Belgien – Russland 1:0

In einer allerhöchstens mittelmäßigen Partie im Estádio do Maracanã reichten den Belgiern eine Umschaltaktion und ein Hazard-Dribbling gegen eine ebenso durchwachsen auftretende Mannschaft aus Russland.

Grundausrichtung

Trainer Marc Wilmots nahm bei den Roten Teufeln kleinere personelle Veränderungen vor. Er brachte die beiden Joker der Partie gegen Algerien. Marouane Fellaini ersetzte Mousa Dembélé, Dries Mertens kam für Nacer Chadli in die Startaufstellung. Zudem ersetzte Thomas Vermaelen zunächst Jan Vertonghen als Linksverteidiger. Nach 30 Minuten musste aber der Arsenal-Spieler das Feld verletzungsbedingt wieder verlassen.

Grundformation

Grundformation

Die Änderungen im Mittelfeld hatten auch strategische Gründe. Wilmots wollte mehr Stabilität im Zentrum erzeugen. Kevin De Bruyne rückte in die Mitte, gab aber nicht den klassischen Zehner, sondern bildete mit Fellaini vielmehr eine Doppelacht mit Axel Witsel als Solosechser dahinter. Dieser Dreierblock sollte aber auf der anderen Seite das lahmende Offensivspiel der Belgier nicht unbedingt verbessern. Eine Schwäche, die sich durch die komplette Partie zog.

Bei Russland gab es auch im Vergleich zum ersten Gruppenspiel personelle Veränderungen. Aleksei Kozlov ersetzte Andrey Yeshchenko hinten rechts. Maksim Kanunnikov nahm die linke Offensivposition im Mittelfeld ein. Fabio Capello vertraute weiter auf eine 4-1-4-1-Grundformation. Der talentierte Oleg Shatov gab dabei den offensiveren Achterpart und stieß häufiger über zentrale Zonen vor.

Belgiens Herangehensweise

Die Westeuropäer traten in einer für sie typischen Hybridformation aus 4-2-3-1 und 4-3-3 auf, wobei durch die vielen Vorstöße Fellainis zumindest bei eigenem Ballbesitz eine klarere 1-2-Stellung im zentralen Mittelfeld entstand. Die Hereinnahme von Mertens erwies sich als kluger Schachzug von Wilmots, geht man nur vom Standpunkt der Effektivität aus. Denn wirklich eingebunden war er genauso wie Pendant Eden Hazard eher nicht. Einziger Vorteil für Mertens waren die Bewegungen von Romelu Lukaku, der verstärkt nach rechts abkippte. Zuletzt spielte das 21-jährige Toptalent bei Everton als Rechtsaußen. Zudem konzentrierten sich die Russen stärker auf Hazard. Mertens konnte sogleich den russischen Linksverteidiger Dmitri Kombarov in Eins-gegen-Eins-Situationen verwickeln. Gerne legt sich der 1,69 Meter große Flügelspieler den Ball etwas vor, lockt damit einen Verteidiger heraus, nur um im letzten Moment noch mit Ball vorbeizugehen. Der agile Dribbler von Napoli zog dann meist direkt in Richtung Grundlinie und brachte Flanken herein. Ohne Ertrag.

Der Spielaufbau Belgiens war sehr „dezent“ vorgetragen. Beide Innenverteidiger beschränkten sich entweder auf Pässe zu Axel Witsel, auf Zuspiele zu den Außenverteidigern oder, ganz selten, beschleunigten sie mit einem steileren Vertikalpass auf einen Achter, der wiederum auf Witsel ablegen konnte. Der Sechser von Zenit war im Spielaufbau der Dreh- und Angelpunkt. Allerdings konnte sich Russland auf ihn auch ein Stück weit einstellen.

Gegen den Spielaufbau der Sbornaja stand Belgien zumeist in einem 4-2-3-1. Dabei war allerdings Fellaini zentral vor De Bruyne und Witsel. In aller Regel deckte dabei der ManUnited-Akteur Denis Glushakov ab. Driftete der russische Sechser nach links, was er mit zunehmender Spielzeit vermehrt tat, rückte De Bruyne auf und verfolgte häufig den abkippenden Shatov. Insgesamt war Belgien sehr mannorientiert eingestellt und verfolgte diese Ausrichtung auch bei Seitenwechseln, wodurch die Russen wenig Raum hatten und sich mit Kombinationen oder raumschaffenden Dribblings hätten befreien müssen, was ihnen aber sichtlich schwer fiel.

Russlands Herangehensweise

Die Sbornaja veränderte ihrerseits den taktischen Ansatz im Vergleich zum Remis gegen Südkorea. Gegen die Asiaten standen sie noch viel tiefer im 4-1-4-1, teilweise sogar im 4-4-1-1. Gegen Belgien legte Capello den Fokus stärker auf die beiden Achter. Shatov sowie Viktor Fayzulin schoben weiter vor und pressten auch stärker. Zugleich wurden sie durch die mangelnde Präsenz Belgiens im Sechserraum eingeladen. Es entstanden aber nur ungefährliche Fernschüsse. Andererseits waren sie bis zu diesen eher unklugen Abschlüssen sehr sauber im Passspiel auf dem Weg ins letzte Drittel und dann selbst noch am Strafraum Belgiens.

In Gänze fehlte es Russland aber an Intensität im Mittelfeldpressing. Den Raum hinter Shatov und Fayzulin musste dann Glushakov meistens allein abdecken, wodurch Belgien auch die Vertikalvorstöße der eigenen Achter einsetzen konnte, wenngleich Fellainis Vorrücken nicht immer strategisch ausgereift wirkte. Allerdings konnte De Bruyne gerade in der ersten Halbzeit einige Dribblings ansetzen und mit Tempo in höhere Räume gelangen.

Die Russen waren im fortgeschrittenen Spielverlauf vor allem über die Flügel gefährlich – um es genau zu beschreiben – vor allem über den linken Flügel. Dort stieß Maksim Kanunnikov vor, der vom Spielertyp her auch eher ein Stürmer ist. Attackiert wurde er in manchen Situationen nur unzureichend. Im Allgemeinen verteidigte Belgien mit der Viererkette recht passiv.

Die Linkslastigkeit der Sbornaja ergab sich auch in der Ausrichtung von Aleksandr Samedov. Der rechte Mittelfeldakteur war anscheinend vorrangig zur Dopplung von Hazard eingeteilt und stand stets nah bei Kozlov. Zudem rückte Glushakov verstärkt von seiner Sechserposition auf die linke Seite. In diesem Fall sicherte vor allem Fayzulin ab. Im Allgemeinen wirkte die Doppelacht beim Vorstoß des Sechsers nicht mehr ganz so progressiv. Dafür hatte Kanunnikov die Möglichkeit ins Zentrum zu rücken oder aber die Überladung des Flügels mit zu betreiben. In der 44. Minute hätte eine Halbfeldflanke auch beinahe für die Führung der Russen gesorgt. Allerdings köpfte Aleksandr Kokorin den Ball an Thibaut Courtois‘ Kasten vorbei.

Zweite Halbzeit: Russland verändert die Höhe – Origi schafft Präsenz

Der erste Spieldurchgang war nicht nur vom Ergebnis her ausgeglichen. Auch in puncto Ballbestz, Passgenauigkeit und Zweikämpfen lagen beide Teams ungefähr auf Augenhöhe. Belgien fehlte vor allem die Präsenz von Hazard sowie allgemein ein Muster an Kombinationen, um durch die Viererkette der Sbornaja zu kommen.

Nach dem Kabinengang war bei den Belgiern weiterhin auffällig, dass sie bei eigenem Ballbesitz schon fast zu gleichmäßig aufgeteilt waren. Es gab keine Überladungen, Verlagerungen oder auch effektivere Rhythmuswechsel – Probleme, mit denen nicht nur Wilmots‘ Team zu kämpfen hat.

Spätestens ab der 65. Minute begann Russland verstärkter auf den Führungstreffer zu zusteuern. Sie wurden druckvoller in ihren Bemühungen und regulierten dies vor allem über die Höhe der Außenverteidiger sowie die stärkere kollektive Bespielung des Zehnerraums. Belgien blieb zumeist in der semi-passiven Verteidigungshaltung und stoppte in dieser Form auch einige Angriffe des Gegners nicht.

In der 81. Minute hatte Russland beispielsweise die Chance zur Führung. Nach dem von der linken Seite in den verwaisten belgischen Sechserraum verlagert wurde, sprintete der eingewechselte Rechtsverteidiger Andrey Yeshchenko nach vorn und wurde relativ frei am Strafraum angespielt. Sein Schuss verfehlte aber das Tor. Zwei Minuten später kam Alan Dzagoev für Shatov als neuer Impulsgeber.

Doch in dieser Phase schaltete Belgien wieder einen Gang hoch. Besonders der neue Mittelstürmer Divock Origi war präsenter als Lukaku. Er brachte seine Physis im offensiven Zentrum ein, war aber auch in den Bewegungen nützlich für nach- oder einrückende Kollegen. Den geschaffenen Platz konnten die Roten Teufel zumindest ansatzweise benutzen, wenngleich sie selbst in der abschließenden Druckphase den Rhythmus nur geringfügig anpassten.

Der entscheidende Treffer nach 87 Spielminuten entstand nach einer Umschaltaktion durch De Bruyne in der eigenen Hälfte. Origi diente als Ballschlepper im Mittelfeld. Eigentlich verzögerten die Belgier schon wieder zu stark das Tempo. Aber Hazard konnte dann im letzten Drittel in Richtung Grundlinie durchbrechen. Seinen Rückpass verwandelte Origi zur Entscheidung.

Fazit

Belgien wurde vor dem Turnier gerne zum Geheimfavoriten geschrieben. Innerhalb der SV-Autorenschaft herrschte eine gewisse Skepsis. Die Westeuropäer neigen enorm dazu, das Tempo einer Partie zu verlangsamen, behäbig aufzubauen und sich vor allem auf ihre Überlegenheit in Mannorientierungen und offensiven Eins-gegen-Eins-Situationen zu beschränken.

Das kann für Russland genügen. Für größere Aufgaben bei der WM bedarf es einer entsprechenden Steigerung. Die Sbornaja steht derweil in Gruppe H mit dem Rücken zur Wand. Wenngleich Capellos Team noch die Möglichkeit zum Weiterkommen hat, offenbart sie noch viele Mängel. Spieler wie Kokorin sind stark veranlagt. Aber beispielsweise fehlte dem Angreifer ein passender Nebenmann. Aleksandr Kerzhakov wäre mit seinen Läufen eine Option, aber der Routinier bekommt relativ wenig Spielzeit. Auch Dzagoev füllt bei Capello keine größere Rolle aus. Potenzial ist vorhanden, progressiveres Vorgehen erscheint aber notwendig. Ob sich der italienische Trainer dazu durchringen kann?

Studinho 23. Juni 2014 um 17:32

Ich sehe das mit dem verlangsamten Spiel kurz vor demStrafraum gar nicht so schlimm. Ich muss zugeben es ist mir auch sehr negativ aufgefallen, ist aber mit Sicherheit auch dadurch bedingt, das sie über 90 Minuten sehr wenig Raum im Offensivspiel hatten. Hätte mir viel eher die Kreativität im Mittelfeld gewünscht. Gerade de BruYne muss sich da zwingend steigern. Das Umschaltsspiel war für mich beim Tor aber entscheidend und in jedem Fall ausreichend. Die anderen Teams sind da auch nicht viel stärker. Origi orientiert sich kurz und die Tempoverschärfung durch Hazard hat dann erst die Unordnung bei den Russen fabriziert. Ich weiß nicht, wie die Belgier das sonst Hand haben aber mit Algerien und Russland natürlich auch 2 Gegner gehabt, die in ihren Spielen sehr kompakt standen. Klar ist, die Belgier müssen sich auf jeden Fall steigern, aber das haben alle Favoriten sich vorzuschreiben, sehe da kein Team, das am oberen Limit spielt. Geheimfavorit kann man sie denke ich schon nennen, wenn das mittlerweile nicht die Chilenen sind, die ich vorher zugegebener Maßen nicht auf den Zettel hatte durch die starke Gruppe.

Glaube gerade für die deutsche Mannschaft als möglicher Achtelfinalgegner sollte den Belgiern versuchen aus den Weg zu gehen. Die schnellen Hazard und Mertens gegen Mertesacker und Boateng möchte ich nicht unbedingt sehen. Und auf beiden Seiten 4 IV fände ich auch nicht gut.
Zu Origi, der junge zeigt was für ein großes Talent er hat. Könnte für die Belgier im Turnierverlauf noch sehr wichtig werden. In der Breite gefällt mir der Kader gut. Das Potential ist auf jeden Fall gegeben, denke aber Argentinien, Chile und Brasilien haben dieses Jahr die besten Karten.

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Duke van Hudde 23. Juni 2014 um 09:33

Nun zu erst muss gesagt werden das fast keine Manschaft bei beiden Spielen überzeugt hat. Teilweise so wie Argentienen/Brasilien bei keinen der beiden SPiele.Für mich gibt es da quasi nur die Ausnahme Chile, aber das war es schon.

Klar ist aber auch das Lukaku ein Totalausfall ist bei der WM bisher. Der hat eine Zweikampfqoute die jeder Beschreibung spottet für einen Stürmer seiner Statur.

Ein Beneteke fehlt leider wirklich sehr.

Ein Mertens hat haeufiger das Problem das er nicht für 90 Minuten seine solos bringen kann und in diesne Spiel hat er sie nur vielleicht 30 Minuten gebracht.

Beide Spiele waren jetzt wirklich nicht gut aber 6 Punkte wurde eingefahren und man ist unter den letzten 16.Hier kommt ein Gruppengegner aus unserer Gruppe und sollten wir gewinnen und belgien wird auch Gruppenerste sehe ich absolut die Chance für Belgien unter die letzten 8 zu kommen.

Das ist für ein Geheimfaforit schon eine brauchbare Leistung wenn man die üblichen Verdächtigen abzieht auch wenn es einige von denen nicht mehr shcaffen können.

Kommt die Frage haben sie eine chance auf ein Halbfinale und da wird es schon sehr schwer. Den zum einen kennt niemand den möglichen Gegner in der Runde der letzten 8 und zum anderen könnte es ein Spiel sein wo Belgien nicht das spiel machen muss. Gegen Algerien mussten sie das quasi nur machen und das haben sie dann natürlich nicht richtig hinbekommen. Von Russland wurden sie in idese Rolle gedrängt, aber haben diese Rolle einfach nicht übernommen deshalb auch die 50/50 % BB.

Von daher ich sehe für Beglien eine recht gtue Chance auf die Runde der letzten 8 und selbst ein Halbfinaleinzug sehe ich noch möglich an. Für alles weitere waren sie dann doch wirklich viel zu schwach und ein Lukaku müsste sich schon um 100 % steigern.

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LM 23. Juni 2014 um 01:06

Ich war fast schon schockiert, dass Belgien auch nach der Pause zum Teil völlig ungestaffelt und zweigeteilt aufgebaut hat, da muss doch eigentlich in der Pause dran geschraubt worden sein. Häufig stand hinten die Kette + Witsel und 40m davor die anderen Feldspieler alle nahezu auf einer Linie…da haben sie den Ball dann natürlich nicht hinbekommen. Man hätte ja nicht mal auf hohe Bälle gut gestanden.

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mh 23. Juni 2014 um 00:15

An und für sich ist Belgien recht ausrechenbar. Umso erstaunlicher, dass wieder ein Konter kurz vor Schluss den Ausschlag gab. Trotzdem halte ich sie im Achtelfinale für einen gefährlichen Gegner, gerade auch wenn sie vielleicht nicht das Spiel zu machen versuchen

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Schimanski 23. Juni 2014 um 13:49

Das ist ein entscheidener Punkt. Bis jetzt waren sie Favorit und mussten das Spiel machen. Anscheinend fehlt dafür die mannschaftstaktische Klasse.
Trotzdem darf man gespannt sein, wie sie gegen einen großen Gegner den Umschaltmoment nutzen, wenn sich Räume für Konter ergeben…

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juventino 22. Juni 2014 um 23:50

Belgien galt ja vor dem Turnier als der potentielle Überflieger, bis jetzt ist davon wenig zu sehen. Dieser Optimismus war ja durchaus nicht unangebracht in Anbetracht ihres fantastischen Kaders, deswegen frage ich euch: Wie würdet ihr Belgien spielen lassen? Personell wie auch taktisch. Eigentlich kann man als Trainer mit solch einem Kader mit diesen Resultaten doch nicht zufrieden sein.

Sonst wie immer ein toller Artikel, WM mit euch ist gleich tausend mal spannender. Danke!

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