Blick über den Tellerrand – Folge 1

Die erste Folge einer neuen 14-tägig-erscheinenden Rubrik bei spielverlagerung.de, die kurz und knapp einen Blick über den Tellerrand der ersten Bundesliga hinaus wirft. Diesmal mit Braunschweig, Celtic, Florenz und dem Münster-Bielefeld-Derby.

Wo es gut läuft: Eintracht Braunschweig

Braunschweigs Grundformation

Bereits in der vergangenen Saison mischte die Mannschaft von Trainer Torsten Lieberknecht als Aufsteiger die zweite Liga auf – nun thronen die Löwen von der Tabellenspitze und lassen alte Erstligaträume der Fans wieder aufleben. Derzeit zeigt sich das kontinuierlich gewachsene Team als sehr kohärente Einheit, sowohl stark und effizient im Angriff als auch sicher in der Verteidigung.

Offensiv fällt im Spiel der Braunschweiger das Überladen der Seiten durch die zentralen Mittelfeldspieler – meistens den beweglichen, sich gut im Halbraum freilaufenden Kratz sowie den verbindend wirkenden Kapitän Kruppke – und den nach außen ausweichenden Stürmer Kumbela auf. In dieser Form versucht die Eintracht die Flügel zu überladen, findet aber noch nicht die letzte Effektivität, diese Ansätze zentral vor das Tor zu bringen. Ein weiteres wichtiges Angriffsmittel sind die vielen längeren, aber gezielt gespielten Pässe direkt aus der Innenverteidigung oder von Theuerkauf, der sich bei Bedarf in eine Dreierkette fallen lassen kann. Zwei bevorzugte Spielzüge dieser Art sind in der Grafik zu erkennen, können aber gegen Gegner, die auf dem Flügel disziplinierter ihre Ketten halten als die meisten anderen Zweitligisten, ineffektiv werden. Auch bei diesen Angriffen ist im letzten Drittel allerdings oft zu erkennen, dass die Mannschaft die erzeugten aussichtsreichen Situationen nicht präzise genug ausspielt.

Zwei beispielhafte Spielzüge: Variante I: Der offensive Außenspieler geht seinem Außenverteidiger entgegen und schafft hinter sich Raum für den dorthin rochierenden Kumbela, der ins Mittelfeld ablegen kann. Variante II: Der Außenverteidiger bliebt tief und schafft zwischen sich und seinem Außenspieler einen Raum. In diesen spielt ein Innenverteidiger den Pass, der wieder ins zentrale Mittelfeld abgelegt wird. Hier können Kratz, Kruppke und Kumbela in den Raum zum Ball gehen. Bei beiden Spielzügen geht es durch eine Kombination aus Raumschaffen auf dem Flügel und vertikalem Klatsch-Spiel darum, die Achter in den Halbräumen mit Blick zum Tor freizuspielen. Anmerkung: Passwege in Schwarz, Bewegungen in Blau.

So ist es mehr noch als das Offensivspiel, dessen Gefahr sich neben dem vertikal aufgezogenen und seitlich orientierten Aufbauspiel besonders aus schnellen und ähnlich aufgebauten Kontern über die Flügel speist, die starke Verteidigung mit nur zwei Gegentoren aus sechs Spielen, die essentiell für den Erfolg der Gelb-Blauen ist.

Ihre 4-1-4-1-Formation interpretieren die Niedersachsen sehr diszipliniert und füllen sie mit einem effektiven Pressing. Dabei soll Kumbelas Anlaufen und das enge Decken der gegnerischen Außenverteidiger unbedachte Vorstöße eines Innenverteidigers provozieren. Indem dieser nach einigen Metern von einem Braunschweiger Mittelfeldspieler konfrontiert wird, soll ein Pass zum frei werdenden ballnahen Sechser des Gegners erfolgen, der sowohl aus seinem Rücken als auch von dem zurückrückenden Eintracht-Spieler gepresst werden kann. Dabei stellt sich das Mittelfeldzentrum der Lieberknecht-Truppe sehr geschickt an und erobert viele Bälle. Weil der Gegner durch seine Sechser kaum ins Spiel kommen kann, werden in passenden Situationen genau diese Ballgewinne provoziert, die durch einen Steilpass auf Kumbela in den Raum hinter dem aufgerückten gegnerischen Innenverteidiger sehr effektiv genutzt werden können.

Nicht nur die geordnete defensive Grundformation und das angewendete Pressing können überzeugen, sondern auch das Umschalten nach Ballverlust: Selbst wenn das Gegenpressing in den offensiv überladenen Räumen nicht funktioniert und der Gegner sich im Zentrum freischwimmen kann, bereinigen die Braunschweiger viele Situationen durch ihr starkes Zurückrücken. Gerade die beiden offensiven Außenspieler rücken enorm dynamisch und aggressiv ein und nach hinten zurück und betreiben hervorragendes Rückwärtspressing in Richtung der Halbräume.

Anfällig werden die Braunschweiger eigentlich nur dann, wenn die Defensivarbeit der Offensivspieler trotz Absicherungen überspielt werden kann – der Raum vor der Viererkette ist eine zum Teil zugelassene Schwäche im System, die durch die Arbeit der Offensive kaschiert werden soll. Doch wenn die vordere Reihe einmal überspielt ist, kann die erste Chance für den Gegner sofort eine besonders gefährliche werden, da der Gegner auf die Abwehr zulaufen kann und diese in der Endverteidigung gut, aber nicht ohne Makel agiert.

Auch wenn es am gestrigen Sonntag beim 1:1 bei den Löwen aus München den ersten Punktverlust der Saison gab, ändert dies nichts an der Tabellenführung für die Eintracht. Man darf gespannt sein, ob die Braunschweiger wirklich um den Aufstieg mitmischen können – zuzutrauen wäre es ihnen.

Wo es schlecht läuft: Celtic

Celtics Grundformation bei der Niederlage gegen St. Johnstone

Nach dem Zwangsabstieg des Stadtrivalen Rangers ist Celtic Glasgow die einzige verbliebene Großmacht in der schottischen Liga. Allerdings hat der enorm souveräne Vorjahresmeister in dieser Saison bisher noch so seine Probleme – nur drei Siege konnten aus sechs Spielen verbucht werden, was eine selten geringe Quote darstellt, die erst an diesem Wochenende durch den Sieg über den Tabellenletzten aufgebessert werden konnte. Schon die ständigen personellen Wechsel in der Aufstellung zeigen, dass Trainer Neil Lennon seine ideale Elf noch nicht gefunden hat. Allerdings geht der Mannschaft so auch die nötige Abstimmung ab, was neben vielen Verletzungen einen Teil zur aktuellen „Mini-Krise“ beiträgt

Ein großes Problem für die Grün-Weißen liegt aktuell in der fehlenden Kreativität im Offensivspiel. Den zu Swansea abgewanderten Schlüsselspieler Ki konnte man im zentralen Mittelfeld noch nicht ersetzen – die derzeit dort spielenden Wanyama und Brown sind eher physisch geprägte Akteure und können kaum den Verlust des pass- und ballsicheren südkoreanischen Spielmachers mit seinen weiten Freilaufbewegungen auffangen. Gerade wenn mit zwei echten Spitzen agiert wird, fehlt Celtic die Kreativität aus dem Zentrum. Zwar wird der Zehnerraum von verschiedensten Spielern flexibel besetzt, doch definieren sich diese Offensivakteure allesamt über Athletik, Wendigkeit oder Dynamik – nicht jedoch über besondere Umsicht, Raumintelligenz oder Kreativität. So wird das Offensivspiel zwar oftmals gefährlich, doch fehlt es etwas an der ordnenden und kontrollierenden Hand, um die Spieler noch besser miteinander zu verbinden.

Die deutlich größeren Schwierigkeiten sind allerdings in der Defensive auszumachen und zeigen sich vor allem in einer unsicheren Vierer-Abwehrkette sowie im inkonsequenten Rückwärtsgang der Offensivspieler. Auf den offensiven Flügelpositionen sind gerade Commons und Forrest oftmals gar zu faul oder Samaras zu träge, um ihre Gegenspieler zu verfolgen, weshalb Celtic gegen offensiv ausgerichtete und effektive Außenverteidiger arge Probleme bekommt. Besonders auffällig war dies bei der Niederlage bei St. Johnstone – einem Gegner, der mutig und intelligent genug war, diese Schwachstellen auszunutzen.

In ihrem asymmetrischen 4-1-4-1/4-4-2 mit hohem linken Flügel rissen diese zudem immer wieder Celtics Abwehrkette auf – der Mittelstürmer fiel in die Tiefe oder auf die Seiten zurück und öffnete damit gegen die zu strikt mannorientierte Celtic-Viererkette Räume für den hohen linken Flügel. Allerdings muss auch angemerkt werden, dass beide Tore für St. Johnstone nur dadurch ermöglicht wurden, dass sich die Verteidiger von ihren direkten Gegenspielern zu einfach ausspielen ließen oder ihnen indiskutable Freiheiten gewährten.

Beim 0:0 gegen Benfica in der Champions-League hatte es daher schon einen großen Effekt, dass es die Verteidiger individuell deutlich besser machten. Dennoch benötigte es einen Außenverteidiger im linken Mittelfeld und eine destruktive Einstellung der Doppel-Sechs, um diese weiße Weste zu erhalten. Allerdings konnte Celtic aus dieser Partie zumindest eine verbesserte Grundstabilität der Viererkette hinsichtlich der Abstände und damit Mut ziehen. Der erste Schritt aus dem „Mini-Tief“ ist getan.

Interessant zu beobachten: Fiorentina

Die bisherige Grundformation der Fiorentina 2012/2013

Nach den Enttäuschungen der vergangenen Saison, die sogar fast im Abstieg aus der italienischen Serie A geendet hätte, nahm der vor drei Jahren noch in der europäischen Königsklasse spielende Klub aus Florenz in diesem Sommer eine ganze Menge Geld in die Hand, um mit vielen Neuzugängen den Kader rundzuerneuern und nun wieder in den oberen Tabellenregionen angreifen zu können.

Dabei folgt die Mannschaft vom neuen Trainer Vincenzo Montella einem aktuellen Trend – dem Wieder-Aufkommen der Dreierkette. Montella plant seiner Mannschaft, die in einem 3-5-2/3-5-1-1 mit einem Sechser und zwei Achtern aufläuft, einen dominanten Spielstil mit Ballbesitz eintrichtern zu wollen und orientiert sich dabei scheinbar ein wenig an Meister Juventus Turin. Analog zu deren Schlüsselspieler Andrea Pirlo verfügt die Fiorentina über David Pizarro – einen der wenigen tiefen Spielmacher von der Sechserposition.

Dieser verteilt die Bälle aus der Tiefe und wird von einer zweikampfstarken Dreierkette abgesichert. Sein halblinker Partner Borja Valero kreist um ihn herum, rochiert über das Feld und stellt flexibel Verbindungen zwischen verschiedenen Spielern her. Während Valero eher verbindend agiert, kippt der halbrechte Achter – Romulo oder Migliaccio (mit Mati Fernández wird dies nicht ganz so stark praktiziert) – hinter den offensiven rechten Wing-Back Cuadrado heraus. Im Gegensatz zum soliden und balancierten Pasqual auf der anderen Seite ist der kolumbianische Nationalspieler ein fahriger und nicht immer positionstreuer Spieler, dessen unkonventionelle Aktionen Stärke wie Schwäche sein können. Im Sturm wird die Mannschaft durch den in Europa heißbegehrten, schnellen, direkten und dynamisch-kombinativen Jovetic sowie einen etwas statischeren, spielmachenden Partner – El-Hamdaoui (eher Falsche Neun) oder Ljajic (eher offensiver Mittelfeldspieler) – ergänzt.

In ihren ersten vier Ligaspielen konnte die Fiorentina bereits einige Facetten ihres Dominanz-Spiels demonstrieren. Die Dreierkettenformation, das flexible Mittelfeld sowie der Versuch durch überladende und kombinative Aktionen auf den Seiten sowie im Zentrum anzugreifen, machen die neue Mannschaft vom als Joker verpflichteten Luca Toni zu einer Truppe, deren weitere Entwicklung gespannt beobachtet werden sollte. Derzeit fehlt es beispielsweise noch etwas an der letzten Effektivität, doch mit der Fiorentina ist dieses Jahr wohl wieder zu rechnen.

Spiel der Woche: Preußen Münster – Arminia Bielefeld 4:0

Die Grundformationen

In der dritten Liga stand das enorm traditionsreiche Derby zwischen den Erzrivalen aus Münster und Bielefeld an – der wohl größte Zuschauermagnet der Saison. Dass der Dritte auf den Ersten traf, machte das Ganze noch einmal interessanter.

Es war ein aggressives und offenes, aber ungenaues Derby mit vielen zerbrochenen Angriffen, Kontern und Gegenkontern, aber wenigen Chancen – die Mehrheit dieser wenigen Chancen lag dabei bei den Münsteranern.

Ihre beiden Sechser Truckenbrod und Bischoff blieben eher tief, so dass es vorne etwas zu wenig Unterstützung gab. Allerdings kippte Letzterer gelegentlich links hinter den offensiven Außenverteidiger Hergesell heraus, was durch dessen defensiveres Pendant Schöneberg auf rechts abgesichert wurde. Diese Maßnahme wirkte sich allerdings eher förderlich auf die Defensive aus, da Bielefelds bester Konterspieler Hille so weit nach hinten gedrängt wurde. Gefährlich wurde es für die Münsteraner entweder über ihre sehr beweglichen und weiträumig aktiven Stürmer, die sich immer wieder in verschiedensten Positionen anboten, oder durch ihre eingerückten offensiven Außen. Beide Aspekte verbanden sich beim Führungstor: Taylor bewegte sich geschickt durch den Raum, kam zwischen den Linien frei und verlagerte in den rechten Halbraum, wo der eingerückte Siegert bei seinem tollen Schuss davon profitierte, dass die Bielefelder Mittelfeldzentrale durch ihre mannorientierte Struktur – also doch ein offensiver Nutzen der Positionsverschiebung Bischoffs – zu weit von ihm entfernt und daher der Halbraum offen war.

Bei der Arminia funktionierte ihre Kombinationsstrategie aus langen Pässen und Gegenpressing der zweiten Bälle nicht wie erhofft. Mit Schütz fiel einer der Sechser im Aufbau in eine Dreierkette, fehlte dann allerdings beim Gegenpressing in vorderen Zonen. Dass die Arminen hier nur bedingt effektiv waren, lag auch an der defensiven Münsteraner Doppel-Sechs, die sich Bielefeld gut entgegen stellte und auch bei verlorenen zweiten Bällen zumindest eng genug stand, so dass die Bielefelder sich spielerisch aus diesen schwierigen Situationen nicht weiter nach vorne spielen konnten – das Problem ihre spielerischen Einschränkungen soll normalerweise durch das Gegenpressen langer Bälle umgangen werden, doch hier trat es bloß in einer höheren Zone auf. Daher wurden die Gäste nach vorne kaum gefährlich, ließen aber vor ihrer Abwehr und durch die weit aufrückenden Außenverteidiger (Salger) große Konterräume, die Münster durch ihre Außenspieler und ihre nach außen rochierenden Stürmer attackieren konnte – bei ihrem gefährlichsten Konter wäre der geforderte Elfmeter durchaus vertretbar gewesen.

Mit zwei Münsteraner Toren in den ersten zwei Minuten nach dem Seitenwechsel war die Partie dann entschieden. Beim 2:0 war es ein tiefer Ballverlust des DSC und eine anschließende Horizontal-Rochade Taylors, der für Nazarov flankte; dem dritten Tor ging ein langer Ball aus der Enge auf den sich gut bewegenden Taylor voraus, der den großen Raum nutzte und die Bielefelder Innenverteidigung ziemlich alt aussehen ließ. Per Elfmeter erhöhte Kühne noch auf 4:0 und machte damit einen verdienten, wenn auch zu hohen Sieg gegen offensiv enttäuschende und behäbige Bielefelder, die auch weiterhin nicht ins Spiel fanden, perfekt.

CF 14. Juni 2013 um 08:06

Glaubt ihr das Braunschweig auch in der 1.Liga erfolgreich sein kann?

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blub 14. Juni 2013 um 10:59

na klar: immerhin spielen die das siebtbeste Pressing der Welt 😉 [/Zitat]

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RM 14. Juni 2013 um 11:04

spielten. Das brach Mitte der Saison etwas ein, glaube ich. Mal sehen, wie das nächste Saison aussieht.

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CF 15. Juni 2013 um 14:14

Wo sieht man solche Fakten etc. Auf Whoscored gab es so was aufjedenfall nicht.

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MR 24. September 2012 um 20:21

Den Schlüsselspieler Ki? Also…den keyplayer Ki?

huehuehuehue

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JayM 30. September 2012 um 23:55

klassischer fall von deutschem humor 😉

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Halfarsen 24. September 2012 um 16:29

Mindestens ebenso interessant wie ein Bericht über Celtic wäre mal einer über Motherwell, Hearts, Kilmarnock, Inverness oder St. Mirren und wie diese Mannschaften mit ihren neugewonnenen Ansätzen von Ballbesitz- und Kombinationsspiel die eigentlich schon tote schottische Liga beleben.

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Hannes 26. September 2012 um 10:24

Viel interessanter wäre ein Bericht über den Partick Thistle FC. Derzeit ungeschlagener Tabellenführer in der Scottish First League…. ach, man wird doch wohl noch träumen dürfen? ^^

Naja, zugegeben, Celtic ist schlecht aus den Startlöchern gekommen, aber die Saison ist noch lang (*5 Euro zahl*) und am Ende werden sie wieder mit 20 Punkten Vorsprung und mehr Meister werden.

Bei den Rangers läuft es in der Third League zur Zeit auch nicht so nach Maß. Was mich aber freut ist, dass immer noch mehr als 40.000 Leute zu den Heimspielen gehen und sie wohl auch einen entsprechenden Auswärtssupport haben. Das kann den Vereinen in der Third League nur gut tun, wenn sie mal ein bisschen Geld in die Kassen bekommen.

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