Inkonsequenz, Mannorientierungen und kleine Anpassungen an der Stamford Bridge

1:1

Nach früher Führung kontrolliert Chelsea über tiefe Präsenz das zu mannorientierte Liverpool. Nach dem etwas überraschenden Ausgleich lassen die Gäste aber eine gute zweite Halbzeit folgen und hätten über Halbraumdribblings gegen Chelseas Lücken fast noch gewonnen.

chelsea-liverpool-2015Chelsea erwartete die vierte Meisterschaft der Geschichte, während Liverpool zumindest noch kleine Hoffnungen hegte, den großen Rivalen aus Manchester abzufangen und die CL-Quali zu erreichen – ein durchaus noch bedeutendes Match. Die Hausherren traten dabei jedoch nicht in personeller Bestbesetzung an, wobei einige Wechsel verletzungsbedingt erzwungen, andere bewusst gewählt waren. Auffällig waren insbesondere die Startelfeinsätze für Filipe Luís, Loic Remy und Ruben Loftus-Cheek, der bei seinem Debüt in der Anfangsformation eine kraftvolle, absichernde Doppel-Sechs mit John Obi Mikel formte. Bei Liverpool ist in den vergangenen Wochen anstelle des zur Saisonmitte so lange erfolgreichen 3-4-2-1 wieder eine 4-2-3-1-Formation wieder zur bevorzugten Grundordnung geworden, in der Brendan Rodgers auch diesmal sein Team aufs Feld schickte. Wie schon gewohnt agierten Emre Can und Glen Johnson dabei als Duo auf den Außenverteidiger-Positionen. In der Offensive gab es die Zusammenstellung aus Sterling, dem als Zehner situativ zurückfallenden Coutinho und Lallana hinter Rickie Lambert.

Mourinho will sich zum Erfolg „sichern“

José Mourinho schien sich für diese Begegnung einen klaren Plan ausgedacht zu haben: die meistens in einer defensiven 4-1-4-1-Grundformation auftretenden Mannorientierungen von Liverpool in einer sehr vorsichtigen Interpretation zu bespielen. Es ging ihm nicht primär darum, konstant Lücken bei den Gästen aufzuziehen und diese mit temporeichen Läufen zu attackieren, sondern in erster Linie suchte Chelsea die Ballsicherheit. Möglich wurde dies durch die Art und Weise, in der Liverpool ihre Spielweise aufzog: Sie orientierten sich lose an den jeweiligen Gegenspielern, blieben aber immer etwas tiefer in absichernder Position und deuteten nur ihre Zugriffspräsenz an. Auch wenn der jeweilige Akteur an den Ball kam, rückten sie zwar leicht heraus und versuchten diesen zum Rückpass zu zwingen, gingen aber kaum mal wirklich ins Attackieren über.

Chelsea nutzte das, um über die situativ eng und tief bleibenden Außenverteidiger sowie die absichernd in die Halbräume gehenden Sechser viel Präsenz in den hinteren Bereichen herzustellen und den Ball dort laufen zu lassen. So sammelten sie im ersten Teil der ersten Halbzeit hohe Ballbesitzquoten und gingen nur wenig Risiko. Teilweise ließ sich gar Fàbregas bis zu den Innenverteidigern fallen – Gerrard folgte dabei kurzzeitig, drehte aber schnell wieder ab – oder Willian unterstützte das zentrale Mittelfeld im tiefen Halbraum. Wegen der Dominanz der Mannorientierungen war es auch nicht immer möglich, mal weitflächiger in bestimmten Situationen am Ball Druck zu machen, da die anderen Akteure der Reds noch mit Gegenspielern befasst waren. Falls sich dann mal eine Möglichkeit bot, leiteten die Mannen Mourinhos auch mal einen schnellen Unterzahlangriff ein – sie warten also auf die eine oder andere Szene, die sich für sie ergeben würde.

Aufgrund dieser Haltung – und speziell natürlich, weil Terry nach einer Standardsituation bereits in der vierten Minute die Führung geköpft hatte – wurde diese Spielweise Chelseas möglich. Gerieten sie doch mal ein wenig unter Druck, konnten sie zur Not immer noch lange Bälle in Richtung des umtriebigen und schnellkräftigen Remy bringen. Interessant war dabei, dass die offensiven Mittelfeldakteure der Blues in einigen Szenen gar nicht auf mögliche Abpraller gingen, sondern sich schon frühzeitig etwas zurückzogen und wieder der Defensivformation näherten, die schnell kompakt werden konnte – unter diesen Umständen machte der gelegentliche Verzicht auf Gegenpressing sogar mal durchaus Sinn, zumal die Spieler hier mehrfach gute Entscheidungsfindung zeigten. Die Folge davon war schließlich, dass Liverpool zunächst lange ohne Zugriff blieb, Chelsea in Führung durch die Tiefe passte und sporadisch auch mal vorne auftauchte.

Sporadische Torchancen durch defensive Inkonsequenzen

Dabei wurden sie durch ihren Fokus auf die linke Seite auch einige Male gefährlich, wenn Hazard durch Fàbregas, den ausweichenden Remy oder den herüber kommenden Willian unterstützt wurde, die beide kurzzeitig Überzahl herstellen oder in Freiräume ziehen konnten. Zwar war Steven Gerrard phasenweise von den Mannorientierungen ausgenommen und sollte mit horizontalen Bewegungen gewisse Lücken stopfen, doch konnte dies die gelegentlichen Nadelstiche der Blues nicht nachhaltig unterbinden. Bei solchen Szenen machte Liverpool auch Probleme, dass Skrtel teilweise kaum nachschob, wenn Can weiter herausgezogen worden war – so klafften innerhalb der letzten Linie bei den Gästen große Schnittstellen, die entsprechend auch vom Mittelfeld schwer zu schließen waren und Chelsea einige Male gefährlich zur Grundlinie attackierte.

Hätten sie diese Szenen besser ausgespielt, wäre Liverpool nach einer halben Stunde wohl höher in Rückstand gewesen. Stattdessen kamen die Reds etwa ab dieser Phase besser ins Spiel, nachdem sie auch in der Offensive vorher nur wenig zustande gebracht hatten. Anfangs interpretierten sie ihre Formation relativ klassisch und normal, weshalb es aber nur selten gelang, konstante Synergien aufzubauen. Zudem waren die genauen Fokuszonen und Bewegungsmuster bisweilen unklar, wenn man von der Forcierung direkter Flügelsprints über Sterling absah, die aber weitgehend vorhersehbar zu verteidigen waren. Ansonsten gab es nur kleinere Überladungsversuche mit Lallana, Coutinho und Johnson, die oft auch nach Verlagerungen gesucht wurden. Dabei bot Chelsea, die diese wenigen gegnerischen Ansätze über ihre gewohnt starke Endverteidigung entschärfen, jedoch potentiell durchaus Angriffsfläche an.

In erster Instanz agierten sie noch solide in einem 4-4-2, bei dem die nominellen Außen teilweise weit im Zentrum mithalfen und die Sechser bei Bedarf flexibel mannorientiert herausrückten. Doch teilweise wurden sie dabei etwas zu unbalanciert und inkonsequent, die Rückzugsbewegungen auf den Offensivpositionen teilweise lasch und gelegentliche positionelle Rochaden oder Umformungen zwischen jenen vorderen Akteuren fanden unkoordiniert statt. Über weite Strecken konnte Liverpool das trotz ihrer leichten Steigerung noch nicht ausnutzen und das 1:1 von Gerrard kurz vor der Halbzeit entsprang einer Standardsituation, die der eigentlich am Flügel isolierte Lallana mit etwas Glück und Geschick gegen Ivanovic provozieren konnte.

Liverpools starke zweite Halbzeit über Halbraumdribblings

Im zweiten Durchgang jedoch wurde es ein anderes Spiel mit einem besseren Auftritt der Gäste, die eine nun nicht wirklich überzeugende Leistung der Hausherren aufdeckten. In deren zunehmenden Ballbesitz-Verzicht erhielt Liverpool mehr vom Leder und übernahm die Kontrolle gegen den defensiven Tabellenführer. Die Doppelspitze Chelseas war weniger konsequent im Verstellen des Sechserraums, ihre defensiven Mittelfeldakteure, in der Phase vor der Matic-Einwechslung aber wie generell natürlich noch nicht so abgestimmt, weniger flexibel in der Raumbesetzung und überhaupt nahmen nun auch bei ihnen die simplen Mannorientierungen weiter zu. Der geringere Zugriff in den ersten Linien wurde dabei auch durch die Bewegungen von Lallana und Coutinho gesprengt, die sich in den ersten Aufbauphasen zentral fallen ließen, aus dem hinteren formativen Bereich Chelseas herauszogen und damit als raumöffnende Überzahlspieler in der tieferen Zirkulation fungierten.

Entsprechend kam Liverpool besser nach vorne und konnte dann die gegnerische Mittelfeldlinie attackieren, die mittlerweile horizontal weniger kompakt war und nicht wirklich überzeugend agierte. Zwar zeigte sich ihre Rollenverteilung noch nicht optimal geschärft, doch suchten sie nun sehr konsequent und zielstrebig die sich im Halbraum frei anbietenden Außenspieler. Chelseas Außenverteidiger ließen Sterling und später Ibe, gerade auf halbrechts situativ auch noch den hoch hereinkippenden Can, gewähren, um die Viererkette nicht zu öffnen, was aber wegen der Probleme in den höheren Linien nicht durch die mannschaftliche Kompaktheit aufgefangen werden konnte.

Einige Male knackte Liverpool die Mittelfeldlinie mit eher simplen Zuspielen, einer der Reds kam im Zwischenlinienraum frei und konnte sich aufdrehen. Von hier stützte sich das Rodgers-Team dann sehr gezielt auf deren Dribblings, die oft bis an die Strafraumkante herangetragen werden konnten und mehrere Abschlüsse brachten – entweder direkt vom Dribbler oder nach kurzen horizontalen Querlagen, beispielsweise auf Coutinho oder Henderson. In einer dominanten zweiten Halbzeit hätten die Gäste daher mit etwas Glück und besseren Anschlussbewegungen der Kollegen potentiell auch gewinnen können. Auf der gegenüberliegenden Seite blieb Chelsea dagegen weitgehend harmlos und musste sich für den Punktgewinn auf die starke Endverteidigung verlassen.

Fazit

Trotz Chelseas schwacher zweiter Halbzeit, die Liverpool durch den in seiner Konsequenz lobenswerten Fokus auf die Halbraumdribblings fast bestraft hätte, ging das Remis letztlich in Ordnung. Chelsea gehörte der erste Durchgang mit Mourinhos geschicktem Sicherungsplan auf Zeit, während Liverpool nach der Pause dominierte. Trotz einiger kleinerer interessanter Szenen, Ansätze und Phasen war es insgesamt doch kein besonders hochklassiges Spiel – dafür gab es zu viele lasche Mannorientierungen und weitere Defensivprobleme. So verwies die Begegnung auf den Steigerungsbedarf beider Seiten, zumindest in Sachen Konsequenz und Konstanz, denn die Blues haben diese Saison auch enorm beeindruckende Partien abgeliefert, wenn nicht sogar noch mehr.

Jose 15. Mai 2015 um 22:01

„Chelsea erwartete die vierte Meisterschaft der Geschichte […]“

Chelsea war schon sicher englischer Meister und es ist übrigens der 5. Meister-Titel der Blues (4 Premier League-Titel würde stimmen, falls das du das meintest) 😉

Ich denke die Tatsache, dass sie schon sicher Meister waren, erklärt die Mentalität und den Auftritt der Blues und hätte in diesem Bericht deutlich erwähnt werden müssen!

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Dr. Acula 11. Mai 2015 um 11:28

Ist bekannt wann der letzte Teil der simeone-Reihe fertig wird? Warte gespannt drauf

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Oswald Cobblepot 11. Mai 2015 um 07:34

Ich frage mich, warum Liverpool vom 3-4-2-1 System abgewichen ist?

Interessant finde ich Can als Rechtsverteidiger in der Viererkette. Das wäre doch einer für Löw. Can gefällt mir jetzt schon besser als beispielsweise Rudy.

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HK 11. Mai 2015 um 09:52

Ich denke nach der Sommerpause und der U-EM wird er bei Löw spielen. Kann ich mir anders nicht vorstellen

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Dr. Acula 11. Mai 2015 um 14:04

das ist tatsächlich eine gute frage. damit hatten sie sich wieder auf die internationalen plätze gespielt, verfolge sie nicht intensiv aber mir ist, als ob sie seit der abkehr davon wieder nachgelassen haben.. vllt verletzungsbedingt?

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cali 12. Mai 2015 um 19:38

Weil einige Eckpfeiler des Systems (Sakho, Lucas, Lallana) verletzt ausfielen.

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