Türchen 1: Kylian Mbappe
Hinter dem ersten Türchen unseres Adventskalenders steckt eines der größten Talente des Weltfußballs: Kylian Mbappe!
Einen Spielverlagerung-Adventskalender zu planen ist in etwa so kompliziert wie Sondierungen in der Politik: Zig Interessen wollen bedient werden, ein Dutzend verschiedener Köche hat unterschiedliche Vorstellungen vom Brei. Da kann eine Sitzung schon einmal bis in die Nacht hinein dauern. (Zum Glück hat noch niemand das Motto entdeckt: „Lieber nicht adventskalendern als falsch adventskalendern!“)
Als wir den aktuellen Kalender geplant haben, hatten wir zunächst Spieler gesammelt, die den Fußball der Zukunft repräsentieren. Das hatte eine Liste zur Folge, auf der gefühlt zehn Sechser, zehn Raumdeuter und praktisch keine Stürmer standen. Das war etwas unbefriedigend. Also säumten wir das Feld von hinten auf: Welchen Spielertypen gehört die Zukunft? Besonders ich wollte unbedingt mehr Stürmer auf der Liste sehen. Also fing ich an: „Wir bräuchten noch einen mobilen Stürmer!“ „Wir haben doch Mbappe.“ „Wie wäre es mit einem Hybrid aus Außen- und Mittelstürmer?“ „Wir haben Mbappe.“ „Oder ein Abschluss-orientierter Außenstürmer?“ „Mbappe.“ „Schnittstellensprinter?“ „VERDAMMT, TOBI, MACH EINFACH MBAPPE!!!“
Vielseitige Stärken
Mbappe, das ist kein Geheimnis mehr, ist eines der größten Talente des Weltfußballs. Er stammt aus Bondy, einem Ort nahe Paris, wechselte allerdings schon in jungen Jahren zum AS Monaco. Dort durchlief er die Jugendabteilungen und schaffte es bereits mit 16 Jahren in die erste Mannschaft. Kein Wunder, sein Talent ist nicht zu übersehen: Mbappe hat einen unfassbar schnellen Antritt, einen fabelhaften ersten Kontakt, beherrscht zig Tricks und kann die Laufrichtung binnen Millisekunden wechseln. Er hat, wie man im Fußballdeutsch (und bei Modeschauen) zu sagen pflegt, das komplette Paket.
Mbappe ist deshalb so interessant, weil er dank seiner vielseitigen Stärken im Sturm praktisch jede Position, vor allem aber jede taktische Rolle spielen kann. Vieles, was Mbappe kann, lässt sich unter dem Begriff „Bewegungsstürmer“ zusammenfassen. Unter seinen zahllosen Stärken ragen seine Beweglichkeit und seine Raumintelligenz noch einmal heraus.
Mbappe, der Abwehrketten-Knacker
Das zeigt sich unter anderem daran, wie Mbappe an der letzten Linie agiert. Mbappe visiert Räume hinter der Abwehr an, lauert an der Grenze zum Abseits und startet im richtigen Moment durch. Selbst schnelle Verteidiger kann er auf den ersten Metern abhängen, gerade wenn er aus einer etwas tieferen Position kommt.
Oft zockt Mbappe aber und wartet an der letzten Linie auf das Zuspiel. (Ein Faktor, der zu einer seiner Schwächen beiträgt: seine Arbeit gegen den Ball.) Sein Timing, wann er hinter die Abwehr starten muss, ist makellos. Er hat ein feines Gespür, wo die Abwehr Lücken hinterlässt. Damit ist er naturgemäß ein idealer Stürmer für Kontersituationen. In Monaco erzielte er zahlreiche seiner Treffer nach Kontern, gerade in der Champions League.
Mbappe ist aber mehr als ein raumintelligenter David Odonkor. Er kann dank seiner Technik auch als Ablagenpartner fungieren, der im Anschluss schnell durchstartet. Auch diese Facette sah man häufig bei Monaco: Mbappe bewegt sich etwas zur Seite oder nach hinten, lockt damit einen Verteidiger aus der Kette. Das folgende Zuspiel auf ihn legt er sofort ab, direkt danach startet er in Richtung gegnerisches Tor.
Einmalig im Weltfußball ist die Geschwindigkeit, mit der Mbappe die Richtung wechseln kann. Manches Mal scheint es fast sogar so, als könne er die Geschwindigkeit aus der entgegengesetzten Bewegung mitnehmen, selbst bei 180°-Wendungen. So startet er in vielen Situationen kurzzeitig in Richtung des eigenen Tors, nur um nach zwei oder drei Schritten abzubrechen und sofort in die entgegengesetzte Richtung zu sprinten. Verteidiger, die in dieser kurzen Situation den Körperkontakt zu Mbappe verlieren, können den folgenden Sprint nach der Drehung selten verhindern. Und mithalten mit Mbappe kann kaum einer.
Mbappe, der mitspielende Dribbelstürmer
Mit diesen Stärken ist Mbappe prädestiniert für vertikalen Fußball. Er ist der Abnehmer für zahlreiche Bälle hinter die Abwehr, kann diese aber auch einleiten. Sein Gespür für den Raum verleitet ihn nicht dazu, jedes Mal blind hinter die Abwehr zu sprinten; er spielt auch häufig mit, lässt sich fallen, nimmt den Ball mit und leitet ihn schnell weiter.
Seine Ballverarbeitung ist nicht nur eine Augenweide, sie hilft ihm auch dabei, den Gegner auf dem falschen Fuß zu erwischen. Häufig sieht man, wie Mbappe sich mit dem ersten Kontakten den Ball zwischen beiden Füßen hin und her spielt. Dem Verteidiger ist es unmöglich, vorherzusagen, wie Mbappe den Ball mitnimmt. Er kann seine Fußstellung nicht darauf einstellen.
Mbappes kurze Dribblings sind kein Selbstzweck. Er nutzt sie, um sich Übersicht zu verschaffen und die passende Anspielstation zu finden. Wenn Mbappe nicht gerade selbst hinter die Abwehr durchstarten will, spielt er daher selten den Ball mit dem ersten Kontakt weiter. Er nimmt ihn an, hält ihn, bis er eine Anspielstation findet. So kann sein Team aufrücken oder andere Stürmer können den richtigen Moment abpassen, um hinter die Abwehr zu starten.
Mbappe, der tororientierte Außenstürmer
Mbappe ist dabei weder Raum- noch Strukturdeuter; er nutzt einfach nur seine überragende Technik, um den richtigen Moment zum Abspiel abzuwarten. Denn bei Mbappes Spiel geht es immer um eins: den direktesten Weg zum Tor zu finden. Diese Facette zeigt sich bei seinen Sprints hinter die Abwehr, aber auch bei seinen Pässen und vor allem bei seinen Dribblings.
Selbst wenn Mbappe die bisher beschriebene Spielintelligenz nicht hätte, er wäre immer noch ein herausragender Fußballer – denn seine Technik macht aus ihm einen der begabtesten Dribbler dieses Planeten. Eine Finte hier, eine Tempoverzögerung dort, ein schneller Antritt hinterher: Mbappe dribbelt selbst zweikampfstarke Verteidiger aus. Aber er sucht dabei nie den Weg nach Außen, geht nie den Weg des einfachsten Widerstands.
Mbappe hat ein eingebautes Navi, das stets Richtung Tor zeigt. Wenn er den Ball erhält, dribbelt er auf direktem Weg zu einer guten Abschluss-Position. Diese Facette zeigt sich vor allem bei Paris St. Germain. Hier wird Mbappe häufig als Rechtsaußen eingesetzt. In manchen Situationen verlässt er seine Grundposition und geht in die Mitte, um hinter die Abwehr zu starten oder als Anspielpunkt zu fungieren. Häufig bleibt er aber auch auf Außen und wartet, bis er den Ball bekommt.
Wenn er den Ball in einer breiten Grundposition erhält, startet er direkt Richtung Tor; nicht seitlich wie Robben, nicht schnörkelnd wie viele andere Außenstürmer, sondern diagonal in Richtung Kasten. Mbappe hat diese rohe Wucht in seiner Tororientierung wie Cristiano Ronaldo, baut aber noch filigranere Schnörkel ein. Häufig nutzt er die Hacke, um dem Ball eine schnelle Richtungsänderung zu geben. Auch hier kommt ihm seine Beweglichkeit zugute. Es geht aber immer darum, die passende Abschlussposition zu finden. So ist Mbappe ein Meister darin, platziert aus der rechten Hälfte des Strafraums die linke Seite des Tores anzuvisieren – unhaltbar für viele Torhüter.
Die Präsenz-Frage
Insofern ist das, was Mbappe bremsen könnte, ein Problem, das erst durch seine überragenden Fähigkeiten entsteht: Es bietet sich an, dass Mbappe viel Präsenz zeigt, um seine individuellen Fähigkeiten einzubringen. Mbappe könnte sich häufig fallen lassen, um sich ins Spiel zu integrieren oder Dribblings aus einer tiefen Position zu starten.
Eigentlich ist er aber an der gegnerischen Kette stärker und auch taktisch wesentlich wichtiger für sein Team. Eine zu hohe Präsenz würde seine wahre Stärke entschärfen: das Überraschungsmoment, das Plötzliche, das Ausnutzen von Dynamik wie aus dem Nichts. Das Dilemma erinnert an Cristiano Ronaldo, der auch häufig seine besonderen Momente hat, wenn er sich etwas herausnimmt aus dem eigenen Spiel und seinen Zug zum Tor stärker forciert.
Mbappes Rolle bei Paris St Germain ist insofern interessant, als dass die Präsenz des Über-Stars Neymar diese Tendenz etwas ausgleicht. Neymar genießt als Linksaußen wesentlich mehr Freiheiten als Mbappe auf der rechten Seite, ist wesentlich präsenter. Mbappe kann häufig höher agieren, wobei auch er sich fallen lässt. Noch bringt er seine Stärken aber fokussiert und pointiert ein und will das Spiel nicht übermäßig an sich reißen.
Mbappe, der Spieler(typ) der Zukunft
Aufgrund seiner überragenden Technik und hohen Geschwindigkeit ist es leicht, Mbappe als herausragendes Talent abzutun. Natürlich ist Mbappe ein Spielertyp der Zukunft, weil ihm als Spieler die Zukunft gehört. Wie solle man daraus allgemeine Trends ableiten? Spieler eines solchen Talents gibt es schließlich höchstens vier-, fünfmal in einer Generation.
Mbappe ist einer der wenigen Spieler im Weltfußball, die sofort Dynamik ausnutzen können, wenn diese irgendwo auf dem Feld kreiert wird; sei es durch eine Kontersituation, ein gutes Zuspiel aus dem Mittelfeld oder eine Klatsch-Pass-Kombination. Dies ist im modernen Fußball immens wichtig, wenn auch dieser Punkt nicht unbedingt griffig ist. Nicht umsonst heißt es häufig ominös, eine Mannschaft spiele gut, ihr fehle aber der „letzte Pass“ – ohne genau spezifizieren zu können, wie dieser „letzte Pass“ eigentlich aussehen sollte.
Dieser Pass ist letztlich auch nicht so leicht zu kreieren, weil die Endverteidigung im modernen Fußball immer stärker wird, gerade durch den Trend zur Fünferkette. Tempo und sekundengenau abgestimmte Laufwege sind hier entscheidend. Mbappe kann diesen letzten Pass sowohl spielen als auch ausnutzen – vor allem aber Letzteres.
Ob er nach dem Zuspiel hinter der Abwehr ist oder noch ein oder zwei Verteidiger zwischen ihm und dem Tor stehen, ist letztlich egal; mit diesen wird Mbappe schon fertig. Sobald er etwas Raum hat, weiß er diesen auszunutzen. Das ist im modernen Fußball aktuell keine Selbstverständlichkeit. Die Zahl der Spieler, die Dynamik kreieren können, wird im modernen Fußball immer größer (wie die kommenden Blätter dieses Adventskalenders zeigen werden.) Ohne Spieler, die diese Dynamik ausnutzen, um Tore zu schießen oder vorzubereiten, sind sie aber wenig wert.
Mbappe – viele in einem
Es kommt kein junger Spieler an Mbappes Komplettpaket heran. Aber die einzelnen Facetten seines Spiels findet man auch auf individuell leicht niedrigerem Niveau. Timo Werner oder Jamie Vardy sind ebenfalls Gift für jede aufgerückte Abwehr, etwas, das zum Ausspielen von Kontersituationen im immer athletischerem und schnellerem Fußball wahnsinnig wichtig ist. Werner verbessert sich auch immer weiter im mitspielenden Segment, kann besser Bälle ablegen. So kann ein schneller Stürmer auch in statische Situationen Dynamik bringen.
Das bewegliche, raumfindende Element gibt es bei vielen Stürmern; manche können auch aufgrund ihrer starken Technik Bälle halten und weiterverwerten; siehe Raffael, siehe Max Kruse. Harry Kane hat ebenfalls viele Qualitäten von Mbappe, vor allem dessen Tororientiertheit, Dembele ist ein ähnlicher Dribbeltyp, wenn auch nicht ganz so tororientiert. Welbeck oder Pedro sind ebenfalls Hybriden aus Außen- und Mittelstürmer, eine Rolle, die im modernen Fußball zunehmend benötigt wird, gerade in 3-5-2-Systemen oder bei modernen Versionen der Raute.
Selbst unter ihnen gibt es aber keinen, der die Facetten eines dynamischen Bewegungsstürmer derart kombiniert wie Mbappe. Und selbst wenn wir im Jahr 1950 leben würden und es keine Räume hinter der Abwehr gäbe, Mbappe hätte eine große Zukunft. Dass wir in einer Zeit leben, die zu seinen Stärken passt, macht es für ihn noch einfacher, zu den ganz großen Fußballern der Welt aufzuschließen. Auch wenn wir viel diskutiert haben im Vorfeld des Adventskalenders: Dass Mbappe den Auftakt macht, hat keiner je angezweifelt.
14 Kommentare Alle anzeigen
Jannik E 8. Dezember 2017 um 01:38
Bombastischer Spieler und ein Artikel der ihm absolut gerecht wird. 10/10.
Ballverliebt 1. Dezember 2017 um 16:28
Weiß garnicht wieso vermehrt die Leser in ihm die Wiedergeburt von Ronaldo sehen,selbstverständlich sind Ähnlichkeiten im Spielstil zuerkennen.
Für mich ist er aber ganz klar die Wiedergeburt von Henry.
FT 1. Dezember 2017 um 14:48
Sehr stark die beste Zeit des Jahres beginnt. Mbappe ist für mich der beste offensive Rollenspieler der Welt. Da ihr zum raten aufgerufen habt hier die nächsten 3 Spieler im Adventskalender: Sabitzer, Dembele (oder Semedo) fände Semedo sogar noch spannender und natürlich die Kreuzung des jungen Mascherano mit Dynamik und Ever Banega, Leandro Paredes!
La Masia 1. Dezember 2017 um 14:12
Beim Lesen des Artikels ist mir ebenfalls immer wieder der Name (des richtigen) Ronaldo in den Sinn gekommen. Das kann doch kein Zufall sein! Es lebe die Reinkarnation! 😀
Dr Ball 1. Dezember 2017 um 13:17
Und bitte bitte selbstverständlich
Martin Ödegaard der einzige Spieler der an Valdivia rankommem könnte….
Varane+Ödegaard müssen dieses Jahr her !!!!!!
Gh 1. Dezember 2017 um 16:14
joa, könnte man so stehen lassen. was auch immer dass dann heissen mag.
Dr Ball 1. Dezember 2017 um 13:14
Sehr geil der klassische SV AK kst zurück.
Bitte bitte macht endlich mal eine Spielanalyse über Varane.
Ihr habt mir vor 4 Jahren geschrieben,dass ihr auf den richtigen Moment für Varane wartet und ihn als zukünftigen Weltfussballer sieht.
Also wenn ihr ihn jetzt nicht bringt,weiß ich auch nicht mehr…
Gh 1. Dezember 2017 um 16:19
ehrlich, hier wurde geschrieben, dass varane weltfußballer wird? der letzte defensivspieler der das wurde…google google google… cannavaro! ads (deutsch für wtf)… so gesehen varane safe bet!
Robert 1. Dezember 2017 um 10:52
Jedes Jahr der beste Adventskalender!
Danke 🙂
rodeoclown 1. Dezember 2017 um 10:32
Juhu, Adventskalender!
Was mich bei Mbappe Mal interessieren würde, wäre ein Vergleich zu Ronaldo. Mir kommt es immer so vor, als ob Mbappe quasi eine Wiedergeburt von El Phenomenon sei, zu uns geschickt und endlich zu zeigen was hatte sein können. Oder täusche ich mich da U du die beiden sind doch irgendwo verschieden?
Mananski 1. Dezember 2017 um 10:51
Sehe das genau so. Mbappes Spiel sieht schon echt dem von Inter-Ronaldo ähnlich
HK 1. Dezember 2017 um 12:41
Immer schön, seine Meinung bestätigt zu sehen. (-;
Der Gedanke drängt sich mir auch auf.
sofalaie 1. Dezember 2017 um 14:18
Ein Unterschied liegt vielleicht im Dribblingstil: Da kenn ich vom jungen Ronaldo vor allem diese tollen, flüssigen Engendribblings mit tausend Kontakten (https://www.youtube.com/watch?v=CYAdJARmGTo), während Mbappe dank seiner wahnsinnigen Explosivität etwas großräumiger zu dribbeln scheint (https://www.youtube.com/watch?v=qd9OXYYYiew). Zudem ist Mbappes Offensivspiel ohne Ball sicher besser als Ronaldos einzuschätzen (tendenziell auch, wenn man sie jeweils relativ zu ihrer Zeit vergleicht).
julian 1. Dezember 2017 um 08:19
Wundervoll, vielen Dank für eure Arbeit! Ich freue mich schon auf die weiteren Türchen!