Kurz ausgeführt: Inter – AS Roma 1:3

Ein interessantes Topspiel in Italien zwischen zwei Teams mit jeweils sehr dominanten linken Seiten. Dank ihrer konsequenten und variablen Mittelfeld-Nachrücker gewann schließlich die Roma trotz Inters Chancenplus. Eine etwas allgemeinere Spielanalyse.

Die Grundformationen in der ersten Halbzeit. Die Dominanz- und Überladeräume der Teams in ihrer jeweiligen Mannschaftsfarbe dargestellt. Anmerkung: de Rossi musste nach etwas mehr als einer halben Stunde gegen Marquinho ausgetauscht werden.

Inter: Überladen auf links, teilweise unscharfe Wechselwirkungen

Zum Ende der vergangenen Saison hat der ehemalige Jugend-Trainer Andrea Stramaccioni bei den Blau-Schwarzen aus Mailand übernommen und soll dem Klub wieder zum Erfolg verhelfen. Vieles ist neu bei Inter, doch ein prägendes Kennzeichen der letzten etwa eineinhalb Jahre bleibt – die Dominanz der linken Offensivseite, die allein schon durch den immer wieder dorthin abkippenden Sneijder hergestellt wird. In dieser Partie war der Linksfokus sogar noch extremer als je zuvor: Linksverteidiger Nagatomo war viel offensiver als sein Pendant Javier Zanetti auf rechts, der linke Halbspieler Alvaro Pereira spielte enorm weit außen und teilweise wie ein Wing-Back, während neben Sneijder auch die beiden Spitzen aus dem 4-3-1-2, ganz besonders natürlich Neuzugang Cassano, auf links rochierten.

Über diese Seite ging somit fast alles bei Inter. Hier sollten die vielen nach links verschiebenden Akteure für brutale Überzahlbildungen sorgen und die Roma durch die Fülle und Nähe an lokalen Anspieloptionen spielerisch überladen. Dieses Vorhaben gelang im Grundsatz auch und führte zu einigen guten Angriffen, Torchancen sowie dem zwischenzeitlichen Ausgleich durch Cassano. Allerdings ist anzumerken, dass das volle Potential dieser Ausrichtung noch nicht zur Gänze ausgeschöpft wurde.

Dafür fehlte es noch an der Feinabstimmung: So wurden die Angriffe teilweise im letzten Drittel zu wenig diagonal in Richtung zentrale und torgefährliche Räume gezogen, sondern endeten eher mit einem Durchbruch auf Außen, was aber aufgrund mangelnder Abnehmer im Zentrum dann nicht vollends effektiv war. Hierzu trug auch die Rolle Alvaro Pereiras bei, der als eine Art zweiter Linksverteidiger schon ein wenig zu breit spielte, obgleich er einige ansehnliche Rochaden mit Nagatomo zeigte.

Ein zentrales Problem war es für Inter aber, dass ihnen trotz ihrer Überzahlbildung auf links nicht die richtige Balance glückte, wenn es um das Aufrücken und die Anspieloptionen vor dem Ball ging. Dies passierte beispielsweise, wenn sich Sneijder in typischer Manier weit nach hinten fallen ließ, um spielmachende Aufgaben wahrzunehmen, weil die Mitspieler nicht ganz passend auf diese Bewegung reagierten. So stand Alvaro Pereira etwas zu breit, um den linken Halbraum zu besetzen, während der tiefstehenden Spielmacher Gargano und der halbrechte Achter Guarín nicht wussten, wie sie sich zu verhalten hatten. Ersterer wurde von Sneijder in seinem Aufgabengebiet entlastet, fand darauf aber keine Reaktion, während Letzterer durch die breite Rolle Pereiras nicht zu weit aufrücken wollte, um Gargano nicht im Sechserraum isoliert zu lassen.

Aufgrund dieser Wechselwirkungen, die durch leichte Unsicherheiten der Spieler bezüglich ihrer Rollen und Beziehungen zu den Kollegen entstanden, klaffte bei Inter phasenweise ein zu großer Raum zwischen Mittelfeld und Angriff. Diesen versuchte Sneijder dann immer wieder mit Chipbällen über die Abwehr auf die nach halblinks driftenden Stürmer zu überspielen, doch gerade Diego Milito lief gegen die aufmerksame Römer Viererkette Mal um Mal ins Abseits (4).

Insgesamt lässt sich festhalten, dass die Mannschaft von Stramaccioni in der Theorie sinnvoll aufgestellt war und in manchen Szenen auch die linke Seite wie geplant überladen konnte, allerdings sowohl bei diesen Angriffen als auch im Angriffsspiel generell noch Feinabstimmung fehlte und die Beziehungen zwischen den Spielern noch nicht konkret ausgearbeitet waren. Daher reichte es trotz guter Ansätze und einigen guten Chancen am Ende „nur“ zu einem Treffer.

In Bezug auf die erste Halbzeit könnte man argumentieren, dass die linke Seite zu dominant gewesen sei und Inter abwechselnd in verschiedenen Räumen die Roma hätte überladen sollen. Im zweiten Durchgang wurde dies auch verbessert, als sich die Formation mehr und mehr zu einem 4-2-3-1 entwickelte, das im Hinblick auf die Nutzung der Seiten ausgeglichener war.

Roma: Bewegliche Formation und flexibles Mittelfeld

Nach dem Scheitern von Luis Enriques Experiment „Barcelona in der ewigen Stadt“ übernahm im Sommer mit Zdenek Zeman ein sehr interessanter Trainer das Zepter in Rom und nahm personell einige Veränderungen im Kader vor. Interessant dabei: Es sind kaum große Namen dabei, sondern wenig bekannte Spieler, die darauf ausgelegt sind, die Anforderungsprofile Zemans genauestens zu erfüllen.

Mit den Underdogs Lecce und Foggia, aber auch mit beiden Römer Vereinen feierte der Tscheche bereits viele Erfolge in den vergangenen 20 Jahren im Trainergeschäft. Stets treu blieb er dabei seiner 4-3-3-Formation, die sich besonders durch ein sehr flexibles Mittelfeld auszeichnet. In der Zentrale setzt Zeman auf möglichst flexible und polyvalente Spieler, die als Allrounder alle Fähigkeiten in sich vereinen und situativ die Rolle des anderen übernehmen sollen. Neben einem sehr laufintensiven und aggressiven Spielansatz waren Mittelfeldspieler mit besonderen Qualitäten bei Vorstößen immer ein Markenzeichen seiner Mannschaften.

Mit Tachtsidis, de Rossi und Florenzi bot Zeman auch diesmal drei vielseitige Mittelfeldspieler auf, die situativ allesamt und immer wieder auch kollektiv mit nach vorne marschierten. So war es nicht verwunderlich, dass zwei der drei Tore direkt durch solche Situationen entstanden und auch von den jeweiligen Mittelfeldspielern erzielt wurden. Wichtig für eine besondere Effektivität dieser Läufe sind genügend Räume und Schnittstellen in der gegnerischen Defensive. Dafür muss das Spiel unbedingt breit gehalten und die gegnerische Abwehr auseinandergezogen werden, was nicht nur von den Außenverteidigern, sondern oft auch den Außenstürmern durchgeführt wurde. Totti konnte so als Spielmacher von Linksaußen nicht nur zur Mitte ziehen und eine zentrale Rolle einnehmen, sondern auch in breiter Position sehr effektiv sein, indem er Bälle in die Schnittstellen verteilte. Inter stellte sich allerdings auch besonders unbeweglich gegen diese nachrückenden Läufe an, während sich ihre Abwehrlinie zu leicht in die Tiefe drücken ließ, was zusätzliche Zwischenräume in Strafraumbereichen eröffnete. Dadurch und aufgrund der Tatsache, dass eben situativ jeder der Mittelfeldspieler Romas aus günstiger Position diese Läufe machen durfte, kam es zu ihrer besonderen Effektivität.

Durch den starken Linksfokus Inters blieb die gegenüberliegende Spielfeldseite dafür zu einem gewissen Grad natürlich verwaist, was die Roma gut ausnutzte, indem sie diese offene Seite geschickt bespielte. Mit der spielstarken Roma-Legende Totti gab es hier einen guten Ankerpunkt, der vom offensiven Balzaretti sowie den nach links schiebenden Florenzi sowie Osvaldo unterstützt werden konnte und mit diesen einige gute Angriffe gerade im zweiten Durchgang spielte. Mit zwei Toren über diese Seite wurde das Überladen belohnt – bei diesen Treffern eben kombiniert mit den nachrückenden Mittelfeldspielern.

Zum Schluss noch ein interessanter Punkt zum Defensivspiel der Roma: Die ohne Ball sehr aggressive und wilde Ausrichtung der bisherigen Zeman-Teams zeigten die Hauptstädter diesmal nur in Ansätzen, wenngleich sie erahnen ließen, dass Zeman auf eine druckvolle Defensivarbeit mit eher losen Raumzuordnungen setzt, bei der der Gegner situativ von den ballnächsten Spielern attackiert wird. Das Problem kann bei diesem Vorgehen ein zu wildes und ungeordnetes Attackieren sein, so dass die Formation auseinanderbricht und wichtige Räume offen gelassen werden. Vor diesem Hintergrund ist das bewusste Rückwärtspressing, das gegen Inter phasenweise praktiziert wurde, eine gute Ergänzung, um die Defensivstärke zu erhöhen. Auf die Saison der Roma kann man also nur gespannt sein, verspricht Zdenek Zeman doch, ein interessantes Team auf die Beine zu stellen.

ich 7. September 2012 um 11:56

sehr schön, dass ihr auch über den „tellerrand deutscher fussball hinaus schaut“ und z.b. diese seria a partie kurz skizziert!!

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James 5. September 2012 um 19:50

Ich hätte mal eine Frage wäre es möglich von einigen Topteams die Neuverpflichtungen unter die Lupe zu nehmen und somit die neuen taktischen Komponente zu erörtern.
Danke im Voraus!

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Kör 3. September 2012 um 23:39

Das von euch als „polyvalent und sehr flexibel“ beschriebene Verhalten der Mittelfeldspieler Roms, welches anscheinend sehr offensiv interpretiert wurde(siehe elfter Absatz), sollte doch eigentlich einige Räume für Inter(besonders in Person von Sneijder) geöffnet haben. War somit das überladen des linken offensiven Raums nicht sogar von Anfang an zum scheitern verurteilt? Und hätte nicht eher sogar das offensive Zentrum, hinter den drei zentralen Spieler Roms, überladen werden müssen, um die eigentliche Schwachstelle des Zeman-Prinzips aufzudecken?

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TR 5. September 2012 um 23:22

Das Überladen der linken Seite kommt ja vor allem aus dem Aufbau heraus vor, wenn die Roma geordnet steht. Allerdings hätte man unausgewogene Situationen im Roma-Pressing vielleicht noch etwas besser lösen können. Generell war dies aber in jedem Fall oft ein Problem bei Zeman-Teams – mal sehen, wie sich das diese Saison entwickelt, ob dies auch der Fall sein wird und ob es dann andere Gegner gibt, die das ausnutzen könnten.

@James:
Wie sich die Topteams taktisch entwickeln und wie sie spielen lassen werden, ist zunächst einmal schwer zu sagen. Wir werden das in den normalen Analyse und vielleicht auch mal ähnlich wie hier dann im Verlauf der Saison bei den entsprechenden Spielen anschneiden.

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James 6. September 2012 um 02:04

Das wäre sehr nett Dankeschön!

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Tank 3. September 2012 um 17:26

Finde solche „kleinen“ Artikel über die Entwicklungen in den anderen europäischen Ligen ja eine der informativsten und spannendsten Sachen bei Spielverlagerung. Echt toll, dass ihr das immer mal wieder reingequetscht bekommt.

Wie kam es dazu, dass Zanetti so defensiv agierte? War es schlicht und einfach die Folge davon, dass er es mit der starken Roma-Seite zu tun hatte oder macht sich da das Alter bemerkbar? Ich empfand Zanetti in den wenigen Inter-Partien, die ich letzte Saison gesehen habe, noch als sehr (offensiv-)stark. Habe jetzt aber mehrfach gelesen, dass er deutlich abbaue. Stimmt das? Wäre zu schade, aber mit 39 Jahren wohl längst überfällig…

(Nur beantworten, falls es grade passt.)

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Patric 3. September 2012 um 19:07

Es spielte gestern wohl auch eine Rolle, dass Inter am Donnerstag ein ziemlich kraeftezehrendes und nervenraubendes Play-off-Spiel der Europa League gegen den FC Vaslui bestreiten musste. Die Rumaenen wollten sich partout nicht geschlagen geben und Inter hatte einige Muehe. Mit 39 steckt man das nun mal nicht so ohne weiteres weg.

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TR 3. September 2012 um 20:11

Stimmt, in der letzten Saison spielte Zanetti immer noch bockstark und für einen damals 38-Jährigen enorm ausdauernd und athletisch. Von daher fand ich seinen gestrigen Auftritt auch etwas überraschend. Kann aber sicher wohl eine Kombination aus starken Gegenspielern, langsam beginnendem Abbau, dem schweren Spiel wenige Tage vorher sein. Vielleicht wollte Stramaccioni ihn auch mitteloffensiv haben, um Roma ballfern zu isolieren, aber Zanetti spielte dann defensiv statt balanciert.

Zu deiner Klammerbemerkung: Sehr bemerkenswert, dass du als einer der aktivsten User in den Kommentaren dich nicht vordrängst und sofortige Antworten forderst. Danke dafür! 🙂

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