Hamburgs 4-1-3-2-Pressing gegen vorsichtige Fohlen

Der Hamburger SV verspielt in letzter Sekunde einen Sieg gegen schwache Borussen aus Mönchengladbach. Die Hanseaten überzeugten phasenweise mit einem mutigen 4-1-3-2-Pressing, das jedoch einige Lücken offenbarte.

Aufbauformation Gladbach

Gladbach im Aufbau

Nach dem 0:8-Debakel in München baute Joe Zinnbauer die Startelf des Hamburger SV gegen Borussia Mönchengladbach um. Slobodan Rajkovic rückte neben Djourou in die Innenverteidigung, außen komplettierten Dennis Diekmeier und Matthias Ostrzolek die Kette.

Die Doppelsechs wurde etwas überraschend von Gojko Kacar und Petr Jiracek gebildet, Mohamed Gouaida und Nicolai Müller kamen über die Flügel. Ganz vorne agierte Zoltan Stieber leicht versetzt hinter Ivica Olic, der nach 25. Minuten jedoch raus musste und von Artjoms Rudnevs ersetzt wurde.

Lucien Favre nahm ebenfalls einige Wechsel in der Startelf vor. So begann beispielsweise Patrick Hermann in der etwas ungewohnten Rolle als zweite Spitze neben Max Kruse, auf den Flügeln agierten André Hahn und Ibrahima Traore.

Im Mittelfeldzentrum vertraute Favre auf der Doppelsechs Christoph Kramer und Havard Nordtveit. Letzterer ließ sich bei Ballbesitz nahezu permanent zwischen die Innenverteidiger fallen, sodass Gladbach in der Regel in einem breiten 3-3-4 aufbaute.

Hamburgs 4-1-3-2 sorgt für Gefahr auf beiden Seiten

Gleich nach dem Anstoß schob der HSV im Verbund sehr hoch und drückte Gladbach in die Defensive. Dabei ließ Zinnbauer seine Elf im 4-1-3-2 attackieren – eine Ordnung, die die Hamburger in dieser Saison schon häufiger im Pressing genutzt haben.

Dabei rückte Jiracek weit vor und verfolgte Nordtveit auch, wenn dieser im Spielaufbau zwischen die Innenverteidiger abkippte. So wurde das Hamburger 4-1-3-2 phasenweise zu einem 4-1-2-3. Olic und Stieber liefen die Gladbacher Innenverteidiger an und erzwangen so Pässe auf die Außenverteidiger.

Diese hatten vergleichsweise viel Zeit den Ball anzunehmen, da Müller und Gouaida in der ersten Phase des Pressings etwas einrückten, um Kacar im Zentrum nicht völlig allein zu lassen. Nahmen Wendt oder Korb den Ball an, schob der ballnahe Flügelspieler des HSV auf die Seite und übte Druck aus.

„Das war schwer für uns, Hamburg war sehr aggressiv“ (Lucien Favre nach dem Spiel)

Weil Hamburg so jedoch keinen richtigen Zugriff bekam, agierten Müller und Gouaida schnell etwas mannorientierter. Dies erhöhte einerseits den Druck auf die Außenverteidiger der Gäste, andererseits bekam Gladbach dadurch mehr Freiheiten in den Halbräumen. In diese ließen sich die Spitzen Kruse und Hermann nämlich fallen, sobald Korb oder Wendt angespielt wurde.

Unter Druck leiteten die Außenverteidiger den Ball einige Male mehr oder weniger blind weiter in den ballnahen offensiven Halbraum. Weil Djourou und Rajkovic nicht herausrückten und Kacar zudem ein Auge auf Kramer hatte, konnte vor allem Kruse einige Bälle im Halbraum kontrollieren und sich drehen.

Der HSV provozierte Pässe auf die Außenverteidiger. Wendt spielte trotz mit ungünstigem Sichtfeld immer wieder "blind" auf Kruse, der sich in den linken Halbraum zurückfallen ließ.

Der HSV provozierte Pässe auf die Außenverteidiger. Wendt spielte trotz mit ungünstigem Sichtfeld immer wieder „blind“ auf Kruse, der sich in den linken Halbraum zurückfallen ließ.

Gladbachs Vorsicht im Aufrücken

Nach der ersten Hamburger Druckphase konnten die Gäste sich ein wenig befreien. Dies lag einerseits an einigen Szenen, in denen vor allem Kruse und Kramer ihre Pressingresistenz unter Beweis stellten, andererseits an der nachlassenden Kompaktheit und Intensität des Hamburger Pressings.

Über einige Überladungen im linken Halbraum, bei denen Kruse und Kramer unterstützend wirkten, kamen die Gladbacher mehrfach ins Offensivdrittel und konnten links oder nach Verlagerungen auf rechts Durchbrüche erzielen – so auch bei den beiden guten Chancen in der vierten und fünften Minute.

Anschließend zog sich die Favre-Elf weiter zurück und begegnete dem in der Intensität, Kompaktheit und damit auch in der Qualität wechselhaftem Hamburger Pressing mit der gewohnten sicheren Ballzirkulation im ersten Drittel. Dass die Borussia jedoch kaum zu den berüchtigten Schnellangriffen mit hoher Durchschlagskraft kamen, lag vor allem am zögerlichen Aufrücken.

Nur selten suchten die Außenverteidiger den Weg nach vorne, Kramer versuchte im Zentrum für Balance zu sorgen, da Nordtveit ohnehin eine tiefe Grundposition innehatte. Als Kruse sich phasenweise konstant zurückfallen ließ, baute Gladbach in einem 5-2-3-ähnlichen Gebilde auf, in dem der Nationalstürmer zusammen mit Weltmeister Kramer als Achter agierte. Dies sorgte zwar für mehr Präsenz im Zentrum und bessere Übergänge ins zweite Drittel, Durchschlagskraft konnte jedoch nicht erzeugt werden.

Der HSV im Spielaufbau

Der HSV im Spielaufbau

HSV fällt in alte Muster zurück

Weil auch der HSV Probleme in Ballbesitz hatte, war es nicht verwunderlich, dass Stiebers Führungstreffer die erste nennenswerte Torchance nach den intensiven ersten fünf Minuten war.

Im Spielaufbau der Hanseaten kippte Kacar ab und reihte sich zwischen Djourou und Rajkovic ein. Die daraus entstehende Dreierkette wurde von Gladbachs erster Pressinglinie, die nahe der Mittellinie von Kruse und Hermann gebildet wurde, jedoch weitestgehend in Ruhe gelassen.

Diekmeier und Ostrzolek rückten weit auf und versuchten so, Hahn und Traore zu binden. Dies gelang jedoch nur mit mäßigem Erfolg. Die Gladbacher Flügelspieler ließen sich nicht weit aus ihrer Position ziehen und fingen das weite Aufrücken der HSV-Außenverteidiger über den Deckungsschatten und das Übergeben an den Hintermann ab.

So kamen nicht selten 3-1-6-Staffelungen im Aufbauspiel der Hausherren zustande. Die Folge: Keine Verbindungen, keine Kombinationen – Gebolze.

Djourou-Aufrücken und Gouaida als Mini-Lichtblicke

Positive Ausnahmen waren einzelne Vorstöße von Djourou, der den Raum zwischen Kruse und Traore andribbelte, sowie einige einrückende Bewegungen von Gouaida, die jedoch zu selten eingebunden wurden.

Folglich war der HSV im Zentrum kaum präsent und suchte sein Heil auf den Flügeln. Von dort aus vermochte man aber kaum Gefahr zu verbreiten – nicht nur einmal durften die 52 000 Zuschauer die klassische Diekmeier-Flanke aus dem Halbfeld bestaunen.

Als Gouaida und Müller in der Schlussphase die Seiten tauschten und Gladbach zudem offensiver wurde, zeigte der HSV dann doch einige Ansätze von gutem Kombinationsspiel. Ausgangspunkt war hierbei Gouaida, der sich vom rechten Flügel in den Achter- und Zehnerraum bewegte und Bälle forderte – Stieber wich dafür leicht nach rechts aus. Kurze Zeit später wechselte Zinnbauer jedoch defensiv und brachte Ashton Götz als zusätzliche Absicherung für die rechte Seite.

Auch Favre wechselte und brachte mit Hrgota einen neuen Mittelstürmer, der zuvor eingewechselte Raffael ging ins zentrale Mittelfeld. In den letzten Minuten griffen die Gäste zu langen Bällen in den Strafraum. Raffael und Kruse zeigten bei zweiten Bällen ihr Nadelspielerpotenzial in Strafraumnähe, konnten jedoch nicht für den entscheidenden Durchbruch sorgen. Nach einem umstrittenen Eckball gelang den Gladbachern trotzdem noch der Ausgleich durch Hrgota.

Fazit

Gladbach zeigte sich auch unter Druck recht stabil im Aufbau, ging abgesehen von der Brechstangen-Schlussphase jedoch nie genug Risiko im Aufrücken ein, um wirklich gefährlich zu werden. Einigen Spielern (vor allem Kramer) fehlte es sichtlich an Spritzigkeit, was neben der vorsichtigen Ausrichtung Favres der Hauptgrund für die fehlende offensive Durchschlagskraft gewesen sein dürfte.

Der HSV zeigte interessante Ansätze im Pressing, offenbarte dabei jedoch auch wieder einmal die gruppentaktische Instabilität, durch die man sich seit Jahren auszeichnet. Diese wurde nicht nur in den wenig kompakten Pressingphasen, sondern auch auch und vor allem im Aufbau deutlich. Angesichts längeren Ausfall von Marcelo Diaz ist derzeit nicht abzusehen, wann die Hanseaten im Zentrum Fußball spielen werden.

Sichtlich ermüdete und sehr vorsichtige Gladbacher gegen engagierte, chaotische und letztlich limitierte Hamburger: Irgendwie ein klassischer Fall von „wollte nicht“ gegen „konnte nicht“.

Rodney 23. Februar 2015 um 17:01

Danke.
Sachlich-Fachlich top und ein kleiner Schuss Ironie.
Sehr schön zu lesen.
„…nicht nur einmal durften die 52 000 Zuschauer die klassische Diekmeier-Flanke aus dem Halbfeld bestaunen.“
Danke für diesen Satz.
Musste sehr schmunzeln und fühle mich als alter HSVer an „die klassischen Mahdavikia-Ecken “ erinnert.

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