Nordklubs auf gegenläufigen Pfaden
Die neue Aufstellung hatte viel versprochen, doch letztlich enttäuschte der HSV. Bei den überraschenderweise mit Doppelspitze und simplem Linksfokus antretenden, aber spielerisch durchaus geschickten Hannoveranern gab es eine verdiente Niederlage.
Grundformationen und Hamburger Pressing
Die punktemäßig gut gestarteten Hannoveraner wurden nach dem 0:0 in Mainz vor der Länderspielpause von Tayfun Korkut ein wenig umgebaut. Mit Sobiech kam ein zweiter Angreifer ins Team, was ein 4-4-2 mit Bittencourt und Kiyotake als eingerückten Flügeln und einer umtriebigen Rolle Joselus bedeutete. Damit brachten auch die Hausherren eine überraschende Ausrichtung ein, wohingegen sich vor allem die Frage nach der Hamburger Aufstellung gestellt hatte. Diese wollten ihre Last-Minute-Einkäufe nun zum ersten Mal einbauen und brachten direkt Cléber, Holtby und Green in der Startformation, welche insgesamt sogar sieben Neuzugänge (offiziell vielleicht gar neun) umfasste. Mirko Slomka entschied sich dabei für eine nominelle 4-2-3-1-Formation mit Holtby als verbindend gedachtem Achter und dem ebenfalls debütierenden Nicolai Müller in einer dynamischen zentralen Position hinter Lasogga.
Das daraus entstehende 4-4-1-1-hafte Pressing der Hamburger mit versuchtem Leiten von Lasogga, gelegentlich herausrückenden Bewegungen von Müller – mit Deckungsschatten auf Andreasen – und vereinzelten Mannorientierungen Holtbys gegen Schmiedebach war dabei in der Grundanlage nicht schlecht und wusste anfangs dadurch zu überzogen, dass der ballferne Außenspieler recht aufmerksam den zweiten Sechser beobachtete. Dennoch hatte es seine Schwächen und wurde nicht wirklich effektiv. Ein Problem war die fehlende Intensität, durch die die Niedersachsen zumindest kurzzeitig hinten zirkulieren konnten. Sofern es keine langen Bälle gab, bis Schmiedebach sich in Freiräume lösen und die Situationen aufknacken konnte – wenn er beispielsweise zusätzlich nach halblinks ging, lief das HSV-Pressing ins Leere. Von dort konnte 96 dann einfacher aufbauen und entweder Lücken in den Halbräumen hinter den positionell nicht immer optimal stehenden Sechsern mit Direktpässen bedienen, in die Bittencourt und Kiyotake mehrmals sehr gut hineingingen, oder ihre bevorzugte linke Seite suchen. Als die Gäste im weiteren Verlauf der Partie die Müller und Lasogga die Seiten tauschen ließen, fehlte ihnen in der Pressingmechanik häufig die Anbindung an die Mittelfeldkette, die mit den leitenden Bewegungen der Stürmer nicht synchronisiert agierte, sondern zu passiv in der Tiefe hing.
Linksfokus, Nachstöße, kleinere Umschaltlücken
Ein zentraler Offensivweg des Hannoveraner Offensivspiels bestand in direkten, druckvollen Angriffen über die linke Seite mit Kiyotake und dem sehr engagierten Albornoz. Anfangs wurden sie aufgrund der simplen, pärchenhaften Anlage dieser Spielzüge noch recht häufig in Unterzahl am Flügel isoliert, indem Behrami mit herausschob. Später gelang es ihnen aber zunehmend besser, die weiträumigen Bewegungen der neuen Doppelspitze und aufrückende Läufe der Sechser einzubinden. Die hinten sehr mannorientierten Hamburger hatten mit dem Ausweichen von Sobiech und insbesondere Joselu in der Abstimmung einige Probleme, was Lücken in ihrem Konstrukt öffnete. Ähnlich verhielt es sich mit den Nachstößen der Sechser, die meist recht simpel und druckvoll gelagert waren, aber immer mal wieder kleinere Freiräume zwischen den Deckungen fanden und – wie beispielsweise bei Schmiedebachs Einleitung zum 2:0 – kurzzeitige Unaufmerksamkeiten oder Passivitäten ausnutzten. Ganz so schlecht war der HSV defensiv allerdings nicht und bei beiden Gegentreffern, die nicht jedes Mal so fallen, etwas Pech mit im Spiel.
Was in Form von Andreasens Kopfball zum 1:0 für viel Gefahr sorgen konnte, barg allerdings auch ein gewisses Risiko. Trotz immer wieder auch starker ballnaher Ballungen war die Absicherung der Hannoveraner Angriffe nicht durchgehend optimal und bot einige Lücken in den zentralen Übergangsbereichen um den eigenen Achterraum herum. Mit Nicolai Müller hatte der HSV hier in der Theorie einen sehr wirksamen Konterspieler, der mit seinen vorstoßenden, balanciert balltreibenden Läufen diese Lücken gut hätte bespielen sollen. Wenn er mal klar in solche Situationen kam, wusste er einige Male auch durchaus für Gefahr zu sorgen und war insgesamt an den besten Szenen seines Teams nach vorne beteiligt. Bei Kontern versuchten die Hamburger außerdem Lasoggas Ausweichen in den Raum hinter dem aufgerückten Albornoz zu forcieren, was vereinzelt raumöffnend wirksam war.
Hamburg mit Aufbauproblemen und enttäuschender Offensive
Im eigenen Aufbauspiel hatten die Hanseaten – es rächte sich der Verkauf von Badelj, möchte man fast meinen – große Probleme. Behrami positionierte sich zwischendurch suboptimal oder wurde bei zurückhaltenderem Anbieten von den gegnerischen Stürmern verschluckt, während die restliche Offensive in der ersten Aufbauphase zu hoch agierte. Den leicht eingerückten Außen der 96er sowie deren Sechsern gelangen durch schnelle, herausrückende Bewegungen dadurch auch einige überfallartige Ballgewinne gegen den isolierten Behrami. Eine Ausnahme stellte das gelegentliche, meist etwas unpräzise halblinks stattfinde Zurückfallen von Holtby dar, das aber nicht nur von der Charakteristik kein wirklich passendes Mittel war, sondern auch und vor allem teilweise enttäuschend schlecht in die mannschaftlichen Wechselwirkungen eingebunden wurde. Neben frühen Ballverlusten bestimmten wegen dieser Probleme auch festgefahrene Eröffnungen auf die Außenverteidiger sowie viele schnelle lange Bälle das Bild.
Durch die bloße Präsenz von Holtbys zurückfallenden Bewegungen konnte der Bundesliga-Dino noch am besten über die linke Seite aufbauen. Da sie das Leder hier über den Neuzugang von Tottenham und Ostrzolek gelegentlich mal nach vorne zu tragen wussten, suchten sie diese Seite dann auch im weiteren Offensivverlauf. In der Theorie hätte Holtby mit einer achterartigen Rolle in diesem Kontext sehr gut seine Fähigkeiten bei kurzen, kleinräumigen Vorstößen – wenn schon nicht seine Qualitäten direkt im Zehnerraum – einbringen können, doch in den entscheidenden Szenen nach dem Aufrücken stand er dann teilweise auf einmal zu tief. So agierte er mehrfach diagonal leicht hinter der Ballposition – entweder passiv oder in unangenehme Aufbauaufgaben gedrängt. Durch das Herausrücken von Schmiedebach war er dort aber meist recht leicht aus dem Spiel zu nehmen, zumal dieser solche Bewegungen sehr gut timte. Einige Male versuchten Nicolai Müller oder auch mal Holtby direkt an den Linksüberladungen zu unterstützen, was im ersten Moment Optionen für Zusammenspiel generierte, doch vergaßen die Hamburger sehr häufig die Besetzung von Verbindungszonen zur Mitte. Wenn es im Ansatz mal kombinativ gefährlicher hätte werden können, zog sich Hannover mit Fokus auf die Kettenarbeit in den beiden Viererreihen sehr eng lokal zusammen und hatte die Szenen damit im Griff.
Worin und wieso Hannover besser war
Überhaupt war bei beiden Mannschaften auffällig, dass sie aus ihrer linkslastigen heraus bzw. gegen die jeweils gegnerische Anlage immer wieder einzelne extrem verengte Stellungen generierten, bei denen diverse Akteure weit herübergeschoben waren. Dementsprechend erklärten sich die anfangs dramatisch tiefen Passquoten aus solch chaotischen Szenen. Insgesamt kam Hannover durch ihre Offensivspielweise damit etwas besser zurecht, da sie optional bessere Verlagerungsmöglichkeiten – vor allem in den ballfernen Halbraum auf Bittencourts Einrücken – hatten und diese Enge auch mal kürz für die konkrete Jagd auf Abpraller mit den Angreifern als Zielspielern nutzen konnten. Dagegen fehlten dem HSV von links gerade die Möglichkeiten für halblange Raumwechsel, da es schlicht an nachstoßenden Rollen fehlte und die vorderen Akteure ballfern meist simpel in die Spitze ausgerichtet waren.
Bei Hannover war Joselu, der sich sehr gut bewegte, seine ohnehin herausragende Technik diesmal bewusst und pragmatisch einbrachte und damit immer wieder kurzkombintiv wirkte, mit seinen herum driftenden Supportbewegungen ein Schlüssel für ihre – auch entscheidende – Überlegenheit in diesem Bereich. Auch dank des Spaniers konnten sie sich immer wieder aus kleinräumigen, schwierigen Situationen lösen und anschließend dynamisch weiterspielen. Gerade im zweiten Drittel bewegten sich die direkt umliegenden Spieler dabei viel bewusster und gruppentaktisch synergiebezogener in entstehende Freiräume, um diese direkt ausnutzen zu können. In diesem Kontext waren die aufrückenden, dem HSV eben fehlenden Bewegungen der Sechser noch einmal viel wert.
Überhaupt unterstützen Andreasen und vor allem Schmiedebach nicht nur die Tiefe, sondern halfen auch stärker seitlich orientiert bei den Flügelüberladungen mit. Letzterer sorgte auf rechts einige Male für Überzahlen, so dass hier über Bittencourt und den helfenden Joselu nette Spielzüge und Kurzpassstafetten entstanden, die zumindest Raum und Dynamiken für den weiteren Angriffsverlauf öffneten, also neue Optionen schufen. Wenn der defensiv durchwachsene Holtby mal etwas aufgerückt oder aus der Position gezogen war, spielten die Hannoveraner diese Lücken strategisch klug an. Für die Stabilität des Ergebnisses war dies auch mitentscheidend: Im weiteren Spielverlauf bekamen die scheinbar sicherer stehenden Hamburger hier allerdings schwächer Zugriff, weil Rudnevs als zweiter Stürmer im Gegensatz zu Nicolai Müller nicht so weite Wege nach hinten für unterstützendes Rückwärtspressing machte.
Fazit
Insgesamt enttäuschten die neu zusammengestellten Hamburger vor allem in der Offensive, die diverse Probleme aufwarf. Bis auf kleinere Ansätze in den Linksüberladungen entfaltete die eigentlich von viel Potential geprägte Aufstellung kaum etwas davon und spielte einen deutlich schwächeren Fußball, als in manchen Phasen der letzten Rückrunde unter Slomka oder auch noch gegen Köln, wo es durchaus gute Ansätze gegeben hatte. Der Versuch, im zweiten Durchgang mit Lasogga als halblinkem Zielspieler und leicht zurückfallendem Stieber in die Partie zurückzukommen scheiterte ebenso. Dass die Hamburger nach dem dritten Spieltag noch ohne Treffer dastehen, ist aus dieser Perspektive ebenso berechtigt wie eine Art Krisenstimmung. Das Potential der Einzelspieler und die vereinzelten guten Ansätze früherer Spiele unter Slomka geben dennoch etwas Hoffnung.
Hannover sicherte sich durch den zweiten Heimsieg einen starken Saisonstart, der insgesamt vor allem Solidität und Stabilität ausstrahlte. Gegen den Ball agiert das Team ordentlich und zeigte diesmal in einigen Punkten eine weitere Positiventwicklung in der kollektiven Ausführung. Die schon in der Vorsaison immer wieder interessanten wie vielversprechenden spielerischen Ansätze des Teams von Tayfun Korkut, denen aber mehrfach die letzte durchschlagende Richtung fehlte, wurden in diesem Match in eine neue Form gegossen. Das Ausspielen der Aktionen im letzten Drittel war meist simpel, erhielt durch die Stürmer und die noch einmal erhöhten Offensivbeteiligungen der Sechser aber mehr Nachdruck, was einen interessanten Kompromiss darstellte. In den etwas tieferen Übergangszonen gab es die ansehnlicheren Szenen zu sehen, die vor allem durch intelligente Unterstützung der herausragenden Schmiedebach und Joselu ihre spielerische Qualität erfuhren.
8 Kommentare Alle anzeigen
YeTi 16. September 2014 um 17:36
https://spielverlagerung.de/2014/02/17/konzept-fur-den-hamburger-sv/
Hier geht’s zur Konzeptidee für den HSV. Ansonsten mal wieder ein Klasse Artikel. Weiter so SV.
lady-Hellsing 16. September 2014 um 16:22
Ich weiß nicht genau wohin damit hoffe hier aber einigermaßen richtig zu sein. Wenn man auf der Startseite auf das HSV Konzept klickt, kommt man zu einem Artikel des VfL Bochum.
Da scheint ein falscher Link gesetzt zu sein.
Willibert 15. September 2014 um 15:11
Eins. zwei, drei war hat den Tuchel ? Wenn der HSV Slomka noch 2 Spiele Gnadenfrist gibt, ist Tuchel vielleicht schon in Schalke. Aber möchte sich Tuchel diesen HSV wirklich antun ?
mk 15. September 2014 um 13:17
Schickes Spiel, sehr schicke Analyse. Es wird bei 96 immer runder und auch bei leichten Anpassungen stabiler. Irgendwann kommen auch noch Stindl und Prib zurück, da ist dann nochmal mehr möglich, vielleicht auch im letzten Drittel. Willst du nochmal ein kleines Sonderlob zu Karaman loswerden? Wäre finde ich angebracht ;).
fluxkompensator 15. September 2014 um 11:13
warum nicht zurück zum (seit thorsten fink) einzig funktionierenden system? der raute?
Selannes Mutter 15. September 2014 um 00:15
„es rächte sich der Verkauf von Badelj“
Einer der größten Fehleinkäufe der Vereinsgeschichte hat mit Sicherheit am Wenigsten mit dem taktik- und systemlosen Gekicke eines Herrn S. zu tun.
Will spielstarke Jungs haben die was mit dem Ball anfangen können, die schnell sind und kreativ – lässt dann aber nur kick n rush spielen. Unfassbar.
HansPeter 15. September 2014 um 14:32
Wie passt es denn zusammen „spielstarke Jungs“ haben zu wollen, aber Badelj zu verkaufen. Ist doch der einzig wirklich kreative im zentralem Mittelfeld gewesen :/
CV 14. September 2014 um 22:19
Zu überzeugen anstatt von zu überzogen, dann passt das. Allgemein scheint mir der HSV ein fundamentales Problem in der Kaderzusammenstellung im Bereich DM/ZM/OM zu haben. Der Badelj-Verkauf wurde ja bereits angesprochen, ich vermute, dass das Thema bis zur Winterpause noch häufiger auf der Tagesordnung stehen wird. Holtby als Zehner würde die offensiven Synergien deutlichst befeuern, so fehlt im vorderen Zentrum die Kreativität, im mittleren Zentrum die Stabilität und generell die Verbindung zwischen Mittelfeld und Sturm mit den recht linear agierenden Außen und den von ihren Charakteristika nicht zum Zurückfallen prädestinierten Stürmern. Womöglich wird eine Rückkehr van der Vaarts im Aufbau und in Angriffen über das Zentrum helfen, allerdings kann man an den Heatmaps des Holländers ja durchaus mit der Zunge festfrieren…