Unsauberes Zorniger-Pressing wartet weiterhin auf die ersten Punkte

3:2

Der HSV stand am 2. Spieltag bereits unter Zugzwang, wollte man doch einen erneuten Fehlstart vermeiden. Zu Gast war der VfB Stuttgart, welcher von Neo-Coach Zorniger ein ordentliches Face-Lift verpasst bekommen hat, zum Saisonauftakt jedoch unglücklich punktelos blieb.

Pressing und Aufbau beider Mannschaften

Stuttgarts 4-4-2 Block blieb im Vergleich zur Vorwoche unverändert und war dabei wieder einigermaßen kompakt und ballorientiert, wodurch die ballferne Seite oft verwaist war. Die beiden Außen, Didavi und Kostic, orienterten sich eher in die Halbräume als auf die Außen, wodurch die Formation der Zorniger-Elf oft zwischen 4-4-2 und 4-2-2-2 variierte. Hamburg spielte ebenfalls unverändert im Vergleich zum Spiel gegen die Bayern in einer 4-1-4-1 Ordnung, bei der Holtby oft höher stand als Ekdal wodurch das Ganze zu einem 4-2-3-1 mutierte. Der VfB trat von Beginn weg bemerkenswert dominant auf und konnte – wie viele Pressing-Maschinerien – dem Gegner seinen Rythmus aufzwingen. Vor allem bei Abstößen, sah sich der HSV gezwungen die Kompaktheit und damit verbundene Intensität des Gegners mitzugehen, weshalb sich das Gros der Spieler oft auf einer sehr kleinen Fläche aufhielt. Dadurch entstanden naturgemäß sehr intensive Umschaltsituationen auf beiden Seiten, die vor allem Stuttgart durch ihr Gegenpressing für sich entscheiden konnte. Nur im flach vorgetragenen Spielaufbau beschlossen die Hamburger die Kompaktheit des Gegners zu ignorieren, wodurch sie bei Ballverlust nicht nur einmal einem stark umschaltenden Gegner entblößt gegenüberstanden. So geschehen auch vor dem 1:0, bei der die gesamte linke Seite des HSV eine sehr breite Staffelung hatte, nur um dann ins Zentrum zu spielen, welches von Stuttgart dicht besetzt wurde. Selbstverständlich konnte Ostrzolek dann nicht mehr eingreifen weshalb Ginzcek schlussendlich frei zum Schuss kommen konnte.

Pressing vor dem 1:0

Pressing Stuttgart, ähnlich wie vor dem 0:1

Einzig und allein Harnik stand in vielen Situationen situativ breiter. Weshalb er dies machte erschloss sich mir nicht ganz, vielleicht wollte er dadurch den linken Außenverteidiger des HSV erst recht von der restlichen Kette entreißen, andererseits konnte er teilweise überraschende Diagonal-Läufe Gegen/Rückwärtspressing einstreuen. Beides wurde jedoch nicht konstant genug umgesetzt um erfolgreich zu sein. Vor allem dadurch, dass die Distanz zwischen den beiden Stürmern die horizontale Kompaktheit der ersten Linie gefährdete. Dadurch standen die beiden Stürmer teilweise genauso breit wie das gesamte Mittelfeld dahinter. Das Ziel war es hierbei den Gegner durch bogenartiges Anlaufen in das kompakte Zentrum zu leiten wo noch ein Sechser – meist Gentner – rausrückte um eine 4-1-3-2 Staffelung herzustellen. Gegen einen naiven HSV, funktionierte das, vor allem in der ersten Halbzeit ein paar Mal. Oft führte das bogenartige Anlaufen aber auch einfach dazu, dass der Hamburger Innenverteidiger nicht mehr weiterwusste und den Ball dadurch nach vorne bolzte.

Auch sonst war das Pressing der Zorniger-Elf ein stetiges Abwechseln von guten und weniger guten Phasen. Was den VfB Stuttgart beispielsweise von Bayer Leverkusen unterschied, war das Verhalten der Viererkette nachdem das Pressing der vorderen Linien überspielt wurde. Hier wurde die vertikale Kompaktheit oft schnell aufgegeben, weil die letzte Linie sich verhältnismäßig früh fallen ließ. Dabei gab es auch nur wenig rausrückende Läufe der Innenverteidiger Hlousek und Baumgartl, die dabei helfen hätten können den Druck aufrecht zu erhalten und damit die eigene Kompaktheit in vielen Situationen zu verbessern, stattdessen ließ man sich lieber fallen um die Tiefe zu kontrollieren – auf Kosten der Kompaktheit. Baumgartl zeigte jedoch durchaus, dass er sehr klug getimte Rausrückbwegungen einbringen kann; mir kam es jedoch vor, als dürfe es schlichtweg nicht zeigen, ob der Ausrichtung seiner Mannschaft.

Im Offensivpressing, bei geordnetem Spielaufbau des HSV, hatte man ebenso gute wie schlechte Phasen.

Schlechtes Pressing VFB

Schlechtes Pressing VfB

Der Plan sah wohl vor, dass man mit drei Mann auf einer Linie stand und dadurch das zentrale Mittelfeld der Hanseaten abdeckte, während der vierte Spieler im Offensiv-Quartett – meist Kostic – breiter und tiefer stand. Durch bogenartigen Anlaufen konnte man die Innenverteiger dann auf eine Seite leiten, wo der gegnerische Außenverteidiger dann vom tieferen Offensivakteur angelaufen werden konnte. Doch das funktionnierte im gesamten Spiel ganze zwei Mal. Oft war es nämlich so, dass man sich vom Gegner locken ließ und sich dementsprechend früh fallen ließ. Wenn der HSV dann eine erneute Aufbauphase einleiten wollte, stand das Stuttgarter Pressing schon sehr weit auseinandergerissen, wollte jedoch weiterhin um jeden Preis Druck machen, weshalb es nicht selten zu Pressingszenen kam wie auf dem Bild links.

Jedoch war es viel öfter der Fall, dass der HSV einfach den Ball hoch nach vorne schlug. Dafür stand die Stuttgarter Verteidigung dann jedoch denkbar schlecht und ließ sich dadurch einige Male am falschen Fuß erwischen. Eigentlich hätte Trainer Zorniger damit rechnen müssen, dass man mit hohen, leitenden Offensivpressing, den Gegner schnell zu hohen Bällen zwingen würde. Da wären also staffelnd-fallende Bewegungen der Innenverteidiger nicht verkehrt gewesen. Vor allem Hlousek sah nach hohen Bällen oft unglücklich aus. Vielleicht sollte Robin Dutt den Markt diesbezüglich bis Ende August nicht aus den Augen verlieren …

kein Zugriff

Spielaufbau Stuttgart

Apropos hohe Bälle: das war auch das Mittel der Wahl für den Spielaufbau des VfB Stuttgart. Dabei orientierten sich – wie schon zu RB Leipzig Zeiten – alle vier Offensivakteure an die letzte Linie des Gegners und gingen dort in den Kampf um den 2. Ball. Soweit die Theorie, denn wie schon letztes Jahr kamen diese Bälle sehr inkonstant an, und auch die Staffelung zum Gegenpressing war danach sehr schlecht, weil die Stürmer bei den hohen Bällen der Innenverteidiger sofort die Tiefe suchten und die letzte Linie des Gegners überliefen. Nachdem danach aber das Kopfballduell oft verloren ging, lag es an der Doppelsechs Rupp-Gentner, rechtzeitig rauszurücken um den zweiten Ball zu erobern. Interessant war jedoch wie die Spieler von Zorniger versuchten, ihre offensichtliche Unterlegenheit im Luftzweikampf und im Kampf um die zweiten Bälle – welche sich in der Schlussphase noch bemerkbar machen sollte – zu kompensieren. Oft sprang der erste Spieler absichtlich unter den Ball und ließ und dadurch für den Mitspieler durch. Dieses Manöver zog sich durch das gesamte Spiel hindurch, und führte so zu einigen gefährlichen Situationen, bei denen es zunächst aussah als hätten sich die Verteidiger beim HSV verschätzt.

Der HSV hatte hingegen vor allem im Umschalten so seine eigenen Problemchen: ob gewollt oder nicht ist an dieser Stelle schwer zu beurteilen, jedoch fiel es auf wie bei Ballverlust sowohl Sturmspitze Schipplock, als auch die Außen Gregoritsch und Ilicevic stehen blieben und hoch auf einen Gegenkonter zockten. Dadurch ging viel Kompaktheit verloren und der VfB hatte genug Zeit den Konter vorzubereiten.

harnik breit

Hamburg zockt nach Ballverlust. Harnik sucht Breite

Dabei fiel es dann auf wie mannorientiert der HSV im Mittelfeld agierte. Vor allem die Sechser/Achter agierten dabei mit sehr erfolgs-instabilen Orientierungen, bei denen sie ihre Mannorientierung oft abbrachen und dann keinen Druck mehr auf den Ballführenden ausübten, sondern nur die eigene Defensivstaffelung schwächten indem sie Unkompaktheiten erzeugte.

Schlussphase

Der VfB schien nach dem 2-1 durch Ginzcek das Spiel im Griff zu haben, bis Florian Klein mit gelb-rot vom Platz musste. Danach rückte zunächst Rupp auf die Position von Klein, bis er von Schwaab abgelöst wurde. Didavi rückte auf die Sechser Position, während Harnik auf die Außen rückte. Die Stuttgarter änderten ihre Ausrichtung auf ein 4-4-1/4-2-3 bei dem Ginzcek alleine an vorderster Front bemüht war die gegnerischen Angriffe zu leiten. Psychologisch durch die Unterzahl des Gegners beflügelt spielten die Hamburger nun weniger hohe Bälle sondern überspielten die ein-Mann-Pressinglinie des Gegners, oft stieß sogar Djourou mit dem Ball am Fuß ins Mittelfeld und konnte so den Angriff geordnet ins Mittelfeld bringen. Die Stuttgarter wollten zunächst auch in Unterzahl pressen, beschlossen dann aber schnell sich an den eigenen Strafraum fallen zu lassen, um das Ergebnis über die Zeit zu retten. Dieser Plan ging jedoch bekanntermaßen fürchterlich schief, da man in dieser verzweifelten Strafraumverteidigung auf jegliche geordnete Staffelung verzichtete. Einzig der eingewechselte Gruezo wehrte sich gegen die totale Passivität, indem er als einziger teilweise herausrückte. Der HSV konnte jedoch spielend leicht in den Strafraum der Gäste eindringen und auch die zweiten Bälle, nach hohen Zuspielen Richtung Strafraum gingen zugunsten des HSV aus, der den VfB dadurch in der Schlussphase noch enorm unter Druck setzten konnte. Druck, dem die Mannschaft von Alexander Zorniger dann nicht mehr standhalten konnte, weshalb man in den Schlussminuten nicht nur den Ausgleich, sondern schließlich auch das 2-3 hinnehmen musste.

unterzahl

Stuttgart in Unterzahl

Fazit

Der Hamburger SV konnte, für viele überraschend, seinen ersten Saisonsieg einfahren. Lange Zeit sah es nämlich nicht danach aus. Der VfB spielte phasenweise ansprechend gegen den Ball und konnte bereits die Handschrift von Alex Zorniger präsentieren, auch wenn diese – wie schon zu Leipziger Zeiten – teilweise aber auch sehr unsauber und wackelig war. Die weitere Entwicklung des VfB Stuttgart, wird diese Saison noch interessant zu verfolgen sein. Der Hamburger SV muss erst einmal beweisen, dass dieser Sieg keine Eintagsfliege, resultierend aus einer über halbstündigen Überzahl, war.

 

Urhamburger 28. August 2015 um 04:17

So, so, beweise es mir bitte.

Antworten

Max 25. August 2015 um 10:26

Erschreckend, wie schlecht der VfB immer wieder in Unterzahl verteidigt. Wie schon gegen den SCF in der letzten Rückrunde, scheint die Mannschaft zu zehnt nur auf die Gegentore zu warten. Das muss doch deutlich besser gehen – auch in Unterzahl. Selbst wenn man zu zehnt das eigene Tor zustellt und nichts mehr nach vorne macht, muss das einfach besser gehen.

Ein Satz noch hierzu:
„Einzig der eingewechselte Gruezo wehrte sich gegen die totale Passivität, indem er als einziger teilweise herausrückte.“
Ich weiß ja, dass es bei Spielverlagerung einige Gruezo-Fanboys gibt. Aber warum er hier lobend erwähnt wird, versteh ich nicht. Sein „Abwehrverhalten“ vor dem 2:2 (legt sich einfach mal auf den Boden…) und dem 3:2 (nimmt Djourou nicht auf/lässt ihn frei in den 16er laufen) ist doch wirklich albern…

Antworten

August Bebel 24. August 2015 um 12:24

Ich möchte nur mal darauf hinweisen, dass die Kommasetzung Steigerungspotential hat. Um zwei Beispiele anzuführen: „Die weitere Entwicklung des VfB Stuttgart, wird diese Saison noch interessant zu verfolgen sein.“ …“sondern nur die eigene Defensivstaffelung schwächten indem sie Unkompaktheiten erzeugte[n].“ Im ersten Beispiel braucht es kein Komma, im zweiten fehlt eins vor „indem“. Das stört ein bisschen beim Lesen, obwohl mir der Inhalt an sich sehr überzeugend scheint.

Antworten

LuckyLuke 25. August 2015 um 12:40

Ist mir auch schon aufgefallen, wobei das hauptsächlich bei den „schnellen“ Spieltagsanalysen dee Fal

Antworten

LuckyLuke 25. August 2015 um 12:42

Ich hasse mein Handy 😀

Naja auf jeden Fall ist die Kommasetzung bei den wahrscheinlich länger ausgearbeiteten Artikeln wesentlich besser…also wohl auch einfach ein Geschwindigkeitsproblem

Antworten

Daniel D 24. August 2015 um 11:35

Irgendwie erinnert Stuttgarts Spiel ein bisschen an Dortmund in der letzten Saison. Viele halblange Bälle nach vorne, extreme Kompaktheit in Ballnähe und vor allem: Keine vernünftigen Staffelungen hinter der letzten Linie. Wobei letzteres vermutlich auch ein psychologisches Momentum hat. Man will den scheiß Ball endlich ins Tor bugsieren und vergisst dadurch Strukturen aus dem Training.

Hamburg ist eigentlich die einzige Mannschaft gegen die so etwas absolut tötlich wird. Das sieht man auch an den schlechten Ergebnissen von Dortmund gegen sie. Die sind defensivtaktisch so mies, dass sie gar keine Abwehrspieler im Rückraum haben die man durch die Ballungen auf der letzten Linie irritieren kann. Die sind im Spielaufbau so unambinioniert, dass sie ob Pressing oder nicht, sowieso immer zum langen Ball greifen und die haben auf dem Feld so viele Stürmer und so wenige Mittelfeldspieler, dass man überhaupt nichts zu pressen hat, aber bei jedem langen Ball sofort aufpassen muss.

Hamburg schafft es tatsächlich im zweiten (oder dritten) Jahr in Folge die mannschaftstaktisch schwächste Mannschaft der Liga zu sein.

Antworten

Koom 24. August 2015 um 09:42

Stuttgarts Spielweise ist zwar für sich genommen gut, aber schon sehr eindimensional. Das man sich zudem bei Unterzahl schlecht aufstellt, ist auch seltsam, liegt aber auch am Gegner. Der HSV kommt mir beinahe anachronistisch vor: Lässt sich leicht einschüchtern, geht aber bei einer Schwäche des Gegners gut ab und kommt dann mit der Brechstange. Das ist irgendwie sehr 90er-Jahre-Fußball.

Für Suttgart ist es doof: Gegen Köln hatte man (nicht nur) Pech, mit dem HSV hatte man jetzt einen Gegner, der eigentlich zu blöd für eine solche Spielweise ist. Ist sehr schwer für einen neuen Trainer, dadurch seine Mannschaft einzunorden und zusammenzuhalten. Köln und HSV sind zumindest auf der Papierform Gegner, die man schlagen können müsste.

Antworten

Hinterlasse eine Antwort

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*