Chelsea – Atlético Madrid 1:3
Madrid erklärt sich kurzerhand zur Hauptstadt des europäischen Fußballs. Im Champions-League-Finale kommt es zum Stadtderby. Atlético setzte sich an der Stamford Bridge mit 3:1 gegen Chelsea durch, weil sie zweimal hinter die Abwehr der Blues kamen und der Bus der Londoner die Türen öffnete.
Grundausrichtung
Nach dem 0:0 im Hinspiel war klar, Chelsea musste in diesem Heimspiel gewinnen. Trotzdem war José Mourinhos Aufstellung defensiv geprägt. Branislav Ivanovic kehrte nach seiner Gelbsperre in die Mannschaft zurück. Der Serbe ging auf seine mittlerweile angestammte Rechtsverteidigerposition, während der ebenfalls defensivstarke César Azpilicueta eine Position nach vorn rückte. Er sollte damit augenscheinlich die Kreise des kombinationsstarken Filipe Luís eingrenzen und ihn in vielen Phasen mannorientiert verfolgen.
In Chelseas 4-2-3-1 war dafür der wiedergenesene Eden Hazard als offensiverer Akteur auf der linken Außenbahn, während Willian nominell die Zehnerposition einnahm, sich aber häufig in den Halbraum zurückfallen ließ und auf einer Höhe mit seinem Landsmann Ramires agierte, während der dritte Brasilianer, David Luiz, zentral vor der Abwehrreihe blieb.
Bei Atlético stellte auch Diego Simeone personell um. Für den gesperrten Kapitän Gabi rückte Tiago in die Mannschaft und bildete mit Mario Suárez die Doppelsechs. Arda Turan ging auf eine der beiden Flügelpositionen. Sein Pendant war Koke. Raúl García musste für Adrián weichen, der im Schatten von Diego Costa agieren sollte und eine erste Station für Ablagen war.
Ungewohnt offenes Spiel
Im Gegensatz zum Hinspiel schlug das Ballbesitzpendel nicht ab der ersten Minute in eine Richtung aus. Vielmehr hatten beide Mannschaften ausgeglichene Werte und waren jeweils auf Stabilität fokussiert. Die Gäste aus Spanien begannen allerdings in der fünften Minute mit einem Lattentreffer von Koke, wobei nicht klar war, ob er diesen Schuss wirklich Mark Schwarzer ins lange Eck schneiden wollte. Insgesamt waren bei Atlético viele bekannte Muster zu erkennen. Auf der linken Seiten rückte Koke häufiger in den Zehnerraum ein. Dafür wich Diego Costa auf die Außenbahn aus und konnte sogar den Ball einige Male recht unbedrängt, aber zuweilen isoliert, an der Seitenlinie annehmen.
Die Bewegungen des Angreifers waren höchstwahrscheinlich auch eine Reaktion auf die enge Verfolgung von Filipe durch Azpilicueta. Durch die Überladung des Flügels wurde das Konstrukt von Chelsea ein Stück weit konterkariert. Ivanovic rückte eigentlich etwas enger ein, weil Koke auch häufig den Weg nach innen suchte. Zog allerdings Costa oder auch Adrián heraus, musste entweder der Serbe oder David Luiz den Weg nach außen suchen und dadurch den Raum wiederum im Zentrum öffnen. So fanden einige Kombinationen der Gäste in diesen Zonen statt und es gab kleinere Durchbrüche, die aber noch keine verwertbaren Resultate einbrachten.
Gegen den Ball waren vor allem die Bewegungen der spanischen Doppelsechs äußerst interessant. Der ballferne Spieler stand ein Stück weit tiefer, um seinen Partner bei Durchbrüchen im Zentrum noch abzusichern. Wechselte Chelsea die Seite, änderten Tiago und Suárez sofort ihre vertikale Ausrichtung, wodurch dann der ballnahe Akteur sofort Dynamik in seiner Bewegung hatte und auch mit mehr Intensität in den womöglich folgenden Zweikampf gehen konnte.
Zudem war der Aktionsradius der Zentrumsakteure insgesamt hoch. Tiago, Suárez oder auch Koke konnten einige lose Bälle aufnehmen, zogen in diesen knappen Situationen manchmal Fouls oder konnten um die Mittellinie herum wieder in Ballbesitz gelangen und sofort auf die Außenbahn verlagern. Ein Sonderlob muss erneut Filipe erhalten, der eine enorme Spielintelligenz verkörperte und bei den Pressingaktionen abermals überragend war.
Nutzung der Schnittstellen
Gegen den Aufbau von Chelsea, der meist in einem 2-3-2-3 erfolgte, wobei David Luiz an sich der zentrale Sechser war, aber dann immer etwas in den Halbraum kippte, attackierte Atlético erst im Mittelfeldpressing in der eigenen Hälfte. Ramires lief oftmals diagonal in den rechten Halbraum und versuchte dadurch für Willian Zonen zu eröffnen, damit dieser als ballsichere Durchgangsstation fungieren konnte. Hazard versuchte, gerade wenn Fernando Torres auf einen Flügel zog, in den Zwischenlinienraum zu gelangen.
Genau wie im Hinspiel wurde die grundsätzliche Formation der Spanier, wobei die letzte Reihe breiter steht als das enge Mittelfeldband, teilweise genutzt und das leitenden Element mit frühen Vertikalpässen umgangen. Bei längeren Zuspielen visierte man den Raum zwischen Außen- und Innenverteidiger an, in den häufiger Torres eindrang. Der Angreifer sollte, wenn er sich zwischen Miranda und Juanfran befand, dann das Spielgerät behaupten und den diagonal einlaufenden Hazard bedienen. Der Belgier wollte mit einem engen Dribbling den Durchbruch ermöglichen. Stand Atlético tiefer in der eigenen Hälfte versuchte daher Suárez den quirligen Hazard zu verfolgen und in seinen Aktionen einzuschränken.
Schlussendlich ging Chelsea auch durch die Nutzung einer Schnittstelle in Atléticos aufgefächerter Abwehrreihe in Führung. Azpilicueta stand breit an der rechten Seite, während Willian von links diagonal nach rechts zog und von Ivanovic angespielt wurde. Der Brasilianer nahm die Dynamik der Bewegung mit und ging mit Ball Richtung Eckfahne. Er befand sich mit Rücken zum Spielfeld und war eigentlich von Godín und Filipe abgedeckt. Allerdings konnte sich Willian durch eine schnelle Drehung durch die kleine Lücke hindurch pressen. Währenddessen vorderlief Azpilicueta bereits und brachte das Spielgerät von der Grundlinie zu Torres im Rückraum, der einnetzte.
Tiago – Juanfran – Ablage
Nach diesem Treffer war es Zeit für José Mourinho den Bus aus der Garage zu holen. Chelsea staffelte sich nun tiefer in einem 4-5-1. Doch im Gegensatz zum Hinspiel wurde Atlético nicht zu flach in den eigenen Offensivbemühungen, um dann nicht mehr hinter die Abwehrreihe der Londoner zu gelangen. Vielmehr lieferten sie ein Musterbeispiel für ein Tor gegen Chelseas tiefestehende Defensive, wenngleich sie durch einen Verfolgungsfehler begünstig wurden.
44. Minute: Tiago drang in den linken offensiven Halbraum vor. Der Portugiese wurde nicht angegriffen, konnte das Feld scannen und Juanfran startete von der tieferen Position auf der rechten Seite bis zur Grundlinie durch. Hazard hatte ihn im Blick, verpasste allerdings den Moment des Startens, um noch ins Duell zu kommen. Juanfran legte knapp vor dem Toraus zurück. Im Fünfmeterraum schafften es drei Engländer nicht, den Ball zu klären. Ashley Cole zog sogar noch zurück, um kein Eigentor zu verursachen. Adrián brachte das Spielgerät mit einem Aufsetzer in Schwarzers Gehäuse unter.
Und so ging es in einer ausgeglichenen Partie (54 zu 46 Prozent Ballbesitz, 5 zu 4 Torschüsse) mit einem ausgeglichenen Ergebnis in die Halbzeit. Doch das oft beschworene Momentum war anscheinend bei den Gästen. Denn nach dem Kabinengang kamen die Madrilenen recht forsch auf das Feld. Koke war nun konstanter auf der rechten Seite, während auch Diego Costa und Adrián die jeweils zu bespielenden Ausweichräume tauschten. So konnten dann kurz nach der Pause Koke und Costa rechts überladen. Die Hereingabe landete bei Arda, der sich aus spitzem Winkel eine freie Schussposition erarbeitete und an Schwarzer scheiterte.
Chelsea brauchte aber seinerseits das Tor zum Finaleinzug. Deshalb wechselte Mourinho auch kurzerhand Samuel Eto’o für Ashley Cole ein. Chelseas Formation wurde in ein 4-4-2 umgestaltet. Azpilicueta übernahm die Position des Linksverteidigers, Willian rückte auf die rechte Seite heraus. Doch der eingewechselte Eto’o brachte nicht die Wende zugunsten der Londoner, sondern zuungunsten der Mannschaft von Mourinho. Nach einer Bogenlampe in den Chelsea-Strafraum, die an der Grenze des Sechzehners herunter kam, wollte Eto’o den Ball herausspitzeln. Allerdings kreuzte Diego Costa den Weg und wurde vom Kameruner berührt. Nachdem dann der Ball gefühlt eine halbe Ewigkeit lang immer wieder vom Elfmeterpunkt herunterrollte, konnte irgendwann der Gefoulte schießen und treffen.
In der Folge ging Atlético selbst in den tiefen 4-5-1-Modus über. Adrián, der wenig später von Raúl García ersetzt wurde, positionierte sich rechts, während Koke als halbrechter Achter agierte. Mourinho nahm seinerseits Konterstürmer Torres vom Feld und brachte Zielspieler Demba Ba. In dieser Phase setzte David Luiz nach einem Freistoß von Willian den Ball an den Pfosten.
Doch bevor noch etwaige Zweifel aufkamen, machten die Madrilenen den Deckel drauf. Und es war vom Muster her dem 1:1 äußerst ähnlich. Dieses Mal spielte Tiago in einer offeneren Situation aus dem linken Halbraum auf den durchstartenden Juanfran, wobei Hazard wieder nur hinterherschauen konnte. Juanfran brachte den Ball auf die andere Seite, als Arda Turan einlief und erst den Kopfball an den Pfosten setze. Den Abpraller verwandelte der Türke selbst zum 1:3. Die Partie war entschieden.
Fazit
Als Chelsea in der zweiten Halbzeit die Räume öffnen musste, wurde Atlético immer druckvoller und gefährlicher. Beide Mannschaften befanden sich längere Zeit in der Abtastphase, was auch am mittellinienorientierten Pressing der Teams zu erkennen war. Viele Ballkämpfe spielten sich auf mittlerer Höhe ab. Die Londoner mussten selbst offener agieren und gingen mit mehr Spielern in die Umschaltmomente. Bis zum Führungstreffer war Mourinhos Mannschaft auch insgesamt partiell gefährlicher. Gerade Torres war von den Bewegungsmustern und der Ballverarbeitung her ein ständiger Unruheherd.
Nach dem Führungstor beschränkten sich die Blues wieder mehr auf das Busparken, während Atlético dem Anschein nach ein gutes Mittel gegen diese tiefe 4-5-1-Formation ausgemacht hatte: Langer Diagonalball und Ablage. Das klappte in der zweiten Halbzeit aus offenerer Stellung sogar noch einmal.
Damit stehen die Rojiblancos im Finale der diesjährigen Champions League und treffen auf den Stadtrivalen von Real Madrid.
18 Kommentare Alle anzeigen
osch@d 9. Mai 2014 um 15:12
Vielen Dank für die Analyse. Ich möchte nach der Debatte um das Spiel zum Schluss aber mit nochmal daran erinnern, was letztes Jahr durch die Medien ging: hat der spanische Fußball noch eine Zukunft und wie lange wohl die „Weltherrschaft“ des deutschen Fußballs ginge.
Gute Fußballer (Spieler, Trainerstäbe, Talentsucher, …) verlernen das Spiel halt nicht von einem Jahr auf das andere.
LM 1. Mai 2014 um 19:04
Vielen Dank für die Analyse und super, dass ein wenig der Spielverlauf dargestellt wird, hab das Spiel nämlich leider nicht sehen können. Das wird aus taktischer Sicht bestimmt ein spannendes Finale, hoffentlich bleibt‘s einigermaßen fair :-/
BD 1. Mai 2014 um 16:04
Hab Atleticos System eher als ein 4231 wahrgenommen. Der angesprochene Punkt von RM dürfte mich dabei beeinflusst haben. Adrian, Arda und Koke haben nämlich oft die Positionen getauscht.
Majo 1. Mai 2014 um 13:39
Bei Chelsea war auffallend, wie sie jeden Ball immer noch einmal aufkommen oder zu einem Mitspieler durch liessen, um ihn ganz sicher mit dem ersten Touch kontrollieren zu können. Und genau in diese Lücke ist Atletico reingelaufen. So konnten sie das Timing der Londoner brechen und das wars.
Guarinho 1. Mai 2014 um 12:44
Insgesamt eine sehr gute Analyse!!
Also mMn wäre jetzt eine in-depth Mannschaftsanalyse (…oder so) zu Atletico Madrid angebracht 😉
Ach ja und wann kommt eigentlich die nächste Ballnah-Ausgabe raus?
CE 1. Mai 2014 um 12:48
RM hat da meines Wissens schon etwas in Planung. 😉
RM 1. Mai 2014 um 13:09
Ist geplant von mir, habe schon paar Punkte, ist aber schwierig aufzuziehen bei denen. Aber ich denke, das schaffe ich die nächsten Wochen.
Ballnah… tja, schreibt mal [email protected] ein paar böse Mails, damit er sich anstrengt. Wir wollen das in den nächsten 1-2 Wochen rausbringen.
Guarinho 1. Mai 2014 um 13:18
Ok klasse, dann kann ich mich ja schon mal drauf freuen 🙂
Ostkreuzkicker 1. Mai 2014 um 16:03
Ja, von MR liest man in letzter Zeit gar nix mehr. Was’n da los?
Neue Hobbys?
mikedemm 1. Mai 2014 um 12:33
noch genauer,
chelsea hatte nicht erkannt, dass athletico permanent die linkeseite überladen hat
in der 2.halbzeit spielen die madrilenen kurz auf höhe der mittellinie die weiße linie an, um dann nochmals kurz den kreuzenden stürmer auf der weiße linie (außenbahn) anzuspielen, dann erfolgte der rückpass, diagonalball spielverlagerung ablage einlaufen tor. diesen spielzug haben sie mehrere male durchgespielt und mourinho hätte darauf reagieren müssen. ein 2. mal darf ein tor nach dem gleichen muster nicht fallen. auffallend in der 2.halbzeit die schnelligkeit spritzigkeit der spanier die einfach besser in form waren. ein verdienter sieg und gut für den fußball.
RM 1. Mai 2014 um 12:18
Arda Turan kam auf 3 Fouls (2 in der Anfangsphase), Koke foulte 2mal. Ob sie dann die Seiten tauschten, damit sie Hazard (9mal gefoult!) sorgenfrei beackern konnten?
king_cesc 1. Mai 2014 um 13:22
Es war schon auffällig, dass Hazard sofort gefoult wurde, sobald er eine AKtion starten wollte.
Meiner Meinung nach war da ein Grund für den Seitenwechsel. Zudem ist Koke ingesamt brauchbarer um Hazard zu verteidigen?
hh93 1. Mai 2014 um 11:23
„Doch der eingewechselte Eto’o brachte nicht die Wende zugunsten der Londoner, sondern zuungunsten der Mannschaft von Mourinho.“
3. Absatz vorm Fazit müsste wohl nochmal geändert werden.
CE 1. Mai 2014 um 11:49
Nö. Passt.
hh93 1. Mai 2014 um 12:07
War noch nicht ganz wach ^^
Hatte das „..un..“ überlesen 😛
Gute Analyse so oder so!
Izi 1. Mai 2014 um 11:54
🙂 Das wollte ich auch gerade schreiben…
Insgesamt eine tolle und treffende Analyse!!!
Atlético hat Chelseas Schwächen gnadenlos ausgenutzt und die notwendige Öffnung der gegnerischen Formation geknackt. Jetzt bin ich auf das Finale gespannt! Bisher hat Real in dieser Saison in den Spielen gegen Atlético die Oberhand gehabt…
TW 1. Mai 2014 um 13:24
Naja, das gilt eigentlich nur für die Copa. In der Liga hat Atlético den direkten Vergleich durch einen Sieg im Hinspiel und ein Unentschieden im Rückspiel gewonnen. Hier noch eine Kurzkommentaranalyse von damals: https://spielverlagerung.de/2014/03/02/borussia-dortmund-1-fc-nurnberg-30-2/#comment-46162
BG 1. Mai 2014 um 13:38
Aber nur im Pokal! In der Liga liegt Atletico ja dank des direkten Vergleiches quasi 3,5 Punkte vor Real!