Benfica krönt sich zum neuen König Europas
1962 kehrte Real Madrid ins Finale des European Cup zurück. Dort trafen sie auf S.L. Benfica, das sich zum Schreckgespenst für den spanischen Fußball entwickelte.
Im Vergleich zum Triumph von Benfica im Vorjahr gehörte nun auch der junge Eusébio zur Startformation von Trainer Béla Guttmann. Der damals 20-Jährige hatte auf dem Weg zum Finale bereits viermal für sein Team getroffen und sein Ausnahmetalent in vielen Partien unter Beweis gestellt. Das Gesicht der Encarnados hatte sich jedoch nicht wesentlich verändert. Guttmann konnte auf das Zusammenspiel seines Mittelfeldblocks um Mário Coluna vertrauen.
Bei den Madrilenen sah es derweil eher nach Umbruch aus. Viele Spieler, die noch die Erfolge in den Jahren zuvor mitgeprägt hatten, waren auf dem Absprung oder schon weitergezogen. Akteure wie José María Vidal, José María Zárraga, Marquitos, Canário oder Torwart Rogelio Domínguez gehörten beim letzten Finalsieg noch zum Aufgebot, standen aber gegen Benfica nicht mehr auf dem Platz.
Madrids Trainer konnte aber weiterhin auf sein Offensivgespann um die beiden Superstars Ferenc Puskás und Alfredo Di Stéfano bauen. Nicht wenige der 61257 Zuschauer im Olympisch Stadion von Amsterdam waren ihretwegen gekommen.
Einen ausgemachten Favoriten gab es in diesem Finale nicht. Benfica war der Titelverteidiger. Real Madrid umgab weiterhin die Aura der nahezu Unbesiegbaren. Die Spanier begannen die Partie mit einer sehr dichten Staffelung im Mittelfeld. Oftmals stellte sich in diesen Jahren die Frage, wie die Raumaufteilung zwischen Puskás, Di Stéfano und dem jeweils dritten Mann im Zentrum – in diesem Fall Luis del Sol – konkret aussehen würde.
In diesem Spiel agierte Di Stéfano sehr tief und stand meist direkt vor den beiden defensiven Abräumern Pachín und Felo. Puskás hingegen hielt sich als Solo-Sturmspitze für Ablagen und Kopfballweiterleitungen weit vorn bereit und wartete auf lange Zuspiele. Diese waren allerdings in der Anfangsphase nur schwer zu bewerkstelligen, da Benfica ein gutes frühes Pressing spielte. Domiciano Cavém und Fernando Cruz rückten weit auf in den Rücken von Eusébio sowie Mário Coluna. Folglich ergab sich kein typisches Loch zwischen Mittelfeld und Angriffsreihe.
Real Madrid hingegen verhielt sich gegen den Ball zurückhaltender. Puskás oder Del Sol schoben vereinzelt auf Zentralverteidiger Germano, wenn dieser den Spielzug der Portugiesen eröffnete und der Ball nicht direkt von Torwart Alberto da Costa Pereira weit nach vorn geschlagen wurde. Insgesamt ergab sich in den ersten Minuten der Partie eine recht klare Raumaufteilung. Die Madrilenen standen vergleichsweise tief, was an der Positionierung von Di Stéfano deutlich wurde. Benfica hingegen schob weit nach vorn und dominierte zunächst mit hoher Ballbesitzquote. Zudem hatten die Spanier Probleme bei hohen Bällen. Ihre Klärungsversuche am und im eigenen Sechzehner wirkten oftmals unkoordiniert.
Die Merengues waren hingegen auf schnelles Konterspiel ausgerichtet. Insbesondere wenn Di Stéfano im zweiten Drittel seinen Gegenspieler abschütteln konnte, nahm er anschließend Tempo auf und stieß in das Loch hinter Cavém vor. Der Saeta Rubia lief dann auf die Verteidigung zu und versuchte erst im letzten Moment den Ball zum Nebenmann – in der Regel Puskás – abzugeben, damit er entsprechend den Raum für seinen Offensivpartner öffnen konnte. Allerdings sah das Passspiel der Madrilenen bei diesem hohen Tempo recht unpräzise aus.
Zudem machten sich die mangelnden Verbindungen aufgrund der zerrissenen Formation deutlich. Die beiden Flügelspieler, Francisco Gento und Justo Tejada, waren zu Beginn eines Konters sehr tief positioniert und lauerten nicht etwa an der Abseitsgrenze, wie es für Gento eher typisch war, wenn dieser ganz starr auf der Außenbahn blieb. Auch Tejada, der zuvor in acht Wettbewerbsspielen sieben Tore, also genauso viele wie Di Stéfano, erzielt hatte, blieb lange Zeit wirkungslos.
Nach der ersten Viertelstunde wurde Benfica jedoch unaufmerksam. Beziehungsweise ihr Gegenpressing in der Nähe des madrilenischen Strafraums griff nicht mehr derart gut, sodass die Merengues mehrfach lange Bälle in das Mittelfeldloch spielen konnte, was sich ergab. In diesem nahm dann beispielsweise Del Sol das Spielgerät auf und forcierte Dribblings in Richtung Verteidigungslinie. Wie aggressiv die Portugiesen zum Teil im Gegenpressing agierten, wurde an der Positionierung der beiden äußeren Verteidiger deutlich. Situativ stand Mário João 15 Meter vom Strafraum der Madrilenen entfernt und unterband direkt Konterversuche von Gento, der unmittelbar nach Ballannahme unter Druck gesetzt wurde.
Für diese sehr progressive Spielweise musste Benfica allerdings in der 18. Minute bitter bezahlen. Ein eigener Freistoß wurde in dieser Szene abgefangen und Di Stéfano schlug direkt einen langen Ball in Richtung Puskás, der hinter dem letzten portugiesischen Verteidiger, aber nicht im Abseits stand. Der Ungar lief auf Costa Pereira zu und verwandelte eiskalt.
Dieser kleine Schock wirkte sich auf die Spielweise Benficas aus. Der Titelverteidiger fuhr nun die Intensität im Pressing etwas zurück und die Abwehrlinie stand tiefer. Zudem versuchte Eusébio mehr Wirkung auf das Offensivspiel zu entfalten, indem er vermehrt auf die Flügel auswich und nicht an der Seite von José Águas im Zentrum verharrte.
Doch all dies nützte zunächst wenig. Denn eine weitere Unaufmerksamkeit in der Defensive führte zum zweiten Treffer von Real Madrid in der 23. Minute. Bei einem kurz ausgeführten Freistoß von rechts blieb Puskás in der Zone vorm Benfica-Strafraum völlig ungedeckt. Er konnte den Ball aufnehmen und aus rund 25 Meter volley mit seiner linken Klebe aufs Tor schießen. Costa Pereira ließ den Ball durchrutschen. Doch Benfica schlug zwei Minuten später zurück. Ein Freistoß direkt halblinks vorm Strafraum der Madrilenen wurde von Coluna an den Pfosten gesetzt. Águas staubte gegen den geschlagenen Torwart José Araquistáin ab.
Bis zum nächsten Treffer für Benfica, der in der 33. Minute fallen sollte, gab es kleinere taktische Auffälligkeiten. Gento, der auf dem Flügel eher verloren schien, rückte nach rund 25 Minuten stärker nach innen und überlud dort die Zonen neben Del Sol. Bei Benfica wurde derweil Cavém immer aktiver mit seinen Vorstößen, sodass nicht jeder Spielaufbau über Coluna gehen musste.
Das 2:2 erzielte Cavém dann auch mit einem Vorstoß. Nach einer Flanke von der rechten Seite sprang die Kugel vor den Strafraum, wo Benficas Allrounder aus der zweiten Reihe abzog. Sechs Zeigerumdrehungen später erzielte Puskás wiederum die Führung für Real Madrid. Tejada eröffnete den Offensivspielzug von der rechten Seite. Sein Pass nach innen auf Puskás wurde von diesem direkt in den gegnerischen Sechzehner weitergeleitet. Das Spielgerät sprang zu ihm zurück und er traf mit einem scharfen Schuss aus dem Rückraum.
Anschließend wurde Benfica immer ungeduldiger. Teils wählten die Portugiesen nun schlechte Schussoptionen aus größeren Distanzen, während Real Madrid nach einer Gento-Flanke sogar noch die Latte traf und folglich einen größeren Vorsprung vor der Halbzeitpause verpasste.
Indisponierte Madrilenen
Nach dem Seitenwechsel agierte Guttmanns Team flexibler in der Offensive, was vor allem am ständigen Ausweichen von Águas, der dadurch auch vereinzelt Räume für Eusébio, Coluna oder auch António Simões öffnete. Real Madrid ließ es mit der Führung im Rücken nun ruhiger angehen, sodass Benfica teilweise ohne Gegenwehr tief in die Hälfte der Spanier eindringen konnte.
Der Ausgleichstreffer fiel jedoch nach einem Ballverlust der Madrilenen. Puskás bekam in der eigenen Hälfte das Spielgerät nicht unter Kontrolle. Coluna nahm den Ball halbrechts auf und zog aus der Distanz ins lange Ecke ab.
Anschließend wirkte Real Madrids Offensive recht indisponiert. Puskás hing in der Luft, während die beiden Flügeldribbler vielfach an den gegnerischen Verteidigern hängen blieben oder Verzweiflungsflanken in den Strafraum Benficas schlugen. Zudem verletzte sich nach rund einer Stunde Rechtsverteidiger Pedro Casado. Dieser konnte im weiteren Verlauf nur noch humpelnd über den Platz traben und blieb meist vorn stehen, sodass vor allem Felo an der rechten Seite verteidigen musste.
Auch Gento verletzte sich bei einer Offensivaktion am Flügel in der 63. Minute leicht. Er blieb stehen, wodurch Benfica einen direkten Gegenangriff über seine Seite einleiten konnte. Di Stéfano wurde überlaufen und José Santamaría foulte Eusébio im Sechzehner. Den Elfmeter verwandelte Benficas Jungstar zum 4:3.
Direkt im Gegenzug hatte Di Stéfano die Chance zum Ausgleich auf dem Fuß. Puskás behauptete an der Strafraumgrenze den Ball gegen drei Verteidiger und konnte ihn auf den heransprintenden Di Stéfano ablegen, welcher aber an Costa Pereira scheiterte.
Für die Entscheidung sorgte unterdessen Eusébio per Freistoß, den zuvor Santamaría mit einem Handspiel nach langem Halbfeldfreistoß verursacht hatte. Madrid war quasi nur noch zu zehnt auf dem Platz und wirkte gebrochen. Del Sol versuchte es noch mit einigen eleganten Dribblings. Di Stéfano wurde zudem in einer Szene sehr unsanft in Benficas Sechzehner gestoppt. Aber Schiedsrichter Leo Horn ging auf die Proteste der Madrilenen nicht ein, die „ihren“ Pokal nicht zurückerobern konnten.
Ähnlich wie im Finale des Jahres 1961 war Benfica in der Lage, den Gegner aus Spanien mit ihrer grandiosen Offensivkraft, die sie über die vollen 90 Minuten aufs Feld bringen konnten, zu überwältigen. Rückstände waren für die Portugiesen kein Problem, da sie immer imstande waren, einen oder sogar mehrere Treffer zu erzielen.
Als Béla Guttmann 1960 das Ruder beim Klub übernahm, sortierte er viele Spieler aus und ersetzte sie durch jüngere Talente. Diese Mannschaft war technisch, aber vor allem athletisch vielen Gegnern überlegen. Und nun hatten sie außerdem den Pantera Negra, Eusébio, in ihre Offensivmaschinerie integriert. Viele fragten sich nach der erfolgreichen Titelverteidigung, wer denn Benfica stoppen könnte.
Es war am Ende womöglich Guttmann selbst, der zum Ende der Saison den Klub im Streit nach einer abgelehnten Gehaltserhöhung verließ und der Legende nach Benfica verfluchte, sodass sie in den nächsten hundert Jahren keinen europäischen Titel mehr gewinnen sollten – was bis heute auch der Fall ist. In den 1960er Jahren zog die Mannschaft um Coluna und Eusébio noch drei weitere Male in das Finale um den European Cup ein. Doch sie scheiterten 1963 an Milan, 1965 an Internazionale sowie 1968 an Manchester United.
Bei Real Madrid deutete sich derweil der Umbruch an, der in den nächsten Jahren unter Miguel Muñoz vollzogen werden sollte. Di Stéfano blieb noch zwei weitere Spielzeiten, konnte aber keinen weiteren europäischen Titel zu seiner Sammlung hinzufügen, da die Blancos 1964 im Finale Internazionale unterlagen. Puskás hingegen schloss an der Seite von Kapitän Gento seine Karriere mit dem Triumph in der Saison 1965/66 ab.
Keine Kommentare vorhanden Alle anzeigen