Milans Pärchenbildungen und Formationsdetails
Ein Blick auf die letzten Auftritte des AC Milan, der unter Trainer Filippo Inzaghi in dieser Spielzeit wieder am CL-Quali-Rang schnuppert.
Nach dem interessanten, zu Teilen erfolgreichen, zu Teilen aber auch mit Problemen in der Konsequenz oder den Details behafteten Versuch mit Clarence Seedorf, dem eine ordentliche Rückrunde nicht zur Weiterbeschäftigung reichte, lotste die Verantwortlichen des AC Milan zur neuen Saison mit Filippo Inzaghi den nächsten verdienten Ex-Spieler auf den Trainersessel. Das einstige Sturm-Phänomen hatte bis dahin mit guten Leistungen als U19-Coach der Rossonieri überzeugen und sich für höhere Aufgaben empfehlen können. Im Februar diesen Jahren gab es beispielsweise eine Partie dieser Jugendmannschaft in der Youth League gegen Chelsea, als sie zwar klar verloren, aber spielerisch eigentlich fast die besseren Ansätze und durchaus interessante Szenen gehabt hatten.
Bisher macht sich Inzaghi auch bei den Profis ordentlich, steht bei soliden 25 Punkten nach 16 Partien und hält die Rot-Schwarzen damit im engen Kampf um Rang drei. Schon sehr schnell hat sich zudem eine klare, stabile und konstante Spielweise herausgebildet, die mit einigen markanten Charakterzügen aufwartet. Besondere Konzentration legt dieser Artikel dabei auf die unmittelbar jüngsten Partien der Rot-Schwarzen in den vergangenen Wochen, die sich aber nicht bedeutend von der Gesamtsaison unterscheiden. Gerade seit der Rückkehr von Riccardo Montolivo hat es eine gewisse Stabilisierung in der Sicherheit der taktischen Abläufe gegeben, ohne dabei die Tradition der Grundausrichtung entscheidend zu verändern.
Starke Parade-Leistung gegen Napoli
Zuletzt konnte die Mannschaft gegen Napoli eine überraschend klare Überlegenheit beim 2:0-Erfolg verbuchen, was durch eine gute Anpassung gegen die dieses Jahr eher passive Defensive der Mannen von Rafa Benítez gelang. So ließen sich die beiden Achter Poli und Montolivo immer wieder seitlich in den Raum neben den Angreifern des gegnerischen 4-4-2/4-4-1-1 fallen, um von dort diagonal das Spiel zu eröffnen. Während die Außenverteidiger – gerade Armero auf links – bereits frühzeitig sehr hochschoben, versuchten die Mittelfeldakteure anschließend die einrückenden Außenstürmer eine Linie vor ihnen in den Halbräumen zu bedienen. Von dort sollten sich diese dann – wieder mit der Unterstützung der Achter sowie dem beweglichen und gerne zurückfallenden Angreifer Ménez – durch kombinieren. Dies mündete nach einem guten Angriff mit finalem Schnittstellenpass von Bonaventura auf den Franzosen in der frühen Führung.
Alternativ zu diesen Synergien von Achtern und Flügelspielern war eine Verlagerung auf Armero, der anschließend mit Flanken die hohe Offensivpräsenz bedienen sollte, die durch den Bewegungsreichtum der Mittelfeldleute und entsprechend nachrückende Bewegungen gerade von Poli entstand. In ihrer pärchenhaften Zusammenarbeit mit den Außen zogen die Achter immer wieder weit mit nach vorne und konnten deshalb eben als zusätzliche Option im Strafraum gefährlich werden, wenn die von ihnen mitgetragenen seitlichen Überladungen nahe des Strafraumecks nicht durchkamen. Nachdem es Bonaventura und Montolivo zu Anfang der zweiten Hälfte gegen Napoli auf links mit einem Angriff versucht hatten, dann aber doch auf Armero herausspielen mussten, orientierte sich Ersterer zielstrebig in die Mitte und köpfte nach gutem Laufweg die Flanke des Kolumbianers kraftvoll in die Maschen ein.
Mannorientierungen aus enger Grundstellung heraus
Gegen den Ball formieren die Norditaliener sich normalerweise standardmäßig in einer 4-1-4-1-Formation mit grundsätzlich sehr engen und kompakten Abständen der drei zentralen Akteure zueinander sowie diszipliniert mitarbeitenden Bewegungen der Außen. Diese agieren zur Unterstützung der horizontalen Kompaktheit gelegentlich leicht eingerückt, verfolgen aber dennoch ihre Außenverteidiger gewissenhaft, was gerade Bonaventura in sehr antizipativer und teils fast übertrieben aktiver Form betreibt. Durch die nahen Positionierungen innerhalb des Mittelfeldbandes entstehen häufig auch flache 4-5-1-Anordnungen. Darüber hinaus stellen die vielen situativen Mannorientierungen ein weiteres prägendes Merkmal dar. Beim 0:0 am Wochenende gegen die Roma nahmen vor allem die Achter, gelegentlich aber auch der verfolgend seitlich bewegende und seine Gegner dann situativ übergebende Nigel de Jong solche Rollen ein. Immer wieder rückten Montolivo und Poli kurzzeitig nachschiebend aus der kompakten Grundstellung heraus und verfolgten beispielsweise auch abkippende Bewegungen hinter die aufrückenden und ebenfalls mannorientiert abgedeckten Außenverteidiger.
Dies alles wurde aber durchaus balanciert durchgeführt und gewann dadurch an Effektivität. Häufig gelang es den Achtern, mit ihrem leichten Nachschieben die Roma aus dem ballnahen Halbraum heraus zu drängen und zu Verlagerungen auf die andere Seite zu provozieren, wo Milan vereinzelt dann deren Bemühungen am Flügel zuschieben konnte. Alles in allem kann diese gleichzeitig enge wie mannorientierte Defensivspielweise im Mittelfeld als eine interessante und meist auch konsequent praktizierte Mischung angesehen werden. In Verbindung mit der insgesamt starken Endverteidigung, die gegen die Roma auch in Unterzahl zu Null blieb, hat Milan eine starke, wenngleich auch nicht herausragende Verteidigung geformt. Zwar lassen sie mit 13,5 Abschlüssen pro Spiel mehr Versuche des Gegners zu, als sie durchschnittlich selbst abgeben, doch finden diese Szenen eher in abgedrängten, unangenehmen Situationen statt. In den vergangenen zehn Begegnungen musste das Team daher nur sieben Gegentore hinnehmen und hielt eben gegen die Roma oder Napoli eine weiße Weste. Zuvor ließen sie sich noch etwas zu unbalanciert mannorientiert nach hinten ziehen, verloren vor der letzten Linie an Präsenz und gerade wegen des vielen Personals im eigenen Strafraum dort etwas die durchgängige Orientierung, was gegen Parma noch ein spektakuläres 5:4 zur Folge hatte – mittlerweile ist hier aber der nächste Schritt getan worden.
Kontergefahr trotz 4-5-1-Ansätzen
Obwohl die Außenstürmer durch ihre mannorientierte Spielweise teilweise sehr weit nach hinten gedrängt werden und Milan mit dem 4-5-1 trotz der beweglichen Spielweise Ménez´ nicht die optimalen Optionen in der Tiefe nach Ballgewinnen hat, können sie über Konter doch vereinzelt immer mal wieder Gefahr erzeugen und erzielen auf diesem Wege mehr Treffer als die meisten Ligakonkurrenten. Einerseits ist der Einfluss des französischen Angreifers nicht zu unterschätzen und ein wichtiger Faktor für die Effektivität schneller Gegenangriffe. Trotz seiner geringen Größe ist er ein standfester, unangenehmer Spieler, der Bälle auf eine alternative, geschickte Weise festmachen kann. Über seine Gewandtheit und einzelne Tricks kann er aus statischen Situationen und festgefahrenen Szenen Dynamik für sich erzeugen und damit den physisch starken Gegnern auch in Unterzahlen und schwierigen Ausgangslagen noch begegnen.
Dafür nutzen die Mailänder die gelegentlich herausgeschobenen Bewegungen der Achter sehr geschickt, wenn diese den Kontakt zu den höheren Bereichen halten und dann als Umschaltstation fungieren können. Phasenweise übernehmen sie von der zugrundeliegenden Systematik her durchaus die Rolle eines – zudem etwas ausgewichenen – Zehners, wie er in anderen Formationen vorkommen würde, und dienen mit ihren Positionierungen im seitlichen Halbraum als direkte Ablagefläche für die Außenspieler dienen. Diese wiederum kommen mit einem langen Beschleunigungsweg aus der Tiefe, profitieren dadurch indirekt gar ein wenig von diesem eigentlichen Nachteil ihrer zurückgedrängten Positon und erhalten die abgelegten Bälle direkt in den Raum, um anschließend nach vorne zum ausweichenden Ménez durchzubrechen und das Feld in dynamischer Situation vor sich zu haben.
Pärchenbildungen als zentrales Element
Wie schon an der Ausrichtung gegen Napoli zu erkennen: Diese taktischen Verhältnisse und Relationen zwischen Achtern und Flügelspielern sind überhaupt für das Offensivspiel von zentralerer Bedeutung und besonderem Wert. Neben dem erwähnten Zusammenspiel im letzten Drittel im Zuge der Pärchenbildung gibt es generell viele raumschaffende Bewegungen füreinander. Wenn beispielsweise ein Achter etwas zurückfällt, geht der jeweilige Flügelstürmer ein wenig zur Mitte in Richtung dessen ursprünglicher Position und bietet sich dort als Ablagestelle oder in Zwischenräumen an (siehe Nr. I in der Grafik). Eine andere Möglichkeit besteht im Zurückfallen des Außenspielers, für den dann der Achter etwas zur Seite zieht und nach einem direkten Zuspiel diagonal für den einstartenden Kollegen in den Halbraum ablegt (siehe Nr. III in der Grafik). Dabei lässt sich zu den Synergien der Pärchenbildungen sagen, dass die linke Seite im zweiten Drittel die etwas dominantere Kraft darstellt, während im Angriffsbereich dann ein wenig mehr über die Zone von Honda und Poli läuft. Letzterer versucht direkte Diagonalpässe, die von einem kurz vorrückenden Innenverteidiger oder einem herausgeschobenen Mittelfeldmann in Richtung Spitze kommen, bei gegensätzlich ausweichender Bewegungen für den einrückenden Japaner in den Zwischenlinienraum weiterzuleiten. Alternativ tritt Poli als Breite- oder Passgeber auf, Ménez übernimmt mit zurückfallender Bewegung die Weiterleitung und die Angriffskräfte nutzen die zentralen Bereiche, die die breiten Achter ermöglichen. Entsprechend schaltet sich der Mittelstürmer nicht nur als Teil dieser Pärchenbildungen ein, sondern bildet situativ auch eigene mit wechselnden Partnern.
Insgesamt führt dieses besondere Merkmal in der Mailänder Anlage zu einer auf die Flügel und vor allem die äußeren Halbräume konzentrierten Spielweise, was sich statistisch in nur durchschnittlich 25 % der Angriffe über die Mitte niederschlägt – zusammen mit Genoa ligaweit der niedrigste Wert. Eine besondere Rolle im Angriffsspiel kommt zusätzlich zu diesen Synergien schließlich noch Giacomo Bonaventura zu, der immer mal wieder das freie Radikal in seinen Bewegungen geben und besonders weit einrücken darf. Noch häufiger als die vereinzelten 4-3-2-1-Staffelungen aus dem 4-3-3 heraus sind somit kurzzeitige oder verkappte Rauten, in denen der dribbelstarke Flügelstürmer als dynamischer Zehner auftritt und mit seinen auch über lange Distanzen stabilen Läufen für diagonale Verbindungen sorgen soll. In diesen Phasen agiert er deutlich tiefer als der im rechten Halbraum eher wie eine zweite Spitze postierte Honda sowie der situativ ausweichende oder unterstützende Ménez. Dieser wiederum ist der zweite Offensivmann, der sich mit weiträumigen Bewegungen zwischen die Strukturen des Mittelfelds zurückfallen lässt und Bälle abholt. Dabei versucht die Mannschaft in diesen Situationen, dem Franzosen mit den eigenen Positionierungen Raum zu öffnen, damit seine Dribblings aufrückend genutzt werden können. Wenn ihm gelingt, sich aus dem zweiten Drittel heraus der gegnerischen Konzentration zu entziehen, kann er entweder selbst zu Abschlüssen kommen, kleine Kombinationen in den äußeren Halbräumen einleiten oder auch mal den resultierenden Raum für lange Pässe hinter die Abwehr auf die Außenverteidiger nutzen.
Schwierigkeiten und Alternativen aus dem Aufbau
Gelegentlich gibt es für die Mannschaft eben noch Probleme damit, aus dem Aufbau gegen gut und vor allem früh pressende Gegner überhaupt in diese Mittelfeldzonen zu kommen, um die dortigen Mechanismen um die Achter herum auch bedienen zu können. Zwar fallen diese gelegentlich helfend zurück, postieren sich phasenweise aber auch schon früh in seitlichen Übergangszonen, so dass sie diese anfangs unterstützende Haltung nicht durchgehend ausüben können. Unter Druck greifen die Milan-Verteidiger dann recht früh und risikolos zum langen Ball, wenngleich sie dies durchaus geschickt machen. Beispielsweise hebt Bonera das Leder gerne leicht nach vorne und sucht gezielt nahe gelegene Raumlücken am Flügel, statt sofort lang zu bolzen. Auf links postiert sich Armero manchmal bewusst tief und Montolivo marschiert in die entstehenden Räume auf außen, wo ihn der jeweilige Innenverteidiger dann mit einem Lupferpass suchen könnte. Auch Ménez´ Zurückfallen muss in diesem Kontext als Ausweichmöglichkeit erwähnt werden, was die immense Bedeutung seiner beweglichen Spielweise für genau diese Mannschaft unterstreicht.
Ansonsten schieben die Rot-Schwarzen die Offensive gelegentlich auch mal direkt höher und forcieren, falls möglich, länger geschlagene Bälle oder direkte Flachpässe in diese vordere Präsenz. Überhaupt wird dieses Mittel gelegentlich auch bewusst von den – gegebenenfalls kurz aufrückenden – Innenverteidigern genutzt. Mit 72 langen Pässen pro Spiel führt Milan diese Statistik in der Serie A an und konnte über direkte Flugbälle an den Strafraum schon den einen oder anderen Treffer markieren. Wichtig ist hierbei, dass die Akteure nicht einfach präsent dort warten, sondern teilweise gar sehr weiträumige Horizontalläufe oder gewisse abgestimmte Bewegungen und Finten zeigen, um gegnerische Spieler wegzuziehen. Zudem haben diese Offensivpositionierungen, wenn man sich entweder auf diesem Wege oder auch geregelter über die typischen Pärchen-Mechanismen vorgearbeitet hat, ein gewisses Potential für erfolgreiches Gegenpressing, da man in erster Instanz sehr kraftvoll und mit numerischer Stärke auf die Ballrückeroberung gehen kann.
Fazit
Alles in allem hat Milan unter Inzaghi bisher eine gute Entwicklung zu verzeichnen, wenngleich sie noch nicht herausragend stark sind (und trotz der Zufriedenheit sein bisheriger Punkteschnitt etwas unter dem seines zu viel gescholtenen Vorgängers Seedorf liegt). Hervorzuheben ist in jedem Fall, dass es sich um eine – in den letzten wankelmütigen Jahren beileibe nicht immer – seriöse und stabile Mannschaft handelt, die sich kaum mal wirklich peinliche Aussetzer leistet. Stattdessen sind bisher eine gewisse personelle Konstanz und vor allem eine klare taktische wie spielerische Identität mit einigen scharfen Kernaspekten zu beobachten – die Pärchenbildungen und die damit zusammenhängenden Mechanismen in der Offensive, die Rollen von Ménez und Bonaventura oder die von in abgesteckter Form praktizierten Mannorientierungen und 4-5-1-Ansätzen geprägte Defensive.
4 Kommentare Alle anzeigen
rotundblau 22. Dezember 2014 um 23:09
PS: TR, komm auch mal auf Twitter. Dort braucht es dringend mal Leute die sich für die Serie A interessieren und sich im Fußball auskennen.
rotundblau 22. Dezember 2014 um 22:45
Milan hat unter Inzaghi in letzter Zeit wirklich eine durchaus beachtliche Entwicklung hingelegt. Die großen Probleme in der Defensive hat Inzaghi mittlerweile in den Griff bekommen und die Abläufe in der Offensive haben sich auch sehr verbessert. Wobei ja schon alleine die Entscheidung Fernando Torres rauszunehmen und Menez wieder als zentralen Stürmer spielen zu lassen enorm hilfreich war. Die Rückkehr von Montolivo ist zudem ebenfalls ein wichtiger Faktor für die Mannschaft.
Wie ist denn prinzipiell deine Meinung zu Daniele Bonera?
Messi ist mein Gott 24. Dezember 2014 um 21:20
@Bonera? Er ist und das ist schon untertrieben formuliert, der schlechteste Serie A spieler überhaupt,er spielt wahrscheinlich deswegen weil er über geheime Infos aus Silvios Leben bescheid weiß einen anderen Grund kann es nicht geben wieso jeder Trainer ihn als Stammkraft einsetzt selbst ein Oliver Kahn wäre ein besserer RV gewesen.
TR 28. Dezember 2014 um 21:57
Hallo, entschuldige die späte Antwort.
Im Gegensatz zum Vorkommentator finde ich Bonera gar nicht so schlecht und halte die generell durchaus häufig zu vernehmenden Kritiken an ihm für übertrieben. Sicherlich hat er beispielsweise gewisse spielerische Schwächen, kleinere Probleme im koordinatorischen Bereich oder bzgl. der Grundschnelligkeit und auch den einen oder anderen Makel in der Orientierung. Allerdings gibt es andererseits immer wieder einzelne geschickte Momente am Ball. Zudem strahlt er durchaus einen gewissen unterstützenden Rhythmus aus. Besonders hervorheben sollte man wohl seine Endverteidigung, die leicht inkonstant, aber potentiell doch durchaus sehr stark ist.