Nah aneinander
Zwei mannorientierte Ausrichtungen führten in dieser taktischen Konstellation zu einem ausgeglichenen Match. Die Hertha spielte leicht kontrollierter, Bremen war leicht gefährlicher.
Man gewinnt manchmal bei Spielen wie dieser Partie im Berliner Olympiastadion einen Eindruck, wie Mannorientierungen und deren Dominanz die weitere Entfaltung der Begegnung hemmen und andere Elemente ersticken können. Zwischen dem nominellen 4-2-3-1 der Hertha und dem aus der letzten Rückrunde gut bekannten Fünferkettensystem der Bremer von Alexander Nouri ergaben sich viele direkte Zuordnungen, zumal die Rollenverteilung auf Seiten der Gastgeber mit der oft tiefen, in typischer Manier zurückfallenden Einbindung Daridas ziemlich 4-2-1-3-haft daherkam.
Formierten sich die Teams gegeneinander, standen sie gespiegelt – jeder Spieler hatte einen Gegner. Das war für beide Seiten die Grundlage für das eigene Pressing. Davon ausgehend wurden Läufe weit verfolgt, häufig etwa aus den Achterräumen bis in die Abwehrreihe hinein. Wollte man das Spiel in der Kurzfassung erzählen, könnte man fast bei der Thematik der prägenden Mannorientierungen stehen bleiben, die den Grundrahmen der Begegnung festlegten und zwischen denen sich die Kontrahenten im Wesentlichen neutralisierten.
Allerdings hätte sich aus einer solchen Ausgangslage auch ein ganz anderer Verlauf ergeben können. Schließlich entwickeln sich bei weitem nicht alle Partien zwischen individuell etwa ähnlich starken Teams mit jeweils starken und prägenden Mannorientierungen so ausgeglichen – selbst bei ansonsten taktisch „leeren“ 4-4-2-Duellen ist das keineswegs die Regel. An diesem Match kann man beispielhaft ganz gut ansetzen, um die Auswirkungen starker direkter Zuordnungen zu analysieren.
„Zufall“ und Rollenverteilung
Geht man mögliche Faktoren durch, wie derartige Begegnungen mit Patt-Situationen entschieden werden können, kommt man neben komplexen gruppentaktischen Abwägungen und individuellen Aspekten auch am Zufall nicht vorbei. Nicht nur: Wie sauber staffeln sich bestimmte Spielergruppen in verschiedenen Umgebungen im Detail, wie aufmerksam verhält sich ein bestimmter Spieler jeweils, sondern eben auch: Wie genau springt ein Ball aus einer unkontrollierten Situation in einen bestimmten Raum? Das sind bei allen Fußballspielen maßgebliche Fragen, aber bei starken, im Grundsatz ausgeglichen angelegten Mannorientierungen erhalten sie schon noch etwas mehr Spielraum und Gestaltungskraft.
Sehr einflussreich und entscheidend ist in diesem Zusammenhang auch die Rollenverteilung. Wenn – wie hier – eher wenig positionelle Interaktion zwischen offensivem Mittelfeld und Sturm ausgeprägt ist, lassen sich Möglichkeiten für diagonale Bewegungen zur Raumöffnung gegen die Mannorientierungen sowie in die dadurch geschaffenen Lücken hinein schwieriger finden. Die Hertha beispielsweise befand sich mit ihrer 4-2-1-3-Rollenverteilung in einer ähnlichen Situation. Das Mittelfeld war eher nach hinten orientiert, hätte dadurch vielleicht Gegner locken und Platz im Zwischenlinienraum erzeugen können – dafür aber kaum Rochaden mit den Stürmern. Diese fokussierten sich stark auf individuelle Horizontalläufe, wobei kreuzende Bewegungen etwas zu kurz kamen. In dieser Hinsicht ließ sich wenig Dynamik entfachen.
Nur vereinzelte (Umschalt-)Chancen
Umgekehrt stellte sich diese Ausrichtung für das Umschalten als hilfreich dar. Die Berliner hatten eine sehr klare Struktur zwischen dem umtriebigen Zentrumsblock und den schnellen Spitzen, die sich zumal für gewöhnlich in guter Grundposition befanden, um die gegnerische Dreierkette zu attackieren. So lösten die Hausherren viele gute Konteransätze aus – über Ablagen von Ibisevic auf den überraschend und konsequent nachstoßenden Darida sowie die geradlinigen Sprints von Leckie und Esswein. Außerhalb des Umschaltens blieb es weitgehend aber bei einer eher chancenarmen Partie mit wenigen Torannäherungen.
Bremen hatte zwar eine vielversprechende, aber noch unausgereifte Anlage. In der Dreierkette waren die Aufbaustaffelungen noch etwas unsauber, vor allem fehlte es aus dem vielseitigen und soliden Mittelfeld heraus an antwortenden Läufen auf jene der Stürmer. Die Hertha wurde in der zweiten Halbzeit mit der Einwechslung Stockers etwas offensiver im Bewegungsspiel. Das ergab mehr Gelegenheiten für Rochaden mit den Außenstürmern (etwas seltsam auf diesen Positionen die fast zu starke Präsenz von Kalou), wurde aber eher wiederum für Konterszenen genutzt, auf die sich die Mannschaft von Pal Dardai nun stärker zu konzentrieren schien.
Herthas Abpraller, Bremens Aufrücken
Insgesamt hatten die Hausherren – über weite Strecken, speziell vor dem Seitenwechsel – vielleicht etwas mehr von diesem ausgeglichenen Match, während Werder einen Tick gefährlicher wirkte. Zwischenzeitlich dominierten Erstere über ihre enge Formation sogar leicht. Wie auch die Bremer versuchten sich die Berliner – mal frühzeitig, mal nach längeren Ballbesitzpassagen – aus mannorientiertem Zustellen mit längeren Pässen zu befreien. Wenn sie diese ins Zentrum nach vorne brachten, zog sich die Sturmreihe aufmerksam um die Abpraller zusammen. Auch die starke Kohärenz zwischen Darida und den beiden nah aneinander agierenden Sechsern machte sich hier bezahlt, die oft etwas kompakter organisiert waren als die loser nach außen rochierenden Pendants von der Weser.
Dass Bremen in der Nähe des gegnerischen Strafraums etwas mehr Aktivität und Gefahr versprühte, lag hauptsächlich daran, dass sie häufiger und schneller schlichtweg nach vorne kamen. Dafür spielten sie phasenweise konsequent den Flügel herunter und brachten dort zusätzliches Personal zu Gebre Selassie und Augustinsson. Vor allem Kainz war generell fast überall zu finden, ganz besonders mit auf dem rechten Flügel, auf den auch Bartels immer wieder weiträumig über längere Zeiträume auswich. Wichtig waren auch in anderem Kontext die beiden Angreifer, zwei der essentiellen Schlüsselspieler für den Bremer Aufschwung aus der vergangenen Rückrunde.
Ballvortrag nach außen
Mit ihrer umtriebigen Art ließen sich sowohl Bartels als auch Kruse abwechselnd nach hinten fallen – und konnten zwischen den Mannorientierungen einige Male Raum finden. Bisweilen gingen sie sogar etwas zu tief und ließen dann nur den Ball weiter zirkulieren. Etwa auf Höhe des defensiven Mittelfelds der Hertha wurden sie aber ebenso erfolgreich angespielt. Nun stand das Team aus der Hauptstadt natürlich nicht sofort offen, sondern reagierte schnell und die drei Zentrumsspieler schoben aus ihren Mannorientierungen heraus ballnah gut auf den entsprechenden Bremer Stürmer nach. Dieser hatte so – zumal mit wenig direkter Unterstützung seinerseits aus dem eigenen Mittelfeld – zwar kaum Möglichkeiten, um gefährliche oder überhaupt unmittelbar tororientierte Aktionen zu initiieren.
Gegen die entstehende Rückzugsbewegung der Hertha konnte er aber sehr gut das Leder wieder zum Flügel nach vorne verteilen – mit aufrückendem Raumgewinn als Effekt. Insgesamt gelang es Werder somit gut, sich über die Außenbahnen in Richtung Strafraum vorzuarbeiten und dort zügig eine gewisse Präsenz herzustellen. Das reichte für ein Grundmaß an Gefahrenpotential, ohne dass die Anlage der Gäste im Offensivdrittel wirklich überzeugt hätte. Dafür fehlte es dem (in seiner Zusammensetzung seltsamen) Mittelfeld an der klaren Struktur Richtung Tor und den beiden Stürmern an ausreichender Verbindung mit den Kollegen. Nach ihren aufwändigen ballfordernden Aktionen hatten diese oft zu wenig Optionen um sich herum, vor allem zwischen Mittelfeld und Nachstößen in Offensivzonen. So wurde auch für die Gäste der Weg in den Sechzehner beschwerlich.
4 Kommentare Alle anzeigen
MM 15. September 2017 um 12:25
Inwiefern ist die Zusammensetzung im Mittelfeld seltsam?
Schorsch 12. September 2017 um 20:39
Vielen Dank an TR für die Analyse dieses Spiels!
Über die gesamte Spieldauer gesehen ging das Remis mMn in Ordnung. Wobei ich Werder in HZ 2, vielleicht auch durch einige wenige Umstellungen bedingt (Seitenwechsel Delaney – Kainz) als das mehr als leicht überlegene Team gesehen habe. Schade, dass Nouri in der Schlussphase nicht mehr Risiko gegangen ist.
Sicherlich waren Bartels und Kruse in der letzten Rückrunde wichtige Spieler. Mindestens genauso wichtig waren aber Moisander und Delaney sowie die Umstellung der spielerischen Ausrichtung durch Nouri. Ich fürchte, dass Delaney nicht zu halten sein wird und er nächste Saison in der PL spielen wird.
Tom 13. September 2017 um 07:45
Was fandest du denn an der Mittelfeldzusammensetzung so seltsam?
Welche würdest du aus Bremer Sicht wählen?
Ist hier Junu ein Schlüssel zu mehr Kreativität oder schließt ein Kainz so langsam die Lücke?
TR 16. September 2017 um 17:46
Ich finde, es ergänzt sich da in der Mittelfeldkombination dann nicht so richtig, da alle drei Typen auf ihre sehr eigene Weise und in ihrer „Kategorie“ jeweils Richtung Allrounder gehen. In der Konsequenz ergibt sich so ein ziemlich stabiles, solides, auch vielseitiges Trio, in dem sich die Spieler zwar gut stützen können, was bei der teilweise weiträumigen Ausrichtung auch wertvoll ist, aber die spielerisch strukturierende und treibende Kraft geht vielleicht etwas ab. Kommt wohl auch noch ein gewisser subjektiver Eindruck hinzu: Persönlich wäre mir in der Achterkombination neben Delaney ein eher unfokussierter Dribbler wie Kainz nicht so die bevorzugte Wahl.