Adventskalender, Türchen 22: Zlatan Ibrahimovic

Es gibt viele Dinge im modernen Fußball, die unmöglich sind. Zlatan Ibrahimovic ist eines davon.

Ein angeblicher Weltklassefußballer, der den erfolgreichsten Trainer der letzten Jahre als Philosophen „beschimpft“, eine Journalistin und ihre Schwester auf einen Hausbesuch sexueller Art einlädt und das Training kurzerhand verschiebt, weil er gerade noch ein Interview geben will? Eigentlich unmöglich. Im modernen Fußball gibt es doch solche Disziplinlosigkeiten nicht mehr.

Zlatan Ibrahimovic ist das aber relativ egal. Er ist auch einer jener Akteure, die sowohl bei Inter Mailand, beim AC Mailand und bei Juventus Turin gespielt haben. Mit fortschreitendem Alter wird er immer stärker – und scheinbar auch immer dynamischer. Eigentlich unmöglich. Eines jener Paradoxe im fleischgewordenen Paradox Ibrahimovic. Seine Füße werden immer schneller und im Dribbling immer präziser, obwohl sein Kopf eigentlich zu weit weg ist.

“Zlatan ist außergewöhnlich, weil er so technisch versiert ist, obwohl er so groß ist. Normalerweise sind große Spieler tollpatschig. Ich glaube, dass ist wegen der Distanz zwischen ihren Füßen und ihrem Gehirn.” – Co Adriaanse

Hierbei stellt sich für manche sicherlich auch die Frage, ob Zlatan schlicht kein Gehirn hat – es würde die Adriaanse-Formel nicht widerlegen und wäre auch passend zu Zlatans (Variante von) Humor, der gerne seinen Mitspielern Tritte gibt, ob während des Trainings oder bei Live-Interviews nach Siegen.

Allerdings wäre es ohne Gehirn für Zlatan ziemlich schwierig, Zlatan zu sein. In seinen Interviews scheint man zumindest ansatzweise einen Hauch Selbstironie und einen bewussten Hang zur Selbst-PR erkennen zu können.

“Ich ging nach links, er ging mit. Ich ging nach rechts, er ging mit. Ich ging wieder nach links und er ging sich einen Hot Dog kaufen.“ – Zlatan Ibrahimovic über das Dribbeln gegen einen Liverpool-Verteidiger

Auch in seiner Spielweise darf der Einfluss von Zlatans Gehirn nicht unterschätzt werden. Seine Wege sind intelligent, seine Bewegungen effektiv und das Kombinationsspiel mit seinen Mitspielern weiß phasenweise zu beeindrucken. Am spektakulärsten dürfte jedoch seine Stärke sein, schwache Punkte oder extreme Situationen zu erkennen und zu nutzen. Zlatan erzielte seinerzeit in der Serie A jede Saison zumindest zwei Tore, die in die Auswahl für das Tor des Jahres kamen. Eigentlich unmöglich.

Sein Fokus auf Spektakel, Spaß und, nun ja, sich selbst hat ihm aber dennoch viele Kritiker eingebracht. Trotz einer herausragenden Anfangsphase und mehr als passabler Statistiken beim FC Barcelona waren die Katalanen froh, Ibrahimovic wieder losgeworden zu sein. Sogar mit Rekordverlust. Für einen angeblichen Weltklassespieler à la Ibrahimovic eigentlich unmöglich.

Eine Träne haben sie ihm nicht nachgeweint, viele (unter anderem auch Zonalmarking.net) bezeichneten ihn als einen Mitgrund für das Ausscheiden gegen Inter Mailand. In der nächsten Saison wurde letztlich Lionel Messi Mittelstürmer und der FC Barcelona Champions-League-Sieger.

„Das Leben mit ‚Ibra‘ folgt eigentlich einem ganz simplen Gesetz. Du musst ihm schnellstmöglich den Ball geben, sonst faucht er dich an und faltet dich zusammen“ – Stephan El Shaarawy über Zlatan Ibrahimovic

Ibrahimovic konnte dennoch weiterhin Titel sammeln. Mit dem AC Mailand holte er seinen achten Ligatitel in Folge. Der mehrfache schwedische Fußballer des Jahres wurde dennoch kritisiert. Eigentlich unmöglich. Es war seine mangelnde Präsenz in Champions-League-KO-Spielen, die er erst beim FC Barcelona mit zwei Treffern gegen Arsenal kurzfristig ablegen konnte. Ansonsten überzeugte der Schwede nie vollends auf der größten Bühne des europäischen Klubfußballs.

Wieder ein Paradoxon bei Zlatan Ibrahimovic. Es mutet fast so seltsam an, wie sein Wechsel nach Paris. Für eine Summe von „nur“ 21 Millionen € sicherten sich die Franzosen die Dienste von Ibrahimovic. Aktuell ist er statistisch gesehen der zweitbeste Stürmer Europas, noch vor Cristiano Ronaldo. Eigentlich unmöglich.

„Ich glaube, meine Form in der Liga war mehr als perfekt“ – Zlatan Ibrahimovic über seine Leistung in der Saison 11/12 für den AC Mailand

Auch seine Tore werden immer verrückter. Anstatt auf die großen Titel zu blicken, scheint Ibrahimovic die Möglichkeit diese zu erringen aufgegeben zu haben. Stattdessen sucht er sich Achtungserfolge. Sein Trainer in der Nationalmannschaft meinte, das 4:4 Schwedens gegen Deutschland nach einer historischen Aufholjagd war auch Ibrahimovics Halbzeitansprache zu verdanken. Er soll geschrien, getobt und einen Mitspieler an den Haaren herbeigezogen haben. Schweden traf vier Mal in der zweiten Halbzeit. Eigentlich unmöglich. (Jaja, wenn Gomez ein Ibrahimovic wär‘, hätt‘ Deutschland einen EM-Titel mehr)

Seine kleinen Kuriositäten gehen immer weiter. Beim 4:0-Sieg von PSG gegen Dinamo Zagreb legte Zlatan alle vier Tore auf. In der Ligue 1 scheint PSG partout ungefährlich zu sein, wenn Zlatan nicht spielt oder keine Lust hat. Beim 4:2-Auswärtserfolg gegen England mit Schweden traf er per Fallrückzieher zu einem Jahrhunderttor. Ob er Joe Hart in der Halbzeitpause angeschrien hat, ist nicht überliefert.

„Wie ich Fußball spiele? Zlatan-Style.“ – Zlatan Ibrahimovic über seinen Spielstil

Letztendlich ist Ibrahimovic trotz seiner Arroganz, seines Polarisierens und seiner Extraklasse irgendwie nur eine Randnotiz. Die ganz großen Titel neben seinem Namen fehlen, die ganz großen Erfolge auf europäischer Bühne. Dabei bringt er alles mit, um einer der ganz Großen zu sein.

Er ist aus jeder Situation heraus unglaublich torgefährlich und schussgewaltig: Strafraum, Freistoß, Distanzschuss. Seine Technik ist kaum zu kritisieren. Sein Passspiel ist kreativ, intelligent und trotz der Vertikalität überaus präzise.

Womöglich ist er auch der körperlich stärkste Mittelstürmer der Welt zurzeit, denn er ist nicht nur sehr groß, sondern ungemein beweglich, athletisch und schnell.

Sein Geheimnis ist laut eigener Aussage das Taekwondo, welches er auf hohem Niveau praktiziert. Vergleichen tut er sich allerdings mit Boxer Muhammad Ali, fußballerische Vorbilder hat er nur eines, nämlich Ronaldo, den er wie ein Kind bewundert.

Zlatan ist letztlich einer der wenigen Charaktere früherer Zeiten im Fußball. Ein Führungsspieler mit Makeln. Ein ungeschliffener Fußballer ohne Mängel. Ein Straßenfußballer mit den skurrilsten Ideen in den ausweglosesten Situationen. Und dennoch ist er in der medialen Anschauung nur die zweite Geige im Konzert der ganz Großen. Obwohl er in dieser Saison klar mehr Scorerpunkte (37) hat als Cristiano Ronaldo (31) und Falcao (22). Der Unterschied auf Weltrekordmann Lionel Messi in seiner bisher besten Saison (44) ist nahezu so groß, wie Ibrahimovics auf Cristiano. Trotzdem werden dies Zwei auf eine Stufe gesetzt und zu Ibrahimovic fällt kein Wort. Eigentlich unmöglich.

P.S.: Ein kleiner Spaßfakt (funfact dürfen wir nicht nutzen, sonst gibt es Ärger).

„zlataner“ ist ein französischer Neologismus, der wegen Ibrahimovic geschaffen wurde. Frei übersetzt bedeutet er, dass man etwas schlicht und ergreifend überkrassgeilabgefahren macht. Es wird aber auch dafür genutzt, wenn man mit seiner Herzdame ein bisschen … macht oder alternativ auch etwas in Stücke zerhaut. Zlatan selbst benutzt es in einer Rasierwerbung als Synonym zum Herumkriegen von Frauen.

Naja, man zlatant halt eine.  Logisch.

AP 5. Februar 2013 um 15:03

Irgendwie passt das Spox Interview garnicht so zum Ibra. Irgendwie lahmisch das Ganze….

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RM 5. Februar 2013 um 15:23

Ich fand insbesondere seine Aussage zu Guardiola leicht überraschend.

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AP 5. Februar 2013 um 15:31

Jaaa und wie. „leicht überraschend“ ist gut… 🙂

Eig. habe ich sowas erwarte wie “ Habe ich garnicht mitbekommen, dass er (Pep) wieder einen Job hat“ oder so 🙂

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olmi 22. Dezember 2012 um 19:24

hahaa wie er ronaldo anhimmelt 😀

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bayeratze 23. Dezember 2012 um 14:03

Mal erfrischend anders. Hat mir gut gefallen

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Martin 22. Dezember 2012 um 19:00

Vielen Dank für den sehr guten Artikel und die Auswahl von Ibra. Allerdings hätte ich mich gefreut noch etwas mehr über seine Rolle für PSG national und international zu lesen.

Habe zwar nicht viele Spiele von PSG gesehen aber ich finde es ist auffällig, dass er komplett vom Pressing befreit ist und eben genau da rumsteht wo er rumstehen will. Ist denke ich noch deutlich extremer als bei einem C. Ronaldo oder manchen Stars in England. Andererseits muss man auch sagen sobald er den Ball im Strafraum bekommt macht er gefühlt jede „vernünftige“ Chance rein und dazu kommen eben noch seine Wondergoals. Nach meinem Eindruck (denke Statistiken zur Chancenverwertung sind schwer objektiv zu erstellen) ist er deutlich effektiver als andere Stürmer der Kategorie Weltkasse.

Abgesehen vom Spielerischen ist er einfach erfrischend und mal was anderes als der geschulte Medien-Fußballer ala P. Lahm.

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DonTioto 22. Dezember 2012 um 16:06

Sehr geil! Vielen Dank. Vorallem für das Video zusammensuchen. 😉

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Capi 22. Dezember 2012 um 15:40

Für mich ist Ibrakadabra der Grund warum Fußball die Leute fasziniert. Ohne ihn wäre, bei aller berechtigten Egoismuskritik, die Fußballwelt erheblich ärmer. Ein Neustädter ist aus taktischer Sicht großartig, ein fassungsloses Staunen wie er gerade diese Aktion vollzogen hat wird er bei keinem hervorzaubern-RM mal abgesehen;)
Für mich ist er derzeit beste Stürmer nach Messi

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Tank 22. Dezember 2012 um 23:27

„Ich staune auch für defensive Mittelfeldspieler“ wäre ein schöner Stoßstangenaufkleber. Tue ich durchaus.

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DAF 22. Dezember 2012 um 13:51

Vermutlich würden die meisten Leute den Artikel besser finden, wenn ihr ihn auf eurer Adventskalender- Seite verlinkt. 🙂

Die Darstellung von Ibrahimovics Stärken und Charakter finde ich sehr gelungen, allerdings hätte ich mir auch eine Darstellung über seine taktische Rolle im Team gewünscht wie ihr es ja normalerweise macht.

„Jaja, wenn Gomez ein Ibrahimovic wär‘, hätt‘ Deutschland einen EM-Titel mehr“
Das seh ich anders. Du schreibst ja selber, dass Ibrahimovic in wirklich bedeutenden Spielen selten trifft. Da ist mir Gomez lieber, der sich auch gegen Gegner wie Real Madrid ein- oder zweimal pro Spiel entscheidend durchsetzt, auch wenn er technisch nicht an Ibrahimovic herankommt.

Deshalb finde ich es auch richtig, dass er medial nicht zu den ganz Großen gezählt wird- zu Ronaldo und Messi fehlen ihm die internationalen Erfolge, auch wenn er in dieser Hinrunde statistisch vielleicht besser als Ronaldo war.

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RM 22. Dezember 2012 um 14:40

Der Satz “Jaja, wenn Gomez ein Ibrahimovic wär‘, hätt‘ Deutschland einen EM-Titel mehr” war eine ironische Bemerkung zu den Medien und Leuten wie Scholl, die sich ja über Gomez selbst bei guten Spielen echauffiert haben. Sie spiegelt nicht meine Meinung wieder.

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Tery Whenett 22. Dezember 2012 um 15:19

Hätte mir hier den Verratti gewünscht. Unter dem taktischen Gesichtspunkt, den ihr dem Kalender zugrunde gelegt habt, sicher interessanter als der altbekannte Ibrahimovic.

Dennoch ein gelungener Artikel, wenn mein Verhältnis zu Zlatan auch gespalten ist. Denn sein ‚kreatives, intelligentes und präzises‘ Passspiel zeigt er nur, wenn er Lust hat. Bei der EM habe ich mich tierisch über ihn aufgeregt: Ein Aktionsradius in der Größe vom Mittelkreis, ALLE Schweden spielen ihn an und er feuert einfach drauf. Ohne Sinn und Verstand. Wenn er mal abgespielt hat, dann oft schlampig – den Ballverlust kreidet er dann aber seinem Untergeb.. Mitspieler an. Schrecklich.

Natürlich haut er aber kurz vor dem Ende noch aus 25 Metern einen Ball in den Winkel und ist der Held des Spiels, stellt sich nachher wieder hin und erzählt wie geil er ist…

Wenn er sich in den Dienst der Mannschaft stellen würde, wäre er nicht aufzuhalten und würde (dann zurecht) in die Riege Ronaldo-Messi aufgenommen werden. So beschränkt sich meine Bewunderung für ihn auf seine Leistung schönes Material für spektakuläre Youtube-Videos zu produzieren. Fußballerisch (im Sinne des Mannschaftssports) sind mir da andere lieber.

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RM 22. Dezember 2012 um 15:33

Nicht unbedingt. Man könnte auch sagen, dass Verratti ein 08/15-tiefliegender Spielmacher ist, während Zlatan Ibrahimovic die beste hohe spielmachende Neun der Welt ist. Wenn er Lust hat natürlich.

Zu Verratti hatte ich auf Abseits.at schon was geschrieben.

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Tank 22. Dezember 2012 um 23:25

@ Tery Whenett:

Genau meine Meinung. Hab bei der EM regelmäßig meinen Fernseher angemeckert wegen Ibra. Ach, was hätte er bei Barca werden können, wenn er nur ein bisschen anders… ich meine, ganz anders ticken würde.

Schön anzuschauen ist sein Spiel natürlich trotzdem. Was diese etwas gestrige Eleganz und manchmal auch Langsamkeit angeht, erinnert es mich an Berbatov.

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RM 22. Dezember 2012 um 23:33

Berbatov ist mMn die lahme, elegantere und weniger wuchtige Version Ibras.

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Tank 22. Dezember 2012 um 23:39

Exakt. Wobei Ibras pure Körperlichkeit auch eine Form von Eleganz ist. Berbatov könnte im Jackett spielen, Ibrahimovic im Taekwondo-Anzug. Beides irgendwie elegant.

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