Löcher genutzt, Pflichtaufgabe erfüllt
Mit relativer Leichtigkeit meisterte die deutsche Mannschaft die vor ihr liegende Aufgabe am zweiten Spieltag der laufenden WM-Qualifikation. Die tschechische Auswahl von Nationaltrainer Karel Jarolím durfte nur aus großer Distanz und nur in den Anfangsminuten an einem Punktgewinn schnuppern.
Ausgangsformationen
Bundestrainer Joachim Löw hat die unangenehmste Aufgabe jeder Länderspielpause wie immer bereits vor dem eigentlichen Anpfiff hinter sich gebracht. Die Rede ist von der Kadernominierung. Der 56-Jährige kann im Moment sogar mit beiden Händen in den reichhaltigen Talentpool greifen. Nur wenige Top-Spieler stehen aktuell nicht zur Verfügung.
So war es auch keine Überraschung, dass Löw für die Partie in Hamburg nahezu die Bestbesetzung der Bundesauswahl auf den Rasen des Volksparkstadions schickte. Im gewohnten 4-2-3-1-/4-2-4-Verschnitt agierten Toni Kroos und Sami Khedira zwischen Verteidigungs- und Angriffslinie. Über die Flügel kamen die beiden Pärchen bestehend aus Jonas Hector und Julian Draxler sowie Joshua Kimmich und Thomas Müller. Der Mann mit der Rückennummer zehn stand auf der (verkappten) Zehn. Mario Götze führte die Formation als vorderste Sturmspitze in das Duell mit den Mannen aus dem Land des guten Bieres.
Dass diese im Jahre 2016 nicht einmal im Entferntesten an glanzvolle Mannschaften vergangener Tage erinnern, dürfte auch Trainer Jarolím Kopfzerbrechen bereiten. Die Čechs und Rosickýs gehören der Vergangenheit an. Die Kadeřábeks und Vydra sind ein Versprechen an die Zukunft, aber im Hier und Jetzt nur schwerlich wettbewerbsfähig auf höchstem Niveau.
Jarolím zeichnete im Vorfeld des Qualifikationsspiels ein 4-4-2 auf die Taktiktafel. An der Seite von Matěj Vydra stürmte Bořek Dočkal, der normalerweise im zentral-offensiven Mittelfeld zum Einsatz kommt. Das Zentrum bewachten David Pavelka und Tomáš Hořava, flankiert von Milan Petržela und Italien-Legionär Ladislav Krejčí. Kapitän Marek Suchý hatte zusammen mit Abwehrrecke Tomáš Sivok die wenig reizvolle Aufgabe, die anrollende Offensivmaschinerie Deutschlands in letzter Linie zu stoppen.
Flügel und Gefahr
Dass die schwarz-weiße Dampfwalze überhaupt ihre volle Kraft entfalten konnte, lag nicht zuletzt am kühnen Plan Jarolíms, der seinen elf Spielern nicht etwa vollste Defensive verordnete. Die Tschechen versuchten sich in den ersten Minuten der Partie im hohen mannorientierten Pressing. Überhaupt prägten Mannorientierungen das Konzept der Gäste in großem Maße.
Die Flügelspieler hängten sich stoisch an ihre jeweiligen Gegenspieler. Verließen Krejčí und Petržela doch einmal ihre Positionen, um an der Seite der Sturmspitzen ins Pressing zu gehen, waren Deutschlands Außenverteidiger gänzlich unbewacht. Die DFB-Elf kam aber auch ansonsten sehr gut mit Tschechiens Verteidigungsstrategie zurecht.
Beide Flügelstürmer, aber Müller im Besonderen, rückten zum richtigen Zeitpunkt nach innen und drückten folglich die gegnerischen Außenverteidiger ins Zentrum. Die Außenzonen waren geöffnet. Hector und Kimmich näherten sich im Spielaufbau umgehend der Abseitsgrenze und bekamen von ihren Gegenspielern, die sich etwas zentraler positionierten, genügend Raum, um stets anspielbar zu sein.
Erreichte einer der vielen Diagonal- oder Vertikalbälle der deutschen Spieleröffner die Außenverteidiger, leiteten sie das Spielgerät entweder direkt in die Halbräume weiter oder gingen besonnen ins Eins-gegen-Eins. Letzteres Szenario kam insbesondere auf der linken Seite zum Tragen. Die Hausherren überluden gezielt diesen Flügel.
Draxler zog im Vergleich zu Müller selten nach innen. Götze driftete regelmäßig nach links. Und Hector verzögerte gegebenenfalls sein Aufrücken, um seinen Gegenspieler nicht mitzuziehen und um folgerichtig Draxler genügend Raum für eine Ballannahme und ein anschließendes Dribbling zu geben. Den Tschechen fehlte derweil ein vorgefertigter Mechanismus (Trigger) für den Rückzug, wodurch die Reaktion auf tiefe horizontale Verlagerungen der Deutschen – also auf die Vorbereitung von langen attackierenden Pässen – inkonstant blieb.
Lücken und Tore
Eine weitere Schwachstelle im tschechischen Verteidigungsgefüge ergab sich infolge des vereinzelten Abkippens deutscher Angreifer, was, wenn überhaupt, nur zögerlich verfolgt wurde. Die Spitzen konnten sich abwechselnd im Rücken der gegnerischen Sechser fallen lassen und mit halbhohen Pässen gefüttert werden. Mehrfach überspielten Mats Hummels und Jérôme Boateng zahlreiche Tschechen mit einem gezielten Ball in den Zwischenlinienraum.
Die DFB-Auswahl zielte bewusst auf beschleunigende Zuspiele ab. Im Gegensatz zu vielen anderen Partien in der jüngeren Vergangenheit offerierte der Gegner dieses Mal aber auch den notwendigen Platz, wodurch nicht nur die steilen ersten Pässe oftmals ihr Ziel fanden, sondern auch der Kampf um den zweiten Ball erfolgsversprechend war.
Nach 13 Minuten ging Löws Team in Führung. Im Vorfeld des Treffers unterlief Pavel Kadeřábek ein Ballverlust. Anschließend schalteten die Hausherren schnell um und nutzten das wilde Herausrücken einzelner tschechischer Verteidiger zum eigenen Vorteil.
Ein weiterer Treffer blieb den Deutschen in der ersten Halbzeit untersagt, obwohl beispielsweise Götze noch zu einer Großchance in der 31. Minute kam. Dem ging abermals eine hohe Pressingattacke der Jarolím-Elf voraus. Mit einem halbhohen Ball in den Zwischenlinienraum wurde die Situation entschärft und der Abschluss Götzes vorbereitet.
Nach dem Seitenwechsel
Beide Trainer verblieben weitestgehend bei ihren ursprünglichen taktischen Vorgaben. Jarolím nahm lediglich kleinere Änderungen vor: Pavelka und Hořava tauschten die Seiten. Dočkal zog sich rascher auf die Zehnerposition zurück. Der zweite Punkt deutet bereits an, dass die Gäste in der zweiten Halbzeit mit größerer Zurückhaltung agierten beziehungsweise reagierten.
Auf deutscher Seite blieben die steilen Anspiele in Richtung der Außenzonen sowie schnelle Weiterleitungen wichtige Mittel. Vorm zweiten Treffer der DFB-Elf erfolgte der Angriffsvortrag jedoch behäbiger. Und trotzdem zappelte das Netz. Kimmich positionierte sich breit an der Außenlinie und befand sich nicht in enger Deckung. Nach der Ballannahme schlug er einen kurzen Haken zurück und spielte den Ball quer vor die Strafraumkante. Kroos traf per Direktabnahme.
Beim dritten und letzten Tor nutzten die Deutschen hingegen die linke Seite. Hector legte nach einem Anspiel umgehend auf Özil ab, welcher sich im Halbraum ohne Druck bewegen konnte. Der England-Legionär steckte den Ball durchs Nadelöhr und schickte Hector auf die Reise hinter Tschechiens Verteidigungslinie. Müller brachte im Zentrum den Ball im Gehäuse von Tomáš Vaclík unter. Die Messe war gelesen.
Fazit
Über die 90 Spielminuten hinweg kam die deutsche Mannschaft nicht ins Schwitzen. Hasenfüße wollten die Tschechen nicht sein, weshalb sie simpel strukturiert Erfolg im hohen Pressing suchten. Ihre Grundkompaktheit war damit aber nur selten gewährleistet. Jarolíms Mannschaft stellte einen nahezu perfekten Gegner für Deutschland dar, das sich auf dem Hamburger Rasen austoben durfte, wie es dem dort ansässigen Verein nur sehr selten vergönnt ist.
5 Kommentare Alle anzeigen
Schimanski 9. Oktober 2016 um 19:09
Die Analyse kommt mir etwas zu trocken rüber. Ich fand das Spiel ziemlich überragend und habe auch eine Weiterentwicklung zur EM gesehen (mehr Positionsrochaden, mehr raumöffnende Bewegung in die Tiefe, mehr Dribblings, variablere Spieleröffnung).
Mir ist es zu einfach, den guten Eindruck nur über die Spielweise der Tschechen zu erklären. Zum einen hatten die Deutschen in den letzten Monaten/Jahren gerade gegen hoch pressenden Gegnern kleinere Probleme, zum anderen gab es im Spiel der Deutschen auch Lösungen, als die Tschechen tief und kompakt am eigenen Strafraum standen.
Die Tschechen fand ich gar nicht mal so verkehrt, zumindest was Mut, Fleiß und Intensität betrifft. Trotzdem bekamen sie ganz selten Zugriff.
DerEntlauber 9. Oktober 2016 um 20:39
Ja Schimi,
schon richtig. Aber vor allem die beiden Außenverteidiger, die trotz aller Wertschätzung doch (noch) nicht als Weltklasse bezeichnet werden können, hatten viel mehr Raum, als sie gegen einen gruppentaktisch und individuell besser besetzten Gegner gehabt hätten.
Die gestern überragenden Hummels und Boateng (offensiv) hätten allerdings tatsächlich auch noch ein Lob verdient gehabt (Ich weiß schon, hier werden keine Bild-Noten vergeben …)
CE 9. Oktober 2016 um 22:41
Ich wollte eigentlich eine Grafik zu Boateng und Hummels einbauen, bis mir auffiel, dass WhoScored etc. für diese Partie gar keine ausführliche Auswertung anboten.
gs 10. Oktober 2016 um 13:23
Naja, Analysen sollen ja sachlich und somit eher „trocken“ sein, ich finde das hier generell sehr informativ – und ausgesprochen wohltuend, dass die andernorts üblichen Bewertungen weitgehend weggelassen werden.
Das dürfen wir dann ja hier in den Kommentaren machen 🙂
In diesem Sinne zwei Ergänzungen zu Personen (die hoffentlich von niemandem als Bild-Noten missverstanden werden):
Ich fand Özil in dem Spiel genial – so ziemlich in jeder Bedrängnis anspielbar, und fast immer fand er eine offensive Lösung in Sekunddenbruchteilen.
Grundsätzlich war auch Mario Götze deutlich verbessert, aber noch mit einem (mentalen oder körperlichen?) Problem: nach vergebenen Chancen / missglückten Angriffen bleibt er eher im Abseits stehen oder trabt langsam zurück, wo z.B. Thomas Müller längst wieder in der Abwehr mithilft.
Schorsch 10. Oktober 2016 um 21:00
Also, wirklich „trocken“ finde ich die Analyse nicht. Bestes Beispiel: „Mario Götze führte die Formation als vorderste Sturmspitze in das Duell mit den Mannen aus dem Land des guten Bieres.“ Das hört sich doch eher flüsig an, oder? Wobei ich mir die Frage erlaube, ob CE da nicht eventuell ein pivo zuviel bei der Betrachtung des Spiels genossen haben könnte. Es ging doch gegen Tschechien und nicht gegen Belgien, oder? 😉
Flachs beiseite, in Tschechien werden natürlich auch sehr gute Biere gebraut, vor allem jenseits der großen Marken; dort stecken mittlerweile für meinen Geschmack zu sehr die industriellen Weltkonzerne dahinter. Aber es gibt wirklich eine ganze Reihe Mikrobrauereien, die exzellente Spezialbiere brauen, vor allem traditionelle.
Anderes Beispiel: „Jarolíms Mannschaft stellte einen nahezu perfekten Gegner für Deutschland dar, das sich auf dem Hamburger Rasen austoben durfte, wie es dem dort ansässigen Verein nur sehr selten vergönnt ist.“ Finde ich sehr sophisticated. Weil es nämlich mMn kein Seitenhieb gegen den HSV, sondern in meinen Augen eigentlich ein Kompliment für die meisten Bundesligaclubs ist. Bei denen dürfte nämlich schon recht häufig die „Grundkompaktheit“ gegeben sein.
Apropos. Das ist für mich die Kernaussage der (wie ich finde sehr gut nachvollzieharen) Analyse. Die Ausrichtung der tschechischen Équipe bzw, besser gesagt deren Ausführung respektive Umsetzung haben der deutschen Elf voll in die Karten gespielt. Alles was an positiver Entwicklung bei der DFB-Auswahl aufgezeigt wurde, unterschreibe ich. Aber auch, wenn CE von einem „perfekten Gegner“ für die deutsche Mannschaft spricht. Wobei Löw seine Truppe auch sehr gut auf diesen Gegner eingestellt hat, nicht nur wegen der langen (nicht nur Diagonal-)Bälle aus der Innenverteidigung heraus.
Der Bundestrainer weist selbst auf die völlig andere Spielweise der Nordiren hin, deren „Grundkompaktheit“ dürfte wohl anderer Natur sein. Daher kündigt Löw (logischerweise) auch eine andere Herangehensweise seiner Elf an. Die Hereinnahme Gündogans dürfte auch in diesem Zusammenhang zu sehen sein. Auf dessen Auftritt freue ich mich besonders.