Kurz ausgeführt: Die Systematik von Lyons Aufschwung
Mit 5 Siegen und 11 ungeschlagenen Partien in Folge hat sich das nicht mehr dermaßen stark besetzte Olympique Lyon nach durchwachsenem Start zuletzt wieder an die vorderen Ränge heran geschoben. Dabei beeindruckt die Mannschaft unter Trainer Rémi Garde mit einer schiefen Rautenformation und einem sehr konsequenten Ballbesitzspiel.
Ballbesitz mit Mechanismen auf links
In der grundsätzlich funktional und sehr konzentriert angelegten Interpretation dieser Ballbesitzspielweise überzeugen in den tieferen Bereichen vor allem die klaren Muster, prägnanten Abläufe und die Intention der Konsequenz beim Ausspielen. Neben dem sehr spielintelligenten Maxime Gonalons spielt der von RM bereits mehrfach und gerne gelobte Clément Grenier nicht nur für die Ballbesitzstrukturen, sondern auch generell im System der Lyonnais eine zentrale Rolle. Als auf links vorgeschobener Halbspieler, der in die offensive Dreierreihe des schiefen 4-2-3-1-Schemas tendiert, agiert er genau im dortigen Ballungsraum des Teams, wobei er interessanterweise aber nur recht selten in die entscheidenden Aktionen eingebunden wird, sondern eher passiv bleibt und sich vor allem als eine Art Balancespieler sehr bedacht sowie mit feinen Aktionen an die Kollegen anpasst.
Der deutlich dominantere Akteur auf diesem linken Flügel, den das von Maxime Gonalons sehr gut strukturierte und rhythmisierte geprägte Ballbesitzspiel häufig suchte, war in den letzten Begegnungen nämlich Außenverteidiger Henri Bedimo, der immer wieder mit seinen Vorstößen zunächst sehr hochschob, in jenen vorderen Zonen verlagernde Zuspiele erhielt und dann sehr intelligent und balanciert diagonal in Richtung der Halbräume dribbelte. In diesen Situationen kam anschließend das ehemalige Supertalent Yoan Gourcuff in diesen Bereich herüber, diente dabei aber nicht nur als Partner, der sich in seiner Art als Spielmacher dominant in die Kombinationen einband, sondern unterstützte auch auf anderem Wege – durch Ausweichen oder gar situatives Hinterlaufen. Hinsichtlich des ersteren Punktes ergänzt er sich dabei sehr gut mit Mittelstürmer Bafetimbi Gomis, der – in einer etwas höheren Ebene – gerne wegzieht, auf diesem Wege ebenfalls Raum für Bedimo öffnet und sich in diesen Bewegungsmustern sehr angepasst und balanciert mit Gourcuffs Aktionen synchronisiert.
Die Rollen von Fofana und Lacazette
Auf der nominell anderen Seite bleibt Miguel Lopes deutlich tiefer als Bedimo, erfüllt grundlegende Aufgaben für die Zirkulationswege und Aufbaumechanismen, sichert ansonsten aber etwas ab und zeigt balancierende Ansätze. Auch der vor ihm postierte Halbspieler Fofana geht grundsätzlich in diese Richtung, bringt sich häufig mit seiner vielseitigen Arbeitsrate für das Team ein und bleibt abgesehen von einigen abgeschwächt antreibenden Kurzaktionen gerne etwas passiver in seinen ballnahen Bereichen. So rückt er im Gegensatz zu weiten Teilen des Lyon-Kollektivs nicht mit auf die linke Seite herüber, wenn beispielsweise eine Verlagerung dorthin geht. In diesen Szenen hält er seinen Halbraum, um dadurch aber vereinzelt überraschende Aktionen starten zu können. So erwartet er das Leder in seiner Grundzone – für die sondern die kurzzeitige individualtaktische Nutzung von einzelnen Lücken in den Halbräumen, die er mit teils anspruchsvollen Dribblings offen legt, was dann nicht mehr einem balancierenden Stil entspricht. Der ballferne Balanceakteur bekommt also gerade durch diese Eigenschaft situative Chancen für Einzelaktionen, mit denen er seine eigene Arbeit ebenso veredeln kann wie jene der Kollegen.
Auch die derzeitige Rolle von Alexandre Lacazette ist in diesem Kontext interessant. Als nominell – insbesondere in der Arbeit gegen den Ball – auf halblinks agierender Stürmer nimmt er offensiv zu Beginn der Angriffe gerne etwas rechtsseitige Positionen der schiefen 4-3-1-2/4-2-3-1-Ausrichtung ein, um mit seiner Mischung aus durchschlagskräftigem und technisch starkem Stil anschließend von dort situativ hineinstartend und raumnutzend zu wirken – ob durch die vergleichsweise seltenen Sprints in die direkten Schnittstellen, horizontale Rochaden im Umkreis der letzten Linie oder die vorherrschenden Läufe auf die andere Seite in den linken Halbraum. Hier unterstützt er die dortigen Angriffe zusätzlich und nimmt sich dabei gerne des entstehenden Chaos an, wenn Grenier, Gourcuff und Gomis in ihren verschiedenen Anordnungen und Funktionen situativ um den bestimmenden Bedimo mit dessen Diagonalität kreisen. Bei seinem Treffer, den Lacazette, kürzlich gegen Stade Reims erzielte, bildete sich der Charakter seiner Spielweise in diesen Situationen ebenso ab wie die beeindruckende Effektivität, die er in diesem Fällen zu erzeugen vermag – und in diesen Punkten hat er sich im Vergleich zum Vorjahr gesteigert.
Defensivspiel
Dass die Lyonnais aus ihrer grundsätzlichen Rautenformation gegen den Ball in eine 3-5-2-artige Struktur mit Fofana und Bedimo als Flügelverteidigern übergehen, kommt zwar gelegentlich vor, ist normalerweise aber eher die Seltenheit als die Regel. Dennoch entstehen diese Eindrücke situativ immer wieder durch die ballnah sehr weit herausrückenden Außenverteidiger, die durch gute Abstimmung mit den Mittelfeldakteuren – Sechser und Achter – den Raum hinter sich kaum bespielbar lassen und gleichzeitig den seitlichen Bereich für den Gegner zusätzlich enorm verengen können. Gerade die nicht optimale Absicherung solcher Herausrückbewegungen hatte in der Vergangenheit immer mal wieder für kleinere Lücken und Gegentore gesorgt, was nun verbessert erscheint. Durch die Doppelspitze aus Gomis und Lacazette ist es recht effektiv möglich, den gegnerischen Aufbau in diese Zonen zu provozieren und dann die Stärken im Verschieben der Raute effektiv zu nutzen.
Eine Asymmetrie entsteht beim herausrückenden Außenverteidiger meist dadurch, dass Lacazette sich als ballferner Stürmer recht weit nach außen absetzt und in „hängender Positionierung“ zu einfache Verlagerungen auf die andere Seite, damit also eine Aushebelung des 4-3-1-2 verhindern soll. In diese entstehende diagonale Linie ordnen sich die beiden Halbspieler und der Zehner gelegentlich ein oder formieren mit Gomis eine weitere Diagonale in Form von situativ verschiedenen Dreierreihen, was beispielsweise die Kontrolle der Abstände vereinfacht, die Besetzung der Räume ausgewogener gestaltet und im Zuge einer defensiven Dreiecksbildung für Stabilität sorgt.
Generalität der Linkslastigkeit und Ausblick
Gelegentlich gibt es auch (wie das gesamte System noch die eine oder andere hier nicht besprochene Facette bieten kann) Situationen, Phasen und Strukturmuster, bei denen Bedimo viel höher geschoben agiert, Grenier dahinter präsenter herauskippend aufbaut und Gomis für diese Linksüberladungen als etwas abgesetzter Ablagespieler auftritt, der auch den ballfernen gegnerischen Außenverteidiger isolieren soll. Ein wichtiger und gleichbleibender Aspekt in den Offensivaktionen der Mannschaft ist allerdings die Schlüsselrolle Bedimos für das Angriffsspiel, der unabhängig von den genauen Varianten und Mustern fast durchweg eine enorm dominante Rolle einnimmt und damit generell die Linkslastigkeit der OL-Offensivanlage entscheidend prägt. Auf diesen Fokus wurde mit strategischem Geschick auch die Passrichtung von langen Bällen von Keeper Anthony Lopes gelenkt, der sich tendenziell bereits etwas linksseitig anbietet und seine weiteren Zuspiele dann fast immer zuverlässig in jene Gebiete hineinschlägt.
Alles in allem scheint Olympique Lyonnais das neue System gut zu Gesicht zu stehen. In der Defensive werden die Verschiebungen der einzelnen Akteure in und durch die Rautenformation gut zum Einsatz gebracht. Währenddessen können die eigens erdachten Offensivstrukturen einerseits durch ein systematisiertes, konsequentes und funktionales Ballbesitzspiel bedient werden, sind andererseits im Detail des letzten Drittels durch Bedimos situative Wirrheit und die gleichzeitig sowohl definierten als auch wechselhaften Bewegungen der umliegenden Akteure variabel genug und gut auf die Charakteristika der jeweiligen Einzelspieler angepasst. Mit Leuten wie beispielsweise Steed Malbranque und den vielen nachrückenden Akteuren aus dem Nachwuchs stehen außerdem weitere passende Kandidaten für derartige Halbpositionen und Mischrollen in den Startlöchern, was dem System weitere Legitimation, Veränderungsmöglichkeiten und Entwicklungspotential für die Zukunft verschafft.
2 Kommentare Alle anzeigen
MR 25. Januar 2014 um 10:51
Ganz schön Mommpe 2012 ist das doch.
king_cesc 24. Januar 2014 um 18:04
Ist Umtiti eigentlich ein fähiger Halbverteidiger? Da hätte Frankreich ja dann noch einen Grund um auf ein 3-3-3-1 umzustellen…