Kaderanalyse des VfL Bochum in der Saison 2014/15
Zahlreiche Verträge, die noch in der Erstligazeit bzw. von Neururers und Manager Christian Hochstätters Vorgängern gemacht wurden, liefen nun aus. Für diese Saison gab es also die Chance, mit einem selbst zusammengestellten Kader die gewünschte Spielidee umzusetzen. Dabei wurde insbesondere nach schnellen und technisch starken Spielern Ausschau gehalten, die sich jedoch nicht zu schade sein sollten, auch Defensivarbeit zu verrichten.
Aus seiner erfolgreichen Zeit beim VfL in der Mitte der 2000er schwärmt Peter Neururer noch immer vom damals praktizierten 4-2-1-3 mit drei lauf- und durchschlagskräftigen Stürmern und einem offensiven, torgefährlichen Spielmacher. Defensiv setzt er wie die meisten seiner Kollegen auf ein 4-4-2. Der Kader wurde also für einen Hybrid dieser Systeme aufgebaut.
Im Folgenden gebe ich eine Übersicht zu den Alternativen auf den Positionen des 4-4-2/4-2-1-3. Als neutrales Bewertungskriterium wird dabei zusätzlich die Entwicklung des Goalimpact verglichen. Um die Umstrukturierung des Kaders zu bewerten, sind auch die Spieler der letzten Saison eingetragen. Die Kurven werden durch eine Alterskurve aus einem Referenzwert berechnet, der monatlich auf Basis der aktuellen Ergebnisse reoptimiert wird. Die aktuelle Stärke des Spielers anhand des GoalImpact kann jeweils am Ende seiner Linie abgelesen werden.
Torhüter
Im Tor ist Andreas Luthe als Führungsspieler und Mannschaftskapitän gesetzt. Er zeichnet sich insbesondere durch eine dominante Ausstrahlung und Ruhe beim Abfangen von hohen Bällen aus. Diese Dominanz bei Herauslaufen kann jedoch nicht verstecken, dass Luthe ein Reaktionskeeper ist, der sich ansonsten durch seine Reflexe auf der Linie auszeichnet. Seine Fähigkeiten am Ball haben sich zuletzt verbessert, doch sein Passspiel ist immer noch deutlich hinter vielen seiner Torwartkollegen zurück. Auch beim Herauslaufen ist Luthe oftmals etwas zu zögerlich und gleichzeitig zu aggressiv, so dass er schon zahlreiche Elfmeter und rote Karten hinnehmen musste.
Sein Konkurrent Michael Esser wirkt in seinen Einsätzen deutlich sicherer im Passspiel. Er greift deutlich seltener reflexartig zum langen Ball. Er besitzt nicht ganz die Ausstrahlung von Luthe, ist jedoch in den weiteren Disziplinen ebenfalls solide. Im Gegensatz zu Luthe sieht der GoalImpact bei Esser eine steigende Entwicklung, welche dazu führt, dass Esser momentan sogar stärker als der Mannschaftskapitän eingeschätzt wird.
Ergänzt wird das Torwarttrio des VfL durch das Nachwuchstalent Felix Dornebusch. Setzen sich die Entwicklungen bei Dornebusch und Luthe fort, so könnte er laut GoalImpact schon bald eine echte Alternative werden.
Verteidigung
In der Innenverteidigung sind Patrick Fabian (links) und Jan Šimůnek (rechts) klar gesetzt. Die Abgänge von Jonas Acquistapace, Lukas Sinkiewicz, Holmar Örn Eyjolfsson und Marcel Maltritz, wurde nur durch die Verpflichtung des Tschechen vom 1. FC Kaiserslautern aufgefangen. Ein deutliches Zeichen, dass auf den Außenverteidigerpositionen in dieser Saison keine Innenverteidiger, sondern mehr Offensive gefragt ist. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Marcel Maltritz ist Šimůnek bereits etwas moderner in Bezug auf Positionsspiel und Spielaufbau, ohne in den klassischen Tugenden Zweikampf und Strafraumbeherrschung abzufallen. Neben dem dynamisch vorstoßenden, extrem zweikampforientierten Fabian sollte er gut den absichernden Part geben können. Auch die Führungsrolle Maltritz für die jungen Spieler wird er zum Teil übernehmen.
Als Alternativen für die rechte Innenverteidigerposition wurden die defensiven Mittelfeldspieler Florian Jungwirth und Adnan Zahirović getestet. Als Backup für Fabian steht Kader-Oldie Heiko Butscher parat. Dieser fällt jedoch mit einem GoalImpact von aktuell 87 deutlich hinter seine beiden Kollegen zurück, deren Werte von 112 (Fabian) und 114 (Šimůnek) schon fast Bundesliganiveau darstellen.
Wie bereits angeklungen zeigt sich in der Besetzung der Außenverteidigerpositionen am deutlichsten der für diese Saison vorgesehene, stärkere Offensivdrang. Mit Timo Perthel und Stefano Celozzi wurden zwei sprintstarke Außenverteidiger verpflichtet, die beide auch bereits im Mittelfeld eingesetzt wurden, und somit wie zwei Wingbacks agieren können. Ähnliches gilt für ihre jungen Vertreter Fabian Holthaus (links), Onur Bulut, Lukas Klostermann und Jan Gyamerah (alle rechts), wobei Perthel und Celozzi nicht nur im GoalImpact noch einen kleinen Vorsprung vor ihren Konkurrenten haben.
Defensives Mittelfeld
Das defensive Mittelfeldzentrum war mit Danny Latza, Florian Jungwirth sowie dem ehemaligen bosnischen Nationalspieler Adnan Zahirović hinsichtlich des GoalImpact bereits recht gut besetzt. Trotzdem wurde hier mit Anthony Losilla von Dynamo Dresden nachgebessert. Losilla ist ein ähnlicher Spielertyp wie Jungwirth, sollte aber in der Spieleröffnung und im Passspiel unter Druck noch stärker sein. Es zeichnet sich bereits deutlich ab, dass er entgegen der Werte des GoalImpacts neben dem etwas offensiver orientierten Danny Latza die Stammbesetzung bilden wird. Hinter Letzterem steht jedoch noch ein kleines Fragezeichen, da zuletzt Gerüchte um einen Wechsel zu seinem ehemaligen Trainer Kosta Runjaic aufkamen. Im Notfall steht Nachwuchshoffnung Henrik Gulden als Vertreter für die Achterposition parat.
Offensive Außenpositionen
Die etwas tieferen Mittelfeldaußen in einem 4-4-2 sind mit Spielertypen besetzt, die alle auch als Spielmacher hinter den Spitzen agieren können. Insbesondere Yusuke Tasaka, Marco Terrazzino und Nachwuchshoffnung Henrik Gulden haben Ambitionen auf diese Positionen. Alle drei Spieler bringen dabei unterschiedliche Interpretationen mit ein. Tasaka ist eher ein ballschleppender Dribbler, der sich die Bälle gern etwas tiefer abholt und ins letzte Drittel trägt. Terrazzino agiert als Spielmacher aus dem offensiven Halbraum, von wo er mit diagonalen Aktionen und Dribblings agiert. Gulden ist eher kombinativer veranlagt, was in einer potentiellen Doppelacht mit Danny Latza interessante Synergien schaffen könnte. Aufgrund seines Alters wird es diese Synergien wohl erst einmal nur eingeschränkt zu bewundern geben, da Neururer zu Beginn auf die etwas etablierteren Spieler setzen wird. Der GoalImpact unterstützt ihn dabei, indem er Gulden (77) noch deutlich hinter Tasaka (96) und Terrazzino (100) sieht.
Echte Flügelstürmer waren bisher im Kader kaum existent. Nur Piotr Cwielong erfüllt das Profil eines inversen Außenspielers mit etwas Zug zum Tor. Mit Stanislav Sestak, Michael Gregoritsch sowie dem nach langen und zahlreichen Verletzungspausen aus der U23 aufgestiegenem Selim Gündüz stehen Neururer nun zahlreiche Alternativen parat. Diese Mischung aus inversen, eher spielmachenden und diagonalen, eher tororientierten Spielern ist eine spezielle Charakteristik des Kaders, welche die Grundlage für die Umformung zwischen den beiden Systemen bereitstellt. Wie später noch ausgeführt wird, werden diese Asymmetrien in der Besetzung der beiden offensiven Außenpositionen forciert und waren bereits in den Testspielen zu erkennen.
Für das erste Spiel wird wohl die Kombination aus Tasaka als spielmachend, einrückender rechter Mittelfeldspieler, Terrazzino als Hybrid aus Flügelspieler und linkem Flügelstürmer aus dem Halbraum und Šesták als nach rechts ausweichendem Stürmer bevorzugt. Der GoalImpact sieht jedoch Youngstar Selim Gündüz (88) bereits vor dem zurückgekehrten Slowaken (85). Es wird interessant, zu sehen inwieweit Šesták an seine großartigen Leistungen beim VfL zwischen 2007 und 2010 anknüpfen kann. Schon damals war er ein Stürmer, der sich intensiv am Pressing beteiligte und einige Tore durch eigene Ballgewinne in der gegnerischen Hälfte erzielte.
Sturm
Für das Sturmzentrum wurde mit Simon Terodde ein kopfballstarker und torgefährlicher Mittelstürmer verpflichtet. Als Alternative steht Michael Gregoritsch bereit, der ebenfalls ein gutes Kopfballspiel aufweist. Diese Stärke wurde bisher deutlich forciert. Der VfL Bochum agiert mit vielen Flanken und setzt auf zahlreiche einstudierte Standardsituationen.
Terodde ist nach den Abgängen von Mirkan Aydin, Richard Sukuta-Pasu und Sven Kreyer wohl gesetzt. Gregoritsch wird seine Einsätze wohl eher als Option für von links einrückende Stürmerposition bekommen. Diese Entscheidung wird auch vom GoalImpact getragen, der Terodde (109) deutlich vor Gregoritsch (85) sieht.
Altersstruktur
Die Karriereenden von Marcel Maltritz und Paul Freier konnte der VfL auch nutzen, um seine Altersstruktur zu optimieren. Wie das Histogram zeigt liegt der Hauptteil des Kaders im „idealen“ Fußballalter zwischen 23 und 29 und wird durch zahlreiche aussichtsreiche Spieler aus der eigenen Jugend ergänzt. Die beiden Ausreißer nach oben sind Stanislav Šesták und Heiko Butscher, wobei insbesondere die Wichtigkeit des Letzteren für die Mannschaft häufig hervorgehoben wurde – er gilt als Vertrauensspieler, Vorbild und Stimmungskanone.
Die Folgen der Kaderverkleinerung von knapp 30 auf nun 24 Spieler zeigen sich auch in der Verteilung des GoalImpacts. Das mittlere Niveau wurde in etwa beibehalten, die Streuung jedoch deutlich reduziert. Auf diese Weise entsteht ein stärkerer Konkurrenzkampf und Ausfälle können besser kompensiert werden.
Fazit
Der Kader macht Hoffnung auf eine erfolgreichere Saison als zuletzt. Insbesondere die Vielfalt auf den offensiven Außenpositionen sowie die Polyvalenz der vorhandenen Spieler bieten neue Optionen. Die Optimierung der Altersstruktur könnte auch die Anfälligkeit des Teams bei Kontern oder Ballverlusten reduzieren. Maltritz und Freier wirkten in chaotischen Situationen, in denen sie zum gruppentaktischen Improvisieren gezwungen wurden, häufig unsicher und instabil. In diesem Aspekt hat Neururer den jungen und neuen Spielern schon neuartige Qualitäten bescheinigt.
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