ich hoffe mal, es kommt nachvollziehbar durch, was gemeint ist.

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