Bayern lässt das Zentrum offen – FN

Im diesjährigen Supercup setzten sich die Bayern auswärts gegen den Pokalsieger aus Stuttgart durch. In einem unterhaltsamen Spiel zeigten beide Teams kreative Lösungen gegen die Manndeckung des Gegners und wussten früh in der Saison zu überzeugen. Wir nehmen das Spiel genauer unter die Lupe.

Die Gäste aus München starteten aus der gewohnten 4-2-3-1 Grundordnung heraus. Die Viererkette vor Neuer bildeten Laimer, Upamecano, Tah und Stanisic. Auf der Doppelsechs agierte Goretzka neben Kimmich. Olise rückte für den verletzten Musiala auf die Zehn. Gnabry und Neuzugang Diaz flankierten den einzigen Stürmer Kane.

Auch Sebastian Hoeneß setzte auf eine 4-2-3-1 Grundordnung. Bredlow vertrat den verletzten Nübel im Tor. Auf den Außenverteidigerpositionen agierten Vagnoman und Mittelstädt, während Chabot und Jaquez das Innenverteidigerduo bildeten. Im zentralen Mittelfeld kamen Kapitän Karazor und Stiller zum Einsatz. Auf den Flügeln begannen Führich und Leweling. Im Zentrum agierte Undav zurückgezogen hinter Woltemade.

Stuttgart bereitet den langen Ball vor

Die Münchner stellten in gewohnter Manndeckung nach Abstößen zu. Gnabry agierte hierbei als erster Anläufer im Bogen auf Torhüter Bredlow. Folglich wurde auf der rechten Seite durchgeschoben. Dies hatte den Vorteil, dass Olise und Goretzka die Sechser zustellten, wodurch Kimmich in einer tieferen Position das Abkippen Woltemades aufnehmen konnte. So waren nicht beide Innenverteidiger gezwungen bei Abkippen von Undav und Woltemade aus der Kette heraus zu verteidigen.

Ähnlich wie in der Rückrunde der vergangenen Saison setzte Hoeneß gegen die Münchner Manndeckung auf hochschiebende Außenverteidiger und eine 2-2-2-4 Stafflung im Aufbau. Die doppelte Box im Zentrum, gebildet durch die breitstehenden Innenverteidiger, die tiefen Sechser sowie die in den Zehnerraum kippenden Undav und Woltemade. Die Außenverteidiger schoben in der Breite bis in die letzte Linie und bildeten Pärchen mit den Außenstürmern. Ziel dieser Stafflung war es Spieler aus ihren Positionen in ungewohnte Räume zu ziehen. So verfolgte Tah konsequent Undavs Wege in die Stuttgarter Hälfte aus der Kette heraus. Zudem konnte durch das Hochschieben Vagnomans Diaz in eine linke Verteidigerrolle gebunden werden, was ein körperliches Mismatch erzeugte. Diese wurden, wie mit Woltemade im Zehnerraum gegen Kimmich gezielt erzeugt, um Ziele für den langen Ball zu schaffen.

5. Minute

Häufig agierte Woltemade allerdings auch diagonal versetzt zu Undav, um als Zielspieler Bälle in der letzten Linie festzumachen oder auf die einstartenden Außenstürmer weiterzuleiten. Bayern zeigte sich jedoch anpassungsfähig in ihrer Manndeckung. So schob Kimmich in diesem Fall in eine Rechtsverteidigerrolle auf Mittelstädt nach außen, wodurch Upamecano das Duell gegen Woltemade führte. Dies erwies sich im Laufe des Spiels als eines der Schlüsselduelle.

Auch aus dem Spiel heraus versuchte der VfB die Bayern gezielt zu locken, um über vorbereitete lange Bälle die Tiefe zu bespielen. Häufig setzten sich die Innenverteidiger nach dem Abspiel diagonal nach hinten ab. Das Abspiel wurde so lange wie möglich herausgezögert, um das aggressive Vorschieben der Bayern möglichst lange zu verzögern.

Die Stuttgarter wählten in der Folge nach dem Locken entweder einen direkten langen Schlag des Torhüters in Richtung Woltemade oder Conte-esque Chipbälle der Außenverteidiger oder eines entgegenkommenden Außenspielers mit dem äußeren Fuß über das Standbein. Durch das Durchschieben der rechten Münchner Seite ergab sich ein Zeitvorteil in der Zirkulation um das Angriffspressing, wodurch diese Chipbälle möglich wurden.

Ähnlich wie nach Abstößen gingen diese langen Bälle mit Abkippen von Undav einher. Dieser positionierte sich diagonal zu Woltemade im Zehnerraum. Das vereinfachte im Gegensatz zu einer horizontalen Positionierung die Ablage, da Woltemade mit Upamecano im Rücken Schwierigkeiten hatte sich ins Zentrum aufzudrehen. Zusätzlich rückte Stiller aggressiv in den offenen Raum zwischen ihm und Woltemade nach, was eine weitere Ablageoption erzeugte. Ziel war es, über eine Ablage diagonal zu verlagern und auf möglichst direktem Weg die Tiefe zu bespielen. Leweling diente in diesen Situationen als erster Tiefengeber, um die durch das Herausstechen Tahs auf Undav geöffnete Lücke zu belaufen. Zusätzlich lauerte Vagnoman in der Breite auf die diagonale Verlagerung auf Undav, um Diaz blinde Seite zu attackieren.

23. Minute

Diese Muster erwiesen sich bei erfolgreichem Festmachen durch Woltemade als eine effektive Möglichkeit im Bespielen der Münchner Manndeckung. Speziell die Ruhe im Locken des Angriffspressing, sowie das Timing der Tiefenläufe ist hier hervorzuheben. Jedoch gelang es Woltemade gegen Upamecano im isolierten Duell nur selten sich nachhaltig durchzusetzen. So entschied der Münchner Verteidiger die Mehrheit dieser Schlüsselduelle für sich. Durch das Lenken des Balles auf die rechte Stuttgarter Seite gelang es Kimmich zudem früh ballfern von seinem Manndecker zu fallen und Upamecano bei zweiten Bällen zu unterstützen. So gelang es den Bayern wie vor dem 0:1 sich in Überzahl aus der Drucksituation zu lösen.

Situativ griff Stuttgart auch auf das gewohnte Ablagenspiel im Aufbau zurück. Jedoch hielt man sich stets die Option des langen Balls offen. Speziell im Verzögern des Angriffspressing spielte das Ablagespiel über die Sechser in den Rücken des ersten Anläufers auf Chabot eine wichtige Rolle. Die Ausführung erwies sich durch die enge Manndeckung der Bayern häufig schwierig. Deshalb kippte Undav in diesen Momenten weit in die eigene Hälfte und bot eine Anspielstation für die erste Aufbaulinie zwischen den Sechsern. Dieser hatte durch den Dynamikvorteil gegenüber Tah mehr Zeit am Ball. So konnte dieser als Ablagespieler auf die Außen dienen.

Situative Sechserkette

Bei gelegentlichen längeren Ballbesitzphasen des VfB ließen sich die Bayern in ein Mittelfeldpressing fallen. Die Struktur war weiterhin sehr mannbezogen und stets darauf ausgerichtet möglichst schnell wieder ins Angriffspressing umzuschalten.

Stuttgart agierte im hohen Aufbau aus einer 3-2-5 Struktur heraus. Vagnoman schob hoch als Breitengeber auf der rechten Seite. Dementsprechend konsequent verfolgte Diaz diesen weiterhin bis in die eigene Hälfte. Gnabry und Kane agierten in der ersten Pressinglinie mannorientiert auf die Halbverteidiger Mittelstädt und Jaquez. Im Mittelfeldzentrum behielten Olise und Goretzka ihre Manndeckung auf die Stuttgarter Sechser bei. Dies führte dazu, dass Kimmich hinter Olise als freier Mann agierte und sich situativ in die Kette fallen ließ. In Kombination mit Diaz tiefer Position erzeugte dies eine situative Sechserkette.

3. Minute

Der freie Mann auf Seiten der Stuttgarter war dadurch der zentrale Innenverteidiger Chabot. Ein Pass auf diesen war gleichzeitig der Auslöser für die Bayern, um in das Angriffspressing umzuschalten. Dies geschah durch ein Herausstechen von Olise auf Chabot. Olise hielt währenddessen den Deckungsschatten auf Stiller. Dies gab Kimmich die Zeit auf diesen durchzuschieben. Bayern präsentierte sich im Pressingübergang sehr kompakt, wodurch längere Phasen im Mittelfeldpressing vermieden werden konnten.

Olise als Verbindungsspieler

Auch der VfB stellte die Bayern manndeckend zu. Die Zuordnungen waren aus dem 4-4-2 Angriffspressing heraus gegen den Müncher 4-2-4 Aufbau klar. Stuttgart verzichtete zumeist darauf Neuer anzulaufen und stellte stattdessen bei Ballbesitz des Torhüters zu.

Die Bayern überzeugten im tiefen Aufbau vor allem durch ein gutes Timing unter Druck und nutzen wiederholt den Moment des Rausschiebens der Stuttgarter. Speziell Kimmich konnte so wiederholt im Druck gefunden werden und mit dem Rücken zum Tor durch einen Zeitvorteil gegenüber Manndecker Stiller auf den Flügel verlagern. Stiller zögerte aufgrund des halbräumigen Abkipppen von Olise in diesen Momenten häufig und agierte zu lange raumsichernd was den Zeitvorteil für Kimmmich entstehen ließ.

7. Minute

Bayern wusste diesen Vorteil in der Gegnerbindung zu nutzen. So kippt Kimmich in der Folge wiederholt in die erste Aufbaulinie und formte einen Dreieraufbau. Bayern ließ in diesen Momenten das Zentrum zunächst bewusst unbesetzt. So beteiligte sich Goretzka nur wenig am Aufbau und bot selten Optionen im Zentrum, um in den Druck aufzulösen. Stattdessen band dieser Karazor in der letzten Linie. Auch Laimer schob als Folge des Abkippen Kimmichs in die letzte Linie, um den Raum nicht zu verdichten und kontte so Führich aus der Position in die Innenbahn der letzten Linie zu ziehen.

Den freigewordenen Raum im Zentrum besetzte zumeist Olise dynamisch. Dieser kippte sehr weit von seiner initialen Positionierung neben Kane in der letzten Linie in den Sechserraum. Durch das Mitziehen von Chabot quer über den Platz konnten konstant Lücken in der Stuttgarter Kette für Tiefenläufe gerissen werden. Zudem gelang es Olise die selbst geöffneten Räume durch geschicktes Entwischen in Chabots Rücken wieder zu belaufen und als Dritter Mann einer Kombination zu agieren.

Im höheren Aufbau kippte zusätzlich zu Kimmich wiederholt auch Goretzka links in die erste Aufbaulinie. Dies sollte die Kontrolle in längeren Ballbseitzphasen erhöhen, da Karazor diese Wege aus dem Zentrum heraus zumeist nicht mitging. Dies hatte allerdings ein komplett verwaistes Zentrum zur Folge, was das Risiko auf Ballverluste in zentralen Räumen und gefährlichen Umschaltsituationen des VfB erhöhte. Um jenes zu verhindern waren Olises Qualitäten unter Druck um so mehr gefragt. Zusätzlich rückte bei Abkippen Goretzkas Stanisic situativ von seiner halbräumigen Linksverteidigerrolle weiter ins Zentrum ein, was die Stabilität verbesserte und Klatsch Optionen schaffte.

Diagonale Verlagerung und Pärchenbildung

Durch das unterbesetzte Zentrum lag im Münchner Offensivspiel ein großer Fokus auf den Flügeln. Auf diese sollte möglichst direkt aus dem Druck über ein bis zwei Stationen im Zentrum diagonal verlagert werden. Ziel war es über die wechselspurige Pärchenbildung der Außenverteidiger und Außenstürmer dynamische 2gg2 Situationen zu erzeugen. Bei schnellem Verschieben des VfB wählten die Münchner eine weitere Verlagerung gegen die Verschiebebewegung, um das ballferne Flügelduo in eine aussichtsreichere Position zu bringen.

Durch seine geringe Beteiligung im Aufbau agierte Goretzka in diesen Momenten mit späten Läufen in die Box und nutze seine körperliche Wucht als eine Art Schattenstürmer, da Olise und Kane im Laufe der Progression ihre Position in der letzten Linie aufgaben. Auch im höheren Aufbau attackierte Goretzka wiederholt die Box. Ein Auslöser hierfür war das Abkippen von Kimmich in Kombination mit Auffüllen des Zentrums durch Olise. So belief Goretzka bei freiem Fuß Kimmichs wiederholt den durch das Herausstechen Chabots geöffnete Tiefe und konnte so mehrfach gefährlich werden.

26. Minute

Essenziell für die Verlagerungen auf die ballferne Seite war auch hier wieder Verbindungsspieler Olise, der den Sechserraum auffüllte und durch seine technischen Fähigkeiten unter Druck mit wenigen Kontakten das Spiel verlagerte. Auch Kane kippte für ihn typisch wiederholt in den Zehnerraum ab und bot Anspielmöglichkeiten ins Zentrum bei zuvor gegangenem Spiel um das Pressing. Diesem gelang es wiederholt über diagonale Pässe in die tiefe das Spiel auf den ballfernen Außenstürmer zu beschleunigen oder sich ins Kombinationsspiel einzubinden.

Begünstigt wurden diese diagonalen Verlagerungen durch gruppentaktische Bewegungen. So entfernten sich bei Gegnerdruck auf der Außenbahn die ballnahen Spieler stets vom Ball und setzten zu Tiefenläufen an. So konnte Zeit und Raum für den Ballführenden gewonnen werden. Gegengleich bewegten sich die ballfernen Spieler auf den Ballführenden zu und boten ballnahe Passoptionen. Durch die vorausgegangenen Läufe der zuvor ballnahen Spieler gewann der nach Abspiel ins Zentrum ballführende Spieler an Zeit und Optionen direkt die Tiefe zu bespielen. So gelang es den Bayern mehrfach sich aus aussichtslos scheinenden Drucksituationen zu lösen.

Doch auch die Münchner griffen teilweise auf den langen Ball zurück. So wählte Neuer unter Druck bei fehlenden Rotationen im 4-2-4 mehrfach den langen Ball weit in die gegnerische Hälfte auf die tiefgehenden Außenstürmer. Vorbereitet wurde dieser lange Ball durch die weit abkippenden Kane und Olise. Dadurch dass beide Stuttgarter Innenverteidiger diese Wege konsequent mitgingen, konnten die Außenstürmer weit in der gegnerischen Hälfte in Laufduelle gegen die Stuttgarter Außenverteidiger isoliert werden. Eine weitere Option war der Chipball Neuers auf Kane, den dieser mit dem Rücken zum Tor verarbeitete und nach außen verlagerte.

Hoeneß nimmt Anpassungen vor

In der zweiten Halbzeit kommt der VfB zunächst verbessert aus der Pause und nimmt kleine Anpassungen vor. So wählen die Stuttgarter aufgrund der Probleme Woltemades in den Duellen mit Upamecano häufiger den langen Ball auf Vagnomen. Dieser sollte seine Überlegenheit gegenüber Diaz in der Luft ausspielen und im Duo mit Leweling den Ball festmachen.

49. Minute

Ein weiterer Faktor für die beste Stuttgarter Phase im Spiel war die Rolle von Stiller. Dieser kippte nach Festmachen des Balles nun deutlich häufiger vor den Pressingwall. Dies sorgte in den Münchner Mannorientierungen im Mittelfeldpressing für Zuordnungsprobleme im Durchschieben. Den freiwerdenden Raum besetzten nun der auffüllende Undav, was eine diagonale Zentrumsstafflung der Stuttgarter ergab. Stiller konnte so mehrfach Undav vertikal im Rausschieben der Bayern finden. Die beiden Stuttgarter Stürmer hielten hierbei enge diagonale Abstände, was das Kombinationsspiel der beiden förderte. So gelang es über direkte Weiterleitungen oder Halten des Balles, nur um im richtigen Moment mit der Hacke abzulegen die Verbindung von Undav und Woltemade zu nutzen. Zusätzlich gab Leweling diagonal einlaufend die Tiefe, während Vagnoman auf einen Steckball in der Breite lauerte. Diese boten so gute Anschlussaktionen.

Im Laufe der zweiten Halbzeit verlor der VfB jedoch etwas an Intensität. Dadurch gelang es den Bayern regelmäßiger die Stuttgarter Manndeckung kontrolliert, anstatt auf direktem Wege zu überspielen, was in Münchner Spielkontrolle und längeren Ballbesitzphasen mündete.

Fazit

Stuttgart überzeugte im ersten Pflichtspiel der neuen Saison mit einem klaren Matchplan. Im Gegensatz zum Hinspiel der vergangenen Saison wusste man lange Bälle als Stilmittel gegen die Manndeckung der Bayern gezielt einzusetzen. Diese waren sehr gut vorbereitet und es gelang wiederholt die Manndeckung gezielt zu manipulieren.

Die Bayern hingegen erwiesen sich in beeindruckender Frühform und konnten das Niveau der vergangenen Saison über die Klub-WM hinweg konservieren. Die Münchner wirkten gegen den Ball gewohnt aggressiv und frisch. Zudem fand man gegen die Manndeckung der Stuttgarter wiederholt gute gruppentaktische Lösungen. Letztlich gab die Frische und die individuelle Qualität der Bayern in den Schlüsselduellen trotz eines hervorragenden Matchplan von Hoeneß den Aussschlag

Autor: FN ist durch seine Faszination für Guardiola zur Fußballtaktik gekommen. Er bevorzugt fluiden Ballbesitzfußball. Je Flunder und ausgefallener desto interessanter.

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