Eine Klatsche und ihre Folgen (Spieltage 8-13)

Nach dem achten Spieltag und der damit verbundenen ersten Saisonniederlage kam es zu einem Bruch bei den Bochumern. Das erfolgreiche System der ersten Spiele wurde erst angepasst und später komplett in Frage gestellt. Ex-Nationalspieler Tobias Weis avancierte zum Hoffnungsträger, der unbedingt in die Stammelf integriert werden sollte. Doch auch verschiedenste alternative Grundformationen brachten keinen Erfolg.

Situation vor dem 3:0 der Heidenheimer: Mayer, Niederlechner und Schnatterer rücken vorsichtig nach und stellen dabei die Optionen für Vorwärtspässe zu. Aufgrund der geringen Intensität fühlt Losilla sich sicher und spielt einen Querpass auf den Rechtsverteidiger Tobias Weis. In diesem Moment erhöht Heidenheim die Intensität, fängt den Ball ab und kontert direkt in die offene Lücke.

Situation vor dem 3:0 der Heidenheimer: Mayer, Niederlechner und Schnatterer rücken vorsichtig nach und stellen dabei die Optionen für Vorwärtspässe zu. Aufgrund der geringen Intensität fühlt Losilla sich sicher und spielt einen Querpass auf den Rechtsverteidiger Tobias Weis. In diesem Moment erhöht Heidenheim die Intensität, fängt den Ball ab und kontert direkt in die offene Lücke.

Das Unheil begann am 28. September beim 1. FC Heidenheim. In dieser Partie gegen die pressingstarken Ostwürttemberger wurden die Defizite im Spielaufbau gegen ein intelligentes Pressing deutlich und es setzte ein 0:5. Auch die eigenen Pressingansätze wirkten nicht kohärent. So ergaben sich Situationen, wo Danny Latza als vorrückender Sechser wie gewohnt durch die Mitte nach vorn kam und den gegnerischen Spielaufbau anlief, jedoch seine Mitspieler, im Speziellen die beiden Angreifer nicht die Intensität erhöhten, sondern passiv und teilnahmslos blieben. Folglich konnte sich der Gegner locker über simples Passspiel und Dreiecksbildung befreien. Latza schaute mehr als einmal nach links oder rechts und war verdutzt über die mangelnde Unterstützung von Simon Terodde und Stanislav Šesták. Neururer räumte im Nachhinein ein, dass es ihm vor der Partie in Heidenheim nicht gelungen sei, „vor der Begegnung eine Spannungslage aufzubauen, die hätte reichen müssen, um dort zumindest nicht zu verlieren.“

Stabilisierungsmaßnahmen erweisen sich als Boomerang

Es erscheint merkwürdig, dass Peter Neururer auf die klare Niederlage mit weitreichenden taktischen Änderungen reagierte, lagen doch die Gründe für den schwachen Auftritt nach eigener Aussage bei der geistigen Herangehensweise seiner Spieler. Insgesamt waren drei Maßnahmen zur Erhöhung der Stabilität zu  beobachten.

1. Reduktion des Risikos im Spielaufbau

Das Heidenheimspiel machte die Bochumer Probleme mit hohem Pressing für jeden sichtbar. In den nächsten Spielen gegen den 1. FC Nürnberg sowie Darmstadt 98 standen die Blau-Weißen von Beginn an unter Druck. Der Bochumer Spielaufbau verlor merklich an Struktur. Anstatt passende Mechanismen zu finden, um die erste Pressingwelle zu umspielen oder auszuspielen, wurden viele Bälle von den Verteidigern und Torwart Andreas Luthe simpel nach vorn gebolzt.

Wir haben ein paar Schlüsse daraus gezogen, was Heidenheim gut gemacht und der FSV [Frankfurt] ein bisschen verpeilt hat.
Dirk Schuster, Trainer SV Darmstadt 98

Die direkte Folge war eine schlechtere Einbindung der Angreifer Šesták und Terodde. Vor allem der Slowake war bisher eminent wichtig im Aufbau, da viele Bälle über die Innen- oder Außenverteidiger direkt in den offensiven Halbräumen zu ihm gelangten und er anschließend über kontrollierte Ablagen und Kombinationen den Angriff weiterführen oder mit Lochpässen gar zum Abschluss führen konnte. Bei den längeren, hohen Zuspielen hatte Šesták nun vermehrt einen direkten Gegenspieler im Rücken und konnte sich gegen diesen nicht immer physisch behaupten. Auch ein Grund, warum seine Leistung in dieser Phase schwächer empfunden wurde und er später aus der Startelf verschwand. Terodde hatte derweil mit seinen technisch limitierten Mitteln grundsätzliche Schwierigkeiten, hohe Zuspiele direkt zu verarbeiten. Auch Anthony Losilla und Latza wurden komplett überspielt. Gerade Letzterer konnte folglich nicht seine Stärken in Engen einbringen und wurde vielmehr darauf reduziert, zweite oder lose Bälle zu erobern. Das bewirkte wiederum, dass das Sechserduo stärker aus der Grundposition nach vorn schob. Das eigentliche Problem der Instabilität infolge des stärkeren Herausrückens wurde letztendlich sogar forciert.

2. Kollektiver Rückzug

Aggressive Herausrückbewegungen führten seit Saisonbeginn zu größeren Problemen in der kollektiven Stabilität des VfL. Allerdings wurde dieses Problem durch den Ausfall von Jan Šimůnek, dem aktivsten zentralen Verteidiger, und der Hereinnahme des eher zurückhaltenden, balancierenden Malcolm Cacutalua bereits deutlich eingeschränkt. Trotzdem rief Neururer seine Mannschaft immer weiter zurück. Die Höhe der Abwehrlinie wurde schrittweise reduziert. Vielleicht sah das Trainerteam durch den Verlust von Šimůneks Dynamik eine höhere Anfälligkeit gegenüber Bällen hinter die Abwehrkette. Eine solche konnte jedoch bisher kaum festgestellt werden, obwohl beispielsweise die Düsseldorfer dieses Mittel stark forcierten. Da weiterhin Wert auf ein aggressives Anlaufen gelegt wurde, waren die Wege beim Herausrücken durch die tiefere Stellung noch länger. Somit wurde deren destabilisierende Wirkung auch durch diese Maßnahme verstärkt.

„Wir haben im Mittelfeld begleitet statt bekämpft. Pressing geht nicht über eine 45 Meter Distanz. Es ist schlichtweg der Wahnsinn, wenn man Pressing spielen will und dabei eine Zweikampfquote von 47 Prozent hat. Das ist fatal.“
Peter Neururer

3. Formative Änderungen und die Einbindung von Tobias Weis

Die negativen Folgen der Anpassungen in Spielaufbau und Pressinghöhe sorgten dafür, dass Neururer die bisher etablierte 4-4-2-Grundformation selbst in Frage stellte. Mit Ex-Nationalspieler Tobias Weis war in der Zwischenzeit ein Neuzugang verpflichtet worden, von dem Neururer sich auch aufgrund seiner Erfahrung eine Stabilisierung versprach. Er war jedoch bis dahin in puncto Einbindung ein Sorgenkind. Aufgrund der gesetzten Doppelsechs im 4-4-2 gab es nur Kurzeinsätze als Wechselspieler. Von Beginn an wurde er zunächst nur auf den verletzungsbedingt zu besetzenden Flügelpositionen getestet – als rechter Mittelfeldspieler gegen Düsseldorf und als Rechtsverteidiger gegen Heidenheim. Diese Einsätze endeten jedoch in einer mittleren Katastrophe, da er unablässig einrückte und die Außenbahn öffnete. Die anspruchsvollen balancierenden Aufgaben, die Yusuke Tasaka und Stefano Celozzi sonst erfüllten, konnte Weis auf der rechten Seite nicht leisten.

Sollte Weis trotz dieser schwächeren Auftritte in die Startaufstellung integriert werden, war eine Systemumstellung unumgänglich. In den ersten Spielen hatte sich noch ohne Weis zur Stabilisierung ein Dreiermittelfeld in einer 4-1-4-1-Grundformation bewährt. Dieses Dreiermittelfeld gab es ab dem Spiel gegen RB Leipzig nun regelmäßig von Beginn an zu sehen. Es wurden dabei verschiedene Formationen getestet.

Von der Raute zum Tannenbaum

11. Spieltag: RB Leipzig (Raute, 4-3-1-2)

Bei der Premiere des neuen Mittelfeldzentrums musste Weis noch kurzfristig passen, so dass Marco Terrazzino auf der neu geschaffenen rechten Achterposition eingesetzt wurde. Anders als die Heidenheimer agierte der Bochumer Dreierblock jedoch beim Verschieben nicht kompakt genug, was die Roten Bullen insbesondere für Flügeldurchbrüche gegen die allein gelassenen Außenverteidiger nutzten. Obwohl der Gegner die – mit den Heidenheimern – wohl beste Pressingmannschaft der zweiten Liga darstellte, war der VfL im Aufbauspiel aufgrund der höheren Zahl an zentralen Kreativspielern jedoch weniger anfällig als zuletzt.

2. Pokalrunde: Dynamo Dresden (Raute, 4-1-2-1-2)

Im Pokal durfte Weis dann erstmals von Beginn an im Mittelfeld agieren. Er schob jedoch, obwohl die Bochumer gegen das tiefere Dresdener Pressing in Ruhe aufbauen konnten, bereits früh zentral sehr hoch vor. Tasaka, der als Zehner der Mittelfeldraute agierte, wich deshalb viel auf den Flügel aus. Da auch Latza in den linken offensiven Halbraum vorstieß und Šesták sich fallenließ, um Bälle im Zwischenlinienraum zu erhalten, konnte der VfL diese Zone überladen und agierte sehr dominant im zweiten Drittel. Dynamos Trainer Stefan Böger stellte deshalb Mitte der ersten Halbzeit ebenfalls auf eine 4-3-1-2-Raute um. Auf diese Weise konnte er das Zentrum selbst mit drei Mittelfeldspielern sichern und gleichzeitig durch das Verschieben von Goalgetter Justin Eilers in den Sturm Bochums Ersatzviererkette mit Holthaus, Butscher und Cacutalua fordern.

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Dresden hat den Ball im linken Halbraum. Die Bochumer Raute zieht sich direkt horizontal kompakt um den Ball zusammen, ist dabei aber vertikal gestreckt. Losilla verzögert den Angriff jedoch nicht durch eine raumblockierende Stellung, so dass Weis Zugriff bekommen kann, sondern rückt selbst heraus. Er verpasst den Ball und Dresden kann in den Zwischenlinienraum durchbrechen. Nur da Comvalius Rechtsaußen Eilers den Ball aus Abseitsstellung kommend wegnimmt, kommt der VfL ohne Gegentor davon.

In dem nun engeren Zentrum kamen die technischen und strategischen Schwächen von Weis stärker zur Geltung – so lief er beispielsweise vor Holthaus irrem Dribbling zur Vorbereitung des 1:0 den von Šesták geöffneten Raum zum Durchbruch fast wieder zu. Der spielstarke Tasaka schwebte währenddessen balancierend irgendwo im Vakuum zwischen Rechtsaußen und notgedrungenem Zehner umher, aber seine Stärken, die vor allem im situativen Einschalten in den Spielaufbau, dynamischen Diagonaldribblings und der Initiierung von entsprechenden Durchbrüchen liegen, konnte er nicht richtig einbringen. Aufgrund seiner aufgerückten Position musste Weis nach Ballverlusten sehr weite Wege machen, wobei er oft zu ballorientiert agierte. Da Latza und Losilla bezüglich der Balance zwischen absichernden, raumorientierten Positionen und Ballorientierung ähnlich wie Weis eingestellt sind, gab es häufig fast linienartige, horizontal extrem kompakte 1-2-1-Stellungen im Mittelfeld der Blau-Weißen. War die direkte Balleroberung nicht erfolgreich, gab es riesige offene Räume. Der Durchbruch über den offenen rechten Flügel der Bochumer und die anschließende Billiardvorlage im Zentrum zu Dresdens Ausgleich zeigte diese Probleme sehr gut auf. Unmittelbar davor war Gregoritsch für Tasaka, der Weis Bewegungen bis dahin balanciert hatte, gekommen.

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Entstehung des 1:1: Holthaus gegen Eilers gut wegspitzelter Ball geht durch drei Bochumer hindurch zu Erdmann. Gregoritsch weicht zurück und verfolgt Tekercis Lauf, statt direkt zu versuchen, den Passweg auf den freien Außenverteidiger David Vrzogic zu schließen. Weis fällt ebenfalls vertikal zurück, statt auf die rechte Seite herüberzuschieben. Celozzi ist deshalb zum Herausrücken gezwungen, wodurch er Losilla verfolgt Dürholtz Laufweg in die Verteidung (halbtransparente Position). Vrzogic kann ins letzte Drittel eindringen und den Ball in den geöffneten Zwischenlinienraum zu Comvalius spielen. Da Butscher statt Cacutalua herausrückt, ist der Raum für Eilers Durchbruch nach einer Billiardaktion frei.

12. Spieltag: 1860 München (4-1-3-1-1)

Grundformationen zu Beginn

Grundformationen zu Beginn

Da die extrem enge 1-2-1-Raute nicht den erwünschten Erfolg brachte, gab es  gegen 1860 München ein 4-4-1-1/4-1-3-1-1, in welchem Weis als Hybrid aus linkem Achter und linkem Flügelspieler fungierte. Zunächst hätte vor dieser Partie erwartet werden können, dass Bochum wieder eine Raute spielen würde, bei der Gregoritsch als ausweichender und zurückfallender Stürmer wie in der Schlußphase gegen Dresden mit Tiefensprints aus dem Rückraum für Durchschlagskraft sorgt. Die Idee dahinter erschien recht simpel. Weis sowie Tasaka sollten konstant einrücken und die Außenbahnen für die Außenverteidiger sowie das Ausweichen Gregoritschs öffnen. Diese Mechanismen gab es tatsächlich zu sehen. Tasaka interagierte als diagonaler Ablagen- und Kombinationsspieler mit dem nach vorn stoßenden Celozzi. Auf dem anderen Flügel positionierte sich Weis tendenziell stärker in Richtung Mitte. Gregoritsch driftete dafür mit zunehmender Spielzeit nach außen ab. Der Österreicher tauchte dabei auch auf der rechten Seite auf oder war im Terodde-Schatten der erste Zielspieler. Der VfL reagierte in der Abwehrreihe sehr nervös auf das Anlaufen der Münchener Löwen, sodass frühzeitig lange spekulative Bälle gebolzt wurden. Bei dem einen oder anderen geplanten Zuspiel über längere Distanz kam Gregoritsch somit als Verlängerungsstation für Terodde zum Einsatz, so wie bei der einen Bochumer Großchance in der ersten Halbzeit.

Defensiv sollte die Formation sich wohl wieder näher an dem Mechanismen des 4-4-2 der ersten Spieltage orientierten. Weis agierte breiter und deutlich neben der vertikal gestaffelten Doppelsechs auf der linken Seite. Jedoch rückte Gregoritsch aus der Position als hängende Spitze sehr weit nach links. Teilweise positionierte er sich fast direkt vor Weis. Ein möglicher Grund könnte ein leitendes Element im Pressing gewesen sein. Guillermo Vallori als rechter Innenverteidiger absolvierte gegen Bochum erst seinen dritten Saisoneinsatz und war wohl vor allem wegen seiner defensiven wie offensiven Kopfballstärke aufgestellt worden. Im Aufbauspiel ist der Spanier eher limitiert. Somit erscheint eine kleines Loch im Pressing vor diesem Innenverteidiger als übliches Mittel, um diesen zum Aufrücken in eine Pressingfalle einzuladen. Jedoch war Gregoritsch zu tief und das Zusammenziehen nach Bällen auf Vallori zu unintensiv, sodass diese Maßnahme keine Wirkung erzielen konnte.

Mit zunehmender Spielzeit gab es diese Ballung von Weis und Gregoritsch auch bei Ballbesitz zu sehen. Auffällig war, dass der Österreicher bei der tieferen Ballzirkulation des VfL anscheinend aus dem Dreieck Vallori (IV) – Angha (RV) – Weigl (RZM) fliehen wollte und sich quasi von deren Bewegungen in neue Freiräume treiben ließ, während Weis zuweilen einfach in eine höhere Position aufrückte und dort verweilte. Insgesamt wirkte dieses Spiel, bei dem der VfL schlussendlich 0:3 verlor, stark auf die linke Seite von Bochum beziehungsweise die rechte Seite von 1860 München fokussiert. Latza agierte als vorgeschobener linker Sechser oder Achter. Zwischen ihm und Losilla ergab sich eine Diagonalstellung im Zentrum, während Tasaka vom rechten Flügel vermehrt in den rechten Achterraum einrückte.

13. Spieltag: 1. FC Kaiserslautern (4-1-4-1)

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Weis und Latza sind nacheinander mann- bzw. ballorientiert auf Karl vorgerückt, so dass Bochum situativ im 4-3-2-1 steht. Losilla bleibt zentral statt die Lücke im Halbraum zu schließen. Die Abwehrkette steht tief und lässt Platz im Zwischenlinienraum. Gregoritsch steht ohne Bindung zur Formation in Unterzahl am Flügel (rot). Lautern kann leicht durchbrechen.

Die beschriebenen Maßnahmen – formative Umstellung, tiefere Abwehrreihe und Pressinghöhe, längere Schläge im Aufbau – fanden in den ersten Minuten beim Auswärtsspiel auf dem Betzenberg ihren negativen Höhepunkt. Aus einem 4-1-4-1 wurde der Aufbau der Lauterer, wenn er bereits im Sechserraum war, konsequent mannorientiert angelaufen. Besonders die Achter taten sich hierbei hervor, so dass häufig 4-4-1-1 oder 4-3-2-1-artige Stellungen entstanden. Die Läufe erfolgten sehr gradlinig, ohne lenkende Elemente. Der Zugriff blieb aus, andererseits rückten weder die Flügelspieler ein, noch die Abwehrreihe nach. Es wurde in der tiefen Grundposition verharrt. Folglich war trotz der Absicherung durch den alleinigen Sechser Losilla der Raum vor den Verteidigern weitgehend offen, was Anspiele in die Halbräume durch die eigenen Schnittstellen zuließ. Da die Abwehr trotz der tieferen Stellung immer noch einen gewissen Abstand zum Tor hatte, konnten Lauterns Sechser die Zeit nutzen, um die Flügelsprinter mit Steilpässen hinter die letzte Linie zu schicken. Nur mit viel Glück und einer kleinen Steigerung mit zunehmender Spielzeit konnte Bochum ein Unentschieden mitnehmen, da Lautern mit seinen Chancen (9:7 Torschüsse, 7:1 Ecken) leicht verschwenderisch umging, während der VfL seine enorme Effizienz bewies.

Rückschritt statt Fortschritt

Die Experimente mit verschiedenen neuen Grundformationen sind letztendlich gescheitert. Nach der Länderspielpause gab es die Rückbesinnung auf das 4-4-2/4-2-2-2 der erfolgreichen ersten Wochen zu beobachten. Dies soll jedoch erst im nächsten Teil der Serie zum Thema werden. Stattdessen möchte ich abschließend diskutieren, welche Gründe für das Scheitern der Experimente mit den alternativen Formationen verantwortlich sein könnten.

1. Zu isoliertes und mannschaftstaktisch orientiertes Training

Das Training ist nach bisherigen Beobachtungen und Presseberichten eher mannschaftstaktisch orientiert und legt den Fokus auf fundamentale Abläufe statt auf gruppentaktische Abstimmungen. Deshalb mangelt es partiell an Automatismen, die übergeordnet ablaufen und somit in neue Formationen beziehungsweise Systeme integriert werden können. Solche werden über kleinere Spielformen mit weniger Spielern trainiert. In chaotischen Situationen sind die Bochumer deshalb meist desorientiert.

„Wir haben auch Ansätze entdeckt, wo Leipzig verwundbar ist und wie sie zu schlagen sind. Das haben wir versucht, im Training einzustudieren und wollen es nun natürlich auch am Freitag umsetzen.“
Peter Neururer vor dem ersten Einsatz des Dreiermittelfelds gegen RB Leipzig

Durch die ständig neuen Rollen und die Anpassung der Pressinghöhe werden die Spieler vor immer neue Herausforderungen gestellt. So müssen beispielsweise je nach Situation Räume über Nutzung des Deckungsschattens, präventives Blockieren oder über Mannorientierungen gesichert werden. Insbesondere Gregoritsch zeigt dabei noch schwerwiegende Orientierungsprobleme. Bereits gegen Heidenheim driftete er über die Spielzeit hinweg in eine merkwürdig passive Rolle ab. Dabei orientiert er sich an seinem Hintermann, also normalerweise dem linken Außenverteidiger oder wie gegen 1860 dem linken Flügelspieler, und versucht die Kompaktheit zu halten. Dabei sind die Abstände jedoch teilweise so gering, dass der Österreicher eher die Orientierung seiner Kollegen stört, als diese zu unterstützen. Kommt der Ball in seine Nähe, agiert er plötzlich ballorientiert. Durch die zu tiefe Stellung hat er dann jedoch nie intensiven Zugriff. Da der ihn absichernde Spieler vorher auf seine Stellung reagierte und eventuell eingerückt oder zurückgefallen ist, wirkt sein Herausrücken in diesen Fällen extrem destabilisierend.

Ähnliche Probleme, wenn auch in deutlich reduzierter Form, sind ebenfalls bei Losilla zu beobachten. Der Franzose rückt gern und risikofreudig heraus. In der alleinigen Sechserposition kann dies jedoch extrem destabilisierend wirkten – vor allem da mit Latza und Weis bereits zwei sehr ball- bzw. mannorientierte Spieler vor ihm agieren. Die neue Position hätte also eine veränderte, gruppentaktische Entscheidungsfindung bedingt. Die obige Szene aus dem Spiel gegen Dresden dient als deutliches Beispiel.

Diese individuellen Probleme bestehen nun schon seit Saisonbeginn und bessern sich bisher nicht. Insgesamt ist eher ein taktischer Rückschritt gegenüber der Saisonvorbereitung und den ersten Saisonspielen zu erkennen. Der Verzicht auf das Vermitteln und Feintuning der mit dem Anlaufen verbundenen Voraussetzungen, Anforderungen (Nutzung des Deckungsschatten zur Lenkung der Entscheidungsfindung bereits beim Anlaufen) und Folgebewegungen resultierte schlussendlich in den Experimenten mit den Grundfornationen, wodurch diese wichtigen Anpassungen weiter in den Hintergrund gerieten. Auch wenn zu vermuten ist, dass Neururer versucht, komplexe Sachverhalte wie das kollektive Pressing in massentaugliche Aussagen zu gießen, ist es doch verwunderlich, wie sehr er das Wort “Pressing” rein mit dem individuellen Anlaufen der Gegenspieler verbindet.

2. Verzicht auf Role-Player

Die Entfernung zwischen dem erweiterten Stammpersonal und dem übrigen Kader nimmt von Spiel zu Spiel zu. Hochgehandelte Spieler der Vorsaison wie die (ehemaligen) Nationalspieler Piotr Ćwielong (Polen) und Adnan Zahirović (Bosnien-Herzegowina) oder die aussichtsreichen Jugendspieler Henrik Gulden und Onur Bulut warten vergeblich auf Einsatzzeiten. Insbesondere Ćwielong und Zahirović wären jedoch im Rahmen der Systemumstellungen als Role-Player interessant gewesen. Der Pole ist taktisch und defensiv deutlich stabiler als Gregoritsch. Er wäre im Spiel gegen Kaiserslautern eine Option für den Flügel gewesen und auch generell interessant im 4-4-2/4-2-2-2 gegen stärkere Gegner. Im situativen 4-3-2-1, welches gegen Lautern häufig zu sehen war, hatte außerdem Bulut als Hybrid zwischen Flügelspieler und Sechser eine vielversprechende Option sein können. Der Bosnier Zahirović hat in seinem Nationalteam und im früheren Verein als alleiniger Sechser überzeugt, böte sich also als Absicherung und Befreiung der herausrückfreudigen und spielstarken Doppelsechs aus Latza und Losilla in einem Dreiermittelfeld an.

3. Umstellungen während der Spiele

Während das Trainerteam in den ersten Spielen noch mit guten Anpassungen beeindrucken konnte, gab es zuletzt nach Rückständen eher “plumpe” Einwechselungen. Der Fokus auf ein kleines Repertoire von einstudierten Systemen und die bisher nicht geglückte Weiterentwicklung der Einzelspieler erlaubt nur limitiert Anpassungen während der Partien, die fast ausschließlich durch die individuelle Charakteristik der Spieler sowie die Erhöhung des Risikos geprägt sind. Dabei wird entweder positionstreu getauscht (Terrazzino für Gregoritsch, Forssell für Šesták) oder durch das Verschieben von Stürmern (Gregoritsch, Šesták) auf die Flügelpositionen im 4-4-2/4-2-4 sowie das Aufrücken der Sechser die offensive Durchschlagskraft erhöht. Die Mannschaft steht schlussendlich in einem vertikal gestreckten 4-(0)-2-4 ohne ordentliche Verbindungen und hält nach langen Bällen aus der Abwehr die Brechstange in der Hand. Diese Marschroute hat zwar gegen Darmstadt und Kaiserslautern zumindest zum Ausgleich geführt, kann sich aber auch wie gegen 1860 München rächen. Schön anzuschauen ist es für den Taktik- und Fußballfreund nicht. Insbesondere im Pokalspiel hätte sich gegen die Raute und Dresdens Fokus auf zentrale Schnittstellendurchbrüche eine Umstellung auf Dreierkette, z. B. im 3-3-1-3 aufgedrängt, so wurden die Außenverteidiger fast vollständig verschenkt.

Zusammenfassung der eingesetzten Spieler und Systeme

Protokoll der eingesetzten Spieler und Grundformationen

Fazit

Die Änderungen, die in Reaktion auf die Heidenheim-Pleite und die damit verbundenen Anpassungen der Gegner, wie das höhere Pressing, vorgenommen wurden, schlugen weitgehend fehl. Die Integration von Weis gelang bisher nicht. Viel mehr ist die Einbindung von Spielern wie Šesták, Terodde, Losilla oder Tasaka, dessen wichtige Rückfallräume durch die formative Stärkung des Mittelfeldzentrums blockiert wurden, eher schlechter geworden. Es wird interessant, ob die Rückbesinnung auf die bewährte Grundformation in Zukunft mit den notwendigen Feinanpassungen kombiniert werden kann.

Vielen Dank an CE für die großartige Unterstützung und fachliches Feedback!

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