Skripnik in der (Schein-?)Krise – ein Erklärungsversuch
Etwa die Hälfte der Hinrunde ist gespielt und der SV Werder Bremen, in der letzten Rückrunde noch mit einer furiosen Aufholjagd in die Schlagzeilen gekommen, grüßt aus dem Tabellenkeller. Nach nunmehr fünf Niederlagen in Folge wackelt auch der Stuhl von Trainer Skripnik, der in Interviews bereits daran zweifelt, ob er über die kommende Partie gegen Mainz hinaus Trainer des norddeutschen Traditionsvereins bleiben wird.
Aber – ein Kalauer muss drin sein – stinkt der Fisch wirklich vom Kopf?
Was hat sich im Vergleich zur letzten Saison geändert, dass sich Werder so schwertut? Und wie könnten die Bremer vom Relegationsplatz zurück in die Erfolgsspur kommen?
Genug Fragen und der richtige Zeitpunkt, um sich dem grün-weißen Sorgenkind der Liga in einem kleinen Sonderartikel näher zu widmen. Mit dabei: Eine Kaderanalyse, ein etwas taktischerer Blick auf die Pizarro-Verpflichtung und ein Plädoyer für mehr Mut zu (den richtigen) Jugendspielern. Beginnen soll der inhaltliche Teil dieses Artikels allerdings mit einem kleinen Rückblick auf die Phase, in der Werder zuletzt konstant punktete.
Skripniks Rückrunde – Husarenstück eines Pragmatikers
Wir schreiben den 14. Februar 2015. In anderen Worten: den 21. Spieltag der vergangenen Bundesligasaison. Ohne die verletzten Schlüsselspieler Philipp Bargfrede und Alejandro Galvez empfängt Werder zuhause ein formstarkes Ausgburg, inzwischen auf Platz 4 der Tabelle vorgerückt und derzeit eines der beiden Teams der Stunde. Das andere ist Werder.
Die temporeiche Partie endet 3:2, Werder gelingt es ein ums andere Mal, über Konter im eigenen Stadion gefährlich zu werden, und erlaubt den Gästen dank hervorragender Kompaktheit um den eigenen Strafraum herum kaum nennenswerte Abschlüsse aus dem Spiel heraus. Die Gegentore fallen folgerichtig nach Ecken – und auch den eigenen Treffern gehen Standards voraus, die entweder Junuzovic hereinbringt oder als Elfmeter von Franco di Santo direkt verwandelt werden.
Der Sieg ist der fünfte in Serie – und ein Musterbeispiel dafür, wie Skripnik die Bremer innerhalb kürzester Zeit von einem Abstiegskandidaten zu einem Europa-League-Aspiranten entwickelte.
Defensiv fand man über einen laufaufwendigen Stil zu beachtlicher Stabilität: Die Versetzung von Rechtsverteidiger Clemens Fritz ins Mittelfeld auf die rechte Halbposition veränderte die Grundformation der Bremer vom hoch pressenden, aber in der tieferen Verteidigung nur lückenhaft verschiebenden und im defensiven Umschaltmoment oft unkoordinierten 4-1-3-2 des Skripnik-Vorgängers Robin Dutt zu einer vertikal kompakteren, stabileren, leicht asymmetrischen Version der vereinstypischen Raute, in der die Verschiebemechanismen deutlich besser funktionieren und die defensiven Halbräume besser kontrolliert werden können.
Fast immer haben die Gegner der Bremer mehr Ballbesitz, bessere Passquoten, mehr Schüsse – klare Chancen können sie sich jedoch selten herausspielen. Gerade auch (der gegen Augsburg verletzt fehlende) Philipp Bargfrede, der im Zentrum zuverlässig Löcher zulief und über gut getimtes Herausrücken zahlreiche Ballgewinne verzeichnete, gab den Bremern eine lang nicht mehr gekannte Sicherheit. Dank der enormen Kompaktheit rund um den eigenen Sechzehner konnte man die Gegner regelmäßig zu meist unnützen Halbfeldflanken zwingen, die von den hochgewachsenen Innenverteidigern leicht geklärt werden konnten.
Nicht selten waren es lediglich individuelle Fehler (gerade von Torwart Wolf), die den Bremer Gegentreffern vorausgingen und letztendlich den Europapokaleinzug verhinderten.
Offensiv sah die Darbietung der Skripnik-Elf indes deutlich anders aus als noch zu dessen Zeiten als Bremer Jugendtrainer, als er mit ballsicheren, technisch starken Spielern versuchte, die Gegner spielerisch zu dominieren.
Diese Facette von Skripniks Trainerhandwerk bekamen die Bremer nur einmal zu sehen, als man, angeführt vom verbindungsgebenden, im Gegenpressing fleißigen und effektiven U23-Zehner Levent Aycicek im Heimspiel gegen Paderborn zu einem überzeugenden 4:0 kam.
Stattdessen kamen die Bremer über weite Strecken der ersten Skripnik-Saison besonders über die klassischen Offensivwaffen des individuell unterlegenen Teams zu vielversprechenden Aktionen: Einerseits versuchte man oft, das Mittelfeld direkt mit langen Bällen zu überspielen, die von den robusten di Santo und Selke festgemacht werden sollten.
Andererseits bot man mit Bartels einen umtriebigen, beweglichen Spieler auf der Zehn auf, dessen herausragende Stärke darin liegt, ungeordnete Defensivstrukturen anzudribbeln und sich somit ideal dafür eignete, schnell und effektiv zu kontern.
Am öffentlichkeitswirksamsten stellte sich allerdings die Bremer Qualität bei offensiven Standardsituationen (mit 22 Toren Ligaspitze) dar: Zlatko Junuzovic glänzte sowohl mit gefährlichen Hereingaben als auch mit fünf direkt verwandelten Freistößen.
Aus einem ruhigeren Aufbau heraus fehlten allerdings häufig die Verbindungen zwischen den Mannschaftsteilen, die Halbpositionsspieler positionierten sich im eigenen Aufbau oft zu früh recht hoch, die seitlich ausweichende Spielweise von Zehner Bartels sorgte für eine teils problematische Leere im Zentrum.
Bargfrede auf der Sechs kamen andere Aufgaben als die des tiefen Ballverteilers zu. Oft versuchte man daher, den Ball über die relativ klassisch veranlagten, linearen Außenverteidiger und eine Überzahl in Ballnähe stückweise die Seitenlinie entlang nach vorne zu tragen, gerade Linksüberladungen über die mit Junuzovic als linkem Halbpositionsspieler offensivere Seite wurden zu einem gern genutzten Stilmittel. Insgesamt formte Skripnik Werder zu einer unangenehm zu bespielenden und effizienten Mannschaft, die kaum mal schönen Fußball zeigte, aber zuverlässig ihre Aufgaben verrichtete.
Der Sturm zieht weiter (und andere Transfergeschichten)
In der Sommertransferperiode hatte Manager Thomas Eichin alle Hände voll zu tun – gerade auf der Abgangsseite, wo beispielsweise die Hoffnungsträger der Dutt-Ära wie Eljero Elia oder Ludovic Obraniak an neue Vereine vermittelt werden mussten. Entscheidender als das Verkleinern des Kaders um die bekannten Ladenhüter war es jedoch, die abgewanderten Stürmer des Vereins zu ersetzen.
Nils Petersen, als Vollstrecker in dominanten und/oder auf Flügelangriffe spezialisierten Spielsystemen ein Stürmer von gehobenem Bundesligaformat, wurde für verhältnismäßig kleines Geld fest an den SC Freiburg abgegeben. Ebenfalls in die zweite Bundesliga zog es Davie Selke, der sich den Leipziger Rasenballsportlern anschloss. Die kälteste Dusche war wohl der unerwartete Transfer von Torjäger und Schlüsselspieler Franco di Santo, der in einer späten Phase der Vorbereitung von einer Ausstiegsklausel Gebrauch machte und sein Glück auf Schalke suchen wollte. Ein großer Teil der so generierten Gelder floss direkt in die von jahrelanger Misswirtschaft gebeutelte Vereinskasse, ein anderer bezahlte die Transfers von Anthony Ujah, Aron Johannsson und Rückkehrer Claudio Pizarro.
Weitere relevante Transfers waren der des zweiten Rückkehrers Felix Wiedwald, der ein Upgrade auf der Torhüterposition darstellt, sowie die Verpflichtung des interessant veranlagten Linksverteidigers Ulisses Garcia. Dazu verließ mit Sebastian Prödl ein kopfballstarker Innenverteidiger den Verein, für den schon im Winter mit Jannik Vestergaard ein nicht minder kopfballstarker, mit dem Ball am Fuß allerdings stärkerer Abwehrorganisator verpflichtet worden war.
Es wurde also auf den Positionen nachgerüstet, auf denen relevante Abgänge zu verzeichnen waren, und sich zudem mit ablösefreien Transfers (Wiedwald, Garcia) verstärkt.
Keine Neuzugänge gab es allerdings im Mittelfeld – durchaus ein Risiko, da dieser Mannschaftsteil weder in der Spitze noch in der Breite sonderlich gut besetzt ist, auch, wenn Bargfrede als stabilisierender Arbeiter im Zentrum ähnlich wie der aufgrund seiner starken Standards und seiner hervorragenden Eignung für pressinglastige und laufintensive Spielsysteme wichtige Junuzovic durchaus die Qualität mitbringt, um in einer Mannschaft im Stamm zu spielen, die die obere Tabellenhälfte anpeilt.
Es mangelt den Bremern in diesem System jedoch an kreativen, pressingresistenten, ballsicheren Spielern, die den oft zu hektisch ausgespielten Angriffen Struktur verleihen und im tiefen Aufbau eine Anspielstation sein könnten sowie an Offensivspielern, die den oft verwaisten Zehnerraum besetzen und mit vertikalen/diagonalen Schnittstellenpässen aus dem Spiel heraus für Chancen sorgen könnten. Die Hoffnung hierfür lag zwangsweise auf den jungen Talenten der Bremer; Levent Aycicek, Julian von Haacke, Florian Grillitsch oder Maximilian Eggestein bringen allesamt Technik und Spielverständnis mit.
Werder in der Vorbereitung: Pressing und Umschaltspiel plus flache Kombinationen plus di Santo
Aus diesem interessanten, aber rohen Spielmaterial galt es nun also, eine neue Mannschaft zu formen. Skripnik setzte sich dabei zum Ziel, seine Spielidee weiterzuentwickeln und besonders die eigenen Ballbesitzphasen zu verbessern. In der Vorbereitung zeigte Werder tatsächlich phasenweise gute Ansätze im Kombinationsspiel, fand in den Halbräumen häufig kreativere, spielerische Lösungen, band die Außenverteidiger konstanter ein und rief ein Offensivpotential ab, das bislang nicht in die Bundesliga gerettet werden konnte.
Zum einen lag das daran, dass unter den Testbedingungen der Vorbereitung häufiger auf Talente aus der U23 gesetzt wurde, die für ihre Spielweise viele Ballkontakte benötigen und das Kombinationsspiel suchen. Im 4:0-Testspielsieg gegen Red Bull Salzburg setzte man auf ein Außenverteidigerpärchen aus Ulisses Garcia und Luca Zander, zudem kamen Florian Grillitsch, Maximilian Eggestein und Julian von Haacke zum Einsatz.
Und natürlich war da zum anderen auch noch dieser wuchtige Argentinier im Sturm, der unermüdlich Meter machte und sich entweder in Abschlussposition brachte oder den Wandspieler gab. Di Santo war der Bremer Fixpunkt in der Offensive. Auch nicht ganz perfekte Zuspiele konnte er meist dank seiner Technik und physischen Wucht irgendwie unter Kontrolle bringen und abschirmen, wodurch er die spielerischen Mittelfelddefizite teilweise ausgleichen konnte und den Teamkollegen Zeit zum Nachrücken gab.
Noch wichtiger war allerdings seine herausragende Sicherheit vor dem gegnerischen Tor, die besonders den di Santo des letzten Winters auszeichnete: Phasenweise zeigte europaweit nur der Wolfsburger Bas Dost eine bessere Chancenverwertung als der ehemalige Bremer, der zudem nicht selten aus enorm anspruchsvollen Abschlusssituationen erfolgreich war. Dementsprechend relativierte sich der Bremer Höhenflug auch bereits zum Ende der Saison, als di Santo häufiger abtauchte und Werder offensiv leichter ausrechenbar wurde.
Mit dem überraschenden Abgang di Santos war es nötig, zeitnah einen Nachfolger zu präsentieren. Dieser wurde für etwa 4,5 Millionen Euro in Aron Johannsson gefunden. Der US-Nationalspieler, der den Bremern bis auf weiteres verletzungsbedingt fehlt, bringt durchaus interessante Fähigkeiten mit. Bislang präsentierte er sich beweglich, technisch gut und vor allem im Passspiel überlegt und sicher (wenn auch noch mit leichten Abstimmungsproblemen hinsichtlich der Laufwege seiner Mitspieler), aus den Niederlanden, wo er für Alkmaar stürmte, kennt man ihn zudem als starken Verwerter mit variantenreichem Abschluss.
Doch ihm fehlt schlicht die Körperlichkeit, um die Rolle des fleißigen Argentiniers nach dessen Vorbild auszufüllen, sodass sich eigentlich die Notwendigkeit ergeben hätte, die Spielweise dementsprechend anzupassen.
Werders Offensivprobleme: Ähnlicher Spielstil, andere Voraussetzungen
Tatsächlich ist davon bislang wenig zu sehen gewesen. Vielmehr spielte man zu Beginn der Saison einen sehr ähnlichen Fußball wie in der Rückrunde mit Konzentration auf Pressing und Umschaltspiel – nur ohne all die zusätzlichen Faktoren, die den Bremern in der vergangenen Saison Tore und Punkte verschafft haben. Der charakteristische Linksfokus ist aus dem Spiel verschwunden – wo letzte Saison noch 40% aller Bremer Angriffe über die linke Offensivseite vorgetragen wurden, sind es in diesem Jahr nur noch 32%, dafür werden in diesem Jahr 33 statt zuvor 25% der Bremer Angriffe über das Zentrum gespielt.
Diese Entwicklung hängt einerseits damit zusammen, dass der gerne in den linken Halbraum ausweichende di Santo mittlerweile Königsblau trägt, andererseits mit der Maßnahme Skripniks, Junuzovic zugunsten der Stabilität von der linken Halbposition, die er stets sehr offensiv und vom zu Saisonbeginn vom jüngeren der beiden Garcias nicht immer ausreichend abgesichert ausfüllte, auf die Zehn in der Raute zu schieben.
Die Halbpositionen wurden regelmäßig mit Kapitän Fritz rechts und besagtem Linksverteidiger-Talent Ulisses Garcia besetzt – mit zwei lauffreudigen Außenverteidigern also. Mit dieser Mittelfeldbesetzung gelangte man zu den bisher einzigen zwei Saisonsiegen (gegen die – damaligen und/oder aktuellen – Krisenclubs aus Hoffenheim und Gladbach). Spielerisch weiterentwickeln konnte man sich so allerdings nicht.
Die neue Junuzovic-Rolle sorgte für Verbesserungen in gegnerischem Ballbesitz: Im Angriffspressing unterstützte der Österreicher die Stürmer als zentrale Pressingspitze, sodass sich die Formation zu einem 4-3-3 verschob, während er sich im Mittelfeld neben Kroos/Bargfrede in eine flache Vier zurückfallen ließ, aus denen Junuzovic und besonders Bargfrede immer wieder vom jeweils Anderen abgesichert herausrücken und Zugriff auf die gegnerischen Sechser erzeugen konnten, um so das Ballbesitzspiel des Gegners zu stören. Gerade gegen Gladbachs Xhaka funktionierte dies hervorragend.
Allerdings torpedierte man so auch das eigentliche Ziel, sich im Ballbesitzspiel zu verbessern. Junuzovic füllt zwar auch in der österreichischen Nationalmannschaft die nominelle Zehn aus, weiß dort jedoch einen David Alaba hinter und durchschlagskräftige Außenspielern neben sich. In einer derart spielschwach besetzten Raute müsste er deutlich spielmachender agieren, sich die Bälle tiefer holen und verteilen (Randnotiz: Ähnliches versuchte übrigens Özkan Yildirim in seinem bislang einzigen Saisonspiel als Zehner der Bremer U23 gegen Preußen Münster – dort ließ er sich phasenweise gar zwischen die Innenverteidiger fallen).
Doch Junuzovic ist kein Ballschlepper wie einst Aaron Hunt, ihm fehlen Übersicht und die Ruhe am Ball. Er kann dank seiner Laufstärke, seines großen Aktionsradius und seinen durchaus vorhandenen technischen Fähigkeiten samt passabler Eignung für ein kollektiveres Kurzpassspiel als Pressing- und Verbindungsspieler agieren, wenn Spieler mit strategischen Fähigkeiten den Unterbau im DM bilden und die Offensivstaffelungen passend sind.
In der aktuellen Bremer Ausrichtung ist seine offensive Wirkung jedoch sehr auf Individualaktionen beschränkt. Zudem gelang den Bremern bislang erst ein Standardtor – eine schwache Quote für den Spezialisten Junuzovic, dessen Qualitäten bei ruhenden Bällen die Bremer über weite Strecken der vergangenen Rückrunde trugen.
Wenn man jedoch Junuzovic kritisiert, dann muss man ihm zugute halten, dass sich seine Schwächen im eigenen Ballbesitz hauptsächlich deshalb zeigen, weil hinter ihm zumeist Spieler agieren, die ihrerseits der Spielkultur auf Bremer Seiten nicht unbedingt zuträglich sind.
Die Halbpositionen – Segen für die Stabilität, Fluch für die spielerische Entwicklung
Ulisses Garcia hat beispielsweise teils noch massive Probleme bei der Entscheidungsfindung auf der für ihn ungewohnten linken Halbposition, auf der er gegen den Ball meist einen soliden Job verrichtet, allerdings im Vorwärtsgang sein übliches Muster, als hinterlaufender, dynamisch dribbelnder Außenverteidiger aufzurücken, nicht mehr nutzen kann.
So mangelt es derzeit noch besonders am Zusammenspiel mit Nachnamensvetter Santiago – generell wirkt das Spiel U. Garcias auf dieser Position noch sehr auf Sicherheit und Schadensbegrenzung bedacht, was jedoch häufig aufgrund von fehlendem Raumgefühl einfach darin endet, dass Garcia sich versehentlich in enge Situationen hineinmanövriert, aus denen er sich dank seiner Technik zwar oft befreien kann, jedoch ohne, dass ihm dabei ein Raumgewinn gelänge.
Ähnliches gilt für Clemens Fritz auf der anderen Seite. Der dienstälteste Bremer Spieler überzeugt als defensive Unterstützung Gebre Selassies auf der rechten Seite meist mit guter Positionsfindung und kann seine Defizite im Antritt häufig mit Antizipation kaschieren.
Das Problem bei Fritz ist jedoch, dass es bei ihm nach Ballgewinnen an den Fähigkeiten zu entsprechenden Anschlusshandlungen fehlt. Oft übersieht er Anspielstationen im Zentrum, läuft zu viele Meter mit dem Ball am Fuß, während er noch überlegt, wen er anspielen könnte, oder probiert es direkt mit dem langen Ball. Hin und wieder entsteht daraus durchaus eine gefährliche Aktion, zu häufig ist ein Fritz-Ballgewinn allerdings nur die Einleitung für einen Fritz-Ballverlust.
Stärker präsentierte sich der Kapitän der Grün-Weißen in der Partie gegen Hannover, wo er bedingt durch die Rotsperre Bargfredes als zentraler Sechser auflief und – auch dank des passiven Gegners – die Bälle aus der Spielfeldmitte zwar noch bisweilen behäbig, aber deutlich konstanter und zuverlässiger als von der Halbposition aus verteilte und seltener auf die in Bremen so beliebte Spielform des „langen Hafers“ zurückgriff.
Damit ist gar nicht mal so sehr die Anzahl der langen Bälle gemeint, die das Bremer Spiel trotz weniger tauglicher Zielspieler prägen – auch, wenn diese imposant ist (mit 79 pro Spiel die viertmeisten der Liga und mit anteilig 21% aller gespielten Pässe sogar die relativ drittmeisten hinter den Aufsteigern).
Es ist hauptsächlich die Qualität und die mangelhafte Einbindung dieses Stilmittels. Eröffnende Diagonalbälle aus der Defensive auf die ballfernen Außenverteidiger, ausweichende Stürmer/Zehner oder aufrückende Halbpositionsspieler gab es gerade zu Beginn der Saison kaum. Dies lag auch daran, dass Alejandro Galvez, im Sommer 2015 von Rayo Vallecano an die Weser gekommen, nach verletzungsbedingtem Fitnessrückstand lange Zeit fehlte.
An seiner statt spielte Assani Lukimya – ein fleißiger Musterprofi und eine solide Lösung als athletische Antwort auf unbewegliche Stürmer, der an der Weser zwar Sympathien genießt, allerdings aufgrund seiner technischen Limitiertheit, seiner Nervosität unter Gegnerdruck und seiner fast chronischen Neigung zu individuellen Aussetzern, die man im Tennisjargon wohl als „unforced errors“ bezeichnen müsste, auch eine klare sportliche Schwachstelle im Team darstellt.
Mit der Rückkehr des Trios aus Vestergaard, Galvez und Bargfrede in der defensiven Zentrale der Bremer am Wochenende gegen Mainz sollte der Aufbau aus dem defensiven Zentrum wieder deutlich souveräner vonstatten gehen. Erste Effekte des Duos Vestergaard/Galvez konnte man schon in der Partie gegen Hannover beobachten. Der Spielaufbau aus der Innenverteidigung der Bremer heraus ist in dieser Besetzung viel schwerer zu pressen als noch in Kombination mit Lukimya, der seine Schwächen vor allem dann gut kaschieren kann, wenn er als Teil eines tiefstehenden Abwehrbollwerks verteidigt.
Kein Wunder also, dass die Bremer Innenverteidiger in dieser Partie oft 10, 15 Meter höher aufbauten als in vorangegangenen Spielen und sich trotz der weiterhin präsenten Abschlussschwäche und Zehnerraummisere eine deutliche Verbesserung des Ballbesitzspiels einstellte. Am Ende scheiterte man an einem starken Ron-Robert Zieler und einem Standardgegentor – das Ergebnis gegen Hannover war demnach auch ein Stück weit einem Pech geschuldet, das die Bremer diese Saison begleitet.
Denn trotz der zahlreichen Defizite ist natürlich nicht alles schlecht – wie ausgeführt funktioniert die Arbeit im Defensivverbund ebenso wie das Pressing teils sehr gut. Häufig sind es individuelle Aussetzer oder unglückliche Situationen, die den Bremern Punkte kosteten – die unnötigen Elfmeter gegen Darmstadt und Ingolstadt, die rote Karte Bargfredes, etwas zufällig nachteilige Spielverläufe.Doch natürlich sollte man sich in Bremen jetzt nicht beruhigt zurücklehnen und darauf bauen, dass das Glück schon wiederkommt. Denn einerseits vermindert guter Fußball natürlich das Risiko, von fehlendem Matchglück entscheidend zurückgeworfen zu werden (gut, Stuttgarter finden so eine Behauptung vielleicht etwas zynisch) – und andererseits bedeutet die Erkenntnis, dass Werder mit den gezeigten Leistungen eigentlich auch noch Bundesligadurchschnitt ist, auch hauptsächlich, dass das aktuelle Niveau der Liga im Mittelfeld nicht sonderlich hoch ist und viele Vereine noch mit Schwachstellen in der Spielanlage zu kämpfen haben.
Gewonnen haben die Bremer in dieser Saison bislang nur gegen Vereine, die selbst krisengebeutelt waren. Eine Steigerung ist somit selbstverständlich notwendig. Ob diese noch unter Skripnik eintreten wird, ist schwer vorauszusagen.
Einerseits brachte man sich mit der Umstellung gegen Ingolstadt, in der man schon zur Halbzeit mit Pizarro einen dritten Stürmer brachte und so die Spielkontrolle im Mittelfeld phasenweise abgab, der Besetzung des Mittelfelds gegen Darmstadt oder unpassenden Einwechslungen gegen Leverkusen auch selbst in die Bredouille, allerdingst zeigte die Formkurve sowohl gegen Hannover als auch gegen einen gut geforderten FC Bayern durchaus nach oben.
Der Werder-Weg und seine möglichen Abzweigungen
Die entscheidende Frage ist jetzt: Was kann man tun, um erfolgreich Fußball zu spielen? Wie lässt sich ein erfolgreiches Kollektiv schaffen, das tatsächlich wieder Punkte nach Bremen holen kann? Fragen, die selbstverständlich simpler zu stellen als zu beantworten sind, natürlich. Eine radikale Umstellung der Spielweise ist womöglich gar nicht nötig. Die tatsächlichen Krisenspiele – also die, in denen nicht nur das Ergebnis nicht stimmte, sondern auch die Leistung wenig Hoffnung auf Besserung zuließen – waren wie erwähnt die in der zweiten Halbzeit gegen Ingolstadt, dazu gegen Darmstadt und Leverkusen.
In allen zweieinhalb Spielen war Skripnik dazu gezwungen, auf seine angestammte Mittelfeldbesetzung zu verzichten, und gab so die Stabilität (gegen Ingolstadt), die Verbindungen zwischen Mittelfeld und Sturm (gegen Darmstadt) oder gleich das ganze Spiel (was hatte man gegen Leverkusen vor?) auf. Die Spiele gegen die Aufsteiger hätten zudem ohne individuelle Dummheiten oder mit etwas mehr Matchglück in einer Punkteteilung enden können, man wurde nicht an die Wand gespielt, sondern half kräftig bei den eigenen Niederlagen mit.
Insofern bleibt festzuhalten, dass das destruktive, defensiv griffige 4-3-1-2/4-4-2 gegen weitere Mittelfeldteams durchaus eine praktikable Variante bleiben könnte. Auffällig allerdings: Die Spieler, die in Plan A gerade im Mittelfeld funktionieren, sind begrenzt. Und ein Plan B, der womöglich das umsetzt, was Skripnik noch im Sommer als Plan ausgegeben hat, fehlt den Bremern gänzlich. Gerade gegen Darmstadt, ein Team, das schon den Aufstieg dadurch klar gemacht hat, dass sie in Bolzspielen im Kampf um den zweiten Ball große Qualitäten haben, sollte man nicht mit einer sich zur flachen Vier verschiebenden Raute mit drei gelernten Verteidigern und Fin Bartels begegnen. Hier hätte etwas mehr Spielkontrolle durch Ballkontrolle gutgetan.
Und vielleicht wäre es langfristig sogar gar nicht schlecht, Werder weg vom Dogma des Pressings als Selbstzweck zu bewegen und stattdessen den Kader auf Fähigkeiten hin zu untersuchen, die dem Bremer Fußball langfristig guttun könnten. Machen wir das doch mal, wir sind ja erst gut 3000 Wörter in der Krisenanalyse. Da hat man doch noch Platz und Lust, ein bisschen weiterzulesen und die Kaderstruktur aufzudröseln.
Ähnlich wie Kollege TW in seiner Analyse zum VfL Bochum werde ich dazu den Indikator des Goalimpacts zurate ziehen – einer Metrik also, die Spielerstärken anhand ihres Einflusses auf die Tordifferenz ihres Teams einschätzt. Aufgrund der Altersstruktur des Bremer Kaders (nur zwei Ü30-Spieler mit Pizarro und Fritz) geben meine Grafiken auch den prognostizierten Peak-Wert der Spieler an. Dieser ist zwar aufgrund der geringen eingespeisten Spielzahl für viele Bremer Nachwuchsakteure (und seinem generell unsicheren, da in die Zukunft gerichteten Charakter) ungenau, gibt aber Aufschluss über Tendenzen. Die schönen GI-Kurven, die TW seinerzeit visualisiert bekommen hat, lassen sich für jeden einzelnen Spieler auf Ligainsider.de nachlesen.
Torhüter:
Im Tor ist der Bremer Kader recht durchschnittlich besetzt. Mit Felix Wiedwald kehrte ein ehemaliger Nachwuchstorwart der Grün-Weißen an die Weser zurück und ersetzte Übergangslösung Koen Casteels. Seine Stärken liegen vor allem in 1-gegen-1-Situationen, wenn ein Stürmer mit Ball am Fuß auf ihn zuläuft – versucht Wiedwald allerdings, einen langen Pass vor dem Angreifer zu erreichen, kann es brenzlig werden.
Der fehler- und neuerdings auch verletzungsanfällige Raphael Wolf war als erster Ersatz vorgesehen, aufgrund ebenjener Verletzungsmisere erwägt man jedoch, einen weiteren erfahrenen Mann hinzuzuholen – damit Top-Talent Zetterer Spielpraxis in Liga 3 sammeln kann, statt die Bank während Bundesligapartien zu drücken.
Verteidiger:
Untypisch für die so oft als Schießbude verschrienen Bremer – nominell ist die Abwehr das Prunkstück. Der gelegentlich vorstoßende und trotz Gardemaß von 1,99 Metern dribbelfreudige Vestergaard und Ex-Rayo-Mann Galvez bilden ein modernes Innenverteidiger-Pärchen auf gutem Niveau, mit Gebre Selassie steht ein zuverlässiger Rechtsverteidiger ohne große Schwächen zur Verfügung. Dahinter sollte man Luca Zander im Auge behalten – der Nachwuchsspieler ist physisch wohl noch nicht auf Bundesliganiveau, überzeugt aber mit klugen Positionierungen in jeder Spielphase, sauberem, intelligentem Passspiel und gutem Timing im Zweikampf.
Marnon Busch ist als dynamischer, robuster Linienläufer mit dem Hang zur Flanke zwar nicht schlecht, jedoch deutlich uninteressanter. Auf der gegenüberliegenden Seite balgen sich der (aufgrund seiner Clubwahl wohl vom GI leicht unterschätzte) Santiago Garcia und sein neunzehnjähriger Namensvetter Ulisses um einen Stammplatz, wobei Letzterer auch den Part im linken Mittelfeld der 4-4-2-artigen Rautenvariante der Bremer übernehmen kann.
Wenn der Schweizer seine Koordinations- und Timingdefizite im Herausrücken abstellen kann und lernt, sich schneller vom Ball zu trennen, kann er aufgrund seiner interessanten Kombination aus Tempo, Dribbelstärke und hervorragender Physisnutzung gerade in der Ballbehauptung zu einem starken Linksverteidiger heranwachsen. Janek Sternberg indes dürfte trotz guter Leistungen bei der U23 langfristig keine Zukunft als Stammspieler in der Bundesliga besitzen.
Eines der Probleme der Bremer liegt in der latenten Überschätzung des nominell dritten Innenverteidigers Assani Lukimya, der nicht nur zu nervöser Hektik unter Druck und einem gewissen Ungeschick im Zweikampf gegen schnelle Gegenspieler neigt, sondern darüber hinaus in der Spieleröffnung auch ohne Gegnerdruck oft unpräzise und altmodisch agiert.
Nachdem Galvez nach Verletzung mit einem Fitnessrückstand aus der Sommerpause kam, erhielt Lukimya dessen Stammplatz und stand nur im Spiel gegen Hannover nicht über die volle Spielzeit auf dem Feld. Diese Aufstellung machte es den Bremer Gegnern bislang leicht, den Bremer Spielaufbau zu stören: Einfach auf den Kongolesen leiten und schauen, was passiert.
Oliver Hüsing, im Nachwuchsbereich sowie in seinem halben Jahr als Leihspieler bei Hansa Rostock vom GI als gutes Talent ausgewiesen, spielt bislang keine Rolle für die Bundesligamannschaft. Hier könnte im nächsten Jahr die Rückkehr Luca Caldirolas, der sich in Darmstadt aus seinem Loch des letzten Jahres zurück auf ein solides Niveau hat kämpfen können, positiv auf die Leistungsdichte auswirken.
Mittelfeldspieler:
Der Mannschaftsteil, der jedem, der es mit Werder hält, Bauchschmerzen garantiert. Werder verfügt über nur fünf gestandene Mittelfeldspieler für vier Positionen – dabei ist Philipp Bargfrede (der übrigens einen bedeutend wohltuenderen Einfluss auf die Bremer Punktausbeute hat, als der GI nahelegt) enorm verletzungsanfällig, Clemens Fritz in seiner letzten Saison und langsam über seinem Zenit, Fin Bartels der Prototyp des idealen 13. Mannes im Kader und Felix Kroos auch nach Jahren in der Bundesliga aufgrund von Defiziten in der Handlungsschnelligkeit noch nicht über die Rolle des Ergänzungsspielers hinausgekommen.
Neben Zlatko Junuzovic, abgesehen von seinen Momenten bei ruhenden Bällen eigentlich auch nur ein (hervorragender) Wasserträger, tun sich vor allem die Talente hervor (die – nur zur Einordnung – allerdings auch im Vergleich zu anderen Jugendmannschaften beziehungsweise Dritt- und Viertligisten eingeschätzt wurden).
Besonders Maximilian Eggestein (dessen Bruder übrigens gerade die U-17-WM aufmischt und für Werder schwer zu binden sein wird), Lukas Fröde und Bayer-Leihgabe Levin Öztunali wird von der Statistik eine große Zukunft prognostiziert. Eggestein hat jedoch noch einen weiten Weg vor sich, auf dem er jedoch – vergleichsweise unproblematisch – hauptsächlich körperlich zulegen muss. Spielerisch könnte er schon jetzt Impulse liefern.
Fröde ist ein lauf- und kopfballstarker Sechser, der durchaus von Zeit zu Zeit schöne Diagonalbälle im Fuß hat, allerdings meist die einfache Lösung wählt und in der U23 hauptsächlich aufgrund seiner physischen Präsenz wichtig war.
Öztunali bringt Tempo, Technik und Zug zum Tor mit – in der Bremer Raute ist er jedoch auf keiner Position wirklich optimal aufgehoben und konnte bislang wenig zeigen.
Florian Grillitsch, der von der Halbposition bis zur hängenden Spitze alles spielen kann, ist über 90 Minuten noch zu unpräsent, um die Bremer – trotz herausragender Technik, Abschlussstärke und Ruhe am Ball – in der Bundesliga jetzt schon voranzubringen.
Levent Aycicek, Träger der Werder-Zehn, scheint den Anschluss etwas verpasst zu haben. Sollte er sich wieder an den Kader herankämpfen, könnte er ein wichtiges Bindeglied werden, sollte Werder sich dazu entschließen, Kurzpässe wieder auf den Speiseplan zu nehmen.
Özkan Yildirim kann trotz herausragenden Talents wohl nicht mehr eingeplant werden, zu hartnäckig verfolgt den Dribbler das Verletzungspech.
Mit einem Kreuzbandriss ebenfalls lange lahmgelegt war Julian von Haacke – die wahrscheinlich unbekannteste, aber kurzfristig womöglich interessanteste Bremer Mittelfeldhoffnung.
Von Haacke – von Mit-Autor MR im Affekt als „deutsche Mischung aus Britton und Scholes“ geadelt – könnte sowohl als Sechser, wahrscheinlicher jedoch auf einer der Halbpositionen zum Einsatz kommen und die Bremer Ballzirkulation entscheidend voranbringen.
Von Haacke hat nicht die Dynamik eines Spielertyps wie Dahoud oder Gündogan, kann jedoch ganz ähnlich die Halbräume besetzen und auch im tiefen Aufbau für Verbindungen sorgen. Seine Übersicht und Handlungsschnelligkeit in Verbindung mit sauberem Passspiel machten den gebürtigen Bremer zur mitentscheidenden Durchgangsstation der meisten Spielzüge in den Jugendmannschaften.
Wenn er der Bundesliga gewachsen ist, sollte er dazu beitragen können, das Spiel der Bremer in die richtige Richtung zu entwickeln und seine Mitspieler besser aussehen zu lassen.
Stürmer:
Im Sturm verzeichneten die Bremer wie erwähnt einen erheblichen Aderlass, dennoch stehen drei durchaus brauchbare Stürmer und ein aufgrund zahlreicher Verletzungen vom GI wohl zu kritisch gesehenes Talent zur Verfügung. Mit di Santo verließ der beste Torschütze in der späten Vorbereitung den Verein, über Davie Selke war man sich schon im Winter mit RB Leipzig handelseinig geworden.
Anthony Ujah müht sich derweil, die verlorengegangene physische Präsenz zu kompensieren – was ihm in Teilen gelingt (mit 6,5 gewonnen Kopfballduellen pro Spiel erreicht der sprungkräftige Geißbockliebhaber einen Wert, der fast an die kombinierten Statistiken von di Santo (3,5) und Selke (3,7) heranreicht).
Im Abschluss fehlte Ujah bislang durchaus auch ein wenig Glück – und für Ablagen rücken seine Mitspieler derzeit nicht konsequent genug nach. Aron Johannsson wird den Bremern noch auf unbestimmte Zeit fehlen. Insofern stellt sich die Frage, wer in einem Zwei-Stürmer-System neben Ujah agieren soll – der polyvalente, aber formschwache Bartels?
Melvyn Lorenzen, dank seiner vielen Verletzungen kaum auf dem Radar des GI, aber sowohl als wuchtiger Flügelstürmer mit Zug zum Tor als auch als ausweichender zweiter Stürmer eine Option?
Oder doch der alternde, aber nach wie vor fußballerisch sehr gute Claudio Pizarro? Apropos, zu dem hatte ich – hauptsächlich, weil das Thema von Fans und Medien gerne sehr heiß gekocht wird – eingangs auch noch ein paar Absätze versprochen.
Claudio Pizarro, der verschwendete Messias
Eine der kontroversesten Bremer Personalien in dieser Saisonphase ist wohl Claudio Pizarro. Der nunmehr 37 Jahre alte Peruaner wurde erst nach Ablauf des Transferfensters zurück an die Weser geholt und der Öffentlichkeit als Coup präsentiert – wenngleich kein Hehl daraus gemacht wurde, dass er planmäßig als dritter Stürmer hinter Ujah und Johannsson verpflichtet worden war.
Das hielt natürlich weder die Bremen Fans vom Träumen ab – zumal er gleich zu seinem Debüt die Partie gegen Hoffenheim in bester Bizarro-Manier mit einem Assist in der Nachspielzeit zugunsten der Grün-Weißen entschied. In den folgenden Einsätzen war dann nicht mehr allzu viel vom Altstar zu sehen außer einige Verlagerungen und Steilpässe von in Bremen kaum noch gekannter Klasse und Gedankenschnelligkeit. Wenige Wochen nach der ersten Euphorie sehen Journalisten ihre naive Erwartungshaltung bröckeln – Zeit also, die Umstände der bisherigen dritten Pizarro-Ära ins rechte Licht zu rücken.
Zunächst: Die Frage, warum Pizarro derzeit nicht den Unterschied ausmacht, ist an und für sich falsch gestellt. Das hat schon damit zu tun, dass dies bei einer rationalen Betrachtung des Transfers nie der Anspruch hätte sein dürfen. Vielmehr handelte es sich bei der Verpflichtung nicht um einen Eckpfeiler der Kaderplanung, sondern um eine jener „günstigen Gelegenheiten“, die Manager Thomas Eichin so gerne beschwört – um einen Spieler mit seltenen Qualitäten also, den man nur aufgrund der Umstände (Alter, Vertragslosigkeit, Werder-Vergangenheit, verhältnismäßig günstige Finanzierung durch Sponsorenbeihilfe) dem Kader hat hinzufügen können. Der Haken bei der Sache ist allerdings der, dass Pizarro als Stammkraft gar nicht zum Fußball von Werder 2015 passt.
Das ist erstmal eine vollkommen wertfreie Feststellung, denn sowohl Pizarros individuelles Leistungsvermögen als auch die eingangs beschriebene Bremer Ausrichtung haben ihre Vorteile, wenngleich die technisch anspruchsvolle, lässige Spielweise Pizarros Fußballästheten wohl eher aus den Sitzen reißt als das Bremer Laufspiel. Es ist jedoch zumindest erkennbar, dass ein Mittdreißiger, der sich nie durch eine überdurchschnittliche Physis auszeichnete, weniger ideal in die Bremer Balljagd passen will als Spieler wie Ujah oder Junuzovic, die 90 Minuten lang mit hoher Intensität gegen den Ball arbeiten, weite Wege gehen und unermüdlich den gegnerischen Spielaufbau durch frühes Anlaufen stören wollen.
Derlei Defizite potenzieren sich in Spielen wie am 7. Spieltag gegen Bayer Leverkusen – eine Mannschaft, deren radikale Spielweise den Gegner noch mehr als sonst in den läuferischen Abnutzungskampf zwingt und ihm wenig Zeit für überlegte Aktionen lässt. Das Ergebnis: Nur 48,3% angekommener Bälle verzeichnete Pizarro – und lag damit auf einem Niveau mit Assani Lukimya und nur knapp vor Kapitän Fritz.
Dass ihm dabei dennoch einige ausgezeichnete öffnende Pässe (hier folgt im Laufe des Wochenendes noch eine Grafik) und insgesamt drei Torschussvorlagen gelangen, zeigt jedoch, dass der Peruaner mit seiner Technik und seinem Spielverständnis punktuell nach wie vor aus der Bremer Mannschaft herausragen kann.
Aktuell ist Pizarro wohl dann am nützlichsten eingesetzt, wenn er als zurückfallender Stürmer die Bälle mitverteilt und so die Lücke füllt, die im Bremer Zehnerraum häufig unbesetzt bleibt. Gegen den Ball kann er über geschickte Positionierung und Deckungsschattennutzung Passwege ins Mittelfeld zustellen – ihn neben Ujah in die vorderste Front zu berufen würde die mittlerweile sichtlich gealterte Bremer Ikone in viele Sprints zwingen, um das vorgegebene, aggressive Angriffspressing zu gewährleisten.
Dies könnte vom zuletzt auf die Zehn versetzten Junuzovic deutlich besser und effektiver übernommen werden, häufig übernahm er auch schon im vergangenen Jahr die Rolle als vorderster Pressingspieler, wenn Werder mit einem OM/HS neben di Santo oder Selke agierte.
Zurück in die Zukunft: Wie könnte es weitergehen?
Eins vorab: Es wird in jedem Fall ein ziemlicher Spagat für jeden Werder-Trainer, aus dem jetzigen Kader eine Mannschaft zu bauen, die erfolgsstabil guten Fußball zeigt. Dennoch ist es gerade im Sinne der langfristigen Planung absolut notwendig, eine Ausrichtung zu finden, in der die Stärken des eigenen Nachwuchses zur Geltung kommen – allein schon, weil Werder die Ablösesummen für externe Verstärkungen kaum mehr zahlen kann, gleichzeitig aber das Potential des Nachwuchsleistungszentrums kaum ausschöpft.
Und auch, wenn man sich die engere Verzahnung von Bundesligamannschaft und U23 auf die Fahnen geschrieben hat, kommt es dieser Tage zum Teil vor, dass die größten Talente des Vereins an einem Wochenende weder in Liga 1 noch in Liga 3 auf dem Platz stehen – hauptsächlich deshalb, weil man sich die Nachwuchsspieler bis zum Schluss als Optionen für den Profikader offen halten möchte, ohne dann jedoch tatsächlich auf sie zu bauen. Von diesem Status Quo muss man schnellstens wegkommen – und diejenigen Talente, deren Fähigkeiten der ersten Mannschaft helfen könnten, konsequent einbauen.
Eine Möglichkeit dazu wäre eine Ausrichtung, die der Formation zu Beginn gegen die Bayern ähnelt, als sich oftmals ein 4-1-4-1 herauskristallisierte. In der skizzierten Möglichkeit lässt sich durchaus eine Art Dunga-Raute erkennen, in der mit Lorenzen ein eigentlicher Stürmer den linken Flügel besetzt, wobei Öztunali eine ähnliche Rolle als inverser, dynamischer Winger übernehmen könnte. Gegen den Ball sind verschiedene Staffelungen denkbar – für die kroatische Nationalmannschaft (die natürlich weitaus passender für ein solches System besetzt ist) hat RM das bereits einmal durchexerziert.
Sicher wäre ein weiterer anpassungsfähiger, spielintelligenter Akteur im zentralen Mittelfeld von Vorteil (Junuzovic könnte notfalls auf den Flügel rutschen), dennoch kommt die grundsätzliche Rollenverteilung besonders den einzelnen Nachwuchsspielern entgegen.
Luca Zander als aufbaustarker AV könnte sich so einer zuverlässigen Absicherung sicher sein und gleichzeitig seine Fähigkeiten im Passspiel und in der Positionsfindung einbringen. Auch Julian von Haacke müsste nicht bis mit auf die Flügel rücken, wie es das Leid der Halbpositionsspieler häufig ist. Mit Zander und von Haacke dürfte das Ballbesitzspiel der Bremer deutlich mehr Dreiecke zu Gesicht bekommen. Das wäre ein gutes Zeichen.
Zudem könnte man über diese Ausrichtung das eingeschlafene Flügelspiel wiederbeleben, ohne wirklich Präsenz im Sturmzentrum zu verlieren oder sofort jeden langen Ball in die Spitze, der dann doch mal kommt, im Luftzweikampf sofort verloren geben zu müssen. Anthony Ujah war diesbezüglich bislang ohnehin Alleinunterhalter im Sturm (der verletzte Johannsson gewann bislang statistisch nur 0,5 Kopfballduelle pro Partie), sein Sturmpartner hatte sowieso eine ausweichendere Rolle inne.
Dafür fehlte es bislang an Möglichkeiten, über die Flügel Durchschlagskraft zu entwickeln. Gebre Selassie könnte (relativ simpel) Hereingaben auf Ujah bringen, viel interessanter wäre allerdings der linke Flügel, auf dem Lorenzen mit seinem enormen Tempo schwer zu verteidigen ist, wenn er nach innen zieht, um mit rechts abzuschließen.
Besonders gut könnte sich dies über Verlagerungen aus dem rechten Halbraum einbinden lassen, wo von Haacke eigentlich prädestiniert dazu ist, die gengnerischen Qualitäten im Verschieben mit Diagonalbällen auf die Probe zu stellen und Lorenzen ballfern eine Rolle übernehmen könnte, die an Andre Hahns Einbindung in Augsburg erinnert. Dank des inversen Flügelstürmers vor ihm könnte der jeweils eingesetzte Garcia auch seine Tendenz zum Hinterlaufen sinnhafter anbringen. Junuzovic könnte indes als Anspielstation zwischen den Halbräumen pendeln.
Insgesamt wäre man mit einer solchen Aufstellung wahrscheinlich ballsicherer und offensiv variabler. Sie löst nicht ganz die Zehnerraumproblematik und bietet eventuell etwas weniger Präsenz in hohen Zonen, eröffnet allerdings Möglichkeiten, die man bislang noch kaum nutzt.
Fazit
Zusammenfassend bleibt festzuhalten:
- Werder ohne Standardtore und di Santo hat noch keinen Plan B gefunden
- Plan A ist ein wenig defensiver geworden und funktioniert ein bisschen besser, als die Tabelle aussagt
- Die mangelnde Qualität in der Breite ist ein Problem, ebenso die Zusammenstellung des Mittelfelds
- Um die langen Bälle zu begrenzen, müssen spielstarke Nachwuchsspieler konsequenter eingebunden werden (oder es wird im Winter im zentralen Mittelfeld nachgelegt)
- Der Trend geht trotz Ergebniskrise nach mit Ansage gescheiterten Experimenten gegen Darmstadt und Leverkusen zuletzt wieder bergauf
- Pizarro kann in den richtigen Momenten noch wichtig werden, passt allerdings nicht ganz zum Spielstil der Bremer, wie er im Moment praktiziert wird. Als Einwechsler kann er potentiell trotzdem für Impulse sorgen.
14 Kommentare Alle anzeigen
TS 23. April 2016 um 14:49
Ich weiß nicht, ob das schon einmal gefragt wurde, aber wie kommt man zu diesen goalimpact Statistiken? Die Webseite rückt ja nicht damit heraus, wie dieser Wert berechnet wird, nur welche Attribute betrachtet werden.. Deine Diagramme sehen aus, als hättest du sie selbst erstellt. Wäre sehr glücklich darüber, wenn ihr mir weiterhelfen könntet 😀
Jan 28. Oktober 2015 um 20:38
Herzlichen Dank für diese informative, detaillierte und verständliche Analyse!
Inhaltlich kann ich da wenig ergänzen.
Die Problematik bezüglich des sprunghaften Wechselspielchens bezüglich der Berücksichtigung der jungen Spieler ist denke ich den meisten Beobachtern bekannt. Für mich als externen Beobachter weder nachvollziehbar, noch konsequent, noch sinnvoll. Aus meiner Sicht hätte man einigen der Jungen (wie z.B. Eggstein) mal über mehrere Spiele das Vertrauen aussprechen sollen. Wobei ich natürlich nicht weiß, ob Skripnik und der Lutscher es vielleicht schaffen intern deutlich zu machen, warum sie dies oder jenes tun oder lassen.
Finanziell gehe ich davon aus, dass das Wirtschaftsjahr 15/16 besser wird als 14/15.
Handelsrechtlich notwendige außerplanmäßige Abschreibungen auf Spieler, die jetzt verkauft werden konnten, mussten bereits in 14/15 durchgeführt werden. Diese Einmaleffekte sind damit erledigt.
Die Personalkosten wurden in den letzten 12 Monaten deutlich reduziert (überschlägig komme ich da auf einen hohen einstelligen Millionenbetrag). Beides zusammen sollte reichen, um die hohen Kosten für das Stadion (bzw. die Miete) zu kompensieren und nächstes Jahr ein positives Ergebnis zu erreichen.
Und vielleicht kommt ja heute mit dem erreichen der nächsten Runde noch was hinzu.
beste Grüße aus Münster
wollen wir mal hoffen, dass das heute ne jovele Nummer wird!
kreuzberger 28. Oktober 2015 um 10:26
Habe jetzt endlich Zeit gefunden, diesen großartigen Artikel zu lesen. Danke für die ausführliche Analyse!
Dr. Acula 26. Oktober 2015 um 22:50
großartiger artikel!!!
Tomàs 27. Oktober 2015 um 13:31
Da kann ich nur zustimmen – ein toller Artikel.
Besonders lobenswert finde ich, dass das Geschriebene trotz seines Umfanges wohl strukturiert und gut lesbar daher kommt. Danke!
WerderFan 26. Oktober 2015 um 20:18
Ich war doch recht zufrieden mit dem 4-1-4-1 von Bremen gegen Mainz, wenn die hohe Halbzeitführung auch durch den Ausfall von Latza bedingt war. Wie fandest du denn die Einbindung der Außenverteidiger und wie siehst du die relativ häufigen Vorstöße von Vestergaard? Er scheint mir ziemlich viele Spiele von Boateng angesehen zu haben, da er ihm als Spielertyp in dieser Saison immer ähnlicher wird.
Simon 25. Oktober 2015 um 23:08
Freut mich, dass ihr so detailliert Werder analysiert.
Ich finde auch, dass ein 4141 deutlich besser für Bremen wäre. Aber die Kaderplanung ist mit 3 guten Stürmen eben auf ein 41212 ausgelegt, denn es wäre sehr schade neben Pizarro Johannson auf der Bank zulassen. Allgemein fehlt im Mittelfeld ein pressingresistenter, spielstarker Sechser/ Achter und ein dominanter Zehner.
Ich finde Abrashi oder/ und Halimi wären gute Verstärkungen. Halimi könnte als Halbraumspieler ähnlich wie Junuzovic letzte Saison Druck nach vorne machen und die spielerischen Probleme vom 1. und 2. Drittel (Abwehr, Mittelfeld) ins letzte Drittel beseitigen. Außerdem ist er pressingresistent, dribbel- und kombinationsstark. Auch könnte er als 10er in der Raute als dominanterer Spieler als Bartels und allgemein als Nadelspieler spielen.
Abrashi könnte für mehr Ruhe und Passstärke im Aufbauspiel sorgen.
Aber beide Transfers sind wohl kaum möglich, da beide Spieler erst im Sommer gewechselt sind und Halimi von den Mainzern erst ausgeliehen wurde.
Max 24. Oktober 2015 um 17:33
Und dann tritt Werder mit einer Version des 4-1-4-1 an und schafft es den aufsteigenden Trend zu bestätigen. Ich hoffe Grillitsch verschwindet nicht direkt wieder in der Versenkung…
HK 24. Oktober 2015 um 11:56
Ausgezeichnete Ausarbeitung.
Vor allem für diejenigen die Werder nicht so intensiv verfolgen viele interessante Fakten und Einschätzungen.
Auch sprachlich und stilistisch absolut top.
a_me 24. Oktober 2015 um 10:32
„der sprungkräftige Geißbockliebhaber“ sehr schön :D. Ich hoffe, man gibt den jungen Wilden im Mittelfeld eine Chance, viele haben doch ein ordentliches Potential
Schorsch 23. Oktober 2015 um 21:21
Sehr erfreulich, dass sich sv.de der momentanen Werder-Krise widmet, und dann noch in so ausführlicher (inkl. Selbstironie) und detaillierter Art und Weise. Vielen Dank und großes Lob an den Autor!
Größtenteils gehe ich mit den Ausführungen konform; einige Fragen und Anmerkungen habe ich dennoch.
Zu den fehlenden Toren durch/nach Standards: Vieles hing in der letzten Saison von Junuzovic ab. Kann es sein, dass die Gegner sich besser auf seine Freistöße (direkte und indirekte) eingestellt haben? Oder ist die Anzahl der potentiell gefährlichen Freistöße momentan einfach geringer, z.B. weil die Gegner entsprechende Fouls in den gefährlichen Zonen noch stärker zu vermeiden suchen? Oder bespielt Werder diese gefährlichen Zonen einfach zu wenig oder zu wenig intensiv, als dass Freistöße herausgeholt werden könnten?
Zur Kaderqualität in der Breite: Hat mMn sehr viel mit dem Bremer Sparzwang zu tun. Das letzte Geschäftsjahr ist wieder mit einem operativen Verlust von ca. 6 Mio € abgeschlossen worden. Da wird man nicht in der Winterpause personell „nachlegen“ können. Die Direktive ist ja auch ganz eindeutig dahingehend, auf den eigenen Nachwuchs zu setzen (was ich sehr befürworte)
Womit wir beim Punkt „spielstarke Nachwuchsspieler“ wären. Ich hatte das schon anderwetig geschrieben, Werder hat diese Spieler, nur vermisse ich bei Skripnik den Mut, auch konsequent auf diese zu setzen.
Zu Pizarro: Hatte ich ebenfalls schon anderweitig zu geschrieben. Ich war von Beginn an ein Skeptiker bzgl. der Pizarro-Verpflichtung. Das Geld (auch das der Sponsoren) wäre mMn nach besser in eine Rückholaktion für Aron Hunt geflossen. Oder in die Verpflichtung eines spielstarken 6ers. Pizarro war (und ist) mMn eine Wundertüte hinsichtlich seiner physischen Leistungsfähigkeit und seiner Verletzungsanfälligkeit. Außerdem fehlt ihm die Spielpraxis; bei Bayern hatte er letzte Saison kaum Einsatzminuten. Skripnik hat es vor der Pizarro-Verpflichtung selbst gesagt; er hat in der Mannschaft andere Baustellen. Eichin war anfangs auch strikt gegen die Verpflichtung, da musste er sich wohl ‚übergeordneten Interessen‘ beugen. Über eine ganze Saison gesehen braucht Werder mMn etwas anderes als einen Einwechselspieler für besondere Situationen. Sollte der Saisonverlauf zeigen, dass ich mich mit meiner Einschätzung täusche, wäre ich sehr froh.
Noch ein Wort zu einer möglichen Demission Skripniks, wenn man gegen Mainz und den BVB nicht punkten sollte. Wer sollte denn seine Nachfolge antreten? Werder hat kein Geld, Skripnik müsste weiter bezahlt oder abgefunden werden. Ein neuer Trainer inkl. Assistenztrainern kostet aber einiges – zusätzlich. Oder soll es dann der Lutscher machen? Nicht wirklich, oder?
Tomàs 27. Oktober 2015 um 15:27
Das ist dann wohl die geeignete Stelle, um unsere Werder-Diskussion von neulich weiterzuführen 😉 Habe es da dann zeitlich einfach nicht mehr geschafft, nochmal zu antworten.
Du hast natürlich Recht, was die Rahmenbedingungen bei der Kaderzusammenstellung betrifft. Die Aufgabe war und ist nicht einfach und dafür hat Eichin schon einige Erfolge vorzuweisen: DiSanto, Vestergaard, Vertragsverlängerung mit Junuzovic. Je nach Lesart kann man auch den Selke-Verkauf dazuzählen. Was mir nach der Konsolidierung so ein bisschen fehlt, ist der nächste Schritt, d.h. den Kader in der Breite und Spitze sukzessive zu verbessern. Vielleicht war es dafür diesen Sommer aber auch noch zu früh.
In dieser Hinsicht wäre die von dir angesprochene Hunt-Rückkehr sicher ein guter Schritt gewesen. Insbesondere wenn man die im Artikel angesprochenen Probleme im Mittelfeld berücksichtigt, muss man deshalb wohl zu dem von dir formulierten Schluss kommen: Hätte man das Pizarro-Geld doch lieber in Hunt investiert. Je länger ich darüber nachdenke, desto unklarer ist mir, was sich die Werder-Manager da gedacht haben. Denn so schön seine Rückkehr aus emotionaler Sicht auch sein mag, kostet Pizarro ja sicher auch nach Abzug der Sponsorenzahlungen usw. noch Geld. Hast du konkretere Vorstellung und/oder Informationen bezüglich der „übergeordneten Interessen“?
Hinsichtlich der Kaderzusammenstellung möchte ich auch nochmal auf die Torwartposition kommen: Du hattest an anderer Stelle geschrieben, dass Wiedwald für dich weniger deutlich vor Wolf steht als erwartet und vielleicht auch über einen kleinen „Werder-Bonus“ verfügt – beide Einschätzungen teile ich bislang. Der GI unterstützt sie auch. Deshalb möchte ich nochmal wiederholen, was ich damals schon gesagt habe: Ich finde, dass es ein Versäumnis in der Personalpolitik ist, wenn man in der Bundesliga über Jahre wackelige Torhüter hat. Diese Position sollte man auch mit vergleichsweise wenig Mitteln gut besetzen können. Es gibt ausreichend gute Keeper auf dem Markt und die Position hat gerade für ein Team der unteren Tabellenhälfte, für das ich Werder der Substanz nach leider immer noch halte, eine nicht zu unterschätzende Bedeutung. Gleichzeitig muss man einschränkend sagen, dass Wiedwald natürlich noch nicht abschließend bewertet werden kann. Möglicherweise wird er ja doch der stabile Rückhalt der Grün-Weißen. Ansonsten steht mit Zetterer ja offenbar noch ein gutes Talent im Kader, das ich allerdings überhaupt nicht einschätzen kann.
Ähnliches gilt auch für die Jugendspieler. Ich habe da keinen wirklichen Überblick, bin aber (positiv) überrascht von deiner Einschätzung, die ja auch im Artikel geteilt wird. Ich hatte bislang immer eher den Eindruck, dass Werder momentan geradezu nach eigenen Talenten lechtzt, aber es nicht gelingt, die nötige Qualität auszubilden. Es ist ja schon auffällig, dass früher Spieler wie Rolfes oder Harnik mangels Perspektive zu anderen Vereinen wechseln mussten, um den Durchbruch zu schaffen. Heute dagegen ist die Durchlässigkeit so hoch wie schon lange nicht mehr und trotzdem fällt mir kaum ein Jugendspieler im Werder-Kader ein, der es wirklich gepackt hat. Der letzte war wohl Selke, wobei der ja auch nicht wirklich selbst ausgebildet wurde. Mal sehen, vielleicht schafft es ja einer der hier genannten Spieler einen ähnlichen Weg zu gehen. Diesbezüglich bin ich nun insbesondere auf Zander, von Haacke, Lorenzen, Grillitsch und natürlich die Eggesteins gespannt. Bei Busch, Aycicek oder Yildirim bin ich dagegen eher skeptisch.
Was den Skripniker angeht, kann ich dir nur zustimmen. Ich sehe ebenfalls keinen besser geeigneten Nachfolger, was auch, aber nicht nur an der von dir korrekt skizzierten finanziellen Situation Werders liegt. Gut, dass sich diese Frage nach dem Dreier in Mainz wohl erledigt haben dürfte.
Schorsch 28. Oktober 2015 um 20:19
Ja, ich bin auch froh, dass sich nach dem Sieg in Mainz eine Diskussion um Skripnik zumindest vorerst erledigt hat. Dass er mit einem variierendem 4-1-4-1 – System hat spielen lassen spricht mMn für einen Pragmatismus, wie ihn ein Team wie Werder momentan und wohl noch eine ganze Weile braucht. Die Defizite im offensiven, aber auch defensiven Zentrum können so doch deutlich besser abgemildert werden. Zumindest wird der Zehnerraum eindeutig mehr und intensiver bespielt. und die hängende Rolle von Fritz sorgt auch für defensiv größere Kompaktheit. Ich frage mich nur, was bei einem Ausfall Bargfredes passiert. Der scheint mir nur mit Qualitätsverlust ersetzbar zu sein.
Was die jungen Spieler anbelangt, so hat Skripnik in Mainz Grillitsch (der ja schon Einsätze hatte) in einer besonderen Rolle gebracht und dieser hat seine Sache doch recht gut gemacht, wie ich finde. Sicher kein zweiter Andi Herzog, aber mMn ein Spieler mit Potential. Vor 2 Jahren in die A-Jugend geholt, letzte Saison dann Werder II, dann dieses Jahr April der Profivertrag und nun Bundesliga. Spricht für gutes scouting und gute Entwicklung. Lohnt sich, den österreichischen Nachwuchs im Visier zu haben. Auch die Eggesteins sehe ich optimistisch, vor allem den jüngeren. Auch hier hat man sehr gut agiert und beide rechtzeitig zu Werder gelotst. Überhaupt sehe ich einen deutlichen Qualitätssprung im Nachwuchsscouting und in der Nachwuchsarbeit generell, was sicherlich auch mit dem Wechsel der Verantwortlichen vor einiger Zeit zusammenhängt. Unter KATS wurde dem Nachwuchsbereich über Jahre relativ wenig Bedeutung beigemessen; man fokussierte sich auch preisgünstige Überraschungsschnäppchen. Hat ja auch jahrelang sehr gut funktioniert, aber irgendwann einmal nicht mehr und als man gute Nachwuchsleute gebraucht hätte waren keine da. Bargfrede war einer der wenigen, die es aus dem Werder-Nachwuchs in den Profi-Kader geschafft und sich dort durchgesetzt haben. Lorenzen halte ich übrigens auch für einen talentierten Stürmer mit Potential, aber man muss bei ihm abwarten, ob seine Knieprobleme eine Profikarriere überhaupt zulassen. Hinter van Haacke muss man momentan wohl ein Fragezeichen setzen und bei Busch, Aycicek und Yildirim bin ich wie Du sehr skeptisch. Bei den letzteren zwei scheint mir auch ein wenig die professionelle Einstellung zu hinterfragen zu sein. Letztlich wird Werder die von Dir angesprochene Verbreiterung der Qualität im Kader aus finanziellen Gründen hauptsächlich über Spieler aus dem eigenen Nachwuchs erreichen müssen. Es hat somit alles auch sein Gutes… 🙂
Bei Wiedwald wird man den Saisonverlauf abwarten müssen. Vielleicht erweist er sich ja doch noch als der ‚Quantensprung‘ auf der Torwartposition. Wobei ich dir im Prinzip Recht gebe, gerade die Torwartposition sollte zumindest über eine längere Zeit für einen Bundesligaclub keine ‚Baustelle‘ sein.
Noch ein Wort zur Pizarro: Der clubinterne Druck auf Eichin (und damit am Ende seine ‚Meinungsänderung‘) Piza zu verpflichten, kam aus Richtung des Aufsichtsrates. Du erinnerst Dich vielleicht daran, dass eine recht starke clubinterne Gruppe Willi Lemke als AR-Vorsitzenden abgelöst haben wollten. Er galt als ‚Bremser‘ und jemand, der Sponsoren abschrecken würde. Willi hat die Konsequenzen gezogen, aber mit den Sponsoren ist das so eine Sache. die lassen sich nicht für einen Namen wie Hunt mobilisieren, für Pizarro schon; unabhängig von der Sinnhaftigkeit eines solchen Transfers. Dieses Projekt sollte einfach durchgezogen werden. Schaun mer mal, vielleicht rentiert es sich ja doch noch. Hauptsache, es fällt kein Leistungsträger länger aus und man kann dann in der Winterpause aus finanziellen Gründen niemanden mehr verpflichten.
Mas 23. Oktober 2015 um 17:56
Sehr gute Analyse! Den 4-1-4-1 Plan finde ich auch für die vorhandenen Spielertypen passend, aber der würde wohl verdammt viel Mut bedeuten. Bisher hat Skripnik eben nicht diesen Mut gezeigt (von Hacke, Lorenzens und Zander einzubinden) – trotz Ankündigung in der Vorbereitung. Das (nicht-) einbinden der Nachwuchsleute ist für mich der größte Kritikpunkt an Skripnik. Er vercoacht sich zwar manchmal (die Umstellungen gegen Ingolstadt und Leverkusen können eigentlich nur aus Aktionismus erfolgt sein), aber findet auch immer gute Gegneranpassungen (Gladbach, Bayern). Insofern macht er einen ordentlichen Job. Aber zum langfristigen (und vermutlich alternativlosen) Plan gehört eben Mut und Vertrauen (in den Nachwuchs). Das zeigt Werder momentan überhaupt nicht. Irgendwie leicht konzeptlos und für mich nicht zu erklären.