Das beste Spiel aller Zeiten geht im Regen unter

2:1

Das Hinspiel sah anfangs aus wie ein Spiel aus einer Spielverlagerungsfantasie. Nacional verlor in Chile – auch wegen eines Platzverweises – knapp mit 1:0. Zuhause würde der Favorit aus Uruguay die chilenischen Gäste sicherlich dominieren. Oder?

Lange Bälle gegen das Pressing, lange Bälle gegen den Regen

Letztes Mal war es der Schiedsrichter und das Einsteigen Polentas, welche das potenziell unterhaltsamste und taktisch interessanteste Spiel aller Zeiten ruiniert haben. Dieses Mal griff der Fußballgott persönlich ein. Massiver Regen beeinflusste beide Mannschaften in ihrer strategischen Ausrichtung. Besonders in der Anfangsphase nutzten sowohl Palestino als auch Nacional ein sehr hohes Pressing, welches zu vielen langen Bällen führte. Das mannorientierte Zustellen der ersten Aufbaulinie reichte aus, um zum Gebolze zu provozieren.

Das ist natürlich nur allzu logisch. Ein im Boden hängen bleibender schlecht zu verarbeitender Pass reicht aus, um den Ball direkt am eigenen Strafraum zu verlieren. Der Druck des Gegners ist also ein sehr unangenehmer Faktor, den man vermeiden wollte. Deswegen wurden bei Abstößen auf beiden Seiten diese langen Bälle bis ins zweite Drittel geschlagen, was zu einer auf beiden Seiten sehr vertikalen und tororientierten Ausrichtung führte.

Grundformationen

Grundformationen

Die strategisch eigentlich fast gegensätzlichen Mannschaften glichen sich in ihrer Spielweise dadurch aneinander an. Der herrliche Kontrast bei einzelnen taktischen Ähnlichkeiten aus der ersten Partie war somit nicht immer sichtbar. Dennoch konnte man in einigen Situationen die Unterschiede zwischen den Mannschaften erkennen.

Nach Balleroberungen ging es bei Nacional fast immer schnell nach vorne, sie nutzten teilweise Halbfeldflanken aus der Tiefe hinter die Abwehr und kombinierten sich sonst extrem tororientiert über die Seiten nach vorne, nutzten auch zahlreiche Dribblings und lange Pässe. Wenn hingegen Palestino den Ball im Mittelfeld eroberte, versuchten sie eher mit Rück- und Querpässen sich aus dem Gegenpressing des Gegners zu befreien, bevor sie ins Angriffsspiel übergingen.

Sie versuchten auch einige Male mit ihrer sehr spielstarken, pressingresistenten und ruhigen Doppelsechs ins übliche Positionsspiel zurückzukehren, den Ball laufen zu lassen uns organisierter anzugreifen. Dann gab es wieder wie üblich interessante Mechanismen zu beobachten.

Einrückende Flügelverteidiger, ausweichende Halbstürmer, vorstoßende Halbverteidiger

Palestinos Trainer Pablo Guede rief für all die zusehenden Hipsterfans aus aller Welt sein gesamtes Repertoire an unorthodoxen Rollenverteilungen ab. Flügelverteidiger? Natürlich, aber nur, wenn sie sich durchgehend in der Mitte herumtreiben. Besonders der linke Flügelverteidiger Silva bewegte sich meistens im linken Halbraum oder durch das Zentrum, agierte häufig wie ein Zehner und ließ seine Seite komplett verwaisen. Carvajal auf rechts tat dies zwar auch, jedoch nicht ganz so weiträumig und präsent.

Dazu passte auch die Bewegung der Außenstürmer. Sie würden sich auf die Flügel bewegen und Breite geben, um die zentrale Positionierung der Flügelverteidiger zu balancieren. Aus dem 3-4-3 wurde nicht wie im Hinspiel meist ein 3-4-2-1/3-4-1-2, sondern eher eine Art 3-2-2-3. Die Außenstürmer wurden zu Beginn deswegen auch als Breitengeber und richtigfüßig besetzt, um mehr Flanken zu spielen. Nach dreißig Minuten tauschten die zwei Flügelstürmer die Seite und agierten als inverse Außenstürmer, blieben aber weiterhin breit und agierten ausweichend.

Zusätzlich schoben die Halbverteidiger gelegentlich nach und besetzten die seitlichen Räume hinter den Flügelstürmern, um ein Dreieck zu bilden. Desweiteren gab es ausweichende Bewegungen der Sechser, wobei sie meist weiterhin die Mitte besetzten und dort Verbindungen gaben.

Vermutlich wurde dies so gehandhabt, um dem enorm aggressiven und mannorientierten Pressing Nacionals aus dem ersten Spiel Paroli zu bieten. Dort konnte Nacional Palestino eine kurze Zeit lang aus dem Spiel nehmen, indem sie schlichtweg über das gesamte Feld verteilt manndeckten. Während Bielsa und andere das meist mit einem oder zwei freien Spielern praktizieren, waren es bei Nacional lediglich die ballfernen Spieler, die nachschoben und absicherten. Bei zentraler Ballposition bei Palestinos Torwart manndeckten häufig alle.

In diesem Spiel wurde dies nicht einmal situativ praktiziert. Vermutlich auch deswegen, weil Palestino eben die Abläufe so drastisch umstellte und die gesamten Flügelräume geöffnet hätte. Allerdings wurde Palestinos System dadurch auch instabil. Nach Ballverlusten hatten sie Probleme gegen schnelle stabil zu agieren und die nötige Breitenstaffelung in den letzten zwei Linien zu erzeugen. Obwohl Rosende und Farias eine sehr gute Leistung ablieferten, reichte auch ihre zentrale Kontrolle nicht immer zur Stabilität aus.

Besonders unorthodox war die Spielweise Palestinos aber auch, weil man dieses weit einrückende Spiel der Flügelverteidiger gar im regulären Pressing nutzte. Zwar standen sie natürlich öfters auch im 3-4-3, aber die Mittelfeldreihe agierte enorm eng und kompakt in der Horizontale. Teilweise wirkte es wie ein 3-Trichter-1 gegen den Ball und die Flügelverteidiger orientierten sich eindeutig an den beiden Sechsern.

Wenn der Gegner über eine Seite angriff, entstanden darum auch 4-3- und 3-4-Staffelungen in den ersten beiden Linien. Das war also eine klare Dreierkette mit gelegentlich zurückfallendem ballnahen Sechser oder Flügelverteidiger. Eine Fünferkette wäre im 5-2 oder 5-4 positioniert gewesen, eine pendelnde Viererkette hätten die ballfernen Flügelverteidiger konstant zurückfallen müssen. Somit war Palestino wie zu erwarten eine der wenigen Mannschaften mit einer klaren Dreierkette im Weltfußball, wobei sie eben gegen Nacionals schnelle Konter mit dem sehr weiträumigen Umschalten Probleme hatten.

Jedoch hatte auch Nacional seine Probleme.

Nacionals 4-2-1-3 fungiert als zweischneidiges Schwert

Die Urus nutzten eine Art 4-2-1-3, in welchem der Zehner die beiden Sechser Palestinos unter Druck setzen sowie die zwei Sechser hinter sich unterstützen sollte. Die drei Stürmer vorne kamen selten zurück, sollten Präsenz im Zentrum geben und die Dreierkette Palestinos unter Druck setzen. Prinzipiell entspricht diese Spielweise nicht ganz Nacionals Naturell; sie sind eine sehr kompakte und aggressive Mannschaft. Im ersten Aufeinandertreffen wechselten sie eine hochaggressive Ganzfeldmanndeckung mit einer positionsorientierteren und überaus kompakten Spielweise.

In diesem Spiel nutzten sie aber die drei Akteure weit vorne, sie zockten in der eigenen Defensivphase sogar häufig und sollten wohl für direkte Umschaltangriffe mit langen Bällen anspielbar sein. Beim 1:1 war es ein langer Ball, eine darauffolgende Kopfballweiterleitung in Richtung Flügel, von wo aus die Hereingabe zum Tor führte. Beim 2:1 war es ein langer Ball hinter die hochstehende Abwehr. Nichts Besonderes, aber die perfekte Anpassung an die Platzverhältnisse und Palestino.

Allerdings überließen sie mit diesem System auch Palestino mehr vom Spiel und Raum. Beim Führungstor gab es beispielsweise riesige offene Räume im Mittelfeld, welche das Dribbling und den Pass zur Vorlage erst ermöglichten. Die Chilenen begannen außerdem in der zweiten Hälfte verstärkt ihre starke Ballzirkulation und ihr gutes Positionsspiel zu nutzen.

Die Sechser fielen öfter zurück, die Halbverteidiger schoben nach vorne und erzeugten somit einen freien Mann. Die Balance im Gegenpressing war besser und Palestino halfen auch der wieder weniger nasse Platz und der Regenstopp. Nacional hatte nach wie vor Chancen und brachte auch Altstar Alvaro Recoba ins Spiel, es blieb jedoch beim 2:1 und Palestinos Weiterkommen.

Fazit

Nacional und der Regen machten dem Ballbesitzspiel Palestinos einen Strich durch die Rechnung, doch nach dem Seitenwechsel kamen die Chilenen besser in Fahrt, wurden stabiler, dominanter und hatten auch mehr vom Ball. Trotz der Niederlage ziehen sie verdient in die Copa Libertadores ein, weil Nacional nicht ihre Stärken aus der Liga und dem ersten Spiel abrufen konnte.

K-G. E. 13. Februar 2015 um 12:34

Wegen der späten Anstoßzeit konnte ich leider nur die erste Hälfte des Spiels sehen… … Vielen Dank aber für die Analyse des Hinspiels, ohne welche ich gar nicht auf die Idee gekommen wäre, überhaupt reinzuschauen. Spielanalyse deckt sich in starken Teilen mit dem, was ich gesehen habe. Warum waren denn keine Zuschauer im Stadion, Geisterspiel wegen Fanaussschreitungen?

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Guido Opitz 13. Februar 2015 um 08:59

vielen Dank für die Analyse zum Rückspiel. Gibt es wieder den ein oder anderen Link, wo man das Spiel noch mal sehen kann oder zumindest Ausschnitte davon?

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