Langballsimplizität gegen Pressing- und Aufbaustabilität

2:3

Darmstadt gegen Mainz ist auf dem Papier womöglich nicht die spektakulärste Paarung, doch sowohl Schmidts Mainzer als auch Schusters Darmstädter sind in gewisser Weise ein Unikat in der Liga. Kaum einer setzt die 4-4-2-DFB-Lehre von vor einigen Jahren so präzise um wie Martin Schmidt (und das als Schweizer!), kaum jemand spielt so extremen Langballfußball wie Darmstadt.

Darmstadt zwischen 4-3-2-1 und 4-4-1-1

Der Aufsteiger konnte in dieser Saison bisher überraschend viele Punkte holen. Viele prophezeiten ihnen massive Probleme, doch zumindest zu Saisonbeginn wirken die Darmstädter stabil und mit ihrer Spielweise können sie den Gegnern in der Liga viel Kopfzerbrechen bereiten; was insbesondere die Topteams Bayer 04 Leverkusen und Borussia Dortmund bereits bemerkt hatten.

Grundformationen

Grundformationen

Die Marschroute war meist gleich: Aggressivität in einem kompakten, eher tiefen Block mithilfe von vielen Mannorientierungen und langen Bällen im Konterspiel, um schnell Räume zu überbrücken und dem Gegner keine Chance auf Balleroberungen im Gegenpressing zu geben. Bayern konterte dies beispielsweise mit tiefen Außenverteidigern und enorm weiträumigen Positionswechseln, was nur teilweise funktionierte.

Gegen die Mainzer entschieden sich die Darmstädter einmal mehr für eine solche Marschroute. Auf den Flügeln war man nicht ganz so mannorientiert wie in ein paar der Spiele zuvor, wodurch es weniger Staffelungen mit fünf oder sechs Leuten in der letzten Linie gab. Desweiteren presste man etwas höher: Die Stürmer positionierten sich teilweise am vorderen Ende des Mittelkreises, das Mittelfeld direkt hinter der Mittellinie.

Prinzipiell war diese Höhe gegen die Mainzer gut gewählt. Sie haben mit Muto, Jairo und De Blasis durchaus Spieler, die bei mehr Raum hinter der Abwehr oder mehr Strafraumnähe gefährlich sein können. Besonders natürlich ist aber Junus Malli hier eine Gefahr, auch wenn dieser bei fast jeder gegnerischen Defensivausrichtung zurzeit gute bis hervorragende Leistungen abliefert.

Mit dem Mittelfeldpressing wollte man die Mainzer zu einer tieferen, ballbesitzorientierten Ausrichtung zwingen, von der aus sie aber nur schwierig lange Bälle hinter die gegnerische Abwehr schlagen konnten. Die Formation sowie die dazugehörigen Bewegungen waren ebenfalls gut gewählt.

Prinzipiell war es eine 4-4-1-1-Formation, die aber immer wieder zu einem 4-3-2-1 wurde. Gondorf rückte meistens heraus, um Rosenthal zu unterstützen. Rosenthal als hängende Spitze hinter Wagner fokussierte sich auf das Zustellen des Sechserraums und die Unterstützung des zentralen Mittelfelds. Desweiteren spiegelte man damit das Mainzer Aufbauspiel; die Flügelstürmer orientierten sich an den gegnerischen Außenverteidigern und konnten aggressiv auf diese herausrücken, Rosenthal und Gondorf sollten gemeinsam Baumgartlinger und Latza unter Druck setzen. Niemeyer sicherte diese Beweugngen ab und sollte sich um Malli kümmern.

Dazu gab es immer wieder herausrückende Bewegungen der Viererkette, um die Räume zwischen den Linien zu versperren. Das war häufig gefährlich: Wenn Malli auswich und sich zwischen den Linien anbot, schoben der ballnahe Innenverteidiger auf ihn heraus. Immer wieder öffneten sie Lücken in der Abwehr, obgleich die anderen Spieler in diese Lücke verschoben.

Der Fokus lag auf dem Versperren der Mitte, was an sich gut funktionierte. Allerdings besitzt Mainz die passenden Spieler dafür.

Eine der besten Mittelfeldzentralen der Liga

Baumgartlinger, Latza, Malli. Alle drei dürften international wenig bekannt sein und auch national für die meisten Fußballfans nur peripher eine Rolle spielen. Alle drei besitzen aber internationale Klasse. Baumgartlinger besitzt ein herausragendes Bewegungsspiel in der Defensive und baut gut aus dem Mittelfeld auf, Latza ist technisch herausragend und enorm spielintelligent, Malli ist extrem schwer zu decken und findet sich in engen Räumen überdurchschnittlich gut zurecht.

Mithilfe dieser drei Spieler konnte Mainz im zentralen Mittelfeld den Ball häufig sehr gut und auch unter Druck laufen lassen. Sowohl Latza als auch Baumgartlinger bewegten sich intelligent und positionierten sich so, dass sie entweder schwer zu decken waren oder Räume für Pässe nach vorne öffneten.

Vielfach boten sie sich auch für die Folgeaktion geschickt an. Nach einzelnen Pässen standen sie entweder offen und mit gutem Sichtfeld nach vorne postiert oder schnellten aus dem gegnerischen Deckungsschatten heraus, um den Ball weiterleiten zu können. Verlagerungen und Pässe in die Spitze waren trotz Darmstadts Defensive immer wieder möglich. Latza und Baumgartlinger sorgten dafür und lockten einige Male auch die Mittelfeldspieler des Gegners mit simplen Tricks (Ballmitnahme nach hinten, Kurzpass, Absetzen zur Seite oder Ballhalten und Passverzögerung, bis der Gegner herausrückt) nach vorne.

Malli im zentraloffensiven Mittelfeld bewegte sich ebenfalls geschickt, wodurch er kaum gedeckt werden konnte. Über ihn und seine Ablagen sowie Dribblings und natürlich einzelne direkte Pässe von Latza auf De Blasis auf der linken Seite überwanden sie das gegnerische Mittelfeld.

Dennoch konnte Darmstadt die Mainzer einigermaßen gut verteidigen. Sie ließen zwar zwei Tore und sieben Schüsse zu, doch prinzipiell funktionierte es trotz der individuellen Unterlegenheit und den wenigen höheren Ballgewinnen gut. Das Problem lag in der Offensive.

Darmstadts Simplizität simpel verteidigen

Bis zur zweiten Spielhälfte hatte Darmstadt eigentlich keine wirkliche Großchance; Hellers Tor erzielte dieser spektakulär unter Druck aus einer eigentlich extrem schwierig verwertbaren Situation. Die langen Bälle Darmstadts, insbesondere jene im Umschaltmoment, lassen sich durch mehr Absicherung relativ gut verteidigen. Guardiola praktizierte dies mit den tiefen Außenverteidigern bereits – und wieso gegenpressen, wenn der Gegner ohnehin den Ball nach vorne schlägt und/oder nicht aufbauen kann?

Mainz‘ gute Aufteilung in der Mitte und das intelligente Aufrücken auf den defensiven Seiten (häufig fokussiert auf links mit einrückendem De Blasis und absicherndem Brosinski) sowie die Schnellangriffe mit Unterzahl ermöglichten das ebenfalls. Die meisten langen Bälle der Darmstädter endeten bei den Mainzern, obwohl sie teilweise mit allen vier Offensivspielern die letzte Linie eng und dynamisch besetzten.

Simple Änderungen für simple Rhythmuswechsel

Erst in der zweiten Spielhälfte gab es mehr Druck. Einerseits zog sich Mainz zurück; aus dem intelligenten Anlaufen bei gleichzeitigem Verstellen des Sechserraums durch die aus einer tiefen Position herausrückenden Mittelstürmer wurde eine tiefere und passivere Herangehensweise. Andererseits zog Darmstadt noch einen Spieler nach vorne und wechselte Sailer ein.

Dadurch gab es mehr Präsenz bei den langen Bällen, eine höhere Grundposition beim Spielen dieser und mehr lokale Kompaktheit bei den zweiten Bällen. Nach dem überraschenden und etwas glücklichen Ausgleich veränderte sich dies aber schnell wieder.

Quasi direkt nach dem Ausgleich wurde Mainz wieder stärker und abermals war es ein Durchbruch durch die Mitte und die Engräume dort von Malli, welcher eine Großchance und das daraus entstandene Tor einleitete.

Nach dem 2:3 zog sich Mainz wieder zurück, verteidigte aber Darmstadts aufkeimendes Ballbesitzspiel aber nun souveräner. Erst Darmstadts sehr hohes und aggressives Pressing in der Schlussphase. Passenderweise entstand der Elfmeter – ob verdient oder nicht, sei jedem selbst überlassen – in der 94. Minute durch das Pressing von zwei Mann an Mainz‘ Gonzalo Jara. Dank des vergebenen Elfers konnte sich Mainz noch einmal erfolgreich mit drei Punkten aus der Affäre ziehen.

Fazit

Kein beeindruckendes Spiel, trotz einiger schöner Aktionen – z.B. Hellers Tor oder Mallis Dribblings. Darmstadt hatte lange Zeit große Probleme und wurde besser, als Mainz passiver wurde. Fast schon symbolisch erzielte Mainz sofort wieder ein Tor, nachdem sie nicht mehr in Führung lagen. Prinzipiell funktionierte das Mainzer Offensivspiel gut, obgleich ihnen im letzten Drittel ein paar Mal die Spieler ausgingen und die Struktur nachgab; allerdings war man dadurch gegen Konter gut abgesichert. Darmstadt wurde erst stärker, als sie aus höheren Zonen ihre Angriffe starten konnten und mehr Druck machten.

CR4 6. Oktober 2015 um 05:39

So unschön und simpel die genrelle Spielanlage der Darmstädter ist, man kann sich diesem Phänomen einfach nicht auf Dauer entziehen- scheint ja auch euch so zu gehn. (Auch wenn ich mir dieses auf Zerstören ausgelegte Spiel nicht ständig antuen möchte.) Aber die Qualität der Konter kann man den Galliern mittlerweile nicht mehr absprechen (herrliche Tor von Heller!) und von ihrem Kampfgeist scheinen selbst einige BVB-Fans derzeit nur zu träumen… Was mir aber auch wieder zeigt, wie wichtig die psychische Einstellung ist!
Die bisherigen Ergebnisse der Lilien lassen sich für mich weder allein durch taktische Analyse und schon gar nicht durch Glück erklären: 1x ist Glück, 2x ist Können und das waren jetzt drei starke Auswärtsspiele gegen die Nummern 9, 12 und 15 der UEFA-5-Jahreswertung bzw. letztjährige Champions-League-Achtelfinalisten.
Vielfalt gegen Langeweile und allein dafür: danke 98er!

PS: Das Fan-Banner auswärts auf Schalke: „Wir wären heute auch mit einer KNAPPEN-NIEDERLAGE zufrieden!“ hat für mich einen literarischen Preis verdient.
http://image.stern.de/6415132/16×9-620-349/e72e206e971a49e91be3037e885c9447/yG/darmstadt-fans.jpg

Antworten

AP 3. Oktober 2015 um 22:49

Rene, siehst du die Mainzer echt so klar im 4-4-2 und hat der DFB da etwa in der Schweiz abgeschrieben… 🙂

Was will uns der gute Schuster sagen? Sie sollten das spielen, was Sie können und nicht was sie wollen…
Wollte er garnicht so „offensiv“ für Darmstädter Verhältnisse verteidigen? Dadurch haben Sie sich der eigenen Stärke, da kein Raum, im Konterspiel beraubt…

Antworten

LuckyLuke 3. Oktober 2015 um 11:15

Wenn ich mir das Mainzer Mittelfeld und die Beschreibung hier anschaue, dann hätte Mainz eigentlich einen ziemlich guten Kader für etwas ausgeprägteres Ballbesitzspiel, kann das sein?
In dem Fall wäre die recht „simple“ Mainzer Spielweise irgendwie noch „schader“ als sowieso schon…

Antworten

Lenn 3. Oktober 2015 um 12:00

Auf jeden Fall. Die haben ja vor allem auch Koo und Park abgegeben. Mit den beiden noch hätte man da schon sehr coole Sachen machen können.

Antworten

mrb 3. Oktober 2015 um 11:14

Ist Latza auch schon bei vorherigen Vereinen so ruhig und abgeklärt aufgetreten?
Hat mMn gestern keinen Sprint zuviel gemacht, sondern sich stets überlegt bewegt ohne jegliche Hektik.
Prädikat BXXX: „Mittelfeldrenner“ nein, sondern Spieler.
Auch kein eifriges Ballfordern, sondern stetige Positionierung.

Gestern erstes Spiel von ihm in Vollzeit gesehen.

Antworten

kolle 2. Oktober 2015 um 22:56

Are you serious? Wann war Abpfiff vor ner halben Stunde?

Antworten

kolle 2. Oktober 2015 um 23:02

Um noch was sinnvolles zu sagen: Beide Situationen am Ende waren durchaus pfeifbare Elfer, der gepfiffene noch etwas weniger als der nicht gegebene. Eins noch: Die Einwechslung von Stroh-Engel wird gar nicht erwähnt. Hab nur mit einem Auge geschaut, aber hierdurch sollte sich doch die Darmstädter Spielanlage durchaus verändert haben?

Antworten

Hinterlasse eine Antwort

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*