Niederlande acht Monate vor der EM

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Bis zur Euro 2012 sind es noch etwa 8 Monate, maximal 2 Pflichtspiele und viele offene Fragen: Wie wollen die Teams spielen, wie weit sind sie entwickelt, welche Strukturen sind (nicht) da? Welche Stärken, Probleme und Reibungspunkte gibt es? Ein Blick über unsere nordwestliche Grenze.

Es ist so frustrierend, ich bin einfach nur niedergeschlagen. Wir waren so dicht am WM-Titel dran. Wir hatten unsere Chancen. Aber die Gelegenheiten, die sich einem bieten, muss man einfach nutzen.

– Dirk Kuyt

Wieder einmal waren die Niederländer kurz vor dem großen Ziel WM-Titel gescheitert – zum dritten Mal im Endspiel. Gut eineinhalb Jahre und einige Rekorde später fühlen sich die Niederländer bereit für den Angriff auf Europas Krone. Doch wahrgenommen wird das alles nicht – Nationen mit Krisen oder Problemen sowie vor allem das vielfach heraufbeschworene Duell zwischen Deutschland und Spanien stehen im Mittelpunkt.

Niederlande - Spanien 0:1 n.V. (WM-Finale, 11.7.2010)

Doch wenn man die Gründe sucht, muss man auch auf die Niederländer selbst schauen. Nicht nur, dass sie sowieso das Etikett des ewigen Zweiten an sich tragen, sondern auch, dass sie bei der vergangenen WM von vielen für die Art und Weise ihres Finaleinzuges und das Endspiel selbst kritisch beäugt wurden. Weil sich außerdem scheinbar nichts verändert hat, wird den Oranjes nicht viel Beachtung geschenkt.

Doch hat sich wirklich nicht so viel verändert? Agiert man immer noch in einem defensiven 4-2-3-1 mit zwei defensivstarken Sechsern und tritt als hartes Team auf, welches sich auf die Klasse seines Offensivquartetts verlässt?

Wenige Veränderungen, bekannter Kern

Wenn Joachim Löw davon spricht, man solle sich vom Stammspieler-Denken verabschieden, dann hat er sicherlich Recht. Jede gute Mannschaft braucht Alternativen und eine akzeptable Kadertiefe, um auf Verletzungen, Gegner oder Spielstand angemessen reagieren und Flexibilität kreieren zu können – wie hinlänglich bekannt ist.

Natürlich ist es Löws Ziel, die Stammplatzdiskussionen herunterzufahren. Denn dass man eine gewisse eingespielte Grundstruktur und einen bekannten Kern im Team für Stabilität, Sicherheit und Abstimmung braucht, ist ebenso klar.

Genau diese Situation ist bei den Niederländern der Fall. Die Viererkette ist in fast jedem Spiel dieselbe, auf der Position des Linksverteidigers übernahm Erik Pieters von PSV nach der Weltmeisterschaft fast 1 zu 1 die Rolle vom ehemaligen Kapitän van Bronckhorst. Die Innenverteidigung bilden John Heitinga und Joris Mathijsen, rechts spielt der offensiv ausgerichtete van der Wiel.

Auch für die weiteren sechs Plätze im Team kommen fast immer dieselben Spieler in Betracht – nur elf Akteure durften sich hier auf halbwegs regelmäßiger Basis im Verlauf der Qualifikationsrunde probieren, außerdem muss Arjen Robben noch dazu gezählt werden.

Der Trend zum 4-1-4-1

Dennoch gibt es bei der Truppe von Bert van Marwijk keineswegs Stillstand. Anstelle des Personals, welches sich zudem größtenteils aus dem Kader der WM-Endrunde rekrutierte, hat sich die taktische Ausrichtung weiterentwickelt.

Auch wegen seiner häufig zu heftigen Fouls, welche bei Fans wie Funktionären für Entrüstung sorgten, ist der aggressive Zerstörer Nigel de Jong längst nicht mehr unverzichtbar. Zwar durfte er zu Beginn der Qualifikation häufig noch neben Mark van Bommel auf der Doppelsechs auflaufen, doch mehr und mehr wurden andere Kandidaten für diesen Posten getestet.

Den besten Eindruck und somit auch schließlich die meisten Einsätze machte Rafael van der Vaart, welcher sich in höher stehenden Rollen einer enormen Konkurrenz ausgesetzt sah. Als Partner von van Bommel konnte man allerdings eine sinnvolle Lösung finden. Man machte im vorderen Offensivbereich mehr Platz für andere Spieler, während man im zentralen Mittelfeld mit dem als tiefstehenden Spielmacher agierenden van der Vaart für deutlich mehr Kreativität und einen vereinfachten Aufbau sorgt. Für diesen hatte bis dato primär van Bommel verantwortlich zeichnen müssen – sicherlich keine Ideallösung.

Die Niederlande im 4-1-4-1, in Klammern Alternativen

Nun hilft van der Vaart nicht nur beim Spielaufbau, sondern stößt im weiteren Verlauf der Angriffe auch deutlich weiter mit nach vorne, was für eine dringend benötigte Anbindung zwischen Offensive und Defensive sorgt. Früher konnten diese nur die beiden offensiven Außenverteidiger gewährleisten, was viel zum schlechten Ruf der Niederländer während des Turniers in Südafrika beitrug.

Zerstreuen tut van der Vaart auch die Behauptungen, die Niederländer seien zu stark auf ihr Offensivquartett angewiesen, indem er jene Abhängigkeit verringert und sie entlastet. Seine offensive Spielweise lässt sich durch drei Scorer-Punkte und acht abgegebene Schüsse in sieben Partien erkennen.

Ein weiterer Faktor im deutlich fluider und flexibler gewordenen Spiel der Niederländer spielt Klaas Jan Huntelaar, welcher sich derzeit – auch durch seine hervorragende Torbilanz (mit Abstand bester Torjäger der Qualifikation) – einen festen Platz im Team gesichert hat. Nicht, dass man vorher keine Falsche 9 in Person von van Persie hatte, doch anstatt einer stark vertikalen Bewegungslinie hat man nun eine Falsche 9 Huntelaar, dessen Arbeitsrate sich zusätzlich auch enorm erhöht hat, in Kombination mit einem rotatationsfreudigen van Persie, dazu kommen ein Löcher füllender Kuyt und ein offensiver und vielschichtiger Spielmacher Sneijder (bzw. aufgrund einer Verletzung aktuell van der Vaart).

Die Niederlande im 4-2-3-1, in Klammern Alternativen

Trotz des Trends zu einem offensiven 4-1-4-1 und einem damit einhergehenden offensiveren Stil hat man das 4-2-3-1 nicht vergessen. Für das defensive Mittelfeld hat man hier einen neuen Kandidaten – Kevin Strootman. Spätestens seit dieser Spielzeit und seinem Wechsel von Utrecht nach Eindhoven macht er Schlagzeilen durch gute Leistungen beim PSV. Primär ein tiefstehender Spielmacher, stechen vor allem seine vielseitig ausgebildeten Fähigkeiten, sein Passspiel und seine Intelligenz ins Auge.

Stark, aber ohne Gegner?

Warum die Niederländer eher weniger beachtet werden, könnte auch daran liegen, dass eine Gruppe mit San Marino und Moldawien sowie mit Schweden und Ungarn leichter eingeschätzt wird als eine mit Türkei, Belgien und Österreich (Deutschland), Schweiz, Montenegro und Wales (England), Rumänien und Bosnien (Frankreich) oder Dänemark und Norwegen (Portugal). Zu sagen, dass die Niederländer zwar stark sind, aber keine echten Gegner gehabt hätten, wäre vermessen (hat sich aber wohl aus den vergangenen Qualifikationen durchgezogen) – Schweden und Ungarn sind bei weitem kein Fallobst, in allen vier Spielen gegen diese bot man ebenso überzeugende Vorstellungen wie in den anderen Qualifikationspartien.

Und so kommt es vor, als wenn die Niederländer es sich in ihrer Rolle bequem machen würden – mit dem Ziel, bei der EM dann zu „überraschen“. Im Vergleich zur Weltmeisterschaft hat man noch einmal zugelegt, besonders im Bereich Flexibilität ist dies sehr auffällig. Gegen starke Gegner setzt man auf ein kompaktes und sicheres 4-2-3-1 mit dem nötigen Schutzwall vor der etwas unsicheren Innenverteidigung und herausragenden Individualisten in der Offensive, gegen schwächere Teams stellt man auf das offensivere 4-1-4-1 um, welches den „typisch niederländischen“ Fußball symbolisiert – immer auf Basis einer eingespielten Mannschaft.

Zweifelsohne gehören die Niederlande nächsten Sommer zu den Titelanwärtern. Man könnte wirklich sagen, dass die bevorstehende Eingliederung Robbens in die weiterentwickelten Strukturen der Mannschaft noch ihre größte Sorge darstellt.

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