VfB Stuttgart – Werder Bremen 4:1
Werder Bremen überrascht mit einem 4-4-1-1-System, geht jedoch trotzdem mit 1-4 gegen den VfB Stuttgart unter. Labbadias Team überzeugte mit dominanten Passspiel und einem starken Pressing.
Während die ersten vier Plätze in der Tabelle relativ klar vergeben sind, tobt dahinter ein Kampf um die Europa League Qualifikation. Mit Werder Bremen und dem VfB Stuttgart trafen am Freitagabend zwei direkte Konkurrenten aufeinander. Die Stuttgarter befanden sich zuletzt in einer starken Form. Bruno Labbadias 4-2-3-1/4-4-2 Mischformation funktionierte in der Rückrunde zunehmend besser, sein Spielsystem hat nach den Problemen in Winter wieder in die Spur gefunden. Bei Werder stand Schaafs Festhalten an der Mittelfeldraute hingegen in der Kritik. Thomas Schaaf wagte nun einen überraschenden Schritt und stellte um: Seine Mannschaft lief in einem 4-4-1-1 auf.
Das 4-4-1-1 von Werder Bremen
Anders als zuletzt agierten die Bremer mit einer klassischen Doppelsechs. Naldo und Ignjovski sicherten das Zentrum ab. Auf den sonst unbesetzten Außenpositionen agierten Marin und Junuzovic, die bei Ballbesitz oft den Weg nach innen suchten. Bremen spielte so mit zwei klaren Viererketten. Pizarro postierte sich direkt vor der Mittelfeldreihe und diente als zusätzliche Absicherung im Zentrum gegen Überzahlsituationen des Gegners. Das gesamte Mannschaftskonstrukt baute sich recht tief (5-10 Meter vor dem eigenen Strafraum) auf.
In den Anfangsminuten merkte man den Stuttgartern die Überraschung über das unerwartete Bremer System an. Ihr Matchplan beinhaltete offenbar, die gegnerische Abwehr über Spielverlagerungen auseinanderzuziehen. Gegen eine Raute ist dies eine gute Idee, da die gegenüberliegende Außenposition bei einem Flügelwechsel oft unbesetzt bleibt. Gegen das neue System mit den zwei klassischen Außenspielern verpuffte die Wirkung der Seitenwechsel jedoch – ein Bremer nahm auf der anderen Seite seinen Gegenspieler sofort nach der Ballannahme auf. Stuttgart kam daher kaum ins gegnerische Drittel. Während die Schwaben noch dabei waren, die eigenen Angriffe zu strukturieren, schlug Werder eiskalt zu. Ein schneller Konter über Marin netzte Rosenberg eiskalt ein (25.).
Nach und nach kamen die Stuttgarter jedoch besser mit ihrem Gegner klar. Dadurch dass die Norddeutschen fast durchgehend mit zehn Mann in der eigenen Hälfte verteidigten, übte Bremen keinerlei Druck in der gegnerischen Hälfte aus. Stuttgarts Sechser Kvist nutzte dies aus, um aus der eigenen Hälfte die Bälle auf die Flügel zu verteilen. Er spielte dabei bei 61 Pässen nur einen einzigen Fehlpass – ein fabelhafter Wert. Zum einen erarbeitete sich Stuttgart über diese Querpässe eine gewisse Dominanz, zum anderen konnte sie eine ihrer großen Stärken ausspielen: Wenn sie mit nach ruhigem Spielaufbau eine Lücke entdeckten und ins letzte Drittel vordrangen, taten sich die Vorzüge ihrer aktuellen Formation hervor.
Stuttgarts Bewegung ohne Ball und Pressing
Ein großer Vorteil von Labbadias System ist die Schaffung zahlreicher Dreiecke in der gegnerischen Hälfte. Da die Außenverteidiger sich recht hoch postieren, hat Stuttgart auf den Flügeln praktisch immer eine 2-2 Stellung: Der Außenverteidiger wird vom fallenden Hajnal oder einem Sechser horizontal neben ihm unterstützt, vor ihnen agieren der nach innen ziehende Außenstürmer und Mittelstürmer Ibisevic. Es ergeben sich verschiedene Wege, mit dieser Stellung über die entstehenden Dreiecke Chancen zu kreieren: Das können Ablagen des Stürmers auf den Mittelfeldspieler sein, oder auch Schnittstellenpässe in die Gasse zwischen gegnerischem Außen- und Innenverteidiger.
Vor einigen Monaten, bei meiner Analyse des Pokalspiels der Stuttgarter gegen Bayern, habe ich sie für dieses System kritisiert. Da viele Akteure recht weit vorne auf dem Feld postiert sind, ist diese Spielweise recht riskant und auf eine gute Ballverteilung aus dem Zentrum angewiesen – wenn Stuttgart nicht ins letzte Drittel kommt, tut sich das System vor allem durch ballferne Anspielstationen für die Aufbauspieler hervor. Mit dem Wechsel Ibisevic‘ hat sich die Bewegung ohne Ball jedoch wesentlich verbessert. Seine kurzen, aber effektiven Antritte ziehen die Innenverteidiger raus, so dass die Läufe der Außenstürmer effektiv sind. Auch kann er die Flanken des breit angelegten Systems ausnutzen und ist zudem ein starker Prellspieler. Sky-Kommentator Hagemann hatte Recht mit seiner Einschätzung, Ibesevic sei das Puzzleteil, das Labbadia in der Hinrunde fehlte. Zudem befinden sich Kvist und Hajnal in einer starken Form. Letzterer ließ sich besonders nach der Pause oft zurückfallen und strukturierte das Spiel.
Ein weiterer Glanzpunkt des Stuttgarter Spiels ist ihr Pressing. Durch die zahlreichen Spieler im letzten Drittel können sie nach einem Ballverlust in ebendieser Zone ein dominantes Gegenpressing aufziehen. Auch ihre geordneten Attacken aus einem 4-4-2-System (Hajnal neben Ibisevic) werden durch eine hohe Dynamik und viel Kraftaufwand gekennzeichnet. Bremen wurden so die Möglichkeit genommen, ihre Strategie des schnellen Umschaltens auszuführen – Stuttgart unterdrückte die Konterversuche mit ihrem Gegenpressing.
Zweite Halbzeit: Dominanz und Umstellungen
In der ersten Viertelstunde nach der Pause kumulierten die beschriebenen Faktoren in einer klaren Stuttgarter Dominanz: Bremen blieb auch nach der Pause zunächst in der abwartenden 4-4-1-1 Formation. Stuttgart ließ den Ball in den eigenen Reihen laufen und kam über die Außenpositionen zu Möglichkeiten. Bei ihren Flanken und Sprints nach innen hatten sie zwar eine recht geringe Erfolgsquote, dafür holten sie mehrere Freistöße und Ecken heraus. Dass Stuttgart das erfolgreichste Team nach Standards ist (16 Treffer vor diesem Spiel), bekam Bremen am eigenen Leib zu spüren: Bereits das 2:1 erzielte Harnik nach einer Ecke (37.), auch das 3:1 (erneut Harnik, 53.) und das späte 4:1 (89. durch den eingewechselten Cacau) fielen nach ruhenden Bällen.
Zwischen den letzten beiden Treffern versuchte Bremen, durch eine taktische Umstellung zurück ins Spiel zu finden. Schaaf brachte Füllkrug (58., für Marin) und Trybull (58., für Affolter) und stellte auf die klassische Raute um. Bremen presste nun wesentlich höher. Jedoch war ihr Spielsystem fortan durch ständiges Durcheinander geprägt: Die Halbfeldspieler hielten ihre Position selten, auch Pizarro agierte als nomineller Zehner extrem hoch. Die entstehende Lücke im Mittelfeld und auf den Außen nutzte Stuttgart geschickt aus, um das Tempo aus dem Spiel zu nehmen. Gerade Hajnal tat sich in der letzten Viertelstunde vor seiner Auswechslung (in der 80. kam Okazaki für ihn) durch ständige Rochaden und viel Laufarbeit hervor. Bremen konnte trotz offensiver Umstellung keine echte Torchance verbuchen.
Fazit
Der VfB Stuttgart ist im Kampf um die Europa League Plätze schon jetzt der große Gewinner des Spieltages. Durch den Sieg über einen direkten Konkurrenten scheint mittlerweile gar ein Angriff auf die viertplatzierten Gladbacher möglich. Labbadias System, das im Winter überhaupt nicht funktionierte, flutscht mittlerweile. Der Transfer Ibisevic‘ und die anhaltend hohe Form der Schlüsselspieler Kvist, Hajnal und Harnik bringen im Moment die Stärken der riskanten Spielweise zum Vorschein. Dazu wird das zuletzt gewonnene Selbstvertrauen effektiv für ein leidenschaftliches Pressing genutzt. Bruno Labbadia gelingt im Moment fast alles.
Thomas Schaaf auf der Gegenseite verpokerte sich mit seiner Systemumstellung. Die passive Spielweise seiner Mannschaft hatte nur in der ersten halben Stunde halbwegs Erfolg, auch wenn sie außer dem Tor und einem Fernschuss von Marin keine Großchancen herausspielen konnten. Die Alternative zur Raute hatte mit Abstimmungsschwierigkeiten zu kämpfen – das 0:1 war ein Zusammmenspiel schwacher Zweikämpfe und eines zu tiefen fallenden Mannschaftsverbundes. Jedoch funktionierte auch die Raute, auf die Schaaf zu Spielende umstellte, nicht besser. Ich bin gespannt, ob Raute in der nächsten Partie zur Raute zurückkehrt. So oder so, es sind harte Wochen in Bremen, die drauf und dran sind, die Europa League auf der Schlussgerade der Saison zu verspielen.
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8 Kommentare Alle anzeigen
Pep 15. April 2012 um 23:14
Bruno Labbadias 4-2-3-1/4-4-2 Mischformation funktionierte in der Rückrunde zunehmend besser, sein Spielsystem hat nach den Problemen in Winter wieder in die Spur gefunden.
Gratuliere, Stuttgart spielt wirklich einen tollen Fußball. Ein Fußball, auf das Rolfes & Co ja keinen Bock hatten und es wohl auch nicht in Zulunft zu spielen gedenken…
Smerk 15. April 2012 um 04:02
Zu Beginn des Absatzes über die Zweite Halbzeit:
kulminierten statt kumulierten 🙂
ebicoach 15. April 2012 um 01:24
Ich war vor ort in stuttgart. die analyse trifft zu. erwähnen sollte man auf jeden
fall gentner der auf stuttgarter seite ein sehr starkes spiel machte. als nominieller
sechser spielte er sehr offensiv und rochierte mit hajnal. mit seiner laufbereitschaft und athletik perfektionierte er das
gegenpressing der stuttgarter weit in der hälfte der bremer. taktisch wechselten die stuttgarter sogar in ein 4-4-2 mit raute, wobei hajnal die 2 spitze war , gentner
hinter den spitzen agierte und diagonal von dem starken kvist abgesichert wurde.
da hat mich bruno labaddia überrascht, das ist dann neben klopp und tuchel die
neue und weitaus interessantere trainer generation.
enttäuscht hat mich auf jeden fall wieder trainer schaaf, der naldo als 6er im mittelfeld rumspazieren lässt und noch ein schwaches zweikampfverhalten zeigte. erst
nach der umstellung und auswechslung des schwachen affolters, der mit seiner spielweise und pässen seine mitspieler unter druck setzte war naldo wieder in
den zweikämpfen (/kopfballduelle ) präsent. tim wiese strahlte ebenso sehr viel
unsicherheit aus,. das 2:1 und 3:1 (obwohl ein handspiel vorlag) geht auf seine
kappe. wohin führt der weg der bremer ?? ohne wiese, naldo , pizarro wird die
nächste saison enorm schwierig, die jungen spieler müssen entwickelt und aufgeschlossen werden.sie brauchen zeit. in diesem fußballgeschäft eine schwere last für werder bremen. werder muss sich in dieser form nach unten orientieren.
der vfb macht spaß heutzutage, obwohl die enorm offensive spielweise gegen
eine mutigere mannschaft wohl zu mehr gegentoren geführt hätte.
Rudelbildung 15. April 2012 um 11:44
ebicoach: Ich bin ja ein großer Fan von Tom Trybull-kannst du mir erklären wieso er auf einmal nach dem Köln Spiel nur noch draußen sitzt?
Fand eigentlich, dass er super ins Bremer Mittelfeld passte und noch einer der besseren war die letzten Wochen.
hps 14. April 2012 um 09:16
Hey,
Spielverlagerung.de jetzt (oder gibt’s das schon länger?) auch mit einer Ansicht für mobile Endgeräte, vielen Dank dafür.
Einen Kritikpunkt habe ich: Die Kommentare werden (gerade bei populären Artikeln) schnell unübersichtlich. Was mir ganz gut gefällt ist das System bei heise, dort sind die Kommentare wie in einem Forum in Threads sortiert, gibt es so etwas für WordPress?
LG hps
tactic_addicted 14. April 2012 um 01:45
Ich kann das Spiel meiner heißgeliebten Bremer nicht verstehen. Da spielt man ein System, bei dem die Mannschaft komplett in der eigenen Häflte steht, auch wenn es bereits 1:1 steht. Die Stuttgarter Innenverteidiger und 6er haben alle Zeit der Welt, das Spiel zu ordnen und risikolose Pässe zu spielen.
Aber auch nach der Umstellung auf die Raute war alles grottig. Teilweise war beim eigenen Aufbau viel zu viele Spieler auf engstem Raum zu finden.
Man muss auch die Einstellung kritisieren. Ich habe den Eindruck gehabt, Pizzaro läuft gerade so viel, wie er muß. Für ein effektives Pressing aber viel zu wenig. Man muss sich auch vor Augen führen, dass drei Tore aus ruhenden Bällen entstehen. So etwas kann doch nur mit Arbeitsverweigerung erklärt werden.
Bei Bremen sind allerdings auch wirklich viele Spieler verletzt (nicht zum ersten Mal in einer Saison). Dem Rest des Kaders scheint die Qualität zu fehlen. Den meisten scheint es egal, dass man nicht im Europapokal spielt. Dies ist für Bremen aber der Super-Gau. Das könnte nach dem letzten Jahr der endgültige Abstieg der Mannschaft sein.
Den Satz „Ich bin gespannt, ob Raute in der nächsten Partie zur Raute zurückkehrt.“ finde ich gut 🙂
aber toll, dass am Freitag abend noch eine solche Analyse reingestellt wird
asti80 14. April 2012 um 00:42
Das eigentliche Problem in Bremen ist nicht das System, es sind schlichtweg die Spieler. Schaaf hat eine Truppe ohne wirkliche Qualität. Daher kann man auch jegliches System das es gibt, durch exezieren ohne das es greift.
Die Raute ist ja auch im Grunde eine Notlösung an der Schaaf aber seit Jahren festhält. Wobei da auch wieder der schwache Kader zum Vorschein kommt, denn mit einem Diego oder einem Klose im Sturm, würde die Raute ziemlich gut funktionieren.
Aber in dem aktuellen Kader fehlt es vorne und hinten, damit die Raute klappt.
Michael 14. April 2012 um 16:09
Das Problem sind nicht die Spieler, es ist schlichtweg Schaaf.
Und Schaaf muss nicht die Raute spielen, sondern will. Das ist das schlimme. Und hat ja auch geklappt, als die Spielmacher gut waren, die man geholt hat. Marin, Ekici (Wesley) haben aber nicht so eingeschlagen.
Aber nicht die Raute allein ist das Problem, sie hat Vor- und Nachteile sondern die taktischen Defizite die Werder im allgemeinen hat, die sind unteres Tabellendrittel. Gegen Gladbach war das ganz deutlich zu sehen, das gestrige Spiel konnte ich leider nicht schauen.
Außerdem muss man auch ganz ehrlich sagen, schafft es Schaaf nicht das Spielermaterial weiterzubilden…
Teamanalyse wäre mein Wunsch liebes Team von Spielverlagerung, mit Schwerpunkt auf die Spielmacher und schleichender Absturz seit Gewinn der Meisterschaft