Confed-Cup-Vorschau: Tahiti

Von Sommerpause keine Spur: Ein Jahr vor der Weltmeisterschaft in Brasilien findet der obligatorische Confederations-Cup statt. Als Einstimmung auf die WM-Generalprobe stellen wir die grundlegenden Konzepte der Teams und taktische Varianten vor.

Es ist die wohl schönste Geschichte dieses Confed-Cups, dass sich ein Team wie Tahiti für den Wettbewerb qualifiziert hat. Die Mannschaft der politisch zu Französisch-Polynesien gehörenden Insel konnte sich bei der Ozeanienmeisterschaft im vergangenen Jahr erfolgreich durchsetzen und wurde mit einem 1:0-Finalsieg gegen Neukaledonien zum ersten Team, das die Dominanz von Australien (nicht mehr in der Konföderation vertreten) und Neuseeland brechen konnte. Besonders die drei Tehau-Brüder begeisterten: Jonathan sowie die Zwillinge Lorenzo und Alvin waren für 13 der 20 Treffer des Teams verantwortlich. Der Kriegstanz „Haka“ zur Einschüchterung der Gegner vor dem Spiel wirkte eher sympathisch.

Ein besonderes Team ohne Profispieler

Vorweg muss gesagt sein: Allzu viel darf man von Tahiti in Brasilien nicht erwarten, dafür sind die Gegner zu stark und das eigene Niveau – gerade im Defensivbereich – wohl zu niedrig, auch wenn Trainer Eddy Etaeta sich im ersten Spiel gegen Nigeria durchaus Hoffnungen macht. Bei der Einschätzung der Chancen Tahitis darf man nie vergessen, dass dies eine reine Amateurmannschaft ist, die nur einen einzigen Profispieler in ihren Reihen hat.

Für alle anderen Akteure ist der Fußball ein Nebenjob, den sie nach ihrer Haupttätigkeit ausführen – Mittelfeldspieler Jonathan Tehau beliefert beispielsweise Supermärkte, der Torwart des Teams ist eigentlich Lehrer. Ein zusätzliches Gehalt für das Fußballspielen gibt es nicht, bei der anstehenden Reise nach Brasilien nur eine geringe Entschädigung für den Verdienstausfall. Als Tahiti im vergangenen Jahr auf den Salomonen-Inseln den so überraschenden OFC-Titel holte, mussten sie auf einige Spieler, die zumindest ordentliche Chancen auf die Startelf gehabt hätten, berufsbedingt verzichten.

Nach diesem grandiosen Erfolg fiel das Team in ein Leistungsloch und hat auch aktuell keine gute Form vorzuweisen. Die Hoffnungen auf eine mögliche WM-Teilnahme 2014 wurde bereits schnell zunichte gemacht – Neuseeland sicherte sich letztlich den Play-Off-Platz, nachdem Tahiti in den sechs entscheidenden Qualifikations-Spielen gegen jene Neuseeländer sowie Neukaledonien und die Salomonen fünf  Niederlagen mit 12 Gegentoren hinnehmen musste.

Verschiedene Schwierigkeiten im Defensivspiel

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Tahitis Grundformation am Beispiel des Ozeanienpokal-Finals gegen Neukaledonien vom vergangenen Sommer. Beim Confed-Cup wird Vero als Rechtsverteidiger für Tchen spielen und Innenverteidiger Ludivion muss sich einiger Konkurrenz erwehren.

Die Defensive, die beim Ozeanienpokal im Halbfinale und Endspiel mit viel Glück zwei Mal ohne Gegentreffer blieb, ist ohne Zweifel die Problemzone bei Tahiti – und das könnte gegen Teams wie Spanien, Uruguay und Nigeria böse enden. Da die 4-4-2-Grundformation (nur ganz selten werden 4-3-1-2 oder 4-3-3 gespielt) mit vier Offensivkräften häufig wie eine Art 4-2-4 interpretiert wird, ist die Abwehrkette nur von zwei Sechsern und einem der sporadisch zurückfallenden Offensivspier geschützt.

Diese fehlende Vertikalkompaktheit ist nicht nur ein Grundproblem an sich, sondern forciert auch eine weitere Schwachstelle. In Strafraumnähe agiert die tahitische Defensive häufig sowohl eng zusammengezogen als auch passiv, weshalb sie zu leicht über einfache Durchbrüche zur Grundlinie zu knacken ist. Als die Gegner dies in den letzten Spielen immer konsequenter nutzten, hagelte es eine Reihe an Gegentoren – unter anderem jeweils vier gegen Neukaledonien und im Testspiel gegen den australischen Erstligisten Sydney.

Wenn der Gegner noch nicht so weit aufgerückt ist, verhalten sich die beiden Außenverteidiger Vero und Simon häufig zu mannorientiert und agieren somit zu hoch, wodurch sie Räume auf den Flügeln öffnen. In Kombination mit den vorschnell herausrückenden und etwas fahrigen Innenverteidigern verliert die Abwehrkette schnell mal jegliche Staffelungen. In der letzten Linie tun sich dann mitunter riesige Löcher auf, die nicht immer schnell genug zugelaufen werden, da die Verteidiger sich meistens zu stark auf ihre Gegenspieler konzentrieren. Es fehlt an einer gut geschulten Raumorientierung der defensiven Akteure, die die Gefahr von gegnerischen Läufen nicht immer richtig einschätzen und sich nur selten absichernd in aufgerissen Lücken hineinfallen lassen – insbesondere bei Schnellangriffen des Gegners wird dies deutlich.

Ambitioniertes, aber unausgereiftes Aufbauspiel

Hinten anfällig zu sein, ist das eine, doch im Spiel mit dem Ball bringen sich die Defensivspieler häufig gut ein und zeigen sich in ihrer Ausrichtung durchaus ambitioniert. Gelegentlich gibt es intelligente Vorstöße von einem Innenverteidiger, worauf mit Caroine einer der beiden Sechser durch abkippende Bewegungen antworten kann, während sein Partner Bourebare die Balance im Mittelfeldzentrum und Anbindung nach vorne zu Jonathan und Lorenzo Tehau hält.

Auch bei eigenem Ballbesitz sind tendenziell die Außenverteidiger wieder ein Schwachpunkt, der dem durchaus flexiblen Aufbauspiel Tahitis schadet. Grundsätzlich müssen sie sich wegen der immer wieder auftretenden Vorstöße der Innenverteidiger recht eng postieren, was sie auch diszipliniert ausführen. Doch wenn sie einmal breiter agieren und aufrücken dürfen, fehlt es zu häufig an Balance und die Vorstöße wirken sehr willkürlich. Zu oft schieben sie so weit vor, dass Konterräume für den Gegner entstehen, aber gleichzeitig nicht weit genug, um im letzten Drittel konstant etwas beitragen zu können oder beim Umschalten sicheren Zugriff zu haben.

Alles Tehau in der Offensive

Wenn der Ball aus dem interessanten Aufbauspiel in die vorderen Bereiche kommt, heißt die Hoffnung für Tahiti natürlich Tehau: Die drei Brüder sind neben Kapitän und Innenverteidiger Vallar, der vor über 10 Jahren einmal bei Montpellier kickte, sowie Bourebare individuell die stärksten Akteure des Teams. Zusammen mit Sturmpartner Chong Hue, für den mit Teaounui Tehau auch der Cousin der drei Brüder eingesetzt werden könnte, bilden sie eine gefährliche Viereroffensive, die in ihrer recht hochgeschobenen Positionierung hauptverantwortlich für das Angriffsspiel ist. Dabei wird versucht, mit Tempo hinter die gegnerische Abwehrlinie zu kommen, einen der zurückfallenden oder einrückenden Offensivspieler vor der gegnerischen Verteidigungsreihe freizubringen oder mit ihrer breiten Formation den Flügel hinunter zu spielen.

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Die verschiedenen Angriffsvarianten der offensiven Viererabteilung grafisch festgehalten: Nach einem langen Ball aus der Tiefe mit Schnelligkeit den Raum hinter der Abwehr attackieren (I), einem zurückfallenden Spieler Raum vor der Viererkette ermöglichen, der dann mit einem Vertikalpass angespielt werden kann (II), oder linear den Flügel herunter spielen, wofür auf rechts zum Beispiel Alvin Tehau zusätzlich auf die Seite weicht (III). Zum Vergrößern klicken.

Auf der rechten Seite zeigt Lorenzo Tehau gute diagonale Laufwege, rückt situativ aber auch immer wieder weit ins Zentrum ein und agiert spielmachend. Zusammen mit Zwillingsbruder Alvin, der deutlich kampfstärker und arbeitsamer ausgerichtet ist und immer wieder für seine Mitspieler in verschiedene Räume ausweicht, erzeugt er auf rechts Rochaden mit entgegengesetzten Laufwegen. Mit Jonathan agiert der dritte Tehau im Bunde als etwas zurückgezogener Angreifer, der spielerisch wohl der beste der drei Brüder ist und im Zentrum oder im linken Halbraum auch mal nette Kombinationen startet – entweder mit dem zwischen Linksaußen und Spitze pendelnden und beim Zurückfallen bewegungsintelligenten Chong Hue, noch etwas häufiger aber mit Lorenzo. Wenn die Tahitianer aus ihrer grundlegend breiten Viererreihe stärker ein- und zusammenrücken, gibt es auch mal glanzvolle Momente (effektive Hackentricks), in denen sie ihre Gegner überladen können.

Geheimwaffe Vahirua?

Für den  Posten neben den drei Tehau-Brüdern bekommt Chong Hue nicht nur von deren Cousin Konkurrenz, sondern auch von einem neuen Akteur, der in den vergangenen Monaten zum Team gestoßen ist – Marama Vahirua, der einzige Profispieler des Teams. Aktuell ist der einstige U21-Nationalspieler Frankreichs von Nancy an den griechischen Erstligisten Panthrakikos ausgeliehen. Bis vor drei Jahren gehörte er noch zu den stärksten Offensivspielern der Ligue 1 und verbuchte in seiner besten Saison satte 18 Scorerpunkte für Lorient.

Vahirua kann als beweglicher, trickreicher, wenn auch nicht unbedingt schneller Angreifer bezeichnet werden, der ordentlich im Kombinationsspiel und intelligent sowie reaktionsschnell auf engem Raum ist, allerdings eine ziemlich inkonstante Bewegungsbalance hat – manchmal druckvoll und schnittig, manchmal ziemlich unkontrolliert. Besonders kennzeichnen ihn seine genialen oder enorm spektakulären Aktionen, die er sporadisch einfach immer wieder aus dem Nichts zeigt. Eventuell wird der allerdings in die Jahre gekommene Vahirua (33) beim Confed-Cup dann sein Debüt für Tahiti bestreiten. In der Rolle, die ansonsten Chong Hue bekleidet, sollte sich Vahirua mit seinem Profil ziemlich gut zurechtfinden können.

Fazit und Ausblick

Vielleicht kann das Team von Eddy Etaeta den einen oder anderen Gruppengegner ärgern und sich insgesamt gut verkaufen, doch die Chancen auf ein Weiterkommen sind natürlich sehr gering. Dass Tahiti von den anderen Teams abgeschossen wird, ist möglich, aber keinesfalls sicher. Ganz entscheidend wird der Verlauf ihrer drei Gruppenspiele davon abhängen, wie effektiv in den letzten drei Monaten ohne Länderspiele an der Defensive gearbeitet werden konnte – wenn diese weiterhin so löchrig agiert wie in den vergangenen Partien, könnte der Confed-Cup tatsächlich hohe Niederlagen bereithalten. Die vertikale Kompaktheit muss erheblich verbessert, die defensive Passivität aufgebrochen und die stärkere Raumorientierung der Einzelspieler gefördert werden.

In der Offensive ist Tahiti eigentlich stets für einen Treffer gut. Grundsätzlich verfügen sie auf den meisten Positionen über technisch versierte Akteure, während die ordentlichen Strukturen in der Offensive durch die eine oder andere unorthodoxe, überraschende Aktion oder etwas Ballzauber ergänzt werden können. Dazu kommen das gute Verständnis zwischen den Tehau-Brüdern und einige recht gefährliche Offensivstandards. Wofür das bei einem solchen Turnier reicht, das steht in den Sternen…

Kopite 17. Juni 2013 um 21:20

@Floyd
Gerade passiert in Österreich.
Eine quasi Amateurmannschaft darf nächste Saison Euro League Play Off spiele

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Izi 14. Juni 2013 um 21:58

Danke für die schöne Analyse! 🙂

Für Tahiti dürfte der ConfedCup so ziemlich wie Olympia sein – dabei sein ist alles! Zugegeben, ich habe mir mehrfach die Augen gerieben, als ich sah, dass sie OFC-Meister geworden sind, aber das war wohl ziemlich verdient. . . Hoffe nur, sie werden nicht vorgeführt!!!

Dennoch ist es schön, dass diese Mannschaft es zu diesem Turnier geschafft hat – als Amateurmannschaft! 🙂 (Man stelle sich die Analogie in der Champions League vor. . . 😉 )

An dieser Stelle auch ein herzliches Dank stellvertretend für die anderen großartigen Artikel zum ConfedCup!!! Das macht die Sommerpause etwas erträglicher! 😉

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Floyd 16. Juni 2013 um 14:09

Danke für die tollen Vorschauen auf dieses Turnier, das in Deutschland im Allgemeinen ja leider etwas stiefmütterlich behandelt wird!

Dennoch ist es schön, dass diese Mannschaft es zu diesem Turnier geschafft hat – als Amateurmannschaft! 🙂 (Man stelle sich die Analogie in der Champions League vor. . . 😉 )

Theoretisch ginge das in Zukunft durch den CL-Startplatz für den EL-Sieger ja sogar: Amateurmannschaft gewinnt den nationalen Pokal -> EL-Startplatz -> EL-Sieg -> CL-Startplatz -> …
Wie gesagt, theoretisch… 😉

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Paul 14. Juni 2013 um 13:47

Also von den Tehau-Brüdern hab ich auch schon was gehört. Habe mich nur das erste Mal gewundert, als im Spielbericht 3-mal der Name Tehau als Torschütze vorkam. Ich hoffe, sie gehen nicht ganz unter

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Billy 14. Juni 2013 um 08:27

Mal eine ganz dumme Frage: Woher nimmst du deine Informationen, bzw. wo hast du die Spiele von Tahiti gesehen?

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RM 14. Juni 2013 um 11:05

Heutzutage kann man so gut wie jedes professionelle Fußballspiel über das Internet verfolgen. Womit ich aber auf nichts hinweisen möchte, vermutlich hat TR nur „ESPN Tahiti“ oder ähnliches zuhause. Oder Livescouting, der war wohl in den Flitterwochen in Tahiti. Oder so.

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Gürgen 14. Juni 2013 um 12:50

Oder er ist in einer Geheimidentität selbst einer dieser unbekannten Titelgewinner aus Tahiti und bringt dem Team jetzt moderne taktische Ma0nahmen bei.

TR: Pressingresitenz…. kollektives Gegenpressing…. schnelles Umschaltspiel…. mannorientierte Raumdeckung….
Spieler aus Tahiti: Nix verstehen. Möchte der Herr ein Eis kaufen?

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