Heidenheims Dreierblock bremst das Umschaltspiel der Leipziger Bullen

1:1

Die Pressing- und Umschaltfanatiker aus Leipzig gegen Frank Schmidts Heidenheimer – ein Spiel das im Vorfeld Pressing vom Feinsten, Hochgeschwindigkeitsfußball und viele Tore versprach. Die Anpassungen des Heidenheimer Trainers verhinderten jedoch, dass es tatsächlich dazu kam. Stattdessen gab es ein Festival der langen Bälle bei den Gästen und zahlreiche Abschlüsse aus schlechten Positionen bei den Bullen.

Ausgangssituation

Grundformationen

Grundformationen

Der Leipziger Trainer Alexander Zorniger hatte bis auf Verteidiger Niklas Hoheneder keine wesentlichen Ausfälle zu beklagen und somit die Qual der Wahl. Tim Sebastian und Marvin Compper bildeten gemeinsam die Innenverteidigung. Trotz zweier Tore gegen Düsseldorf musste der zum Stürmer umfunktionierte Rechtsverteidiger Georg Teigl wieder auf der Bank. Für ihn kehrte Yussuf Poulsen nach seiner Verletzung zurück in die Startelf. Das spielstarke Mittelfeld agierte in gewohnter Besetzung.

Frank Schmidt war aufgrund der Verletzungen von Stürmer Patrick Mayer und Innenverteidiger Tim Göhlert zu Umstellungen gegenüber dem 5:0-Sieg gegen den VfL Bochum gezwungen. Aufgrund des Respekts vor dem Pressing und Umschaltspiel der Roten Bullen nahm dieser jedoch noch weitgehendere Änderungen vor. Das übliche 4-4-2/4-2-2-2 wurde gegen ein 4-3-1-2 eingetauscht, wodurch Heidenheims Trainer die Räume für die spielstarken Leipziger – allen voran Sturmstar Yussuf Poulsen – noch stärker einengen wollte. Julius Reinhardt rückte entsprechend als dritter Sechser neben Marcel Titsch-Rivero und Sebastian Griesbeck in die Mannschaft. Die Positionen von Göhlert und Meyer übernahmen Mathias Wittek und Smail Morabit.

Keine Chance für Pressing

Beide Teams sind für ihr starkes Pressing bekannt. Während die Roten Bullen dabei sehr direkt und aggressiv vorgehen, sind die Heidenheimer insbesondere für ihr anschleichendes, überfallartiges Pressing mit starken Rhythmuswechseln gefürchtet. Leider konnten beide Varianten nur selten beobachtet werden. Die Gründe dafür waren jedoch teilweise verschieden.

Die Heidenheimer Innenverteidiger sowie Torhüter Jan Zimmermann setzten bei dem leichtesten Anzeichen für Gefahr auf den langen Ball. Kraus erreichte eine unterirdische Passquote von 46 %, die auch durch die 58 % von Wittek kaum ausgeglichen wurde. Torwart Zimmermann brachte mit 52 % immerhin mehr als jeden zweiten Ball zum Mann – bevorzugt zu Zielspieler Smail Morabit, der dazu in die Räume vor Rechtsverteidiger Heidinger auswich (6 von 16 der angekommen Bälle). In der Folge versuchte dieser die Bälle auf Zehner Marc Schnatterer oder die nachrückender Achter abzulegen, um anschließend mit Lochpässen oder direkten Abschlüssen zum Erfolg zu kommen. Diese Szenen resultierten selten in einem kontrollierten Ballbesitz im letzten Drittel, so dass Leipzig mehr oder weniger zu mehr als 60 % Ballbesitz gezwungen wurde.

Die Roten Bullen nahmen dieses Angebot an. Zwar griff auch Leipzig in Notfällen zum langen Ball; sie zeigten jedoch, dass sie auch durchaus Mittel für einen konstruktiven Spielaufbau über das Mittelfeld besitzen. Hierbei kam ihnen besonders die Überlegenheit Kimmichs gegenüber den Balleroberungsversuchen der vorderen drei Pressingspieler Heidenheims zugute (a.k.a. Pressingresistenz), die entsprechend durch die Aufbaubewegungen der Mittelfeldspieler forciert wurde. Sechser Rani Khedira schob früh nach vorn, während Kimmich zentral oder in den rechten Halbraum zurückfiel, jedoch dabei nie auf Höhe der Innenverteidiger abkippte. Nach dem Erhalt des Balls vom Torwart oder aus der Verteidigung wartete er kurz das Anlaufen von Schnatterer ab, nur um sich um ihn zu winden und anschließend riesige Räume vor sich vorzufinden. Dabei kam ihm die zerrissene Pressingformation der Heidenheimer entgegen.

Heidenheim im 4-3-NULL-1-2

Der Respekt vor den individuellen Qualitäten der Leipziger Offensivspieler führte bei Heidenheim zu einem horizontal extrem kompakten 4-3 aus der engen Viererabwehrkette und den Spielern der Dreifachsechs, welche sich als Abfangjäger mit einem kleinen Sicherheitsabstand vor der Leipziger Raute platzierten. Da die Offensivspieler sich jedoch mannorientiert an den Innenverteidigern beziehungsweise am tiefen Sechser orientierten, gab es nicht selten Situationen, in denen sich das gesamte Leipziger Mittelfeld sowie die Außenverteidiger zwischen der zweiten und letzten Reihe der Pressingformation befanden.

Diese Spaltung hatte positive und negative Effekte, wurde jedoch auch durch ein aggressives Rückwärtspressing von Schnatterer und Niederlechner einigermaßen kompensiert. Nur Morabit wartete beharrlich vorne auf lange Zuspiele oder echte Chancen, die Schnatterer als Verbindungsspieler einleiten sollte.

Massive Präsenz der Leipziger in der Lücke der Heidenheimer Pressingformation (rot). Da können sich Sebastian und Compper sogar eine Unterzahl gegen Niederlechner, Schnatterer und Morabit erlauben.

Massive Präsenz der Leipziger in der Lücke der Heidenheimer Pressingformation (rot). Da können sich Sebastian und Compper sogar eine Unterzahl gegen Niederlechner, Schnatterer und Morabit erlauben.

Zum einen wurde durch den abwartenden Dreierblock vor der Abwehr den meisten Angriffen das Tempo genommen, so dass das Rückwärtspressing seine Wirkung entfalten konnte. Gleichzeitig stand die Abwehrkette tief, um keine Pässe in die Tiefe zuzulassen. Durch die enge Stellung des Blocks gab es so gut wie keine Lücken, um Morys und Poulsen im durchaus vorhandenen Zwischenlinienraum einzusetzen. Doch auch nach erfolgreichen Pässen bestand eine deutliche Überzahl gegen diese. Pässe auf die Außen und Flanken wurden mithilfe der numerischen Überzahl verteidigt. Leipzig verzichtete deshalb auch dankenswerter Weise weitgehend darauf. Meist blieb also nur ein aussichtsloses Dribbling – obwohl Kimmich und Poulsen hier sehenswerte Kabinettstücke zeigten – oder ein Fernschuss direkt in den engen Block. Am Ende waren es 15 Schüsse außerhalb des Strafraums von denen 12 geblockt wurden.

Die Kehrseite war jedoch die völlige Aufgabe der zweiten Bälle. Zwar konnten lange Bälle souverän aus dem tornahen Raum geklärt werden. Sobald diese jedoch in die Zone vor dem 4-3-Block fielen, gehörten sie Leipzig. Diego Demme kam somit auf den irrwitzigen Wert von 10 abgefangenen Bällen und auch Außenverteidiger Jung tat sich mit intelligenten einrückenden Bewegungen in den Raum hinter und neben Demme hervor. Leipzig konnte gezielt Schläge auf den Mittelblock von Heidenheim zur Befreiung aus Pressingsituationen nutzen.

Leipziger Allerlei, von Heidenheim versalzen

Diese Vor- und Nachteile des Heidenheimer Pressings führten dazu, dass Leipzig ein Großteil der Spielzeit mit eigenem Ballbesitz im Mittelfeld verbrachte. Hier gab es potentiell interessante Abläufe mit dem situativ vorrückenden Khedira als präventiver Gegenpressingblocker und Box-to-Box-Physiswaffe im Stile seines größeren Bruders, Kimmich als Aufbau- und Aufrückspieler mit enormer Präsenz sowie den ausweichenden und somit eher horizontal agierenden Demme und Kaiser. Die gruppentaktischen Synergien dieser Bewegungen konnten sich jedoch nicht wirklich entfalten, da Heidenheim sehr passiv agierte und sich nicht durch Mannorientierungen oder weites, ballorientiertes Vorschieben aus der Stabilität ziehen ließ.

Überladungsversuche in den Halbräumen und auf den Flügeln, die vor allem durch das weite Ausweichen Poulsens sowie ein Einrücken des ballfernen Achters entstanden, konterte Heidenheim durch ein kohärentes und weites Verschieben des Mittelfeldblocks, der teilweise komplett auf eine Seite verschob, um die charakteristische horizontale Kompaktheit zu wahren. Leute in meinem Alter (Ich weiß, das sind nicht so viele hier) werden sich vielleicht an den Videospielklassiker Pong erinnert gefühlt haben. Die Abwehrkette blieb dabei zentral und sicherte die Überzahl gegen potentielle Flanken, z. B. nach Verlagerungen aus Überladungssituationen auf den ballfernen Flügel zu Heidinger, der fast wie ein Wingback agierte und die gesamte rechte Seite beackerte.

Typische Szene für das starke Rückwärtspressing Schnatterers und die Verbindungsprobleme der Leipziger.

Typische Szene für das starke Rückwärtspressing Schnatterers und die Verbindungsprobleme der Leipziger. Jung, Morys und Khedira freuen sich darauf, über den linken Halbraum vor die Abwehr zu kommen. Schnatterer hat jedoch etwas dagegen. Auf der rechten Seite steht Kaiser zu breit und zu hoch, um die Verbindung in den Zwischenlinienraum herstellen zu können.

Nach den auflösenden Dribblings Kimmichs aus der tiefen Stellung heraus, gab es teilweise vielversprechende Situationen, in welchen der extrem enge Mittelfeldblock Heidenheims über die Halbräume hätte überspielt werden können. In diesen Situationen zeigte sich jedoch nicht immer eine ideale Positionsfindung – vor allem Kaisers, Khediras und Heidingers. Diese liefen entweder in den Deckungsschatten hinein oder positionierten sich zu breit oder hoch, so dass die Passstafetten nicht mit dem notwendigen Tempo gespielt werden konnten. Dieser Sachverhalt veranlasste Zorniger sogar bei der Pressekonferenz zu einer persönlichen Kritik an Kaiser. Jung hingegen zeigte viele sehr gute, diagonale Aktionen. Das großartige Rückwärtspressing Schnatterers half jedoch, auch in diesen Situationen die Gefahr zu kontrollieren.

Anpassungen und Wechsel

In der zweiten Halbzeit agierte Kimmich etwas weiter rechts und weniger dominant, während Kaiser diagonaler und verbindender arbeiten sollte. Insgesamt wurde also das Positionsspiel etwas gestärkt, was jedoch die Verbindungen nicht signfikant verbesserte. Mit Teigl kam in der 60. Minute ein etwas beweglicherer Stürmer als Morys. Kurz vor Ende wurde mit Frahn ein weiterer Stürmer gebracht. Teigl wechselte für Heidinger auf die Außenverteidigerposition, die nun eher als Außenstürmer eines 2-3-1-4 interpretiert wurde. Alle weiteren Wechsel waren positionstreu.

Fazit

Das vom Autor erhoffte Pressingspektakel blieb leider aus. Die Aufgabe des 4-2-2-2 und die Installation eines Drei-Mann-Mittelfeldriegels auf Seiten der Gäste aus Heidenheim verhinderten dies erfolgreich. Leipzig kam zwar zu vielen Schüssen und hohen Ballbesitzwerten, jedoch zu kaum nennenswerten Torchancen. Frank Schmidts Plan ging somit auf. Heidenheim zeigt, dass es auch gegen individuell überlegene Gegner durch taktische Anpassungen sehr unangenehm werden kann. Leipzig hingegen lässt in vielen Situationen die individuelle Klasse aufblitzen und zeigt Ansätze interessanter gruppentaktischer Abläufe. Die spielerischen Mittel, einen defensiv exzellent organisierten Gegner auseinanderzuspielen, haben sie jedoch noch nicht – damit wären sie aber in der zweiten Liga auch ein Sonderfall.

Danksagung

CE hat diese Analyse durch eine intensive Diskussion nach und während des Spiels zu großen Teilen beeinflusst und mitzuverantworten.

HK 8. Oktober 2014 um 11:31

Ich habe das Spiel nur so nebenbei gesehen. Aber Heidenheim hat mich trotzdem beeindruckt. Was sich vor allem auf den Trainer bezieht. Schmidt leistet hier seit Jahren sensationelle Arbeit. Den würde ich gerne mal in einem von den Möglichkeiten her ambitionierteren Verein sehen. So ein paar Kilometer weiter östlich in der Landeshauptstadt werden doch immer Trainer gesucht.
Nur sein Außenauftritt ist für BL-Verhältnisse wohl noch etwas gewöhnungsbedürftig.

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datschge 8. Oktober 2014 um 14:18

Man sollte in diesem Zusammenhang erwähnen, dass es eher unwahrscheinlich ist, Frank Schmidt den Verein verlassen zu sehen. Der Typ ist seit 2003 bei dem Club (damals noch in der Verbandsliga), hat ihn erst als Kapitän in die Oberliga und nahezu nahtlos ab 2007 als Trainer in die 2. Liga geführt. Vertrag geht noch bis 2020. ^^

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Dr. Acula 8. Oktober 2014 um 11:26

als heidenheimer gefällt mir diese analyse natürlich doppelt! finde es aber geil, dass ihr auch solche spiele analysiert! hoffe auf eine starke saison von uns!

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JS 8. Oktober 2014 um 07:27

Hach, Pong. Schönes Bild.

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Peda 9. Oktober 2014 um 15:41

Den Pong-Vergleich verstehe ich ja noch, aber was machen Pac-Man und Ms. Pac-Man im letzten Bild? 😛

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king_cesc 9. Oktober 2014 um 18:59

Blickrichtungen, um die Dynamik und Bewegungen in einem Standbild besser zu verstehen.

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