Mannschaftsanalyse: VfB Stuttgart 2023/24
Drei Gründe, wie der VfB Stuttgart in zwölf Monaten vom Abstiegskandidaten zur Topmannschaft wurde. Ein Gastartikel von Danilo Kupke.
Über den Autor: Danilo Kupke ist Spielanalyst und Trainer. Er war Co-Trainer der U16 von Werder Bremen, Chefanalyst im Nachwuchs von Union Berlin und hat zuletzt im Nachwuchs von Bayern München Erfahrungen sammeln können. Kontaktdaten des Autors: danilokupke(at)web(.)de
Sebastian Hoeneß übernahm den VfB Stuttgart im Frühjahr 2023 als Tabellenletzten und führte ihn erst in der Relegation zum Klassenerhalt. Knapp ein Jahr später qualifiziert sich der VfB für die Champions League – zum ersten Mal seit 14 Jahren. Stuttgart legt unter Hoeneß wieder großen Wert auf Ballbesitzfußball (57% Ballbesitz – drittbester Wert der Bundesliga). Der VfB begeistert aktuell die Bundesliga mit vielen spielerischen Lösungen und taktischen Kniffen. Defensiv fällt Stuttgart mit seinem Mut zum Risiko und einem hohen, aggressiven Pressing auf. In der nachfolgenden Analyse werden drei Faktoren für den keineswegs zufälligen Erfolg Stuttgarts vorgestellt.
1. Variabilität im Spielaufbau
Der erste betrachtete Erfolgsfaktor ist die große Variabilität im Spielaufbau. Durch die hohe Variabilität wird der Gegner im Anlaufen ständig vor Probleme gestellt. Die Außenverteidiger spielen bei der Variabilität eine entscheidende Rolle.
Die Ausgangssituation Stuttgarts ist meist wie auf der Grafik ein 2-4-3-1. Zwei Innenverteidiger als Aufbauspieler mit zwei Außenverteidigern, die nicht die komplette Breite des Spielfeldes nutzen, sondern meist in die Halbräume eingerückt sind. Die beiden Sechser sind sehr eng davor positioniert. Die beiden äußeren Mittelfeldspieler nutzen die komplette Breite und besetzen somit die Außenspur bei Stuttgart nur einfach. Undav wird im Spiel mit dem Ball eher zum Zehner, während Guirassy die komplette Tiefe nutzt. Die Außenspuren sind unter Hoeneß nur einfach besetzt, da das Ziel ist, die Abwehrkette der gegnerischen Mannschaft auseinander zu ziehen. Ein weiterer Vorteil der enger stehenden Außenverteidiger ist die höhere Kompaktheit und das niedrigere Risiko bei Fehlern in Konter zu laufen. Zudem wird das Gegenpressing effektiver, da die Wege aus der Mitte deutlich kürzer sind.
Stuttgart hat mit Mittelstädt oder Ito als Linksverteidiger und Stenzel oder Vagnoman als Rechtsverteidiger verschiedene Spielertypen. Sowohl Pascal Stenzel als auch Maximilian Mittelstädt haben schon öfters in ihrer Karriere im zentralen Mittelfeld gespielt. Diese Erfahrung macht sich Hoeneß zu Nutze. Wie in der Grafik sichtbar, gibt es die Möglichkeit, dass ein Außenverteidiger in das zentrale defensive Mittelfeld hochschiebt und dort als zusätzlicher Sechser das Zentrum überlädt. Wenn ein Außenverteidiger invers ins Zentrum schiebt, lässt sich meist der andere Außenverteidiger zurückfallen und bildet mit den Innenverteidigern eine Dreierkette. Stuttgart baut dann im 3-3 auf.
Spielt Stuttgart mit Mittelstädt und Stenzel gleichzeitig, ist eine zusätzliche Option, dass phasenweise beide Außenverteidiger in das Zentrum hochschieben und Stuttgart in einem 2-4 aufbaut. Diese Unberechenbarkeit stellt die Gegner ständig vor zumindest kurzzeitige Probleme, die dazu führen, dass Stuttgart im Spielaufbau einen freien Spieler findet. Einer der beiden Sechser (meist Karazor) kippt zudem öfters gegen zwei pressende Stürmer ab und wird zum dritten zentralen Innenverteidiger. Ein Positionswechsel von einem Sechser mit einem der beiden Außenverteidiger ist eine zusätzliche Option.
Besonders gegen Teams, welche in einer Fünferkette verteidigen, nutzt Stuttgart den Positionswechsel zwischen dem Außenverteidiger und dem äußeren Mittelfeldspieler, um Räume auf den Außen zu öffnen. In der obenstehenden Grafik sieht man wie Dortmund im 5-4-1 gegen den Ball agiert.
Da Dortmund das Zentrum kompakt hält und die beiden abkippenden Stürmer Undav und Guirassy von dem jeweiligen äußeren Innenverteidiger mit aufgenommen werden, ist es sehr schwer im Zentrum Räume zu bespielen. Die Außenverteidiger Dortmunds agieren klar mannorientiert gegen die äußeren Mittelfeldspieler Stuttgarts. Dadurch können diese aus ihren Positionen gezogen werden. Vagnoman, der sich auch als rechter Mittelfeldspieler wohl fühlt und sehr schnell ist, kann den freien Raum, der durch das Abkippen von Millot entsteht, perfekt besetzen.
Genau in dem Moment, wo Anton den Ball bekommt, wird der Positionswechsel vollzogen. Ryerson und Bynoe-Gittens werden vor die Frage gestellt, ob sie Vagnoman und Millot übergeben oder mit ihnen mitgehen. Diese Frage wird zusätzlich dadurch erschwert, dass sich Vagnoman auf der Halbspur und Millot auf der Außenspur bewegt. Würden beide auf derselben Spur die Positionen tauschen, wäre ein Übergeben der Gegenspieler die effektivste Lösung. Ryerson zögert zuerst beim Mitgehen mit Millot, wodurch dieser mehr Zeit und Raum beim Zuspiel von Anton auf ihn hat. Bynoe-Gittens schaut für einen kurzen Moment zum Ball und verliert dadurch Vagnoman aus den Augen, worauf dieser für einen längeren Zeitpunkt und ohne Gegnerdruck im markierten Raum ist.
Eine weitere Option gegen einfach besetzte Flügel der gegnerischen Mannschaft ist das Überladen einer Seite im Spielaufbau.
Werder verteidigt gegen Stuttgart im 5-3-2. Dabei steht die Kompaktheit im Zentrum wieder im Vordergrund. Millot wird zum Rechtsverteidiger, während Stenzel auf die rechte Halbspur hochschiebt. Silas verändert seine Position nicht. Dadurch bindet er Agu. Sobald Millot angespielt wird, muss Bittencourt aus seiner zentralen Position herausschieben und kann Stenzel nicht mehr decken. Anschließend wird der freigewordene Stenzel von Millot angespielt. Der linke zentrale Innenverteidiger von Werder (Jung) muss dadurch aus seiner Position herausrücken. Dies öffnet einen großen Raum im letzten Drittel Bremens. Diesen könnten Undav oder Silas belaufen. Der linke Sechser Karazor ist in der Zwischenzeit in den freien Raum (wo Bittencourt fehlt) geschoben und dient dadurch als neue, weitere
Anspielmöglichkeit.
2. Ständige Aktivität und Überladen des Mittelfelds im Übergangsspiel
Besonders im Übergangsspiel versucht der VfB Stuttgart mit flachen Pässen durch das Zentrum zu spielen und Angriffe vorzubereiten. Dabei fällt auf, dass alle Spieler zu jeder Zeit aktiv sind und sich immer wieder in der zentralen Spur oder den Halbspuren anbieten. Undav überlädt durch sein ständiges Abkippen das Mittelfeld des Gegners und stellt damit eine Überzahl im Mittelfeld her.
Zudem kippen immer wieder einer oder beide äußere Mittelfeldspieler in das Zentrum ab. Eine weitere Variante, die bereits im oberen Abschnitt beschrieben wurde, ist das Abkippen eines Außenverteidigers ins Zentrum. Dadurch schafft es Stuttgart oft sehr gut, eine Überzahl im Mittelfeld herzustellen.
Stuttgart besetzt das Zentrum mit einem klaren Plan. Sie haben zu jeder Zeit eine Staffelung, die es ermöglicht, verschiedene Ebenen mit verschiedenen Anspielwinkeln herzustellen. Die verschiedenen Ebenen und Winkel machen es für gegnerische Mannschaften deutlich schwerer, alles zu verteidigen. Stuttgart findet mit Geduld sehr oft den freien Spieler im Mittelfeld, welcher dann Angriffe einleiten kann.
In der Grafik sieht man, wie Undav und Millot das Zentrum überladen. Millot rückt dabei von seiner Position im rechten Mittelfeld ins Zentrum. Gleichzeitig schiebt Vagnoman von der Rechtsverteidigerposition hoch und bindet dadurch Ryerson. Bynoe-Gittens hat damit keinen direkten Gegenspieler mehr und deckt lediglich den Raum. Özcan und Sabitzer verteidigen mannorientiert gegen die Sechser Stuttgarts (Stiller und Karazor).
Undav und Millot stehen ohne richtigen Gegenspieler im Zentrum, da die Innenverteidiger erst bei einem Anspiel herausrücken würden. Dies würde jedoch bedeuten, dass Millot und Undav genug Zeit zum Kombinieren hätten. Wolf deckt als rechter Außenverteidiger Führich, welcher zunächst sehr breit und auf Höhe der Mittellinie steht. Dieser entscheidet sich dazu ins Zentrum zu ziehen. Wolf geht zunächst den Weg mit, übergibt dann jedoch Führich an Adeyemi.
Kurzzeitig entsteht also eine doppelte Überzahl im Zentrum. Diese nutzt Stuttgart zwar nicht aus, hätte aber mehrere Möglichkeiten gehabt. Führich hätte den Ball mit dem ersten Kontakt mitnehmen und den freistehenden Millot anspielen können. Der Rückpass Führichs zu Anton war jedoch auch eine gute Option, da Anton keinen hohen Gegnerdruck hat und es neben Millot wieder eine neue Anspieloptionen mit Vagnoman (1gg.1 auf dem Flügel gegen Ryerson) gibt.
Stuttgart spielte die freigewordenen Spieler zwar nicht an, aber kreierte, wie im ganzen Spiel und in der bisherigen Saison, Überzahlsituationen in einer sehr gefährlichen Zone. Dortmund konnte durch das ständige Überladen Stuttgarts nie den eigenen Plan umsetzen und das Zentrum schließen, sondern oft nur reagieren. Dortmund musste Wege finden, um die Unterzahl im Zentrum zu verringern, ohne Räume auf den Flügel anzubieten. Das Abkippen von Führich eignet sich dabei als gute Szene, denn Wolf geht zwar kurz mit, übergibt dann aber an Adeyemi. Wolf will nicht mitgehen, da sonst der Flügel frei wird. Mittelstädt würde mit einer großen Wahrscheinlichkeit hochrücken und hätte kurzzeitig viel Platz und wenig Gegnerdruck.
Die hohe Aktivität der Stuttgarter Spieler sowie ständige Positionswechsel machen sich zusätzlich beim Flügelspiel Stuttgarts bemerkbar. Während die meisten Mannschaften mit einer Viererkette versuchen, kurzzeitige 2gegen1-Situationen mithilfe des Außenverteidigers und dem äußeren Mittelfeldspieler am Flügel herzustellen, schafft es Stuttgart mehrere Spieler einzubeziehen.
Ein gutes Beispiel ist die 14. Minute im Bundesliga-Spiel gegen Leverkusen. Mittelstädt bekommt den Ball und spielt ihn auf den breit stehenden Führich, welcher diagonal auf Frimpong andribbelt. Millot (eigentlich im rechten Mittelfeld) überlädt zuvor bereits das Zentrum. Beim Anspiel von Mittelstädt auf Führich vorderläuft Millot in den freien Raum. Mit diesem Laufweg zieht er Kossounou mit und öffnet den Raum für Mittelstädt. Dieser läuft im Vollsprint in den freigewordenen Raum. Dadurch hat Führich zwei Anspielstationen (eine links und eine rechts von sich).
Durch die verschiedenen Laufwege von Millot und Mittelstädt werden mit Xhaka und Kossounou zwei Spieler rausgezogen, wodurch kurzzeitig mehr Platz im Zentrum entsteht. Führich entscheidet sich dazu in das Zentrum zu ziehen und spielt auf Guirassy. Frimpong, Xhaka und Kossounou schieben dadurch wieder ins Zentrum und lassen Millot komplett frei auf dem Flügel. Dieser kann ohne Gegnerdruck flanken.
Die Szene soll zeigen, wie durch eine hohe Aktivität möglichst vieler Spieler gleichzeitig und vieler zugleich ausgeführter Laufwege, Räume beim Gegner geöffnet werden. Die Boxbesetzung bei der anschließenden Flanke von Millot veranschaulicht, wie hoch die Aktivität und der Wille, „den Ball zu bekommen“, bei Stuttgart sind. Neben Führich und Guirassy besetzten mit Vagnoman und Undav noch zwei weitere Spieler die Box. Vagnoman (eigentlich Rechtsverteidiger) ist den Angriff mit vollem Tempo mitgegangen und daher bei der Hereingabe am 2.Pfosten zu finden. Dasselbe gilt für Undav, der ebenfalls im vollen Tempo mit nach vorne kommt, um rechtzeitig in der Box zu sein.
3. Ein harmonisches, ungleiches Sturmduo
Der dritte Faktor fällt statistisch besonders auf, die beiden Stürmer Dennis Undav und Serhou Guirassy. Das Stürmerduo kommt trotz der Verletzung Undavs, am Anfang der Saison und der Verletzung und der Afrika-Cup-Teilnahme von Guirassy, während der Saison, auf 55 direkte Torbeteiligungen nach 31 Spieltagen. Guirassy erzielte 25 Tore plus 3 Assists nach 25 Spielen. Undav kommt auf 18 Tore und 9 Assists nach 27 Spielen. Die beiden Stürmer ergänzen sich sehr gut, da beide die zentrale Stürmerposition sehr unterschiedlich interpretieren und ausfüllen.
Undav ist sehr variabel, was seine Position angeht. Im eigenen Ballbesitz kippt er immer wieder ab. Wenn Angriffe über Außen erfolgen, kippt er zudem auf die Seite ab und dient damit als zusätzliche Anspielstation. Guirassy bleibt eher auf Höhe der letzten Kette in zentraler Position und lauert auf freiwerdende Räume sowie auf Pässe hinter die gegnerische Abwehrkette. Undav stellt die gegnerischen Verteidiger permanent vor die Entscheidung, ob sie die Wege mit ihm mitgehen sollen oder nicht. Falls sie mitgehen, entsteht eine große Lücke, die von Guirassy, den äußeren Mittelfeldspielern Stuttgarts oder den Sechseern belaufen werden kann.
Guirassy benötigt nur wenig Platz benötigt, um mit seiner Geschwindigkeit und Spielintelligenz sehr torgefährlich zu werden. Wenn der Innenverteidiger nicht mitgeht, sucht sich Undav mithilfe seiner cleveren Positionierung und seiner Vororientierung Räume, in welchen er aufdrehen und ebenfalls gefährliche Situationen kreieren kann. Falls der Gegner Undav mit einem defensiven Mittelfeldspieler deckt, entsteht viel Platz im Sechserraum, da Undav ständig in Bewegung ist und bei einer Manndeckung seinen Gegenspieler aus der zentralen Position herauszieht, um die gefährlichen Räume im Zentrum, für seine Mitspieler freizuziehen.
Als Undav am Anfang der Saison noch verletzt war, spielte Stuttgart mit Guirassy als einzigen Stürmer. Dabei ließ sich Guirassy sehr oft fallen, um die Innenvertediger aus ihren Positionen herauszuziehen. Dies geschieht phasenweise immer noch. Da Stuttgart zu jedem Zeitpunkt eine tiefe Anspielstation haben möchte, steht dann Undav auf Höhe der letzten Kette zentral und tauscht die Rollen mit Guirassy.
Im DFB Pokal Achtelfinale (2:0 für Stuttgart) stellte Dortmund drei Innenverteidiger gegen Undav und Guirassy, um genau die eben beschriebenen Räume (wenn Undav oder Guirassy abkippen) zu schließen. Dortmund verteidigte auf letzter Linie im 3gegen.2. Dabei sollte der äußere, ballnahe Innenverteidiger die Wege von Undav oder Guirassy (je nachdem, wer abkippt) konsequent mitgehen. Der zentrale Innenverteidiger Hummels sollte die entstandene Lücke des Innenverteidigerkollegen schließen mit dem anderen äußeren Innenverteidiger. Die beiden Außenverteidiger Dortmunds waren durch die sehr breit stehenden äußeren Mittelfeldspieler Stuttgarts gebunden. Dadurch wurden auch die Wege zurück ins Zentrum sehr weit.
Kurz vor der Szene in der Abbildung besetzt Undav noch die Tiefe, während Guirassy in den Halbraum abkippt. Bei Guirassy geht nur Schlotterbeck (also der äußere Innenverteidiger) mit. Dadurch bleibt das Zentrum durch Hummels und Can immer noch geschlossen. Sobald Undav ebenfalls abkippt, schiebt Guirassy wieder hoch (wie in der Abbildung zu sehen). Dieses Mal positionierte sich Undav beim Abkippen jedoch bewusst zwischen Hummels und Can. Dadurch fühlen sich beide für Undav verantwortlich, wodurch beide impulsiv nach vorne schieben.
Undav lässt den Ball mit einem Kontakt auf den anspielbereiten Karazor klatschen. Mit diesem Spiel über den Dritten kann Guirassy direkt von Karazor (ebenfalls mit dem ersten Kontakt) angespielt werden. Das Anspiel kam leider nicht perfekt, wodurch der Ball noch abgefangen werden konnte. Guirassy ist jedoch genau im richtigen Zeitpunkt in den Raum hinter Hummels gestartet, sodass er nicht im Abseits gestanden hätte.
Neben dem vertikalen Abkippen Undavs wurde am Anfang des Abschnittes auch das horizontale Fallenlassen thematisiert. Ein sehr gutes Beispiel dafür ist die Entstehung des 1:0 gegen Bayer Leverkusen im Bundesliga-Hinspiel beider Mannschaften.
Zuvor verliert Leverkusen auf Höhe der Mittellinie den Ball, wodurch die beiden Außenverteidiger Frimpong und Grimaldo höher aufgerückt sind und Xhaka die Innenverteidigerposition des herausgezogenen Tapsoba übernimmt. Tapsoba wird jedoch nur herausgezogen, da Undav sich im Moment der Balleroberung Stuttgarts auf die linke Seite fallen lässt. Guirassy hingegen besetzt wieder die zentrale Position und lauert auf ein Tiefenzuspiel. Leverkusen verteidigt es sogar zunächst sehr gut, da Xhaka die Position von Tapsoba auffüllt. Nachdem Undav den Pass in die Tiefe zu Zagadou spielt, läuft Guirassy Richtung Elfmeterpunkt. Dadurch, dass alle Verteidiger zum Ball oder zu Guirassy schauen, öffnet sich der Raum am 2. Pfosten für Führich, der das 1:0 erzielt. Obwohl Undav und Guirassy keine direkte Torbeteiligung hatten, waren beide entscheidend am Tor beteiligt.
Fazit
Sebastian Hoeneß hat ein taktisch hervorragend eingestelltes VfB-Team entwickelt. Stuttgart versucht konsequent mit spielerischen Lösungen Raumgewinne zu erzielen und freie Spieler zu finden. Mit einem cleveren Positionsspiel sichert der VfB mit den Außenverteidigern im Halbraum die hohe Gefahr beim flachen Spielaufbau ab und minimiert damit das Risiko offen in Konter zu laufen. Allgemein zieht sich durch die in diesem Artikel diskutierten Beispiele immer wieder als ein roter Faden das starke Timing in den Stuttgarter Aktionen untereinander. Zudem ergänzen sich Spieler wie Guirassy und Undav sehr gut. Hoeneß hat es geschafft, die Möglichkeiten des Kaders fast maximal auszuschöpfen. Es bleibt abzuwarten, wie der VfB in der kommenden Saison mit einer höheren Belastung abschneidet und wie er sich gegen Top-Adressen auf europäischem Parkett schlägt. Tatsächlich kann man die Stuttgarter aber aktuell als eine Spitzenmannschaft bezeichnen.
Über den Autor: Danilo Kupke ist Spielanalyst und Trainer. Er war Co-Trainer der U16 von Werder Bremen, Chefanalyst im Nachwuchs von Union Berlin und hat zuletzt im Nachwuchs von Bayern München Erfahrungen sammeln können. Kontaktdaten des Autors: danilokupke(at)web(.)de
14 Kommentare Alle anzeigen
SW 6. Juni 2024 um 00:00
Ja, ein sehr interessanter Artikel. Vor allem die Art und Weise spielerisch zum Torerdolg zu kommen, hat diese Mannschaft fast schon perfekt drauf,i insbesondere auch gegen tiefstehende Gegner.
Im letzten Beispiel ist der Vorbereiter Vagnoman, nicht Zagadou. Und fast genauso hat übrigens Bergamo das erste Tor geschossen.
Fußball04 5. Juni 2024 um 11:11
Wird es einen erwerbbaren Reader zur Euro 2024 geben?
(Entschuldigung im Voraus, falls es bereits verkündet wurde und ich es nicht bekommen habe)
MR 7. Juni 2024 um 14:39
Leider nicht.
Otsch 23. Mai 2024 um 16:24
Kann mich nur anschließen. Hab mich richtig gefreut, als ich vorhin mal „wieder“ einen Beitrag der alten Schule lesen durfte. Gerne wieder mehr davon!!!
Halfarsen 23. Mai 2024 um 16:09
Bitte mehr über Undav und was ihn so stark macht.
tobit 23. Mai 2024 um 08:17
Kann mir jemand erklären, warum Leverkusen im EL-Finale denselben Ansatz wie im Rückspiel gegen West Ham gewählt hat, obwohl der da schon Mist war und man weiß, dass Atalanta den noch besser (und vor allem über die vollen 90 Minuten) bestrafen kann? Und wieso spielt Xhaka immer weiter, obwohl er offensichtlich außer Form und überspielt ist?
WVQ 23. Mai 2024 um 16:31
Ich bin auch recht ratlos. Diese nun seit gut einem Monat immer wieder gespielte 3-4-3-Variante mit zwei schnellen Außenstürmern in hoher und oft auch sehr breiter Grundposition und nur einem echten Zehner als falscher Neun bewirkt ebenso offensichtlich wie erwartbar, daß man mangels Halbraumbesetzung (in krassem Gegensatz zum vorher lange gespielten 3-2-4-1) bei gegnerischem Angriffspressing schnell auf lange Bälle (ob nun hoch oder flach) zurückgreifen muß, mit denen man weder personell noch taktisch etwas anfangen kann. Zwischenzeitlich halt durch Gegnerschwäche und teilweise Wirtz immer noch irgendwie hingebogen. Aber für Atalanta war es dann nun eben keine unüberwindliche Herausforderung, das über den ganzen Platz und ggf. über 90 Minuten eins gegen eins zu verteidigen (was bei hohen Bällen auf Adli, Frimpong oder Wirtz sowieso auch kein großes Wagnis ist), wodurch Leverkusen nie in stabilen Ballbesitz kam. Ich sehe auch die potentiellen Vorteile dieses Ansatzes gar nicht. Wirklich auch in meinen Augen ein taktisch unnötig hergeschenktes Finale, und mit Ansage, sehr schade.
Bei Xhaka hat es Alonso (mehr oder weniger als einzigem Spieler im Kader) über die Saison hinweg verpaßt, ihn psychologisch entbehrlich zu machen. Ging lange nicht, weil erst Andrich Zeit brauchte und dann Palacios verletzt war, aber seit März hätte man Xhaka immer öfter (leistungsgerecht) rausrotieren können, was aber nicht geschah. Ob es im Finale jetzt mehr geschadet hätte, ihn plötzlich rauszunehmen, lasse ich mal dahingestellt, aber das Grundproblem hat man sich schon vorher eingebrockt, als er trotz gut/besser spielender Alternativen immer gesetzt blieb, anders als alle anderen.
tobit 23. Mai 2024 um 18:28
Ich finde vor allem defensiv die Struktur total Banane. Flache, passive 5er-Kette mit Palacios davor kann man ja noch so machen. Aber dass dann Xhaka rigendwo durch die Gegend turnt und die Stürmer komplett abreißen lassen steht ja im kompletten Widerspruch dazu. Da sind dann sowohl der gegnerische Sechserraum als auch deren offensive Halbräume komplett offen bzw nur individuell von Xhaka verteidigbar. Der ist zwar weiträumig genug um das theoretisch (gegen schwächere Gegner als Atalanta) zu können, aber ihm fehlt selbst in Bestform das strategische Auge, da dann regelmäßig im richtigen Raum zu sein.
Wenn die das schon seit nem Monat die ganze Zeit so spielen, bin ich über das Level der Liga mal wieder schockiert – weil schwer auszuhebeln ist das wirklich nicht.
Genauso schlimm fand ich auch Xabis komplette Weigerung im Spiel auf die individuellen und strukturellen Probleme zu reagieren. Spätestens nach dem 2:0 hätte man Tapsobah und Xhaka unter die erlösende Dusche schicken müssen. Stattdessen geht dann zur Halbzeit Stanisic, der noch zu den besseren gehörte (obwohl er absolut kein Wingback ist) und die beiden bleiben die vollen 90 Minuten drauf. Mal davon ab, dass Boniface auch zu oft nur die Tiefe gesucht hat statt sich als Ableger anzubieten. Ich hätte aber auch ihn und nicht Schick gebracht, weil Atalantas IV den mit ihrer Körperlichkeit genauso aufgefressen hätten wie Adli und Frimpong vor der Pause.
Eine andere Anpassung hätte doch eigentlich (vllt eher nicht spontan in einem EL-Finale) auch sein können, Grimaldo zum dritten ZM zu machen. Darauf warte ich eigentlich seit Monaten, dass man ihn nicht nur situativ in Ballbesitz dorthin wandern lässt, sondern ihn gezielt nutzt um den anderen drei mal eine Pause zu verschaffen (wenigstens mal 30 Minuten hier und da).
WVQ 23. Mai 2024 um 20:56
Das ist die andere Seite der Medaille: Adli und Frimpong will man dann natürlich gegen den Ball auch nicht in einem flachen 5-4-1 parken, sondern einigermaßen hoch und breit behalten, damit man sie auch mal schicken kann, also wird’s ein 5-2-3 mit oft großem Abstand zwischen 5-2 und 3. Daher dann der großräumig rumturnende Xhaka und die offenen Halbräume. Auch da: Aus dem 3-2-4-1 heraus war das für die Zehner eh der natürliche Raum, da wollte und brauchte keiner in der letzten Linie oder weit außen stehen. Und mit echtem Neuner waren dann sogar auch Konter mittels Ablagen möglich (die wiederum Frimpong aus tieferer Grundposition die Zeit gegeben haben, in die Tiefe anspielbar zu werden).
Tapsobah war in meiner Wahrnehmung jetzt nicht besonders abgefallen. Hincapié hatte ja auch einige Böcke drin (u.a. entscheidend zum 0:1). Stanisic wurde halt geopfert, um Boniface bringen und Frimpong drinbehalten zu können. (Hätte ich dann auch gemacht, nur hätte ich dazu noch Hofmann für Adli gebracht, um wieder mit zwei Zehnern zu spielen.)
Grimaldo früh(er) einrückend fände ich auch interessant, zumal der gegen Atalanta außen oft sehr weit aufrückte und dadurch auch ständig vom Aufbau abgeschnitten war. (Gab ja dann sogar noch aberwitzige Staffelungen mit Palacios an der Außenlinie und Xhaka allein im Sechserraum inmitten von fünf gegnerischen Spielern…) Ist grundsätzlich glaube ich (außer einmal nominell auf Sechs, irgendwann nach der Winterpause) nie probiert worden, weil letztlich drei Sechser verfügbar waren und man im Gegenzug keinen hat, der als linker Flügelläufer annähernd dieselbe Qualität hätte. Sein Ersatz dort war ja wenn, dann meistens Hincapié. Aber man könnte Grimaldo tatsächlich relativ einfach dauerhaft die linke Zehn spielen und dafür den nominellen Halbstürmer die Breite geben lassen. Wäre im Endeffekt wieder das 3-2-4-1, nur anders hergestellt. Grimaldo auf Sechs einrückend würde allerdings wohl eine Änderung der Grundstruktur erfordern, vielleicht Richtung 3-#-3 oder sowas.
In der Liga ging das tatsächlich des öfteren nur gerade so gut. Wobei die meisten Mannschaften einfach zu ängstlich waren und daher weder die defensiven Lücken noch den zunehmend stockenden Aufbau wirklich ausnutzten. War dann meist eher punktuell wildes Pressing mit schnellem Zurückfallen, wenn man ein paar Mal überspielt wurde, und im eigenen Ballbesitz oft auch zu wenig Personal vorne, so daß es im Halbraum meist mit Rausrücken der HV zu regeln war.
AG 4. Mai 2024 um 18:27
Danke für den schönen Artikel – der erste „richtige“ seit 2021! Stuttgart ist wirklich eine tolle Geschichte, und dazu die Entdeckung mehrerer Nationalspieler. Sicherlich waren sie vor Hoeneß Übernahme nicht das schlechteste Team der Liga, aber er scheint doch ziemlich gut in seinem Job zu sein.
WVQ 5. Mai 2024 um 14:13
Schließe mich an, eine schöne Überraschung, und nachdem MR sich (wenn auch nur im „Hinterzimmer“) bereits Leverkusen gewidmet hatte, hat sich Stuttgart als zweite gute Nachricht der Bundesliga ohnehin aufgedrängt. Danke!
Was im Artikel nur in einem Satz erwähnt wurde, aber mir dennoch auch ein zentrales Element zu sein scheint, ist das Stuttgarter Angriffspressing, das mir derzeit in der Liga ziemlich klar das beste zu sein scheint – insbesondere dahingehend, daß es wirklich kollektiv-systematisch und auf den Gegner abgestimmt ist und dadurch ein probates Mittel, um Gegner davon abzuhalten, ihr eigenes Spiel aufzuziehen. Das ist in der Liga sonst weitgehend verlorengegangen – entweder versucht man es längst gar nicht mehr oder besteht in mehr oder weniger improvisiertem und vor allem nie wirklich kollektivem Anlaufen. Sehr schade für eine ehemalige „Pressing-Liga“, aber schön, es bei dieser Mannschaft doch wieder gut eintrainiert und gut ausgeführt zu sehen.
Für nächste Saison kann man wirklich nur hoffen, daß man erneut einen schlagkräftigen Kader zusammenkriegt (sind ja viele Leihspieler dabei und Guirassy wird wohl nicht zu halten sein), sich mit den Champions-League-Geldern dabei auch nicht übernimmt und dann die Dreifach-Belastung gestemmt kriegt. Bei Leverkusen habe ich da weniger Sorgen, aber für Stuttgart scheint mir die Fallhöhe relativ hoch. Auch wenn in der Liga der Druck von hinten wohl nicht viel höher sein wird – zeichnet sich ja nicht ab, daß Leipzig oder Dortmund bald mal wieder konstant genug für eine Vizemeisterschaft performen können, und das Verfolgerfeld verspricht bisher auch keine Überraschungsmomente. Wäre jedenfalls hocherfreulich, auch nächste Saison wieder zwei Teams in der Liga zu haben, die Bayern fußballerisch echte Konkurrenz machen.
Koom 6. Mai 2024 um 10:25
Da schließe ich mich an. Und auch durchaus gleich ein schönes Thema erwischt. Bitte gerne mehr davon.
Ich finde es schön, dass wir vielleicht eine Renaissance des Ballbesitzfussballs sehen und 2 Teams haben, die das ausgesprochen erfolgreich – und gar nicht mal mit so brachial großen Geldmitteln umsetzen.
Izi 12. Mai 2024 um 00:56
Bin voll dabei! Danke für den schönen — und wie AG geschrieben hat — „richtigen Artikel“ (im Sinne von Old School; ich verfolge eure Arbeit seit 2012).
Er erklärt schön, was ich mich als Stuttgart-Fan die ganze Saison schon frage: Wie wurde aus der Gurkentruppe vom Vorjahr ein richtig gutes Team? Ich denke, der Trainer hat eine irre Arbeit geleistet. Aktuell wären sie ja sogar Vizemeister!
Sebi U. 28. Mai 2024 um 07:52
Geht mir genauso, vielen Dank für den Artikel! Erinnert fast schon wieder an die Hochzeiten von RM, MR, TR usw. rund um das Champions-League Finale 2013… Hoffe auch, dass in Zukunft wieder etwas mehr „geschriebene Artikel“ auf Spielverlagerung erscheinen. Wäre echt cool. Vor allem Artikel über taktisch außergewöhnliche bzw. unorthodoxe Mannschaften a la Stuttgart, Brighton, Aston Villa, Bologna, Bergamo usw. wären richtig interessant und lesenswert. Stoff zum Schreiben geben ein paar aktuelle Trainer-Hipster ja genug her… 😉