FSV Mainz 05 – Hamburger SV 1:2
Im Duell zwischen dem FSV Mainz 05 und dem Hamburger SV will keins der beiden Teams so recht angreifen. Am Ende entscheidet ein Taktikwechsel von Tuchel das Spiel.
Eigentlich kann derzeit für die Hälfte aller Bundesliga-Spiele dieselbe Einleitung kopieren und einfügen. In fast jedem Match geht es um die Qualifikation für Europa, so auch beim Aufeinandertreffen zwischen Mainz und dem HSV. Beide Trainer schickten ihre Teams in einer 4-2-3-1/4-4-2-Mischformation auf das Feld. Der nominelle Zehner (Ivanschitz bzw. van der Vaart) arbeitete bei Ballbesitz hinter dem Stürmer und schob sich bei gegnerischen Ballbesitz neben ihn. Thorsten Fink verabschiedete sich mit dieser Startelf von der Idee, van der Vaart auf der Sechs aufzustellen.
Vorsicht ist die Mutter des 0:0
Die erste Halbzeit war vor allem eins: zäh. Die Grundidee beider Teams war sich recht ähnlich: Mit Schnittstellenpässen wollten sie ihre schnellen Angreifer einsetzen. Szalai und Son lauerten an der Abseitsgrenze und hofften auf Zuspiele. Das Problem an diesem Ansatz: Bei beiden Teams hatte die Defensive oberste Priorität.
Der HSV besann sich nach den Misserfolgen in den vergangenen Spielen auf ein klassisches 4-4-2-Pressing mit einer hohen Abwehrlinie. Die Sechser Arslan und Badelj verrichteten hierbei viel vertikale Arbeit. Meistens ließen sie die Mainzer jenseits der Mittellinie in Ruhe und suchten erst in der gegnerischen Hälfte den Zugriff. Ab und an ließen sie eine Pressingattacke einfließen, bei der Badelj weit nach vorne verschob und einen der gegnerischen Sechser angriff.
Die Mainzer konnten diese Pressingattacken jedoch gut abwehren. Ihre beiden Sechser agierten recht tief, sodass der attackierte Sechser im Zweifelsfall zu seinem Nebenmann passen konnte. Mainz hatte so in der ersten Halbzeit mehr vom Ball, konnte dies aber nicht wirklich in gefährliche Angriffe ummünzen. Auf den Flügeln hielten sich die Außenverteidiger zurück, während die Außenstürmer etwas einrückten. Gleichzeitig fehlte durch die tiefe Rolle der Sechser und die hohe Rolle von Ivanschitz die Bindung zwischen Abwehr und Angriff. Die Folge: Mainz setzte auf lange Bälle, um diese Lücke zu überspielen. Diese verteidigte Hamburg jedoch stark.
Die Hamburger hatten ebenso wie die Mainzer arge Probleme mit dem ruhigen Spielaufbau. Wie eh und je mieden die Hamburger das Zentrum und versuchten, die Mainzer über die Außen zu knacken (nur 16% ihrer Angriffe liefen durch das Zentrum!). Hierzu kippte ein Sechser ab und die Außenverteidiger rückten vor. Die Außenstürmer rückten wiederum etwas ein. Ein klassischer HSV-Angriff beinhaltet in dieser Saison einen Pass auf den Außenverteidiger, der versucht, den eingerückten Außenstürmer an die Grundlinie zu schicken. Gegen Mainz war dieses Mittel jedoch nicht von Erfolg gekrönt, da sich deren Außenverteidiger zurückhielten und daher nie bespielbare Lücken hinter ihnen entstanden.
Tuchel tut das, was ein Tuchel so tut
Nach 45 extrem zähen Minuten mit nur einer Handvoll Strafraumszenen änderte Thomas Tuchel seine Formation. Er wechselte Kirchoff (für Svensson) und Zimling (für Risse) ein und stellte auf eine Mittelfeldraute um. Baumgartlinger war nun alleiniger Sechser in einem 4-1-3-2. Er kippte bei Ballbesitz zwischen die Innenverteidiger, während die Außenverteidiger vorschoben. Mainz wollte hiermit wohl den Druck erhöhen und die eigene Dominanz in die gegnerische Hälfte verschieben.
Die neue Mainzer Formation spielte aber eher den Hamburgern in die Karten. Diesen gelang es fortan mit ihren zwei Viererketten noch besser, die Mainzer Mannschaftsteile voneinander zu isolieren. Ivanschitz und Zimling agierten recht hoch und waren im Spielaufbau selten eine saubere Abspielstation. So musste Mainz oft auf lange Bälle oder auf Pässe auf die Außen zurückgreifen.
Zugleich erleichterte die neue Formation den Hamburgern das Pressing. Badeljs Vorrücken war gegen nur einen gegnerischen Sechser noch effektiver. Der HSV baute in einigen Situationen hohen Druck auf, indem Badelj Baumgartlinger aufnahm und die beiden Stürmer die Innenverteidiger anliefen. So fiel auch der Führungstreffer nach einer Pressingsituation, in der Badelj den Ball tief in der gegnerischen Hälfte eroberte (61.). Ob seine Grätsche ein Foul war oder nicht, mögen andere beurteilen. Fakt ist: Der Treffer war durch Hamburgs 4-3-3-ähnliches Pressing folgerichtig.
Auch nach dem Führungstreffer änderte sich zunächst wenig am Spiel. Die Mainzer waren immer noch ideen- und verbindungslos gegen eine Hamburger Elf, die sich auf das Verteidigen beschränkte. Erst als die Hamburger in der Schlussphase begannen, früh an den eigenen Sechzehner zurückzuweichen, verschob sich die Mainzer Dominanz in die gegnerische Hälfte. Das 2:0 fiel gerade rechtzeitig, bevor Mainz daraus hätte Kapital schlagen können. Erneut leitete Badelj mit einem sehenswerten Schnittstellenpass den Treffer ein (80.). Sons Qualitäten als Stoßstürmer kamen hier endlich zum Tragen. Das 2:1 nach einer Flanke von der linken Seite war nur noch Ergebniskosmetik (86.). Die Hamburger gewannen am Ende verdient.
Fazit
Thomas Tuchel hat nach dem Spiel eine Mainzer Elf gesehen, welche die Zweikämpfe nicht richtig angenommen hat. Das ist die eine Seite der Medaille. Die andere ist, dass Mainz spielerische Defizite hat. Sie tun sich schwer damit, Torchancen aus einem ruhigen Spielaufbau herauszuspielen. Dies wiegt umso schwerer, als dass viele gegnerische Teams mittlerweile denken: „Wir lassen die Mainzer mal machen.“ Dieses Defizit könnte am Ende der Saison zwischen ihnen und dem Europa-League-Rang stehen.
Der Hamburger SV überzeugten zwar nicht spielerisch, zeigt aber immerhin in der Defensive eine starke Leistung. Ob sie damit wieder ein Kandidat für die Europa-League-Teilnahme sind, ist eine andere Frage. Grundsätzlich sehe ich drei Probleme beim HSV: Sie machen sich durch ihr flüggellastiges Spiel zu abhängig von den eigenen Außenverteidigern, obwohl diese außer Form sind (Jansens Passgenauigkeit lag bei 58%!). Fink hat immer noch keine passende Rolle für van der Vaart in seinem System gefunden (in dieser Partie nur die sechst meisten Ballkontakte und Pässe). Und last but not least haben sie große Probleme damit, das Spiel zu machen. Gerade im letzten Punkt müssen sie sich bis zum kommenden Heimspiel gegen Fortuna Düsseldorf verbessern – diese werden sicher nicht den Ballbesitz fordern.
13 Kommentare Alle anzeigen
The lonesome death of Hattie Carroll 15. April 2013 um 10:47
Danke für diese gelungene Analyse.
Koom 15. April 2013 um 10:10
Mal auf den Hinweis, das Mainz spielerische Probleme hat. Dazu eine Frage:
Lässt sich das (teilweise) auf Invanschitz und dessen geplantes Gehenlassen auch zurückführen? Und wenn ja, inwiefern?
Meine persönliche Ansicht ist, das Mainz 05 sehr paßlastig agiert. Das insgesamt auf einem relativ guten Niveau, weil man eigentlich fast immer zu einem Chancenplus kommt, aber diese Chancen dann oft vergibt, weil bei vielen Spielern zu sehr der Paß-Automatismus im Kopf ist (anstatt den Abschluss zu suchen). Mainz kommt relativ oft (1-2 pro Spiel auf jeden Fall) in die Situation, das man zentral in den 16er reinkommt, dort aber anstatt mal draufzuhalten, nochmal querlegt. Und oft kommt dieser Paß dann auch noch an, aber der Paß ist so verdeckt, schnell oder kurz, das er von dem Empfänger nicht verwertet werden kann.
Ums anders zu sagen: Die Spieler sind im Kopf so sehr darauf trainiert, Paßoptionen zu suchen, so daß sie das Tor des Gegners nicht wahrnehmen (bzw. die eigene gute Schußchance).
Ein anderes Problem der Paßlastigkeit scheint mir auch darin zu liegen, das man relativ wenig dribbelt. Mainz regelt das Ausspielen lieber mit einem Doppelpaß, anstatt mit Wucht, Tempo oder technischer Finesse am Gegner vorbeizukommen. Das schafft selten Räume, weil man dem Gegner auf diese Weise oft gestattet, das er sich hinten positionieren kann.
Vermutlich ist dies auch (aktuell) gewollt, weil dribbelstarke bzw. zum Dribbling neigende Spieler wie Risse, Caliguri, Choupo-Moting und Parker keine oder nur kleine Rollen derzeit spielen.
geco87 15. April 2013 um 11:43
Die Passlastigkeit hast du m.E. gut beobachtet. Mit Müller hast du aber einen dribbelstarken Spieler vergessen, der fast immer spielt. Risse inzwischen und Caligiuri über weite Strecken der Saison kommen auch relativ häufig zum Einsatz. Viel mehr als ein bis zwei Dribbler haben die meisten Teams auch nicht in der Stammelf, Bayern z.B. lediglich Robben und Ribery (Shaqiri gehört noch nicht zur Stammelf).
Koom 15. April 2013 um 12:00
Das die genannten Namen nicht zu 100% hinkommen, ist klar. Wobei ich bei Müller noch sagen möchte, das er zwar hin und wieder dribbelt, aber meist auch nur, wenn wirklich gar nichts mehr geht (oder ihn der Hafer sticht). Der vermutlich stärkste Dribbler Choupo-Moting war lange verletzt und vielleicht wartet Tuchel auf volle Fitneß, bevor er ihn bringt und seiner Offensive ein anderes Leben einhaucht.
Das man generell – gerade heutzutage – wenig Dribbler einbaut, diese aber wiederum fast immer eine Kernrolle einnehmen (Bayern ohne Ribery, Barca ohne Messi „nur die Hälfte wert“), scheint mir auch offensichtlich. Aber bei anderen Teams wird auch gerne mal das 1 gegen 1 Duell gesucht, von verschiedenen Leuten. Ribery und Robben wurden genannt, aber auch Kroos, Müller – sogar Mario Gomez nutzen kurze Dribblings immer wieder mal, während ich bei (meinen) 05ern immer den Eindruck habe, das das per se verboten ist.
RM 15. April 2013 um 12:09
Statistik hierzu: 31 Mal dribbelten die Hamburger, Mainz nur 14.
Koom 15. April 2013 um 13:56
Danke für den Vergleich.
Ist das bei Mainz „typisch“, also wird da immer weniger gedribbelt oder war das ein Ausrutscher? Was ist der Liga-Durchschnitt?
Alcatraz05 15. April 2013 um 09:55
Das Zurückfallenlassen von Baumgartlinger auf die Mitte-Position zwischen den beiden Innenverteidigern und das Vorschieben der beiden Außenverteidiger hat man diese Saison als taktische Variante der Mainzer schon des Öfteren gesehen.
Je nach dem hat das auch wirklich etwas gebracht, vor allem auf der rechten Seite mit dem schnellen Pospech.
Beim Hamburg-Spiel hatte Pospech auch zwei Situationen, in der er entweder zu ungenau agierte oder die falsche Entscheidung traf, als er neben dem 16er des HSV den Ball hatte. So blieb das Vorstoßen ohne Erfolg oder Gefahr.
SCP-Poker 14. April 2013 um 16:36
saubere Analyse, wie immer.
weiter so.
Zum Spiel: Ich habe es in der 2. Halbzeit, nur die ich habe gesehen, auch so wahrgenommen, dass Mainz große Probleme im Spielaufbau hatte.
Ein Vorschlag von mir wäre, dass Soto und Baumgartlinger ihre Rollen tauschen sollten, also das Soto abkippt. Ich habe nämlich oft das Gefühel, dass Soto relativ kreativ ist. Das könnte vielleicht helfen. Klopp hat Soto mal als einen der besten „Quarterback-Spieler“ der Liga bezeichnet.
dirk schmidt 14. April 2013 um 12:08
Danke für die kluge Analyse.
Paul 13. April 2013 um 23:38
Also Son ist des HSVs Rettung. Wenn sie seine Geistesblitze nicht hätten würde es ziemlich düster aussehen. Der HSV spielt einfach zu unkonstant, da kommen Genie und Wahnsinn zu oft in der Doppelpackung. Das Spielermaterial haben sie aber um die Europa League zu erreichen
Rosinenmann 13. April 2013 um 23:06
Mit der taktischen Umstellung bin ich nicht so ganz einverstanden, Kirchhoff kam für einen angeschlagenen Svenson, und Zimling positionsgetreu für Risse, einzig im Pressing sah das aus wie ein 4-3-3, mit Ivanachitz in der Mitte und Szalai, der dann auf die 10 ging. Erst etwas später stellte Tuchel dann tatsächlich um. Wenn er in der Innenverteidiung das Spiel besser hätte eröffnen wollen, wäre Svensson wohl geblieben, da bei ihm auch der erste Ball zumeist nach vorne geht. Davon abgesehen möchte ich kaum noch was zu diesem Kick sagen, einige Dinge sind sicher noch erwähnenswert, was aber an individueller Schwäche und katastrophalem Aufbau auf beiden Seiten betrieben wirde, ging gar nicht. Ich bin kein Freund von harten Worten, aber das war, da man das Tempo in Stadion immer ganz gut beurteilen kann, gefühlt ein schlechtes Zweitligaspiel. Und zu der individuellen Klasse von Son kann man nur gratulieren.
Chris 14. April 2013 um 14:01
Als 05er muss ich leider, leider zustimmen. Ich habe in den letzten Jahren stets Tuchel und seine Elf verteidigt. Gestern war das aber einfach nur schwach. Tat phasenweise richtig weh.
AP 13. April 2013 um 20:53
TE Dein Fazit beschreibt die Mainzer Probleme ganz genau. Die Gegner stellen sich mittlerweile auf Mainz ein. Dies kann man gerne als Kompliment für die letzten Jahre nehmen. Mainz ist das Dortmund vor 3 Jahren. Überspitzt gesagt.
Defensiv unangenehm. Nun kommt der nächste Schritt, im Ballbesitz Lösungen zu haben und eigene Chancen zu kreieren. Allerdings sehe ich die Spieler noch nicht… Das sind doch die Möglichkeiten ein wenig beschränkt.